EuZ – Zeitschrift für Europarecht – Ausgabe 7 / 2023

Über die EuZ

Die EuZ – Zeitschrift für Europarecht berichtet über die jüngsten Entwicklungen im Recht der EU sowie über die Beziehungen der Schweiz zur EU. Im Rahmen wissenschaftlicher Beiträge analysieren renommierte Experten aktuelle Rechtsfragen in allen wirtschaftsrelevanten Bereichen des EU-Rechts. Daneben informieren kurze Beiträge über neue Gesetzesvorhaben, sonstige Vorstösse der EU-Institutionen sowie Urteile des EuGH.
Die EuZ erscheint zehnmal jährlich als Open Access-eJournal. Die wissenschaftlichen Beiträge werden zudem am Ende jeden Jahres in Gestalt eines Jahrbuchs zusammengefasst und sind in dieser Form als eBook sowie als Print on demand-Publikation erhältlich. 

Leitartikel

Waltraud Hakenberg*

Europäische Union – ein Szenario für 2050

In dem Beitrag wird ein Szenario entworfen, wie die EU im Jahre 2050 aussehen könnte: bei guter Gesundheit, selbstbewusst und krisenerprobt, mit 35 grossen und kleinen Mitgliedstaaten, die sich von einstimmigem Vorgehen gelöst haben und mehr Raum für eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen einzelnen von ihnen bieten werden, und mit EU-Bürgern und gesellschaftlichen Strukturen, die dafür Verantwortung übernehmen. Die 2050 wohl vorherrschenden Kernthemen und dafür notwendige Änderungen in den Strukturen werden diskutiert, insbesondere der Binnenmarkt, auch in Bezug auf Drittstaaten, eine verbesserte Aussen- und Sicherheitspolitik, die Klimapolitik und (leider auch) die interne Rechtsstaatlichkeitskontrolle. Im internationalen Szenario ist von der neuen Europäischen Politischen Gemeinschaft von 47 Staaten die Rede, an der auch die Schweiz teilnimmt, und die vielleicht bis 2050 mit dem Europarat fusionieren könnte.

*Prof. Dr. Waltraud Hakenberg war von 1990 bis 2016 in verschiedenen Funktionen am Europäischen Gerichtshof in Luxemburg tätig, ab 2005 als Kanzlerin des Gerichts für den öffentlichen Dienst der EU. Seit 1999 ist sie Honorarprofessorin am Europa-Institut der Universität des Saarlandes. 

Michael Reiterer*

The Indo-Pacific taking centre-stage for the EU’s security policy

The European Union is extending its long-standing engagement with the Asia-Pacific to the Indo-Pacific which is growing in importance in terms of economy, technology, as well as traditional and non-traditional security. This is evidenced by policy papers like the Indo-Pacific Strategy and its complement, the Global Gateway, embedded in the EU’s security doctrine, the Strategic Compass. While the Sino-US competition overshadows many conflicts, the regional hotspots Taiwan, South and East China Sea, the Korean Peninsula, border conflict between India and China and the situation in Myanmar are part of the threat scenario, in addition to the common global challenges like climate change and non-proliferation. The EU reaches out to its strategic partners Japan, South Korea, ASEAN, and India as well as to Australia and New Zealand to contribute to providing more security and stability. To this end, the EU and the US need to assure synergies between their Trans-Atlantic and Trans-Pacific relations. Security cooperation includes increasing resilience, in terms of supply and production chains, digitalisation and building circular economies while withstanding protectionism and nationalism. As a nascent global player, the EU is striving to sharpen its regional profile, also in hitherto uncovered hard security in flying the flag politically and militarily.

*Dr. Michael Reiterer, Distinguished Professor, Centre for Security, Diplomacy and Strategy at Brussels School of Governance (VUB), teaches at various European and Asian universities (guest professorships at Ritsumeikan/Kyoto and Asia Pacific/Beppu University, University of Kobe, Keio University/Tokyo) publishes on i.a. EU foreign policy, Indo-Pacific and cyber diplomacy. He has been Ambassador of the European Union to the Republic of Korea; Switzerland and Liechtenstein as well as Deputy Head of Mission (Minister) at the EU-Delegation to Japan.

Aktuelle Entwicklungen im Europarecht

Allgemeines und Institutionelles

Bericht zur Durchsetzung des EU-Rechts

Die Europäische Kommission hat am 14. Juli 2023 ihren Jahresbericht über die Kontrolle der Anwendung des EU-Rechts angenommen. Dieser Bericht gibt einen Überblick über die Durchsetzungsmassnahmen, die die Kommission im Jahr 2022 ergriffen hat, um den Schutz der Rechte und Freiheiten von Menschen und Unternehmen in der EU zu garantieren. Wie der Bericht zeigt, leitete die Kommission im Jahr 2022 insgesamt 551 neue Vertragsverletzungsverfahren ein; betroffen waren alle Mitgliedstaaten. Zudem befasste sie den EuGH mit insgesamt 35 Verfahren. Um Verstösse bereits im Vorfeld zu verhindern, hat die Kommission die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung des EU-Rechts u.a. durch mehr als 40 praktische Leitlinien sowie auch durch Schulungen unterstützt.

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Arbeit und Soziales

EuGH: Informationspflichten bei Massenentlassungen

Mit Urteil vom 13. Juli 2023 hat der EuGH festgestellt, dass die Verpflichtung des Arbeitgebers, den Behörden in einem frühen Stadium beabsichtigter Massenentlassungen Informationen darüber mitzuteilen, nicht den Zweck hat, den Arbeitnehmern Individualschutz zu gewähren. Der Umstand, dass die deutsche Agentur für Arbeit einem von einer Massenentlassung betroffenen Arbeitnehmer keine Abschrift einer diesbezüglichen Mitteilung an den Betriebsrat hat zukommen lassen, führt entsprechend nicht zur Unwirksamkeit seiner Kündigung.

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Aussenbeziehungen

EU-Japan: Ausbau der strategischen Partnerschaft

Im Rahmen eines Gipfeltreffens vom 13. Juli 2023 haben die EU und Japan ihre strategische Zusammenarbeit in digitalen Fragen sowie bei den Lieferketten für kritische Rohstoffe ausgebaut. Zum einen wurde eine Kooperationsvereinbarung zur Förderung einer sicheren und widerstandsfähigen Seekabelanbindung sowie eine Kooperationsvereinbarung für den Halbleiterbereich unterzeichnet. Zum anderen trafen die Europäische Kommission und die japanische Organisation für Metall- und Energieversorgungssicherheit (JOGMEC) eine Verwaltungsvereinbarung, mit der die Zusammenarbeit bei den Lieferketten für kritische Rohstoffe verstärkt wird. Die Vereinbarung soll es insbesondere ermöglichen, Informationen auszutauschen und das Verständnis beider Seiten in Bezug auf das Risikomanagement in der Lieferkette sowie in Bezug auf Innovation, Recycling und Kreislaufwirtschaft zu verbessern.

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EU-Jahresbericht 2022 zu Hongkong

Die Europäische Kommission hat am 18. August 2023 ihren 25. Jahresbericht über die politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen in der Sonderverwaltungsregion Hongkong angenommen. Aus dem Bericht geht hervor, dass sowohl Hongkongs hoher Grad an Autonomie als auch die demokratischen Grundsätze und die Grundfreiheiten – die eigentlich mindestens bis 2047 garantiert sein sollten – weiter geschwächt wurden. Auch 2022 nahmen die Strafverfolgungsbehörden wieder Festnahmen aus Gründen der nationalen Sicherheit vor. Bis zum 31. Dezember 2022 waren 236 Personen aufgrund des nationalen Sicherheitsgesetzes und anderer Sicherheitsvorschriften festgenommen worden. Auch die Lage der Pressefreiheit hat sich 2022 erheblich verschlechtert. Journalistinnen und Journalisten wurden festgenommen und angeklagt; zahlreiche unabhängige Medienunternehmen stellten ihre Tätigkeit ein. In der von „Reporter ohne Grenzen“ erstellten Rangliste der Pressefreiheit für das Jahr 2022 wurde Hongkong um 68 Plätze auf Rang 148 von 180 Ländern herabgestuft.

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Beziehungen Schweiz-EU

Ignazio Cassis trifft Maroš Šefčovič

Der Vorsteher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA), Ignazio Cassis, hat am 18. Juli 2023 den Vizepräsidenten der Europäischen Kommission, Maroš Šefčovič in Brüssel getroffen. Das Treffen diente dazu, eine Standortbestimmung der Sondierungsgespräche zwischen der Schweiz und der Europäischen Union vorzunehmen. Das Treffen ist Teil eines regelmässigen Austauschs, den Bundesrat Cassis und Vizepräsident Šefčovič seit dessen Besuch in Bern im März 2023 pflegen. Der Vorsteher des EDA betonte den Willen der Schweiz, diese Gespräche zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Es sollen Lösungen gefunden werden, die von den wichtigsten Akteuren der Schweiz unterstützt werden, damit ein Verhandlungsmandat verabschiedet werden kann. Schliesslich bekräftigten Ignazio Cassis und Maroš Šefčovič ihre Bereitschaft, dem Prozess weiterhin positive Impulse zu verleihen.

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Bildung und Forschung

Stärkung des Europäischen Forschungsraums

Die Europäische Kommission hat am 13. Juli 2023 ein umfassendes Massnahmenpaket zur Stärkung des Europäischen Forschungsraums vorgestellt. Das Paket umfasst einen Vorschlag zur Schaffung eines neuen europäischen Rahmens für Forschungslaufbahnen; eine neue Charta für Forschende, welche die Charta und den Kodex für Forscher von 2005 durch neue und überarbeitete Grundsätze ersetzt sowie schliesslich einen europäischen Kompetenzrahmen für Forschende (ResearchComp) zur Unterstützung der sektorübergreifenden Mobilität von Forschenden. Mit ihrer Unterstützung für Forschungstalente will die Kommission das gesamte Forschungs- und Innovationssystem in Europa stärken.

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Gesundheit

Empfehlungen bezüglich Lieferengpässe von Antibiotika

Die Europäische Kommission, die Leiter der Arzneimittelagenturen und die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) haben am 17. Juli 2023 Empfehlungen für Massnahmen zur Vermeidung von Engpässen bei wichtigen Antibiotika gegen Atemwegsinfektionen im kommenden Winter in Europa veröffentlicht. Diese im Rahmen der Hochrangigen Lenkungsgruppe zur Überwachung möglicher Engpässe bei Arzneimitteln und zur Sicherheit von Arzneimitteln ausgearbeiteten Empfehlungen ergänzen die Bestrebungen zur Erstellung einer EU-Liste kritischer Arzneimittel. Folgende Massnahmen sehen im Vordergrund: (1) die Steigerung der Produktion wichtiger Antibiotika, (2) die Überwachung von Angebot und Nachfrage sowie (3) die Sensibilisierung der Öffentlichkeit und umsichtige Verwendung.

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Kommunikation und Medien

Datenschutz: Neuer Angemessenheitsbeschluss für Datenverkehr EU-USA

Die Europäische Kommission hat am 10. Juli 2023 einen Angemessenheitsbeschluss für den Datenschutzrahmen EU-USA angenommen. In dem Beschluss wird festgelegt, dass die Vereinigten Staaten ein angemessenes Schutzniveau – vergleichbar mit dem der Europäischen Union – für personenbezogene Daten gewährleisten, die innerhalb des neuen Rahmens aus der EU an US-Unternehmen übermittelt werden. Auf der Grundlage des neuen Angemessenheitsbeschlusses können personenbezogene Daten sicher aus der EU an US-Unternehmen übermittelt werden, die am Rahmen teilnehmen, ohne dass zusätzliche Datenschutzgarantien eingeführt werden müssen. Mit dem Datenschutzrahmen EU-USA werden neue verbindliche Garantien eingeführt, um den vom Europäischen Gerichtshof geäusserten Bedenken Rechnung zu tragen; so ist vorgesehen, dass der Zugang von US-Nachrichtendiensten zu EU-Daten auf ein notwendiges und verhältnismässiges Mass beschränkt ist und ein Gericht zur Datenschutzüberprüfung (Data Protection Review Court, DPRC) geschaffen wird, zu dem Einzelpersonen in der EU Zugang haben.

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Digitale öffentliche Verwaltung

Der am 17. Juli veröffentlichte Bericht über die Umsetzung der Berliner Erklärung von 2020 zu einer wertebasierten digitalen Verwaltung zeigt, dass die Mitgliedstaaten Fortschritte bei der Verbesserung der digitalen Kompetenz und der Einführung innovativer Technologien im öffentlichen Dienst machen. Wie der Bericht ausführt, müssen sie jedoch stärker auf soziale Teilhabe und digitale Inklusion sowie auf Vertrauen in digitale Dienste und deren Sicherheit hinarbeiten. Daneben weist der Bericht auf verschiedene Fortschritte hin, etwa Initiativen der Mitgliedstaaten zur Verbesserung digitaler Fähigkeiten der Bürgerinnen und Bürger sowie Projekte zur Förderung der Grundrechte im digitalen Umfeld.

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Strategie für das Web 4.0

Anlässlich jüngster technologischer Entwicklungen hat die Europäische Kommission am 11. Juli 2023 eine neue Strategie für das Web 4.0 und virtuelle Welten angenommen. Über die aktuelle Entwicklung der dritten Generation des Internets, des Web 3.0, hinaus, dessen Hauptmerkmale Offenheit und Dezentralisierung sind, wird die nächste Generation, das Web 4.0, eine Integration digitaler und realer Objekte und Umgebungen sowie eine bessere Interaktion zwischen Mensch und Maschine ermöglichen. Im Mittelpunkt der Strategie der Kommission steht die Stärkung der Mündigkeit und Kompetenzen der Bürgerinnen und Bürger, die Unterstützung eines europäischen industriellen Ökosystems für das Web 4.0, die Förderung virtueller öffentlicher Dienste sowie die Gestaltung weltweiter Standards für das Web 4.0.

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Steuerrecht

Vermögenssteuer in der EU

Die Kommission hat am 11. Juli 2023 beschlossen, eine Europäische Bürgerinitiative mit dem Titel „Einführung einer Vermögenssteuer zur Finanzierung des ökologischen und sozialen Wandels“ zu registrieren. Die Organisatorinnen und Organisatoren der Initiative fordern die Kommission auf, eine europäische Vermögenssteuer zugunsten des ökologischen und sozialen Wandels einzuführen. Ziel der Initiative ist es, zur Bekämpfung des Klimawandels und der Ungleichheit in der gesamten EU beizutragen und sicherzustellen, dass die europäischen Bürgerinnen und Bürger ihren gerechten Anteil zur Verwirklichung dieser Ziele leisten. Der Beschluss zur Registrierung greift den Schlussfolgerungen der Kommission zu der Initiative und den Massnahmen, die sie gegebenenfalls zu ergreifen plant, falls die Initiative die erforderliche Unterstützung erhält, nicht vor.

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Strafrecht

Revision der Opferschutzrichtlinie

Die Europäische Kommission hat am 12. Juli 2023 einen Vorschlag zur Revision der Opferschutzrichtlinie 2012/29/EU vorgelegt. Sie schlägt Mindestvorschriften vor, die über die Bestimmungen in der geltenden Richtlinie von 2012 hinausgehen und den gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen Rechnung tragen. Die Reform umfasst u.a. neue Sicherheitsmassnahmen, die differenzierter auf die jeweiligen Opferbedürfnisse zugeschnitten sind; unentgeltliche psychologische Unterstützung; vereinfachten Zugang zur Justiz; Sicherstellung einer effektiven Entschädigung der Opfer.

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Umwelt

Berichterstattungspflichten für den Übergangszeitraum des CO2-Grenzausgleichssystems

Die Europäische Kommission hat am 17. August 2023 eine Durchführungsverordnung betreffend die Umsetzung des CO2-Grenzausgleichssystems (CBAM) verabschiedet, die während des Übergangszeitraums vom 1. Oktober 2023 und bis Ende 2025 gelten soll. Die Durchführungsverordnung regelt die Berichtspflichten für die EU-Einführer von CBAM-Waren sowie die für diesen Zeitraum geltende Methode zur Berechnung grauer Emissionen, die bei der Herstellung von CBAM-Waren entstehen. Im CBAM-Übergangszeitraum müssen Händler nur über die grauen Emissionen im Zusammenhang mit ihren dem Mechanismus unterliegenden Einfuhren Bericht erstatten, ohne finanzielle Anpassungen leisten zu müssen.

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Wettbewerb

Subventionen aus Drittstaaten

Die Europäische Kommission hat am 10. Juli 2023 Durchführungsbestimmungen zur Verordnung über Subventionen aus Drittstaaten angenommen. In der Durchführungsverordnung werden die Details der Verfahren festgelegt, mit denen die Vorschriften der Verordnung konkret angewandt werden. Sie enthält insbesondere Formulare zur Anmeldung von Zusammenschlüssen, in deren Rahmen drittstaatliche finanzielle Zuwendungen gewährt werden, und benennt die vorzulegenden Angaben bei einer Anmeldung.

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