EuZ - Zeitschrift für Europarecht

Ausgabe 07 / 2023

Europäische Union – ein Szenario für 2050*

Waltraud Hakenberg**

In dem Beitrag wird ein Szenario entworfen, wie die EU im Jahre 2050 aussehen könnte: bei guter Gesundheit, selbstbewusst und krisenerprobt, mit 35 grossen und kleinen Mitgliedstaaten, die sich von einstimmigem Vorgehen gelöst haben und mehr Raum für eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen einzelnen von ihnen bieten werden, und mit EU-Bürgern und gesellschaftlichen Strukturen, die dafür Verantwortung übernehmen. Die 2050 wohl vorherrschenden Kernthemen und dafür notwendige Änderungen in den Strukturen werden diskutiert, insbesondere der Binnenmarkt, auch in Bezug auf Drittstaaten, eine verbesserte Aussen- und Sicherheitspolitik, die Klimapolitik und (leider auch) die interne Rechtsstaatlichkeitskontrolle. Im internationalen Szenario ist von der neuen Europäischen Politischen Gemeinschaft von 47 Staaten die Rede, an der auch die Schweiz teilnimmt, und die vielleicht bis 2050 mit dem Europarat fusionieren könnte.

* Der Beitrag geht zurück auf einen Vortrag, den die Autorin am 10. Juni 2023 auf der Tagung der Hochschullehrer für Wirtschaft in Ludwigsburg gehalten hat.

** Prof. Dr. Waltraud Hakenberg ist Kanzlerin des Gerichts für den Öffentlichen Dienst der EU a.D. und Honorarprofessorin an der Universität des Saarlandes.

Inhalt

  1. Anzahl der Mitgliedstaaten
  2. Verhältnis zwischen grossen und kleinen Mitgliedstaaten
  3. Einstimmigkeit bei Abstimmungen im Rat
  4. Qualifizierte Mehrheit bei Abstimmungen im Rat
  5. Weissbuch 2017 zur Zukunft der EU
  6. Kernthemen einer EU 2050?
    1. Frieden
    2. Starker Binnenmarkt
    3. Stärkere Gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik
    4. Angepasstes Verhältnis zu Drittstaaten
    5. Einstimmiges Vorgehen bei Asyl und Einwanderung sowie bei
      der Kriminalitätsbekämpfung
    6. Neuorientierung der europäischen Agrarpolitik
    7. Umwelt und Klima als europäisches Kernthema
    8. Geltung des Euro in allen Mitgliedstaaten
    9. Neuorientierung des europäischen Kartellrechts
    10. Rechtsangleichung nur in grossen Linien
    11. Europa der Menschen
  7. Strukturen einer EU 2050?
    1. Prägnante(re) Leitungs-Persönlichkeiten
    2. Effiziente(re) Institutionen
    3. Veränderte Budgetausrichtung
    4. Effiziente(re) Sanktionen bei Verstössen gegen Wertegemeinschaft
    5. Rückführung der Behandlung der Amtssprachen
    6. Gremien zur Evaluation von Ergebnissen und der Ausarbeitung
      neuer Projekte und Strategien
  8. EU-Szenario 2050 – Internationale Bühne?
    1. EU als selbstbewusster(er) Akteur auf dem Weltmarkt
    2. Neuer Orbit EPG
    3. EWR in die EPG
    4. Europarat in die EPG
  9. Schluss

Am 9. Mai 1950 legte der damalige französische Aussenminister Robert Schuman mit dem „Schuman-Plan“ die Grundlagen der europäischen Zusammenarbeit, die heute in der Europäischen Union (EU) verfasst sind. Nachfolgend wird überlegt, wie 100 Jahre später das Szenario einer solchen Union aussehen könnte – so weit ist das Jahr 2050 gar nicht entfernt!

A. Anzahl der Mitgliedstaaten

Die EU, zu deren Beginn 1952 es sechs Mitgliedstaaten mit knapp 200 Millionen Einwohnern gab, hat gegenwärtig 27 Mitgliedstaaten mit 448 Millionen Einwohnern. Sie besetzt damit nach China und Indien Platz drei der bevölkerungsreichsten Staaten(gebilde) der Erde. Sie hat ihren Mitgliedern Frieden und Wohlstand beschert und ist das grösste erfolgreiche Integrationsprojekt der Neuzeit. Das hier vorgestellte Szenario geht davon aus, dass die EU im Jahre 2050 weiter existieren und dann 35 Mitgliedstaaten haben wird. Die ersten zwei Staaten, die voraussichtlich aufgenommen werden, werden die Ukraine und Moldawien sein. Sie haben im Februar bzw. März 2022 Beitrittsanträge gestellt, die wohl nicht mehr auf die lange Bank geschoben werden können, wenn der russische Angriff auf die Ukraine beigelegt sein wird (worauf jedermann hofft). Der Bewerberstatus wurde beiden Staaten im Juni 2022 zuerkannt. Es ist davon auszugehen, dass von Seiten der EU die so genannten Kopenhagener Kriterien,[1]Politische Kriterien: Demokratie, Stabilität, Rechtsstaat, Einhaltung der Grundrechte; ökonomische Kriterien: funktionierende Marktwirtschaft; Übernahme des gemeinsamen Rechtsbestands der EU; … Continue reading die normalerweise für einen Beitritt erfüllt sein müssen, zumindest in Bezug auf die Ukraine ausserordentlich grosszügig ausgelegt werden. Noch nie hat bis heute ein von einem Angriffskrieg verwüstetes Land einen Beitritt vollzogen, aber noch nie war es geostrategisch auch so notwendig, ein Land aufzunehmen.

Was als Nächstes vollzogen werden dürfte, wird die Aufnahme der sechs „Rest-Balkan-Staaten“ Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien sein. Auch wenn aktuell viel Sorge besteht vor weiteren gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen diesen Staaten mit ihren komplizierten Ethnien, darunter erstmalig für die EU auch muslimischen, muss die EU wohl insoweit ihre geografische Abrundung erfahren,[2]Zu dem „Heimatländern“ Europas s. sehr eindringlich Timothy Garton Ash, Homelands: A Personal History of Europe, 2023. schon um solche Auseinandersetzungen in ihrer direkten Nachbarschaft in der Zukunft zu begrenzen. Einen weiteren Jugoslawien-Krieg kann sich niemand leisten, auch Frankreich nicht, welches in Bezug auf den Beitritt dieser Staaten wesentlich zurückhaltender als Deutschland ist.

Dass die Türkei in den nächsten Jahrzehnten Teil der EU wird, ist mittlerweile kein realistisches Szenario mehr. Nach verschiedenen Anläufen in der Vergangenheit[3]Die Türkei ist seit 1999 offizieller Beitrittsbewerber. Verhandlungen wurden 2005 eröffnet, allerdings seit 2016 nicht weiter betrieben. Die EU finanziert die Türkei mit milliardenschweren … Continue reading ist das Verhältnis zu dem dortigen autoritären Regime mittlerweile so weit abgekühlt, dass niemand in der EU ernsthaft glaubt, in der nächsten Zeit eine gemeinsame Wellenlänge zu finden. Dazu kommen die latenten Verflechtungen des Landes mit Russland. Aus wieder anderen Gründen glaubt niemand daran, dass das Vereinigte Königreich bald in die europäische Familie zurückkehren wird, die es nach 47 Jahren Mitgliedschaft 2020 verlassen hat, und auch nicht daran, ein dann vielleicht abgespaltenes Schottland als eigenen neuen Staat aufzunehmen. Auch die Schweiz wird voraussichtlich in ihrer bisherigen Stellung zur EU verharren, mit der sie im Prinzip gut zurechtkommt, genauso wie die kleinen Staaten Monaco, Andorra und San Marino sowie der wiederum anders aufgestellte Vatikan.

So darf also spekuliert werden, dass die EU im Jahre 2050 35 Mitgliedstaaten haben wird, 30% mehr Staaten als bisher. Austritte sind trotz der Spannungen mit Polen und Ungarn, von denen noch die Rede sein wird, unwahrscheinlich. 30% neue Mitgliedstaaten erscheinen einerseits viel. Andererseits betreffen sie von der Einwohnerzahl her betrachtet lediglich 14% mehr Personen, nämlich (unter der Voraussetzung des Eintritts der erwarteten demografischen Entwicklungen) 512 Millionen Personen. Die Zahlen relativieren sich, wenn man bedenkt, dass die EU zu Zeiten der Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs sogar 515 Millionen Einwohner hatte. So ändert sich eigentlich gar nicht besonders viel. Platz 3 der bevölkerungsreichsten Staaten(gebilde) der Erde wird für die EU nach wie vor gegeben, aber auch nicht erhöht sein. Auf einem anderen Blatt steht die Wirtschaftsleistung all dieser Staaten, von der man naturgemäss erwartet, dass sie ansteigen wird.

B. Verhältnis zwischen grossen und kleinen Mitgliedstaaten

Fraglich ist, wie das Verhältnis zwischen grossen und kleinen Mitgliedstaaten in einem solchen Szenario zu bewerten ist. Gegenwärtig gibt es fünf grosse Mitgliedstaaten (Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien und Polen), 12 kleine und 10 mittlere. Die grossen Mitgliedstaaten machen damit 19% gegenüber 81% der kleinen und mittleren aus. Im vorgestellten Szenario 2050 werden sechs grosse Mitgliedstaaten, zu denen dann die Ukraine zählen wird (sie hat mit 44 Millionen mehr Einwohner als Polen mit 38 Millionen, ausser der russische Angriff dezimiert die Bevölkerung noch weiter), 17% ausmachen gegenüber 83% der kleinen und mittleren Staaten.

Interessant ist hierbei wieder, das Verhältnis zu den Bevölkerungszahlen zu betrachten. Gegenwärtig wohnen in den 19% grosser Mitgliedstaaten 66% der Einwohner der EU und in den 81% der kleinen und mittleren 34%. Dies wird identisch sein im Szenario 2050 mit 17% grossen Mitgliedstaaten, in denen dann ebenfalls 66% der Einwohner leben werden, während die Einwohner der übrigen 83% der Mitgliedstaaten wie heute 34% der Gesamtbevölkerung ausmachen werden. Also alles beim Alten?

Das Ungleichverhältnis zwischen grossen und kleinen Mitgliedstaaten ist auffallend und wird seit Beginn der europäischen Zusammenarbeit diskutiert. Es ist evident, dass grosse Mitgliedstaaten ein anderes Standing haben und sich über kleinere hinwegsetzen können. Andererseits war dies in der Vergangenheit nie ein allzu grosses Problem – Länder wie Belgien und Luxemburg konnten hervorragende Nischen besetzen, auch später die baltischen Staaten mit ihrem Niveau in modernen Technologien. Je nach Allianzen konnten viele Erfolge erzielt werden, die nur zwischen grossen Ländern allein nicht möglich gewesen wären. Das Selbstbewusstsein eines Landes hängt nicht nur von seiner Grösse ab, und Neues kann oft in einem kleinen Territorium besser erprobt werden. Dafür sind kleine Länder eventuell anfälliger für eine Einflussnahme fremder Investitionen, wie sich in Malta und Zypern zeigt. So wird sicherlich genau beobachtet werden müssen, wie sich die zukünftigen kleinen Mitgliedsländer des osteuropäischen Raumes, die schon heute von China anvisiert werden, in die bestehende Gruppe einfügen werden. Man wird sich wohl um sie mehr bemühen müssen als anlässlich der Osterweiterungen 2004-2013, als die bestehenden Mitgliedstaaten dachten, mit der Aufnahme der neuen Länder alles Nötige getan zu haben und den Dingen ihren Lauf liessen.

C. Einstimmigkeit bei Abstimmungen im Rat

Das grösste Problem bei vielen Mitgliedstaaten, noch dazu wenn sie unterschiedliche Gewichtung haben, ist die Entscheidungsfindung. Abstimmungen im Rat bzw. im Europäischen Rat müssen für bestimmte Bereiche einstimmig getroffen werden, was nicht allen grossen – und auch nicht unbedingt den kleinen – Ländern gefällt. Die aktuelle Diskussion erhitzt sich stark an dieser Frage, und eine Änderung um jeden Preis wird von unterschiedlichsten Seiten eingefordert. Hilfreich ist, sich zunächst vor Augen zu halten, welche Bereiche eigentlich von der Notwendigkeit einstimmiger Abstimmung betroffen sind: das sind die Änderung der Gründungsverträge, der Beitritt neuer Mitgliedstaaten, Art. 49 Abs. 1 EUV, die Kontrolle der Rechtsstaatlichkeit der Mitgliedstaaten, Art. 7 EUV, das Budget, Art. 311 f. AEUV, die Ermächtigung einer Verstärkten Zusammenarbeit zwischen einer Gruppe von Mitgliedstaaten, Art. 329 AEUV, die Gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik, zB Sanktionen gegen Drittstaaten, Art. 24 EUV, einzelne Bereiche der Gemeinsamen Innenpolitik und von Asyl und Einwanderung, Art. 77 AEUV, die direkten Steuern, Art. 115 AEUV, einzelne Bereiche der Sozialpolitik, Art. 153 AEUV, sowie grundlegende Entscheidungen der Umweltpolitik wie Wasserressourcen und Energiestruktur, Art. 192 Abs. 2 AEUV.

Ausser vielleicht den letzten beiden Politikfeldern und der Verstärkten Zusammenarbeit, auf die noch zurückzukommen sein wird, handelt es sich um Bereiche, bei denen verständlich ist, dass ein Staat – EU hin oder her – seine Hoheitsgewalt behalten möchte. Viele EU-Insider finden, dass das Ringen um einstimmige Lösungen immer die Zeit wert war, sie zu finden, und dass eine grosse Befriedungswirkung daraus entsteht.[4]Eine Meisterin des Ringens um einstimmige Lösungen war die frühere deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich dem in unzähligen Nachtsitzungen widmete. Hierbei war es durchaus nicht so, dass … Continue reading Die Diskussionen der letzten Zeit haben sich eher daran entzündet, dass gegenwärtig von den Mitgliedstaaten Polen und Ungarn befürchtet wird, dass sie den Weg der Rechtsstaatlichkeit verlassen und zudem die Verweigerung bestimmter Zustimmungen, etwa zu Sanktionen gegen Russland, nur zur Erlangung anderer Vorteile benutzen. Die Torpedierung der eigenen Wertvorstellungen von innen heraus ist eine Entwicklung, die es in der EU früher nie gegeben hat und die zurecht Anlass zu grössten Befürchtungen gibt. So versteckt sich hinter dem vehementen Wunsch nach einer Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips eigentlich die Hoffnung auf ein Patentrezept, wie die EU mit Tendenzen umgehen kann, die sie selbst aus ihren eigenen Reihen heraus zerstören.

Die Einstimmigkeit aufzubrechen wäre sicherlich hilfreich. Wenn es gelingen sollte, müsste es vor der Aufnahme neuer Mitgliedstaaten geschehen. Allerdings kann Einstimmigkeit, wie es in der Natur der Sache liegt, nur einstimmig abgeschafft werden. Folgende Ansätze sind denkbar: die Einführung einer „besonders qualifizierten“ Mehrheit für bestimmte Entscheidungen, vielleicht von 80 oder 90% der Mitgliedstaaten, die Einführung von Notfallklauseln, die ein anderes Entscheidungsverhalten erlauben, etwa im Bereich der Aussen- und Sicherheitspolitik, eventuell auch eine bessere Nutzung der existierenden Brückenklausel des Art. 48 Abs. 7 EUV. Diese Vorschrift, die man nach ihrer intensiven Diskussion im Rahmen des Lissabonner Vertrages, der 2009 in Kraft trat, eigentlich vergessen hat, besagt, dass der Europäische Rat unter Mitwirkung der nationalen Parlamente einstimmig beschliessen kann, einen der Einstimmigkeit unterliegenden Bereich für die Zukunft der qualifizierten Mehrheit zu unterwerfen. Dies ist bislang nur ein einziges Mal passiert, nämlich 2011 im Hinblick auf den Euro-Rettungsschirm, der unter Abänderung von Art. 136 AEUV dann mit qualifizierter Mehrheit erlassen wurde. Auch für die Brückenklausel gilt jedoch, wie man sieht, dass die Abschaffung der Einstimmigkeit nur einstimmig erfolgen kann.

D. Qualifizierte Mehrheit bei Abstimmungen im Rat

Die virulenten Stimmen für die Abschaffung der Einstimmigkeit vergessen bisweilen, dass 80% aller Entscheidungen innerhalb der EU gegenwärtig gemäss Art. 16 EUV und Art. 289, 234 AEUV im „ordentlichen“ Gesetzgebungsverfahren mit qualifizierter Mehrheit im Rat und in Mitentscheidung mit dem Europäischen Parlament getroffen werden, wo immerhin auch die Opposition sich Gehör verschaffen kann. Die qualifizierte Mehrheit im Rat ist hierbei so austariert, dass sie dann zustande kommt, wenn mindestens 55% der Mitgliedstaaten (aktuell sind das 15 von 27 Mitgliedstaaten, im angenommenen Szenario für 2050 19 von 35 Mitgliedstaaten) dafür sind, aber nur, wenn diese Staaten zusammen wenigstens 65% der EU-Gesamtbevölkerung vertreten. Diese so genannte „doppelte Mehrheit“ wurde erfunden, um die Stimmengewichtung der kleinen und mittleren Staaten etwas im Zaum zu halten. Da gegenwärtig und voraussichtlich auch 2050 in allen kleinen und mittleren Mitgliedstaaten zusammen nur 34% der Gesamtbevölkerung der EU leben, können also kleine und mittlere Mitgliedstaaten alleine nichts erzwingen, sondern benötigen zwei oder drei grosse Mitgliedstaaten dazu. Dazu gibt es eine Sperrminorität bzw. eine Vetomöglichkeit von mindestens 4 Mitgliedstaaten, unabhängig von ihrer Grösse.[5]In Deutschland erinnert man sich an die Abstimmung über das „Verbrenner-Aus“, welches im März 2023 in letzter Minute von Deutschland, Italien, Polen und Bulgarien in eine andere Richtung … Continue reading Für bestimmte Situationen sind Abweichungen hiervon bzw. andere Mehrheiten vorgesehen.

Dieses System hatte von Anfang an für sich, dass es beim Beitritt neuer Mitgliedstaaten beibehalten oder leicht angepasst werden konnte. Ein Vergleich der aktuellen und für 2050 erwarteten Zahlen zeigt effektiv, dass dies ohne Problem für das vorgestellte Szenario der Fall ist.

E. Weissbuch 2017 zur Zukunft der EU

2017 hat Jean-Claude Juncker, der von 2014-2019 Präsident der Europäischen Kommission war, in dieser Funktion in einem Weissbuch folgende Ideen zur Zukunft der EU zur Diskussion gestellt, interessanterweise als Szenario für das – heute nicht mehr weit entfernte – Jahr 2025:
(1) Carrying on (Weiter wie bisher), (2) Nothing but the Single Market (Schwerpunkt Binnenmarkt), (3) Those who want to do more can do more (Wer mehr will, tut mehr), (4) Doing less more efficiently (Weniger, aber effizienter), (5) Doing much more together (Viel mehr gemeinsames Handeln).[6]Weissbuch zur Zukunft Europas vom 1. März 2017, COM (2017) 2025 final. Das Dokument ist definitiv lesenswert.

Zwischenzeitlich hat es andere Initiativen gegeben, darunter die Konferenz zur Zukunft Europas, in die vor allem die Jugend und verschiedene Bürgerforen eingebunden waren, und die in ihrem lesenswerten Abschlussbericht vom 9. Mai 2022 viele wichtige Vorschläge erstellte. Gegenwärtig wird an der Umsetzung derjenigen Vorschläge gearbeitet, die keine Vertragsänderung erfordern, interessanterweise 95%. Für die schwerwiegenderen 5%, darunter die Abschaffung des Einstimmigkeitserfordernisses und die Anpassung des Kompetenzkatalogs der EU, ist noch fraglich, ob in der nächsten Zeit ein Vertragsänderungsverfahren („Konvent“) eingeleitet werden wird. Eine recht grosse Gruppe von Mitgliedstaaten hat bereits erklärt, dass gegenwärtig die Zeit dafür nicht geeignet sei. Zu hoffen ist allerdings wirklich, dass dieser Widerstand gebrochen werden kann und den Stimmen der von Europa betroffenen Bürger die entsprechende Wertschätzung zuerkannt werden wird. Die Europawahl 2024 könnte dafür das nächste geeignete Forum sein. Unabhängig davon geben die fünf Juncker-Schlagworte weiter klar und deutlich Richtungen vor, zu denen eine Positionierung möglich und nötig ist. Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, die Ansätze zu kombinieren, und der grösste Konsens scheint gegenwärtig für eine Kombination, je nach Sachlage, der Punkte 2, 3 und 4 zu bestehen, wobei das „Nothing“ in Punkt 2 wie in der deutschen Variante als „Schwerpunkt“ verstanden sein sollte.

Jean-Claude Juncker hat im Übrigen in einer persönlichen Meinung die Idee verschiedener europäischer „Orbits“ ins Spiel gebracht, in die sich Staaten einordnen könnten, die mehr oder weniger zusammen tun wollen oder können, ohne von anderen gebremst oder forciert zu werden. Hier zeigt sich, dass die Ermächtigung einer Verstärkten Zusammenarbeit einzelner Mitgliedstaaten[7]Beispiele hierfür sind der Euro, Schengen und das am 1. Juni 2023 in Kraft getretene Einheitspatent. (Punkt 3 des Weissbuchs) unbedingt aus der Einstimmigkeit der Abstimmung herausgelöst werden müsste, und es ist sehr zu hoffen, dass dies gelingen wird. Die Verstärkte Zusammenarbeit wird der Schlüssel sein, eine EU mit 35 Mitgliedstaaten in einer modernen Gesellschaft lebendig und handlungsfähig zu erhalten. Es müssten dazu Anreize geschaffen werden, von einem Orbit in den anderen „aufzusteigen“, die an die Erreichung der Ziele des Binnenmarkts geknüpft werden könnten, aber auch an Dinge wie Rechtsstaatlichkeit, erfolgreiche Korruptionsbekämpfung u.ä. Die in Punkt 4 des Weissbuchs zurecht angestrebte Effizienz wird insgesamt mehr (ernsthafte) Kontrollen nach sich ziehen, die allerdings schon heute vielfach notwendig wären. Nachhaltiges „Enforcement“ bindet zwar einerseits sehr viele Ressourcen,[8]S. hierzu Hakenberg, Wege zu besserer Normbefolgung im europäischen Wirtschaftsrecht, in: ZEUS-Sonderband 70 Jahre Europa-Institut, Saarbrücken 2021, S. 129. andererseits verliert das Recht jede Autorität, wenn es nicht auch durchgesetzt wird.

F. Kernthemen einer EU 2050?

In einer lebendigen EU, die 2050 mit 35 Mitgliedstaaten als ernstzunehmende Wirtschaftsmacht auf der Erde existieren, ihren Bürgern Wohlstand bescheren und mit ihren Nachbarn gut auskommen will, scheinen folgende Kernthemen wichtig zu sein.

I. Frieden

Der Beginn der europäischen Zusammenarbeit war bekanntlich ein Friedensprojekt. Dass die Schuman-Erklärung nur fünf Jahre nach Beendigung des 2. Weltkrieges möglich war, ist aus heutiger Sicht unglaublich. 2012 wurde der EU zurecht der Friedensnobelpreis zuerkannt. Gemäss Art. 3 Abs. 1 EUV ist es ihr Ziel, „den Frieden, ihre Werte und das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern“, Art. 8 EUV erstreckt die friedlichen Beziehungen auf die Nachbarschaft. Beides kann 2050 nicht anders sein.

II. Starker Binnenmarkt

Der Schwerpunkt auf einem starken Binnenmarkt wird, wie Punkt 2 des Weissbuchs 2017 unterstreicht, immer eines der Kernthemen des Vereinten Europas sein. Eine innovative europäische Wirtschaft, die auf einem grossen Markt in allen Bereichen moderner Technik operieren kann, ist für die weltweite Wettbewerbsfähigkeit der Union unumgänglich. Im globalisierten Umfeld werden bestimmte Abhängigkeiten von Nicht-EU-Staaten stärker überdacht werden müssen. Totale Abschottungen sind dagegen auch nicht wünschenswert. Für Bereiche der Daseinsfürsorge müsste allerdings eine stärkere Rückbesinnung auf nationale Interessen erlaubt werden.

III. Stärkere Gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik

Die Gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik der EU hat bis zum aktuellen Konflikt mit Russland leider nur unzureichend funktioniert, und auch jetzt bleiben die Ansätze eines entschiedenen geschlossenen Handelns rudimentär. Mit 35 Mitgliedstaaten wird dies noch schwieriger werden. Deutschland und Frankreich sind unterschiedlicher Meinung, wie das Verhältnis zur NATO weitergehen soll. Trotzdem sollten bis 2050 alle EU-Mitgliedstaaten auch NATO-Mitglieder sein. Innereuropäisch sollte bis 2050 zumindest ein Konsens aller Mitgliedstaaten in grundsätzlichen Fragen der Sicherheits- und Militärpolitik erreicht sein. Für ein detaillierteres gemeinsames Vorgehen könnte eine Verstärkte Zusammenarbeit einzelner Mitgliedstaaten eine Bühne bieten, vor allem, wenn sie nicht durch Einstimmigkeitserfordernisse oder Vetorechte gebremst wird.

IV. Angepasstes Verhältnis zu Drittstaaten

Das Verhältnis der EU zu Drittstaaten kann sich bis zum Jahr 2050 rauer gestalten. Die EU setzt jetzt schon kräftigere Ellenbogen ein als früher, um sich auf den globalisierten Märkten selbstbewusst zu behaupten, etwa im Anti-Dumping-Bereich oder gegenüber den Big-Data-Unternehmen aus den USA. Zu erwarten ist auch, dass die Alimentierung von Projekten in Ländern des „globalen Südens“ von Handelsbeziehungen abgelöst wird, die diesen Ländern mehr Respekt, eigenständige Verantwortung und Zukunftsperspektiven bieten. Mit einer Missionierung der Welt durch europäische Grundrechte-Standards sollte sich die EU vielleicht besser zurückhalten.

V. Einstimmiges Vorgehen bei Asyl und Einwanderung sowie bei der Kriminalitätsbekämpfung

Auf dem schwierigen Gebiet von Asyl und Einwanderung werden bis 2050 die grossen gemeinsamen Linien der EU festgelegt sein müssen. Eine bessere Koordinierung zeichnet sich bereits mit dem im Sommer 2023 gefundenen Kompromiss ab. Angesichts der enormen Bedeutung der Migration auf einem Planeten mit 8 Milliarden Menschen, der sich noch dazu im Klimawandel befindet, ist ein abgestimmtes Vorgehen nicht nur der EU, sondern eigentlich aller betroffenen Staaten unumgänglich. Künftige Krisen können dazu führen, dass irgendwann keine Zeit mehr für Diskussionen bleibt. So wäre sehr hilfreich, wenn konkrete Konzepte bald erarbeitet werden könnten. Hinter der Migrationsproblematik treten Kriminalität und Korruption zwar als Thema in der Bedeutung zurück, ihre Bekämpfung kann aber auch nicht aus dem gemeinsamen Blickfeld entlassen werden, zumal sie leider auch häufig mit der Migrationsbeförderung verknüpft sind.

VI. Neuorientierung der europäischen Agrarpolitik

Die europäische Agrarpolitik, die vor allem in den ersten Jahrzehnten der europäischen Zusammenarbeit die Bühne beherrschte, könnte bis zum Jahr 2050 in nationale Befugnisse zurückverlagert werden. Ihre Instrumente sind nicht mehr zeitgemäss, sie konnten ein „Bauernsterben“ zugunsten grosser Agrarkonzerne nirgendwo verhindern und haben zu einer Alimentationsmentalität geführt,[9]Beispiele für Missbräuche und absurde Situationen in Bezug auf die Agrarpolitik sind Legion. Als zB EU-Beihilfen für Rinderhaltung von Stückvieh auf Hektar bewirtschafteter Fläche umgestellt … Continue reading die jeglichen Wettbewerb und viele Innovationen erstickt. Jeder neue Mitgliedstaat hat die Agrarpolitik regelmässig über Gebühr neu belastet. Es scheint an der Zeit zu sein, die Landwirtschaft wie andere Wirtschaftszweige auch dem Spiel des Marktes auszusetzen. Kontrollen könnten dezentral durch die nationalen Behörden erfolgen, die sich über grundsätzliche Dinge wie Pestizideinsatz, Gentechnologie u.ä. auf europäischer Ebene abstimmen würden.

VII. Umwelt und Klima als europäisches Kernthema

Anders als die Agrarpolitik wird die Umwelt- und Klimapolitik im Jahre 2050 das europäische Kernthema sein. Schon die aktuelle Kommission unter Leitung von Ursula von der Leyen weist ihr zurecht einen überragend wichtigen Stellenwert zu. 2050 werden die ersten Ergebnisse der Bemühungen der EU feststehen, den Klimawandel aufzuhalten, und voraussichtlich werden empfindliche neue Ziele gesetzt werden müssen, für die es in der Bevölkerung nicht nur Konsens geben wird. Zu erwarten ist, dass von der bislang geübten freundlichen Alimentierung von Mitgliedstaaten, die sich Umstellungsmassnahmen gerne aus EU-Mitteln finanzieren lassen möchten, abgesehen werden und auf Eigenverantwortung und effiziente Kontrollen umgestellt werden wird. Also auch insoweit ein rauerer Ton. Die Vorreiterstellung, die die EU weltweit auf dem Gebiet der CO2-Reduktion erreichen will, wird auf Dauer auch nicht ausreichen, wenn Länder in anderen Erdteilen an dem Projekt nicht teilnehmen. Insoweit wird grosses Verhandlungsgeschick auf internationaler Ebene gefragt sein.

VIII. Geltung des Euro in allen Mitgliedstaaten

2050 sollte der Euro in allen Mitgliedstaaten gelten, „koste es, was es wolle“.[10]Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise 2012 hielt der damalige EZB-Präsident Mario Draghi eine bemerkenswerte Rede, in der er ankündigte, den Euro zu retten, „whatever it takes“ (koste es, was es … Continue reading Er ist das grösste Identifikationsprojekt der EU, der sie auf der Weltbühne herausgehoben hat aus Gruppierungen staatlicher Zusammenarbeit untergeordneter Art. Idealerweise müsste die Geltung des Euro mit einer echten Wirtschafts- und Währungspolitik einhergehen, die mit effizienten Kontrollen operieren und Krisen im Vorfeld besser abwehren könnte. Hierfür muss noch ein weiter Weg gegangen werden. Immerhin sind schon die Weichen dafür gestellt, dass der europäische Stabilitätsmechanismus ESM neben dem Internationalen Währungsfonds IWF eine eigenständige Rolle spielt.

IX. Neuorientierung des europäischen Kartellrechts

Das Kartellrecht, welches in der europäischen Politik seit den 1980er Jahren grossen Raum einnimmt, ist eigentlich nur für grosse Mitgliedstaaten notwendig und spielt für die meisten der im Jahre 2050 existierenden Mitgliedstaaten eine untergeordnete Rolle. Es wurde ohnehin, was europaweit wenig bedeutende Sachverhalte anbelangt, schon seit Anfang der 2000er Jahre auf die nationale Ebene zurückverlagert. Dies könnte bis 2050 noch verstärkt werden. Die wenigen wirklich „grossen“ Sachverhalte, die den europäischen Markt insgesamt stören, etwa von Seiten der Big-Data-Unternehmen, würden in der EU-Zuständigkeit verbleiben und könnten wie heute zentral mit empfindlichen Geldbussen belegt werden. Der seit Mai 2023 wirksame Digital Market Act,[11]Verordnung (EU) 2022/1925 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. September 2022 über bestreitbare und faire Märkte im digitalen Sektor (Gesetz über digitale Märkte), ABl. 2022 L 265, … Continue reading der (nur) für weltweit marktbeherrschende „Gatekeeper“ gilt, zeigt schon deutlich eine solche Orientierung.

X. Rechtsangleichung nur in grossen Linien

Für viele Bereiche der Rechtsangleichung, denen sich europäische Gesetzgebungsinitiativen widmen, wäre bis 2050 eine Rückbesinnung auf grosse Linien förderlich. Gute Gesetzgebung zeichnet sich nicht durch schnelle Reaktion auf jede neue Erfindung der Wirtschaft aus, was zudem ständig juristisch neu erfasst, also geändert werden muss. Das europäische Recht hat sich hier in gewisse Fallen hineinmanövriert, aus denen es nicht gut wieder herausfindet. So ist z.B. das europäische Verbraucherrecht mittlerweile zu einem Dschungel geworden, den kaum mehr jemand durchschauen kann, vor allem nicht die betroffenen Verbraucher. Schon heute zeigt sich, dass eine Regelung auch durch den Markt hervorragend erfolgen kann. AGB’s von manchen online-Anbietern sind in Einfachheit und Verständlichkeit vielen gesetzlichen Regelungen überlegen. Bis 2050 sollte man sich also auch auf diesem Gebiet auf grosse Linien verständigen und Vorhaben bevorzugen, die auch internationale Weichenstellungen beeinflussen können. Das beste Beispiel dafür ist die international ausserordentlich respektierte Datenschutzgrundverordnung von 2016, die mittlerweile weltweit den Standard vorgibt, und das könnte auch der Fall werden für das aktuell im europäischen Gesetzgebungsverfahren befindliche Gesetz über Künstliche Intelligenz.

XI. Europa der Menschen

Nun ist es an der Zeit, an die „ganz normalen“ Menschen in Europa zu denken. Protestbewegungen verschiedenster Art zeigen, dass nicht alle Unionsbürger mit den aktuellen Verhältnissen glücklich sind, die Demokratie als beste Lebensform wird gar von manchen angezweifelt. Muss Europa sich mehr um die Menschen kümmern? Definitif ja. Die Wirtschaft interessiert nicht jeden, Erasmus-Programme erreichen nicht alle, europäische Kultur findet überwiegend in den Museen statt, europäische Medien gibt es bis heute nicht (noch nicht einmal soziale), Krisen deprimieren jung und alt, der Spass an der Teilhabe an europäischer Zukunftsgestaltung ist auch in gut funktionierenden Familien, Schulen und gesellschaftlichen Gruppierungen nur wenig zu spüren. Um dies zu ändern, sind alle Akteure der politischen und gesellschaftlichen Landschaften auf europäischer und nationaler Ebene aufgerufen, die Menschen in Entscheidungen einzubinden, Verunsicherungen vorzubeugen und neue Ideen, aber auch die Verantwortung und Zivilcourage jedes Einzelnen zu fördern. Auch wenn 2050 wohl nicht eine europäische Fussballmannschaft die nationalen Mannschaften abgelöst haben wird – auf diesem Gebiet herrscht wahre Subsidiarität! –, gibt es viele Ansätze, dass die Menschen sich im grossen Europa heimisch fühlen und nicht nur in ihren bewährten vier Wänden.

G. Strukturen einer EU 2050?

I. Prägnante(re) Leitungs-Persönlichkeiten

In der EU existiert seit 2009 das Amt des Präsidenten des Europäischen Rates.[12]Nicht jedermann erinnert sich an die früheren Präsidenten Herman van Rompuy und Donald Tusk, und auch der aktuelle Präsident Charles Michel ist nicht überragend bekannt. Bekannter als diese Person ist meist der Präsident oder die Präsidentin der Europäischen Kommission, gegenwärtig Ursula von der Leyen, eventuell noch der oder die Aussenbeauftragte, gegenwärtig Josep Borrell Fontelles. Dies sollte sich 2050 geändert haben, am besten durch eine einzige Person, die alle Institutionen und damit die EU insgesamt nach aussen vertritt und auf dem internationalen Parkett in diesem wichtigen Amt auch sichtbar auftritt.[13]Vom früheren amerikanischen Aussenminister Henry Kissinger ist die Frage überliefert: „Wen rufe ich denn an, wenn ich Europa am Telefon erreichen will?“

II. Effiziente(re) Institutionen

Die EU-Institutionen könnten bis 2050 verkleinert werden und sich effizienter gestalteten Projekten widmen. Zudem schält sich schon seit längerem ein Bedürfnis nach mehr Interaktion mit mitgliedstaatlichen Parlamenten, Behörden und Gerichten heraus. Institutionen, die mit „einer Person aus jedem Mitgliedstaat“ besetzt sind wie die Kommission, der Europäische Gerichtshof und der Rechnungshof kann es bei 35 Mitgliedstaaten nicht mehr geben. Ansätze für eine ausgewogene Verteilung könnten eine zeitliche Versetztheit, Losentscheidungen oder das Zusammenwirken mehrerer Mitgliedstaaten für eine Position bieten. Eine bessere Verknüpfung der Arbeit der EU-Ebene mit der nationalen könnte auch eine Konkurrenzsituation entschärfen, die die letzten Jahrzehnte hindurch dazu geführt hat, dass die mediale Berichterstattung über Ergebnisse der Arbeit der EU-Institutionen immer „gefiltert“ war durch das, was die nationale Ebene nicht für sich selbst beanspruchte. So ist zu wünschen, dass 2050 mit effizienterer Zusammenarbeit einerseits Inhalte besser vorangebracht, andererseits diese auch besser bekanntgemacht werden.

III. Veränderte Budgetausrichtung

Die EU finanziert sich heute zu 73% aus Anteilen am Bruttonationaleinkommen der Mitgliedstaaten, die an sie überwiesen werden. 2050 könnte sie (endlich) eine eigene Steuerhoheit erlangt haben und ihr Budget – 2023 ca. 186 Milliarden Euro – entsprechend selbst steuern. Sollte der Agrarbereich wie hier vorgeschlagen in die nationale Kompetenz zurückübertragen werden, würden die gegenwärtig dafür veranschlagten 37% des EU-Budgets wegfallen. Eine Verkleinerung wird wohl auch der mit 33% angesetzte so genannte Strukturbereich erfahren, der Wirtschaft und Gesellschaft in strukturschwachen Mitgliedstaaten mit Direktzahlungen anzugleichen versucht. Es ist damit zu rechnen, dass in Hinkunft Budgetmittel viel mehr für einzelne Projekte als für schwer kontrollierbare allgemeine Alimentation eingesetzt werden.

Ein grosses Thema ist es, ob die Kreditaufnahme auf dem Finanzmarkt für solche Projekte vorangetrieben werden soll oder nicht. Bekanntlich ist die EU zum ersten Mal in ihrer Geschichte mit dem Finanzpaket „Next Generation EU“ zur Bekämpfung der Folgen der Corona-Pandemie eine Verschuldung von 750 Milliarden Euro eingegangen. Dies hat zu starken Kritiken geführt, erstens, weil ein Defizit (dessen Nachteile sich überwiegend zulasten der wirtschaftsstarken Mitgliedstaaten auswachsen) in den Verträgen nicht vorgesehen ist, und zweitens, weil eine interne Kontrolle der Mittelverwendung hierfür wesentlich schwieriger ist. Trotzdem hat das Modell viele Anhänger, vor allem für Krisensituationen, die auch in der Zukunft unausweichlich sein werden.

IV. Effiziente(re) Sanktionen bei Verstössen gegen Wertegemeinschaft

Das empfindliche Thema der Verstösse von Mitgliedstaaten gegen die Wertegemeinschaft der EU, vor allem die in Art. 2 EUV definierte Rechtsstaatlichkeit, wurde bereits angesprochen. Art. 7 EUV, der mit einem komplizierten vielstufigen Verfahren zur Abstellung solcher Situationen vorgesehen ist, hat sich in der aktuellen Konstellation mit Polen und Ungarn als ungeeignet zur Abhilfe erwiesen, schon durch die Banalität, dass in Fällen, in denen mehrere Mitgliedstaaten gleichzeitig gegen die Wertegemeinschaft verstossen, eine einstimmige Entscheidung von „allen ausser dem betroffenen Staat“ unmöglich ist. Solange, bis ein neuer Modus gefunden wird, was bis zum Jahre 2050 hoffentlich möglich sein wird, kann Abhilfe über den so genannten Kompatibilitätsmodus erfolgen,[14]Verordnung (EU, Euratom) 2020/2092 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2020 über eine allgemeine Konditionalitätsregelung zum Schutz des Haushalts der Union, ABl. 2020 L … Continue reading der momentan gegen Polen und Ungarn praktiziert wird. Der Modus ist geregelt in einer Verordnung aus dem Bereich des Budgetrechts, die mit qualifizierter Mehrheit erlassen werden konnte, und die vorsieht, Zahlungen aus dem Budget der EU an Mitgliedstaaten zurückzuhalten, wenn sie Wertestandards unterlaufen. Also Geld für Rechtsstaatlichkeit.

Viele finden dies unwürdig. Ein Erfolg gegen Polen und Ungarn steht auch noch aus, vielmehr verhärten sich die Fronten.[15]Beide Länder haben auch schon offen erklärt, Urteilen des Europäischen Gerichtshofs die Gefolgschaft zu verweigern. S. zB aus der Fülle der Urteile zur Europarechtswidrigkeit der polnischen … Continue reading Eigene Mitglieder im Boot zu behalten, denen man eigentlich vertrauen können müsste, erfordert für die EU unproportionale Anstrengungen und bindet Arbeitskraft, die anderweitig benötigt würde. Dazu tritt die Empörung. Dass das Image Europas dadurch beschädigt wird, ist offensichtlich. So werden radikalere Lösungen befürwortet, von einer rascheren Suspendierung der Stimmrechte als Art. 7 Abs. 3 EUV sie vorsieht bis hin zu einem vollständigen Ausschlussmechanismus.[16]Im Sommer 2023 wurde vorgeschlagen, die für die zweite Jahreshälfte 2024 geplante Ratspräsidentschaft von Ungarn auszusetzen bzw. zu verschieben. Zwar gilt für die sechs-monatigen … Continue reading In der EU hat man bis jetzt davon abgesehen, ein Mitglieder-Ausschlussverfahren zu formulieren. Dies wird sich voraussichtlich bis 2050 geändert haben müssen – leider, aber wohl zurecht.

V. Rückführung der Behandlung der Amtssprachen

Ein demgegenüber vergleichsweise unschuldiges Thema ist die Rückführung der Behandlung der Amtssprachen. Sie wird zwar nicht allen Bürgern der EU gefallen, aber 2050 mit 35 Mitgliedstaaten unausweichlich sein, zumal dann die Bevölkerung überall zumindest zusätzlich englisch sprechen wird. Wer heute noch stolz darauf ist, dass in der EU alle massgeblichen Dokumente in 24 Amtssprachen übersetzt werden, darunter maltesisch und gälisch, und dass in den Dolmetscherkabinen des Europäischen Gerichtshofs 552 Sprachkombinationen vertreten sein können, zeichnet sich durch Rückwärtsgewandtheit aus. Eine Aufstockung um acht neue Amtssprachen (und damit 992 Kombinationen!), die in der bewährten Art mit gleichem Rang behandelt werden, würde in die Absurdität führen. Die Identität eines Landes kann heute nicht mehr an gleichberechtigtem Respekt seiner Sprache festgemacht werden. Noch dazu bieten die modernen Technologien Übersetzungsmöglichkeiten in atemberaubendem Tempo an, sodass das grosse Übersetzungspersonal der europäischen Institutionen sehr gut in anderen Verwendungen mit interessanteren Projekten befasst werden kann.

VI. Gremien zur Evaluation von Ergebnissen und der Ausarbeitung neuer Projekte und Strategien

2050 sollten in der EU (mehr) Gremien vorhanden sein, staatliche und solche aus der Zivilgesellschaft, die sich mit der ständigen Evaluation der Arbeitsergebnisse befassen, neue Projekte vorschlagen und Strategien erarbeiten. Bislang hat sich eigentlich ausschliesslich die französische Regierung darum bemüht, immer wieder neue Ideen zu entwickeln und andere Formate vorzuschlagen. Deutschland ist ein Mitgliedsland, welches eher auf Situationen reagiert als sie vorwegzudenken, und auch nur in wenigen anderen Ländern haben in den letzten Jahren staatliche Gremien, Thinktanks, private Initiativen und Medien interessante Vorschläge erarbeitet. So kommt der Input überwiegend aus der Wirtschaft, welche staatliche Reaktionen auf ihre Ideen einfordert. Auch die grosse Osterweiterung von 2004-2013, die 13 neue Länder betraf, führte nur zu wenig neuer Kreativität, vielleicht weil bei den neuen Mitgliedstaaten das Gefühl nicht verschwand, Mitglieder zweiter Klasse zu sein.[17]Hierauf geht die Zusammenarbeit der sog. Visegrád-Staaten Polen, Slowakei, Tschechien und Ungarn zurück, die mittlerweile an Bedeutung eingebüsst hat, und wohl auch die seit 2012 bestehende … Continue reading Wenn wie geplant bis 2050 noch acht weitere Mitgliedstaaten hinzutreten, werden unausweichlich alle Gruppierungen auf allen Ebenen dazu beitragen müssen, die „europäische Familie“ ständig mit neuen Gedanken mit Leben zu erfüllen, damit Wirtschaft und Menschen aller Generationen sich mit ihr identifizieren.

H. EU-Szenario 2050 – Internationale Bühne?

I. EU als selbstbewusster(er) Akteur auf dem Weltmarkt

Wie schon mehrfach angesprochen, wird voraussichtlich eine inhaltlich verschlankte und politisch geschlossen(er) auftretende EU 2050 wesentlich selbstbewusster als heute auf dem Weltmarkt und der politischen Weltbühne agieren. Hierfür wird es notwendig werden, intern und extern mehr unbeliebte Entscheidungen zu treffen und sich Konfrontationen zu stellen.

II. Neuer Orbit EPG

Die so genannte Europäische Politische Gemeinschaft EPG, eine Idee des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron, wurde im Oktober 2022 in Prag von 44 europäischen und an Europa angrenzenden Staaten gegründet. Auf ihrer zweiten Tagung vom 1. Juni 2023 in Moldawien waren bereits 47 Staaten offizielle Teilnehmer.[18]Die EPG aus 47 Ländern mit ca. 700 Mio. Einwohnern setzt sich gegenwärtig zusammen aus den 27 EU-Mitgliedstaaten (448 Mio. Einwohner), den drei EWR-Mitgliedstaaten Norwegen, Island und … Continue reading Bis jetzt ist noch unklar, wie die Zukunft dieses Gremiums, das unter der Ägide der „guten Nachbarschaft“ des Art. 8 EUV steht, aussehen könnte. Gegenwärtig befasst man sich damit, sich kennenzulernen, und mit der Situation in der Ukraine. Angestrebt ist, dass sich irgendwann auf all diese Länder der europäische Binnenmarkt erstreckt, dann für insgesamt 700 Mio. Einwohner, unter Weiterführung der Idee in Punkt 2 des Weissbuchs von 2017. Als nächstes könnte dann überlegt werden, wie Schengen, das andere grosse Integrationsprojekt, an dem schon bisher andere Staaten als nur die EU-Staaten teilnehmen wie auch die Schweiz, erweitert werden könnte.

Auch wenn sich schon abzeichnet, dass der Kontakt nicht mit allen an der EPG teilnehmenden Ländern einfach sein wird, vor allem nicht mit der Türkei, deren Präsident schon dem zweiten Treffen in Moldawien fernblieb, ist die Idee eines solchen Formats bestechend. Jedermann weiss, dass schon ein ständiger Dialog über Themen diese am Leben erhält, unabhängig von der Erzielung unmittelbarer Ergebnisse. Geplant sind im Moment zwei Treffen jährlich, einmal in dem Land, welches die EU-Ratspräsidentschaft innehat,[19]Das nächste Treffen wird die spanische Regierung in der Alhambra ausrichten. einmal in einem Nicht-EU-Land.

III. EWR in die EPG

Die EPG könnte nämlich, wenn sie sich wie geplant entwickelt, in vielerlei Hinsicht ausgebaut werden. So könnte irgendwann der mittlerweile etwas anachronistisch anmutende Europäische Wirtschaftsraum EWR, der seit 1994 zwischen der EU einerseits und Norwegen, Island und Liechtenstein andererseits besteht, darin aufgehen. Ausser des Zugangs zum europäischen Binnenmarkt, der bezahlt werden muss, bietet der EWR nicht extrem viel, und die für eine minimale Abstimmung vorgesehenen Strukturen sind sehr schwerfällig. Als Auffangmodell wurde er daher ebenfalls in den 30 Jahren seiner Existenz nicht weiter genutzt, vor allem nicht, als eine neue Art der Kooperation für das im Austritt befindliche Vereinigte Königreich gesucht wurde.

IV. Europarat in die EPG

Noch weiter geht die Idee, die allerdings für 2050 wohl vorstellbar wäre, den Europarat in die EPG zu inkorporieren oder umgekehrt bzw. das eine oder andere Gremium entsprechend umzuwandeln. Der 1949 gegründete Europarat, dem die EU später sowohl die Flagge als auch die Hymne der Ode an die Freude „weggenommen“ hat, hat gegenwärtig 46 Mitgliedstaaten. Seit dem Ausschluss bzw. Austritt von Russland 2022 (Weissrussland war ohnehin niemals Mitglied) sind die Mitgliedstaaten praktisch mit denen der EPG identisch. Der einzige Unterschied liegt in der Anerkennung des Kosovo, die manche Staaten vornehmen und andere nicht.

Der Europarat könnte in einem Szenario 2050 in einer modernen EPG aufgehen, die Wirtschaft und Gesellschaft verzahnt, und die den wichtigsten Inhalt des Europarats übernehmen würde, die Europäische Menschenrechtscharta und den Menschenrechtsgerichtshof in Strassburg. Charta und Gerichtshof haben sich bestens bewährt und haben sich neben der Grundrechte-Charta der EU und dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg immer ihre eigenständige Bedeutung erhalten. Dass ein Gremium wie die EPG mit einem grundrechtlichen Fundament ausgestattet wird, ist sicherlich kein Nachteil, und auch nicht, dass die EU-Grundrechte daneben weiter existieren.

I. Schluss

In dem Beitrag wurden Ideen vorgestellt, wie die EU und ihr Umfeld im Jahre 2050 aussehen könnten. Die Realität wird immer anders sein als die Vorstellungswelt. Trotzdem sind Gedankenexperimente erlaubt. Vielleicht existiert 2050 auch schon ein digitaler Zwilling der EU auf einem anderen Planeten, der in einer Parallel-Welt perfekte Lösungen für alle Probleme bereithalten wird. Lassen Sie uns offen sein!

Fussnoten

Fussnoten
1 Politische Kriterien: Demokratie, Stabilität, Rechtsstaat, Einhaltung der Grundrechte; ökonomische Kriterien: funktionierende Marktwirtschaft; Übernahme des gemeinsamen Rechtsbestands der EU; Bereitschaft, allen Verpflichtungen einer Mitgliedschaft nachzukommen.
2 Zu dem „Heimatländern“ Europas s. sehr eindringlich Timothy Garton Ash, Homelands: A Personal History of Europe, 2023.
3 Die Türkei ist seit 1999 offizieller Beitrittsbewerber. Verhandlungen wurden 2005 eröffnet, allerdings seit 2016 nicht weiter betrieben. Die EU finanziert die Türkei mit milliardenschweren „Heranführungshilfen“, und auch im Rahmen der Migrationsproblematik fliessen erhebliche Gelder in das Land, wie auch in andere Mittelmeeranrainerstaaten.
4 Eine Meisterin des Ringens um einstimmige Lösungen war die frühere deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich dem in unzähligen Nachtsitzungen widmete. Hierbei war es durchaus nicht so, dass nur Meinungsbildungen auf kleinstem gemeinsamem Nenner gefunden wurden.
5 In Deutschland erinnert man sich an die Abstimmung über das „Verbrenner-Aus“, welches im März 2023 in letzter Minute von Deutschland, Italien, Polen und Bulgarien in eine andere Richtung gelenkt wurde. Die Presse hatte berichtet, dass Deutschland alleine für das Veto verantwortlich sei, was aber wie ausgeführt gar nicht möglich ist.
6 Weissbuch zur Zukunft Europas vom 1. März 2017, COM (2017) 2025 final. Das Dokument ist definitiv lesenswert.
7 Beispiele hierfür sind der Euro, Schengen und das am 1. Juni 2023 in Kraft getretene Einheitspatent.
8 S. hierzu Hakenberg, Wege zu besserer Normbefolgung im europäischen Wirtschaftsrecht, in: ZEUS-Sonderband 70 Jahre Europa-Institut, Saarbrücken 2021, S. 129.
9 Beispiele für Missbräuche und absurde Situationen in Bezug auf die Agrarpolitik sind Legion. Als zB EU-Beihilfen für Rinderhaltung von Stückvieh auf Hektar bewirtschafteter Fläche umgestellt wurden, wurden für Korsika Flächen angemeldet, die insgesamt der Grösse von Grönland entsprachen. Nach Kontrollen durch die EU-Behörden wurde Frankreich verpflichtet, 700 Mio. Euro an die EU-Kasse zurückzubezahlen. Da den französischen Behörden mangels eines Katasters auf der Insel Korsika eine genaue Rückverfolgung der Flächen für einzelne Bauern nicht möglich war, erfolgte die Zahlung aus dem allgemeinen Budget unter Belastung der „normalen“ Steuerzahler.
10 Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise 2012 hielt der damalige EZB-Präsident Mario Draghi eine bemerkenswerte Rede, in der er ankündigte, den Euro zu retten, „whatever it takes“ (koste es, was es wolle).
11 Verordnung (EU) 2022/1925 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. September 2022 über bestreitbare und faire Märkte im digitalen Sektor (Gesetz über digitale Märkte), ABl. 2022 L 265, S. 1.
12 Nicht jedermann erinnert sich an die früheren Präsidenten Herman van Rompuy und Donald Tusk, und auch der aktuelle Präsident Charles Michel ist nicht überragend bekannt.
13 Vom früheren amerikanischen Aussenminister Henry Kissinger ist die Frage überliefert: „Wen rufe ich denn an, wenn ich Europa am Telefon erreichen will?“
14 Verordnung (EU, Euratom) 2020/2092 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2020 über eine allgemeine Konditionalitätsregelung zum Schutz des Haushalts der Union, ABl. 2020 L 433, S. 1.
15 Beide Länder haben auch schon offen erklärt, Urteilen des Europäischen Gerichtshofs die Gefolgschaft zu verweigern. S. zB aus der Fülle der Urteile zur Europarechtswidrigkeit der polnischen Justizreform aus der letzten Zeit EuGH, Urteil vom 5. Juni 2023, Kommission/Polen, C-204/21, ECLI:EU:C:2023:442.
16 Im Sommer 2023 wurde vorgeschlagen, die für die zweite Jahreshälfte 2024 geplante Ratspräsidentschaft von Ungarn auszusetzen bzw. zu verschieben. Zwar gilt für die sechs-monatigen Ratspräsidentschaften gem. Art. 16 Abs. 9 EUV eine „gleichberechtigte Rotation“, doch kann die Reihenfolge mit qualifizierter Mehrheit festgelegt werden, Art. 236 b) AEUV.
17 Hierauf geht die Zusammenarbeit der sog. Visegrád-Staaten Polen, Slowakei, Tschechien und Ungarn zurück, die mittlerweile an Bedeutung eingebüsst hat, und wohl auch die seit 2012 bestehende 16+1-Gruppe, in der zwölf östliche Mitgliedstaaten und einige Länder des Balkans eine von China gelenkte Kooperation mit diesem Land unterhalten.
18 Die EPG aus 47 Ländern mit ca. 700 Mio. Einwohnern setzt sich gegenwärtig zusammen aus den 27 EU-Mitgliedstaaten (448 Mio. Einwohner), den drei EWR-Mitgliedstaaten Norwegen, Island und Liechtenstein (insgesamt 6 Mio.), den drei Kleinstaaten Andorra, Monaco und San Marino (150 000), den acht Beitrittskandidaten Ukraine, Moldawien und restlicher Balkan (64 Mio.), den zwei unrealistischen Beitrittskandidaten Türkei (85 Mio.) und Georgien (4 Mio.), zwei Ländern mit Sonderstatus, nämlich der Schweiz (9 Mio.) und dem Vereinigten Königreich (67 Mio.), sowie den zwei asiatischen Ländern Armenien (3 Mio.) und Aserbaidschan (10 Mio.).
19 Das nächste Treffen wird die spanische Regierung in der Alhambra ausrichten.