Über die EuZ
Leitartikel
Frank Schimmelfennig / Thomas Winzen*
Differentiated Integration in the European Union: Trends and Patterns
Differentiated integration, the selective exemption or exclusion of member states from EU rules and policies, is a central feature of the European Union. In this article, we describe the main trends and patterns of differentiated integration over time, between member states, and across EU policies, based on a unique dataset of differentiation in the EU treaties and legislation. Whereas differentiations have increased in number over time, they have mostly been temporary and served to facilitate the expansion of European integration to new members and policies. Moreover, we observe a current trend of consolidation.
* Prof. Dr. Frank Schimmelfennig is Professor of European Politics at ETH Zurich. He works on European integration and has conducted research projects on EU enlargement, democracy promotion and democratization, differentiated integration and boundary (re)construction. Prof. Dr. Thomas Winzen is Professor of European Politics and International Relations at Heinrich Heine University Düsseldorf. His research topics include differentiated European integration, the effects of democratic backsliding on the institutions and decisions of the European Union, and the role of parliaments in European and international politics.
Aktuelle Entwicklungen im Europarecht
Allgemeines und Institutionelles
EU-Haushalt für 2023
Das Europäische Parlament und der Rat haben sich am 14. November 2022 auf den von der Kommission vorgeschlagenen EU-Haushaltsplan für das Jahr 2023 geeinigt. Die Einigung sieht Mittel für Verpflichtungen in Höhe von 186,6 Mrd. EUR und für Zahlungen in Höhe von 168,7 Mrd. EUR vor. Nach Erlass des Haushaltsplans könnte die EU erhebliche Mittel mobilisieren, um zur Linderung der gravierenden Folgen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine in diesem Land, aber auch in der südlichen Nachbarschaft und in den Mitgliedstaaten beizutragen. Darüber hinaus sollen mit dem Haushaltsplan die Erholung von der Coronavirus-Pandemie unterstützt sowie Arbeitsplätze geschützt und geschaffen werden. Am 24. November 2022 hat das Parlament den Haushaltsplan auch förmlich angenommen.
Aussen- und Sicherheitspolitik
Schengen-Betritt Bulgariens, Kroatiens und Rumäniens
Die Europäische Kommission hat am 16. November 2022 in einer Mitteilung den Rat dazu aufgefordert, den Schengen-Beitritt Bulgariens, Kroatiens und Rumäniens nicht weiter zu verzögern. In ihrer Mitteilung zieht die Kommission eine positive Bilanz zur Anwendung der Schengen-Vorschriften durch die drei Mitgliedstaaten. Nach Ansicht der Kommission hätten sie bislang erheblich zum reibungslosen Funktionieren des Schengen-Raums beigetragen. Unter der Leitung des tschechischen Vorsitzes wird der Rat „Justiz und Inneres“ am 8. Dezember 2022 über die volle Teilhabe Bulgariens, Kroatiens und Rumäniens am Schengen-Raum ohne Binnengrenzen-Kontrollen abstimmen.
Kommission legt Sicherheits- und Verteidigungspaket vor
Die Europäische Kommission hat am 10. November 2022 ein Sicherheits- und Verteidigungspaket vorgelegt. Das Paket besteht aus zwei Teilen: einem Aktionsplan für militärische Mobilität 2.0 und einer Strategie für eine EU Cyber-Verteidigungspolitik. Der Aktionsplan für militärische Mobilität 2.0 erstreckt sich über einen Zeitraum von 2022 – 2026 und enthält 30 verschiedene Massnahmen, u.a. sollen Strassen, Brücken, Tunnel und Züge angepasst werden, um die Beförderung von militärischer Ausrüstung, darunter auch schweren Panzern, zu ermöglichen. Die vorgestellte EU Cyber-Verteidigungspolitik dient dem Schutz der Zivilbevölkerung und militärischer Einrichtungen gleichermassen. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf dem Schutz von Satelliten und 5G Netzwerken, weshalb in einem ersten Schritt die Mitgliedsstaaten hochriskante Anbieter in diesen Bereichen einschränken sollten.
Ein- und Ausfuhr von Feuerwaffen für zivilen Gebrauch
Die Europäische Kommission hat am 27. Oktober 2022 vorgeschlagen, die Vorschriften für die Ein-, Aus- und Durchfuhr von Feuerwaffen für den zivilen Gebrauch zu aktualisieren. Dabei wird u.a. Folgendes vorgesehen: einheitliche Regeln für den grenzüberschreitenden Handel von Feuerwaffen für den zivilen Gebrauch, deren wesentlichen Bestandteilen, Munition sowie Alarm- und Signalwaffen; vereinfachte Einfuhr- und Ausfuhrverfahren für Jäger, Sportschützen und Aussteller; ein neues elektronisches EU- Lizenzierungssystem für Hersteller und Händler von Feuerwaffen zur Beantragung von Einfuhr- und Ausfuhrgenehmigungen; strenge technische Normen für Schreckschuss- und Signalwaffen; strengere Vorschriften für halbfertige Feuerwaffenteile; eine Endnutzerbescheinigung für die gefährlichsten Feuerwaffen sowie strenge Kontrollen bei der Verweigerung von Einfuhr- oder Ausfuhrgenehmigungen. Der Vorschlag muss nun vom Europäischen Parlament und vom Rat geprüft werden. Bis 29. Dezember 2022 sammelt die Kommission Rückmeldungen zum Entwurf der entsprechenden Verordnung.
Banken- und Finanzmarktrecht
Euro-Sofortzahlungen sollen neuer Standard werden
Die Europäische Kommission hat am 26. Oktober 2022 einen Vorschlag vorgelegt, mit dem die Verordnung über den einheitlichen Euro-Zahlungsverkehrsraum (SEPA) von 2012 geändert und modernisiert werden soll. Gemäss den vorgestellten Plänen der Kommission sollen die Zahlungen in Echtzeit zum Beispiel für Rechnungen und Zahlungen zwischen Privatpersonen zum Standard werden. Die Vorschläge sollen Zugang zu Sofortzahlungen für alle Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen, die in einem EU- oder EWR-Land ein Konto unterhalten, ermöglichen. Bisher werden Sofortzahlungen nur in 11% aller Euro-Überweisungen genutzt.
Bankenunion: Rat legt Position zur Umsetzung der Basel-III-Reform fest
Der Rat hat am 8. November 2022 seine allgemeine Ausrichtung zur Überarbeitung der Eigenkapitalrichtlinie (CRD) und der Eigenkapitalverordnung (CRR), die die Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen regeln, angenommen. Das Paket dient der Umsetzung der im Dezember 2017 im Basler Ausschuss für Bankenaufsicht vereinbarten Regulierungsstandards (sog. Basel-III-Reform). Bezüglich der Variabilität der Eigenkapitalausstattung der Banken, welche anhand interner Modelle über den „Output-Floor“ berechnet wird, legt der Rat fest, dass Banken gewisse Begrenzungen einhalten müssen. Sobald das Europäische Parlament seinen Standpunkt ebenfalls festgelegt hat, können die Trilog-Verhandlungen zwischen Rat, Europäischem Parlament und Kommission beginnen.
Sustainable Finance: Aktualisierung der technischen Standards bei der Offenlegung nachhaltiger Informationen
Die Europäische Kommission hat am 31. Oktober 2022 einen delegierten Rechtsakt zur Aktualisierung der technischen Standards, die von den Finanzmarktteilnehmern im Rahmen der Verordnung über die Offenlegung nachhaltiger Finanzprodukte zu verwenden sind, vorgelegt. Die Änderungen sollen für vollständige Transparenz bei Investitionen in von der Taxonomie-Verordnungen abgedeckten Sektoren und Teilsektoren der Wirtschaft sorgen. Die Finanzmarktteilnehmer sollen dazu verpflichtet werden, anhand eines einfachen Diagramms offenzulegen, inwieweit ihre Portfolios in Gas- und Nukleartätigkeiten eingebunden sind.
Energie
Genehmigungsverfahren für erneuerbare Energien soll beschleunigt werden
Die Europäische Kommission hat am 9. November 2022 eine befristete Dringlichkeitsverordnung vorgeschlagen, um den Einsatz erneuerbarer Energien zu beschleunigen. Die Förderung von mehr erneuerbaren Energien ist Teil des am 18. Mai 2022 von der Kommission vorgelegten REPowerEU-Plans, mit dem die Abhängigkeit von russischen fossilen Brennstoffen verringert und der grüne Wandel beschleunigt werden soll. Der Verordnungsvorschlag soll den Zeitraum überbrücken, der für die Annahme und Umsetzung der Überarbeitung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED II) in den Mitgliedstaaten benötigt würde, die sich aktuell in den Trilog-Verhandlungen zwischen Rat und Europäischem Parlament befindet. Er sieht insbesondere vor, dass für Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien ein übergeordnetes öffentliches Interesse angenommen wird und die Genehmigungsverfahren für Solarenergie auf und an Gebäuden, für das Repowering von Kraftwerken für erneuerbare Energien und von Wärmepumpen beschleunigt werden. Es wird eine schnelle Verabschiedung der vorgeschlagenen Verordnung durch die Mitgliedstaaten erwartet, da diese auf Art. 122 AEUV basieren soll, wodurch eine Beteiligung des Parlaments nicht vorgesehen ist und der Rat mit qualifizierter Mehrheit entscheiden kann.
Kommunikation und Medien
Rat und Europäisches Parlament einigen sich auf die Förderung sicherer Kommunikationsdienste mit einem neuen Satellitensystem
Der Rat und das Europäische Parlament haben am 17. November 2022 eine vorläufige Einigung hinsichtlich der Verordnung zur Einrichtung des EU-Programms für sichere Konnektivität für den Zeitraum 2023-2027 erzielt. Im Programm ist das Ziel festgelegt, eine EU-Satellitenkonstellation mit der Bezeichnung „IRIS2“ einzurichten, die bis 2027 sichere Kommunikationsdienste ermöglichen soll. Cyberangriffe und Naturkatastrophen können zum Zusammenbruch terrestrischer Kommunikationsnetze führen. Durch die Einrichtung dieser Konstellation sollen eine besser vernetzte kritische Infrastruktur sowie resilientere unabhängige Hochgeschwindigkeits- Satellitenkommunikationsdienste ermöglicht werden.
EuGH: Verarbeitung personenbezogener Daten
In seinem Urteil vom 27. Oktober 2022 in der Rechtssache C-129/21 hat der EuGH festgestellt, dass die für die Verarbeitung personenbezogener Daten verantwortlichen Dienste geeignete technische und organisatorische Massnahmen treffen müssen, um die anderen Verantwortlichen, die ihnen diese Daten übermittelt haben bzw. denen sie die Daten weitergeleitet haben, über den Widerruf der Einwilligung der betroffenen Person zu informieren. Stützen sich verschiedene Verantwortliche auf ein und dieselbe Einwilligung der betroffenen Person, genügt es, wenn sich diese Person an irgendeinen der Verantwortlichen wendet, um ihre Einwilligung zu widerrufen.
Neuer „Interoperable Europe Act“ vorgestellt
Am 21. November 2022 hat die Europäische Kommission mit dem „Interoperable Europe Act“ einen Verordnungsvorschlag vorgelegt, der für verbesserte Bedingungen im öffentlichen Sektor sorgen und die Digitalisierung der Verwaltung in allen EU-Mitgliedstaaten vorantreiben soll. Mit der Verordnung soll ein Rahmen für die Zusammenarbeit öffentlicher Verwaltungen in der gesamten EU geschaffen werden, der dazu beiträgt, einen sicheren grenzüberschreitenden Datenaustausch aufzubauen und gemeinsame digitale Lösungen wie quelloffene Software, Leitlinien, Checklisten, Rahmen und IT-Tools zu vereinbaren. Es wird Verwaltungen in die Lage versetzen, wirksamer zusammenzuarbeiten, Informationen gemeinsam zu nutzen und die Erbringung öffentlicher Dienste über Ländergrenzen, Sektoren und Organisationsgrenzen hinweg nahtlos zu gestalten. Es fördert Innovationen im öffentlichen Sektor und öffentlich-private „GovTech“-Projekte.
Umwelt
Strengere Vorschriften für saubere Luft und sauberes Wasser
Die Europäische Kommission hat am 26. Oktober 2022 Vorschläge für strengere Vorschriften über Schadstoffe in der Luft, in Oberflächengewässern und im Grundwasser sowie über die Behandlung von kommunalem Abwasser vorgelegt. Ausgehend von den Erfahrungen mit den derzeitigen Rechtsvorschriften schlägt die Kommission vor, sowohl strengere Grenzwerte für Schadstoffe einzuführen als auch deren Umsetzung zu verbessern, damit die Schadstoffbekämpfungsziele in der Praxis häufiger erreicht werden. Insoweit sollen zum einen EU-Luftqualitätsnormen überarbeitet werden und u.a. der Jahresgrenzwert für den vorherrschenden Schadstoff – Feinstaub (PM2,5) – um mehr als die Hälfte herabgesetzt werden. Darüber hinaus soll auch die Richtlinie über die Behandlung von kommunalem Abwasser überarbeitet werden, mit dem Ziel bis 2040 Energieneutralität des Sektors anzustreben und die Qualität des Klärschlamms zu verbessern, um eine umfangreichere Wiederverwendung zu ermöglichen und so zur Förderung der Kreislaufwirtschaft beizutragen. Die Vorschläge werden nun vom Europäischen Parlament und vom Rat im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren beraten. Nach ihrer Annahme werden sie schrittweise mit unterschiedlichen Zielen für 2030, 2040 und 2050 in Kraft treten, sodass die Industrie und die Behörden Zeit haben, sich anzupassen und die notwendigen Investitionen vorzunehmen.
Schärfere Emissionsziele für neue PKW ab 2035
Das Europäische Parlament und der Rat haben am 27. Oktober 2022 eine vorläufige politische Einigung erzielt, wonach alle in Europa neu zugelassenen Personenkraftwagen und leichten Nutzfahrzeuge bis 2035 emissionsfrei sein müssen. Als Zwischenschritt hin zur Emissionsfreiheit werden die neuen CO₂-Normen verlangen, dass die durchschnittlichen Emissionen von neuen Personenkraftwagen bis 2030 um 55 % und von neuen leichten Nutzfahrzeugen bis 2030 um 50 % gesenkt werden. Diese Einigung ist der erste Schritt im Hinblick auf die Annahme der von der Kommission im Juli 2021 im Rahmen der Initiative „Fit für 55“ vorgelegten Legislativvorschläge und zeigt im Kontext der COP27, dass die EU ihre internationalen Klimaschutzverpflichtungen innerhalb ihrer Grenzen umzusetzen versucht.
Pkw, Transporter, Lkw und Busse: Kommissions-Vorschlag für neue Emissionsnorm
In Ergänzung zu den Emissionsvorschriften für PKW ab 2035 (siehe oben) hat die Europäische Kommission am 10. November 2022 einen Vorschlag zur Verringerung der Luftverschmutzung durch in der EU verkaufte neue Kraftfahrzeuge vorgelegt. Während mit den CO2-Emissionsvorschriften die Verbreitung von emissionsfreien Fahrzeugen vorangetrieben werden soll, sei es wichtig, dafür zu sorgen, dass alle Fahrzeuge im Strassenverkehr wesentlich sauberer werden. Der Vorschlag betrifft Emissionen aus Auspuffanlagen sowie von Bremsen und Reifen.
Strengere Regeln für Treibhausgasemissionen der Mitgliedstaaten
Am 8. November 2022 haben das Europäische Parlament und der Rat eine vorläufige politische Einigung für strengere Regeln für Treibhausgasemissionen der Mitgliedstaaten im Rahmen der Lastenteilungsverordnung (effort sharing regulation, ESR) erzielt. Vorgesehen sind ein strengerer Zeitplan für die Reduktion der Treibhausgasemissionen der Mitgliedstaaten, weniger Flexibilität bei der Übertragung von Emissionszertifikaten und mehr Transparenz durch die Veröffentlichung von Informationen über Massnahmen der Mitgliedstaaten. Gegenüber dem Stand von 2005 wird das verbindliche Ziel zur Reduktion von Treibhausgasemissionen von 30% auf 40% erhöht. Für die jährlichen Anteile an Treibhausgasemissionen wird für jeden Mitgliedstaat ein linearer Emissionsminderungspfad für den Zeitraum bis 2030 festgelegt. Die vorläufige politische Einigung muss noch durch das Parlament und den Rat förmlich bestätigt werden.
Neue CO2-Abbauziele im Sektor Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forstwirtschaft
Der Rat und das Europäische Parlament haben am 11. November 2022 eine vorläufige politische Einigung über den verstärkten CO₂-Abbau aus der Atmosphäre im Rahmen der Verordnung über Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forstwirtschaft (LULUCF) erzielt. Bis zur förmlichen Annahme haben der Rat und das Parlament auf EU-Ebene ein Gesamtziel von 310 Mio. t CO2-Äquivalent für den Nettoabbau von Treibhausgasen im LULUCF-Sektor bis 2030 festgelegt. Der Sektor Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forstwirtschaft (LULUCF) umfasst die Nutzung von Böden, Bäumen, Pflanzen, Biomasse und Holz. Dieser Sektor emittiert nicht nur CO2, sondern absorbiert es auch aus der Atmosphäre.
Verbraucherschutz
EU-Verordnung zu Kurzzeitvermietungen
Die Europäische Kommission hat am 7. November 2022 einen Verordnungsvorschlag über die Erhebung und den Austausch von Daten bei kurzfristiger Vermietung von Unterkünften vorgelegt. Ziel ist es, die Transparenz bei kurzfristiger Vermietung zu verbessern und die Behörden bei der Gewährleistung vom bezahlbarem Wohnraum zu unterstützen. Dabei stehen im Mittelpunkt die Harmonisierung der Registrierung von Gastgebern und ihren Unterkünften, die Präzisierung der Vorschriften zur Anzeige und Kontrolle der Registrierungsnummern, die Straffung des Datenaustausches zwischen Online-Plattformen und Behörden, die Weiterverwendung von Daten in aggregierter Form sowie die Implementierung eines sanktionierbaren nationalen Rahmens für den Datenaustausch innerhalb von zwei Jahren nach Annahme der Verordnung. Der Vorschlag wird nun im Europäischen Parlament und Rat behandelt.
Wirtschaft und Finanzen
EuGH: Teile der Geldwäscherichtlinie ungültig
Der EuGH hat am 22. November 2022 Teile der Geldwäscherichtlinie für ungültig (verbundene Rs. C-37/20, C-601/20) erklärt. Um Geldwäsche und der Finanzierung von Terrorismus entgegenzuwirken, enthält die Geldwäscherichtlinie eine Bestimmung, wonach Informationen zu wirtschaftlichen Eigentümern von Gesellschaften in der EU in allen Fällen für die Öffentlichkeit einsehbar sein müssen. Durch diese Bestimmung, so die Richterinnen und Richter in Luxemburg, werde schwerwiegend in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten eingegriffen. Dieser Eingriff sei weder auf das absolut Erforderliche beschränkt noch stehe er in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel. Die betroffenen Personen seien nicht ausreichend gegen den Missbrauch der Daten geschützt. Dem Urteil zugrunde liegen Vorabentscheidungsersuchen eines luxemburgischen Gerichts.
Unionsbürgerrechte
EuG: Ablehnung einer Bürgerinitiative zur Stärkung der Minderheitenrechte
In seinem Urteil vom 9. November 2022 in der Rechtssache T-158/21 hat das Gericht die Mitteilung der Kommission bestätigt, mit der das Ergreifen der in der Europäischen Bürgerinitiative „Minority SafePack – one million signatures for diversity in Europe“ verlangten Massnahmen abgelehnt wurde. Mit der Bürgerinitiative sollte die Europäische Union dazu aufgefordert werden, eine Reihe von Rechtsakten zu erlassen, um den Schutz von Personen, die nationalen und sprachlichen Minderheiten angehören, zu verbessern sowie die kulturelle und sprachliche Vielfalt in der Union zu stärken. Nach Ansicht der Kommission und des Gerichts reichen die von der Union bereits ergriffenen Massnahmen, um die Bedeutung der Regional- und Minderheitensprachen hervorzuheben sowie die kulturelle und sprachliche Vielfalt zu fördern, aus, um die Ziele dieser Initiative zu erreichen.
EuGH: Ne bis in idem auch für Drittstaatsangehörige
Der EuGH hat mit Urteil vom 28. Oktober 2022 entschieden, dass der im Schengen-Übereinkommen vorgesehene Grundsatz des Verbots der Doppelbestrafung (ne bis in idem) im Schengen-Gebiet auch für Nicht-EU-Bürger gilt (C-435/22 PPU). Im zugrunde liegenden Sachverhalt hat das Oberlandesgericht München über ein Auslieferungsersuchen gegen einen serbischen Staatsangehörigen aus den USA zu entscheiden. Der Mann war wegen derselben Tat bereits in Slowenien rechtskräftig verurteilt worden und hat seine Strafe verbüsst. Es bestand zudem die Besonderheit, dass der zwischen Deutschland und den USA geschlossene Auslieferungsvertrag die Anwendung des Grundsatzes ne bis in idem nur für den Fall einer Verurteilung im ersuchten Staat, hier Deutschland, vorsieht, und nicht bei einer ausserhalb dieses Mitgliedstaats erfolgten Verurteilung. Der EuGH entschied nun, dass das Verbot der Doppelbestrafung auch für Nicht-EU-Bürger gilt und auch in diesem Fall einer Auslieferung entgegensteht.