EuZ – Zeitschrift für Europarecht – Ausgabe 10 / 2023

Titelbild EuZ 10 2023

Über die EuZ

Die EuZ – Zeitschrift für Europarecht berichtet über die jüngsten Entwicklungen im Recht der EU sowie über die Beziehungen der Schweiz zur EU. Im Rahmen wissenschaftlicher Beiträge analysieren renommierte Experten aktuelle Rechtsfragen in allen wirtschaftsrelevanten Bereichen des EU-Rechts. Daneben informieren kurze Beiträge über neue Gesetzesvorhaben, sonstige Vorstösse der EU-Institutionen sowie Urteile des EuGH.
Die EuZ erscheint zehnmal jährlich als Open Access-eJournal. Die wissenschaftlichen Beiträge werden zudem am Ende jeden Jahres in Gestalt eines Jahrbuchs zusammengefasst und sind in dieser Form als eBook sowie als Print on demand-Publikation erhältlich. 

Leitartikel

Basile Cardinaux *

Die Weiterentwicklung der Sozialrechtskoordinierung im FZA

Mit dem FZA hat die Schweiz auch das europäische Recht zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit übernommen. Der Autor erörtert, wie sich die Sozialrechtskoordinierung im FZA bisher entwickelt hat und noch weiter entwickeln kann. Er geht dabei auf laufende Revisionsarbeiten der EU an den einschlägigen Koordinierungsverordnungen ein und diskutiert, ob und wie diese Änderungen im europäischen Recht – so sie denn beschlossen werden sollten – ins FZA überführt werden könnten. Dabei ist den laufenden Gesprächen über einen veränderten institutionellen Rahmen für die Marktzugangsabkommen zwischen der EU und der Schweiz Rechnung zu tragen. Schliesslich geht der Beitrag auf multi- und bilaterale Vereinbarungen innerhalb des übernommenen Koordinierungsrechts ein, an denen die Schweiz beteiligt ist.

* Prof. Dr. Basile Cardinaux hat an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg i.Ü. zu den Auswirkungen des Freizügigkeitsabkommens auf die schweizerische berufliche Vorsorge promoviert. Er ist an selbiger Fakultät habilitiert und unterrichtet dort seit 2012 Arbeits- und Sozialversicherungsrecht. Zuvor war als Rechtsanwalt für Hubatka Müller Vetter Rechtsanwälte in Zürich tätig. Dieser Kanzlei ist er als Rechtsanwalt/Konsulent weiter verbunden.

Aktuelle Entwicklungen im Europarecht

Allgemeines und Institutionelles

Erweiterung der EU

Im diesjährigen Erweiterungspaket empfiehlt die Kommission dem Rat, also den 27 EU-Mitgliedstaaten, die Verhandlungen über einen EU-Beitritt der Ukraine und der Republik Moldau zu starten. In Bezug auf Bosnien und Herzegowina ist die Kommission für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen, sobald das erforderliche Mass an Erfüllung der Beitrittskriterien erreicht ist. Die Kommission spricht sich dafür aus, Georgien den Beitrittsstatus zuzuerkennen – auch hier mit Bedingungen versehen. Insgesamt deckt der Bericht zehn Länder ab. Das Erweiterungspaket 2023 enthält eine detaillierte Bewertung des Sachstands und der Fortschritte, die Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien, Serbien, die Türkei und erstmals auch die Ukraine, die Republik Moldau und Georgien auf ihrem jeweiligen Weg in die Europäische Union erzielt haben. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Umsetzung grundlegender Reformen, es werden klare Leitlinien für die künftigen Reformprioritäten vorgegeben.

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Interoperabilität öffentlicher Dienste in Europa

Das Europäische Parlament und der Rat konnten am 14. November 2023 eine politische Einigung über einen Verordnungsvorschlag zur Verbesserung der Interoperabilität behördlicher Dienste in der EU erzielen. Die Verordnung bildet einen Rahmen für die Zusammenarbeit öffentlicher Verwaltungen in der gesamten EU, um den grenzübergreifenden Datenaustausch zu erleichtern. Hierdurch soll der Abschluss von Vereinbarungen über interoperable und wiederverwendbare digitale Lösungen wie quelloffene Software, Leitlinien, Checklisten, Rahmen und IT-Werkzeuge erleichtert werden. Im Ergebnis wird der Verwaltungsaufwand reduziert, auch in Bezug auf rechtliche, organisatorische, semantische und technische Hindernisse bei der Verwaltungszusammenarbeit.

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Aussenbeziehungen

Partnerschaftsabkommen mit Organisation afrikanischer, karibischer und pazifischer Staaten

Die EU und ihre Mitgliedstaaten haben ein neues Partnerschaftsabkommen mit der Organisation von Staaten in Afrika, im karibischen Raum und im Pazifischen Ozean (OAKPS) unterzeichnet. Das Abkommen soll als übergeordneter Rechtsrahmen der Beziehungen in den nächsten zwanzig Jahren dienen. Es tritt die Nachfolge des Cotonou-Abkommens an und wird als „Samoa-Abkommen“ bezeichnet. Das Abkommen deckt Themen wie nachhaltige Entwicklung und Wachstum, Menschenrechte sowie Frieden und Sicherheit ab. Die 27 EU-Mitgliedstaaten und die 79 Staaten Afrikas, des karibischen Raums und des Pazifischen Ozeans repräsentieren zusammen rund 2 Milliarden Menschen und mehr als die Hälfte der Sitze bei den Vereinten Nationen.

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Beschäftigung und Soziales

Talentpool zur Anwerbung von Arbeitssuchenden aus Nicht-EU-Ländern

Die EU-Kommission will Europa für auswärtige Fachkräfte attraktiver machen und die Mobilität innerhalb der EU erleichtern. Dazu hat sie einen neuen EU-Talentpool vorgeschlagen, der Arbeitgeber in der EU mit Arbeitsuchenden aus Drittländern zusammenbringen soll. Die Kommission empfiehlt auch, dass Qualifikationen, die in Drittländern erworben wurden, einfacher anerkannt werden. Dazu kommt die Aufforderung an die Mitgliedstaaten, die Lernmobilität innerhalb der EU zum integralen Bestandteil aller Bildungswege zu machen, von der Schulbildung und der beruflichen Aus- und Weiterbildung bis zur Hochschul- und Erwachsenenbildung und zum Jugendaustausch. Hintergrund der Vorschläge ist der erhebliche Fachkräftemangel in der EU.

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Datenschutz

Datenerhebungen über Kurzzeitvermietungen

Die EU-Kommission hatte im November 2022 eine Verordnung vorgeschlagen, um die kurzfristige Vermietung von Unterkünften EU-weit transparenter, effektiver und nachhaltiger zu machen. Der Vorschlag soll die derzeitige Fragmentierung in der EU bei der Weitergabe von Daten durch Online-Plattformen beheben und letztlich illegale Angebote verhindern. Daten von Gastgebern und Online-Plattformen sollen in Zukunft einfacher erhoben und ausgetauscht werden können. Die Daten sollen den Behörden in den Mitgliedstaaten helfen, lokale Massnahmen zu ergreifen, um den Tourismussektor nachhaltig weiterzuentwickeln. Das Europäische Parlament und der Rat konnten am 16. November 2023 eine Einigung über den Vorschlag erzielen.

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Gesundheit

Schutz vor gefährlichen Chemikalien

Die Europäische Kommission will den Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern vor den Chemikalien Blei und Diisocyanaten stärken und begrüsst die erzielte politische Einigung zwischen dem Europäischen Parlament und dem Rat über den Vorschlag der Kommission zur Änderung zweier Richtlinien zum Schutz von Arbeitnehmern (2004/37/EG und 98/24/EG). Niedrigere und neue Expositionsgrenzwerte für Blei und Diisocyanate sollen Beeinträchtigungen der Fortpflanzungsfunktionen vorbeugen und Atemwegserkrankungen verhindern.

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Kommunikation und Medien

Verordnung zur europäischen digitalen Identität

Mit einer digitalen Brieftasche sollen sich Bürgerinnen und Bürger in Zukunft in der ganzen EU ausweisen können. Das Europäische Parlament und die Minister der Mitgliedstaaten im Rat haben im abschliessenden Trilog am 9. November 2023 eine endgültige Einigung über die Verordnung zur europäischen digitalen Identität erzielt. Die Einigung ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu den Zielen der Digitalen Dekade 2030 für die Digitalisierung der öffentlichen Dienste. Alle EU-Bürger werden die Möglichkeit haben, eine digitale EU-Identitätskarte zu besitzen. Damit können sie öffentliche und private Online-Dienste in ganz Europa sicher und unter Wahrung des Schutzes persönlicher Daten nutzen. Neben den öffentlichen Diensten müssen auch bestimmte grosse Online-Plattformen (u.a. Amazon, Booking.com oder Facebook) den digitalen Identitätsnachweis für die Anmeldung bei ihren Online-Diensten akzeptieren.

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EuGH: Bekämpfung rechtswidriger Inhalte im Internet

Mit Urteil vom 9. November 2023 stellte der EuGH fest, dass ein Mitgliedstaat einem Anbieter einer Kommunikationsplattform, der in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen ist, keine generell-abstrakten Verpflichtungen auferlegen kann. Hätten diese Mitgliedstaaten die Möglichkeit, solche generell-abstrakten Verpflichtungen zu erlassen, würde dies nämlich den Grundsatz der Aufsicht im Herkunftsmitgliedstaat des betreffenden Dienstes, auf dem die Richtlinie beruht, in Frage stellen. Wäre der Bestimmungsmitgliedstaat ermächtigt solche Massnahmen zu erlassen, würde er in die Regelungskompetenz des Herkunftsmitgliedstaats eingreifen. Im Übrigen würde dies das gegenseitige Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten untergraben und gegen den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung verstossen. Zudem unterlägen die betreffenden Plattformen unterschiedlichen Rechtsvorschriften, was auch dem freien Dienstleistungsverkehr und damit dem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts zuwiderlaufen würde.

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Personenfreizügigkeit

Schweiz/EU: Austausch von Flugpassagierdaten

Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 1. November 2023 den Entwurf des Verhandlungsmandats für ein Abkommen mit der Europäischen Union (EU) über den Austausch von Informationen zu Flugpassagierdaten, sogenannte Passenger Name Records (PNR), verabschiedet. Ein solches Abkommen soll dazu beitragen, den Informationsaustausch zum Zweck der polizeilichen Zusammenarbeit zu verbessern, den Wirtschaftsstandort Schweiz zu schützen und die innere Sicherheit im Schengen-Raum zu gewährleisten. Die Verwendung von PNR-Daten (Informationen, die Passagiere den Fluggesellschaften oder Reisebüros bei der Buchung zur Verfügung stellen, wie Name, Vorname, Kontaktdaten, Reiseroute) ist ein wirksames Instrument zur Bekämpfung von grenzüberschreitendem Terrorismus und organisierter Kriminalität. Rund 70 Länder, darunter alle Mitgliedstaaten der EU, haben ein nationales PNR-System eingeführt.

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Umwelt

Recycling von Abfällen

Angesichts der globalen Probleme des drastischen Anstiegs der Mengen an Kunststoffabfällen und der Herausforderungen für deren nachhaltige Bewirtschaftung will die EU-Kommission mit einem neuen Verordnungsvorschlag die Umweltverschmutzungen in Drittländern verhindern, die durch in der EU anfallende Kunststoffabfälle verursacht werden. Abfälle, die für das Recycling geeignet sind, können gemäss der vorgeschlagenen Verordnung nur dann aus der EU in Nicht-OECD-Länder ausgeführt werden, wenn sichergestellt wird, dass diese Länder nachhaltig damit umgehen können. Die Kommission wird auch Abfallausfuhren in OECD-Länder überwachen und Massnahmen ergreifen, wenn diese Ausfuhren im Bestimmungsland zu Umweltproblemen führen.

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Eindämmung von Methanemissionen

Wenige Wochen vor der Weltklimakonferenz COP28 haben sich das Europäische Parlament und der Rat am 15. November 2023 auf neue Regeln zur Eindämmung der Methanemissionen im EU-Energiesektor und bei Energieimporten geeinigt. Methan ist nach Kohlendioxid der zweitgrösste Verursacher des Klimawandels und ein starker Luftschadstoff. Die erste EU-weite Methanverordnung zielt darauf ab, die vermeidbare Freisetzung von Methan in die Atmosphäre zu stoppen und Methanlecks durch in der EU tätige Unternehmen der fossilen Energiewirtschaft zu minimieren.

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Wiederherstellung der Natur

Das Europäische Parlament und der Rat konnten am 10. November 2023 eine vorläufige Einigung über den Verordnungsvorschlag zur Wiederherstellung der Natur erzielen; es handelt sich um ein Schlüssel-Element des Europäischen Grünen Deals. Die Verordnung zur Wiederherstellung der Natur soll einen Prozess für eine nachhaltige Erholung der Natur auf dem Land und in den Meeresgebieten in Gang setzen. Als Gesamtziel, das auf EU-Ebene erreicht werden soll, werden die Mitgliedstaaten bis 2030 auf mindestens 20 Prozent der Landflächen und 20 Prozent der Meeresgebiete der EU-Wiederherstellungsmassnahmen durchführen. Bis 2050 sollen entsprechende Massnahmen für alle Ökosysteme, die eine Wiederherstellung benötigen, erfolgen.

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Verkehr

Warenverkehr

Förderung der Kapazitäten kritischer Rohstoffe

Am 14. November 2023 konnten sich das Europäische Parlament und der Rat auf eine neue Verordnung über kritische Rohstoffe einigen. Ein diesbezüglicher Vorschlag der Kommission von letztem Jahr verfolgt eine sichere, erschwingliche und nachhaltige Versorgung mit kritischen Rohstoffen entlang der Lieferkette. Die vereinbarten Ziele sehen vor, dass die EU bis 2030 in der Lage sein sollte, 10 Prozent ihres jährlichen Verbrauchs an strategischen Rohstoffen zu fördern, 40 Prozent zu verarbeiten und 25 Prozent zu recyceln. Was das Recycling betrifft, so wird mit der Vereinbarung auch sichergestellt, dass wir bei der Festlegung der Recyclingziele schrittweise die Abfallmenge berücksichtigen. Der Kompromiss beinhaltet auch das Ziel, die Nachfrage durch Ressourceneffizienz und technologischen Fortschritt zu dämpfen. Die EU sollte auch ihre Einfuhren strategischer Rohstoffe diversifizieren, damit sie nicht für mehr als 65 Prozent ihres Verbrauchs auf eine einzige Bezugsquelle angewiesen ist.

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