EuZ – Zeitschrift für Europarecht – Ausgabe 3 / 2022

Über die EuZ

Die EuZ – Zeitschrift für Europarecht berichtet über die jüngsten Entwicklungen im Recht der EU sowie über die Beziehungen der Schweiz zur EU. Im Rahmen wissenschaftlicher Beiträge analysieren renommierte Experten aktuelle Rechtsfragen in allen wirtschaftsrelevanten Bereichen des EU-Rechts. Daneben informieren kurze Beiträge über neue Gesetzesvorhaben, sonstige Vorstösse der EU-Institutionen sowie Urteile des EuGH.
Die EuZ erscheint zehnmal jährlich als Open Access-eJournal. Die wissenschaftlichen Beiträge werden zudem am Ende jeden Jahres in Gestalt eines Jahrbuchs zusammengefasst und sind in dieser Form als eBook sowie als Print on demand-Publikation erhältlich. 

Leitartikel

Peter M. Huber*

Die Europäische Union ist um der Menschen willen da

Vor dem Hintergrund verschiedener Krisen (Brexit, Migration, Euro) befasst sich der Leitartikel mit den Zukunftsperspektiven der Europäischen Union. Peter M. Huber, Richter des deutschen Bundesverfassungsgerichts, vertritt in seinem Beitrag die Auffassung, dass sich die Eliten in den europäischen Institutionen sowie in den Mitgliedstaaten von grossen Teilen der Gesellschaften, die sie tragen, entfernt haben. Entfremdung sei die Folge und könne, wie der Brexit zeige, auf mittlere Sicht sogar zu einem Zerfall der Union führen. Um dies zu verhindern, bedürfe es der Einsicht, dass die Europäische Union die Mitgliedstaaten nicht mediatisieren könne und dies auch nicht solle.

* Prof. Dr. Peter M. Huber ist Richter des Bundesverfassungsgerichts (Zweiter Senat) und Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Staatsphilosophie an der LMU München.

Aktuelle Entwicklungen im Europarecht

Allgemeines und Institutionelles

EuGH: Vorrang des Unionsrechts und nationale Verfassungsgerichte

Mit Urteil vom 22. Februar 2022 in der Rechtssache C-430/21 hat der Europäische Gerichtshof das Prinzip des Vorrangs des Europarechts betont und Mängel im Justizsystem in Rumänien festgestellt. Dem EuGH zufolge, dürfe den nationalen Gerichten nicht verboten werden, die Unionsrechtskonformität nationaler Rechtsvorschriften zu prüfen, die durch den Verfassungsgerichtshof für verfassungsgemäss erklärt worden seien. Dies verstosse unter anderem gegen den Vorrang des EU-Rechts. Der EuGH betont noch einmal, dass nur er selbst als europäisches Höchstgericht dafür zuständig sei, das gemeinsame Unionsrecht verbindlich auszulegen. Ein nationales Verfassungsgericht könne nicht selbst entscheiden, dass der EuGH mit einem Urteil seine Zuständigkeit überschritten habe und das Urteil deshalb ablehnen. Ein nationales Verfassungsgericht dürfe eine EU-Vorschrift auch dann nicht für unzulässig erklären, wenn es die Identität des Landes (vgl. Art. Abs. 2 EUV) bedroht sieht. Es sei Sache des EuGH, dann darüber zu entscheiden. Zudem dürften Richtern keine Disziplinarstrafen drohen, wenn sie eine Entscheidung des Verfassungsgerichts ignorieren und den EuGH anrufen.

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Verordnungsvorschlag zur Datenwirtschaft

Die Europäische Kommission hat am 23. Februar 2022 einen Verordnungsvorschlag darüber vorgelegt, wer die in den Wirtschaftssektoren in der EU erzeugten Daten nutzen darf und Zugriff darauf hat. Die Verordnung soll für Fairness im digitalen Umfeld sorgen, einen wettbewerbsfähigen Datenmarkt fördern, Chancen für datengesteuerte Innovationen eröffnen und Daten für alle zugänglicher machen. Es handelt sich um den letzten horizontalen Baustein der Datenstrategie der Kommission zur Verwirklichung der digitalen Ziele für 2030. Der Verordnungsvorschlag umfasst u.a. Massnahmen zur Wiederherstellung einer ausgewogenen Verhandlungsmacht für KMU durch Verhinderung von Ungleichgewichten in Verträgen über die gemeinsame Datennutzung sowie Mittel für Behörden für den Zugang zu und die Nutzung von Daten im Besitz des Privatsektors, die unter besonderen Umständen und vor allem bei öffentlichen Notständen wie Überschwemmungen und Waldbränden benötigt werden.

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Leitlinien zur Anwendung der Konditionalitätsregelung zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit

Per Verordnung (EU) 2020/2092 hatten der Rat und das Parlemant eine allgemeine Konditionalitätsregelung eingeführt, auf deren Grundlage Verstössen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit durch einen Mitgliedstaat mit der Aussetzung von Zahlungen aus dem EU-Haushalt sanktioniert werden können. Klagen Polens und Ungarns gegen diese Verordnung hatte der EuGH mit Urteil vom 16. Februar 2022 abgewiesen. Am 2. März hat die Europäische Kommission nun Leitlinien zur Anwendung dieser Verordnung erlassen. In den Leitlinien werden fünf Aspekte der Verordnung näher erläutert, und zwar die Voraussetzungen für den Erlass von Massnahmen, die Komplementarität zwischen der Konditionalitätsverordnung und anderen Instrumenten zum Schutz des EU-Haushalts, das Erfordernis der Verhältnismässigkeit der Massnahmen, das Verfahren und das Bewertungsverfahren und der Schutz der Rechte von Endempfängern oder Begünstigten.

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Haushaltspolitische Leitninien 2023

In einer Mitteilung  vom 2. März 2022 gibt die Europäische Kommission den Mitgliedstaaten Leitlinien für die Haushaltspolitik im Jahr 2023 an die Hand. Darin werden die zentralen Grundsätze dargelegt, von denen sich die Kommission leiten lassen wird, wenn sie die Stabilitäts- und Konvergenzprogramme der Mitgliedstaaten bewertet. Dazu zählt u.a. die Förderung eines nachhaltigen Wachstums durch entsprechende Investitionen. Darüber hinaus wird in der Mitteilung ein Überblick über den Stand der Überprüfung der wirtschaftspolitischen Steuerung gegeben.

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Mitteilung zum Europäischen Wachstumsmodell

Die Europäische Kommission hat am 2. März 2022 eine Mitteilung über das europäische Wachstumsmodell publiziert. Darin erinnert sie an die gemeinsamen Ziele, die sich die EU und ihre Mitgliedstaaten in Bezug auf den ökologischen und den digitalen Wandel und die Stärkung der sozialen und der wirtschaftlichen Widerstandsfähigkeit gesetzt haben. Der Wandel der europäischen Wirtschaft beruht laut Kommission auf zwei gleichermassen wichtigen Säulen: Investitionen und Reformen. Die Investitionen müssten hierbei in erster Linie vom Privatsektor bereitgestellt werden. Die EU und die Mitgliedstaaten sollten indes ein günstiges Geschäftsumfeld schaffen, das Investitionen anzieht. Wichtig sei hierbei eine starke soziale Dimension, die sich auf Arbeitsplätze und Kompetenzen für die Zukunft konzentriert und den Weg für einen gerechten und inklusiven Übergang ebnet.

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Aussen- und Sicherheitspolitik

Analyse der strategischen Abhängigkeiten Europas

Die Kommission hat am 23. Februar 2022 die zweite Ausgabe der eingehenden Analyse der strategischen Abhängigkeiten Europas veröffentlicht. Der Bericht befasst sich mit fünf Bereichen (seltene Erden und Magnesium, Chemikalien, Solarpaneele, Cybersicherheit und IT-Software), in denen Europa mit strategischen Abhängigkeiten von Drittländern konfrontiert ist. Er soll dazu beitragen, die damit einhergehenden Risiken und die Möglichkeiten zu deren Bewältigung besser zu verstehen. In dem zweiten Bericht wird u.a. hervorgehoben, dass strategische Abhängigkeiten von seltenen Erden, Magnesium und Solarpaneelen darauf zurückzuführen sind, dass die weltweite Produktion stark auf China konzentriert ist und dass die Möglichkeiten, die Versorgung – auch von innerhalb der EU – zu diversifizieren oder Ersatz zu finden derzeit beschränkt sind.

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Ukraine: Vorübergehender Schutz für Kriegsflüchtlinge

Die Kommission hat am 2. März 2022 vorgeschlagen, die Richtlinie über vorübergehenden Schutz zu aktivieren, um Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine fliehen, rasch und wirksam zu helfen. Dieser Vorschlag sieht vor, dass Kriegsflüchtlingen vorübergehender Schutz in der EU gewährt wird. Das bedeutet, sie bekommen eine Aufenthaltserlaubnis sowie Zugang zu Bildung und zum Arbeitsmarkt. Gleichzeitig hat die Kommission operative Leitlinien vorgelegt, die den Grenzschutzbeamten der Mitgliedstaaten dabei helfen sollen, die Einreise an den Grenzen zur Ukraine effizient zu steuern und gleichzeitig ein hohes Mass an Sicherheit aufrechtzuerhalten. In den Leitlinien wird ferner empfohlen, dass die Mitgliedstaaten spezielle Nothilfekorridore für humanitäre Hilfe einrichten und daran erinnert, dass die Einreise in die EU aus humanitären Gründen gestattet werden kann.

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EuGH: Europäischer Haftbefehl – Durch Gesetz errichtetes Gericht

Mit Urteil vom 22. Februar 2022 in den verbundenen Rechtssachen C-562/21 und C-563/21 hat der Europäische Gerichtshof (Grosse Kammer) die Kriterien erläutert, anhand deren eine vollstreckende Justizbehörde beurteilen kann, ob die Gefahr einer Verletzung des Grundrechts auf ein faires Verfahren besteht. Gegenstand des Verfahrens waren zwei Europäische Haftbefehle aus Polen gegen polnische Staatsangehörige, die sich in den Niederlanden aufhielten. Die niederländischen Gerichte hatten Zweifel, ob sie angesichts systemischer und allgemeiner Mängel, die das Grundrecht auf ein faires Verfahren und das Recht auf ein zuvor durch Gesetz errichtetes Gericht beeinträchtigten, dem Haftbefehl Folge leisten sollten. Der EuGH hat die Anwendung der zweistufigen Prüfung, die er zuvor für die Garantien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit entwickelt hatte auch für die Garantie des durch Gesetz errichteten Gerichts bejaht und diese weiter präzisiert.

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Beziehungen Schweiz - EU

Der Bundesrat legt Stossrichtung für Verhandlungspaket fest

Anlässlich der europapolitischen Klausur vom 23. Februar 2022 hat der Bundesrat seine Aussprache über die Europapolitik weitergeführt und die Stossrichtung für ein Verhandlungspaket mit der EU verabschiedet. Die offenen Punkte in den Gesamtbeziehungen mit der EU sollen nun auf der Grundlage eines breiten Paketansatzes angegangen werden. Dazu gehören unter anderem institutionelle Elemente, die mit einem vertikalen, das heisst sektoriellen Ansatz in den einzelnen Binnenmarktabkommen verankert werden sollen. Es sind dies namentlich die dynamische Rechtsübernahme, die Streitbeilegung sowie Ausnahmen und Schutzklauseln. Der horizontale Ansatz, wie ihn das im letzten Jahr gescheiterte Institutionelle Abkommen vorsah, ist für den Bundesrat keine Option. Weitere mögliche Teile des Pakets sind neue Binnenmarktabkommen in den Bereichen Strom und Lebensmittelsicherheit sowie Assoziierungsabkommen in den Bereichen Forschung, Gesundheit und Bildung. Zudem ist der Bundesrat bereit, im Rahmen des Verhandlungspakets eine Verstetigung des Schweizer Beitrags zu prüfen. Auf dieser Grundlage sollen Sondierungsgespräche mit der EU aufgenommen werden. Parallel dazu werden die laufenden Arbeiten zu den bestehenden Regelungsunterschieden fortgeführt.

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Schweiz übernimmt EU-Sanktionen gegen Russland

Der Bundesrat hat am 28. Februar 2022 beschlossen, die Sanktionspakete der EU vom 23. und 25. Februar gegen Russland zu übernehmen. Grund dafür ist die fortschreitende Militärintervention Russlands in der Ukraine. Die Vermögen der gelisteten Personen und Unternehmen sind ab sofort gesperrt; auch die Finanzsanktionen gegen den russischen Präsidenten Vladimir Putin, Premierminister Mikhail Mishustin und Aussenminister Sergey Lavrov werden mit sofortiger Wirkung vollzogen. Die Schweiz bekräftigt ihre Solidarität mit der Ukraine und ihrer Bevölkerung; sie liefert Hilfsgüter für die nach Polen geflüchteten Menschen.

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Aussenhandel

WTO-Verfahren EU-China wegen Beeinträchtigungen im High-Tech-Sektor

Die Europäische Union hat am 18. Februar 2022 bei der WTO ein Verfahren gegen China eingeleitet. Nach Einschätzung der EU schränkt China die Möglichkeiten von EU-Unternehmen ein, sich an ein ausländisches Gericht zu wenden, um ihre Patente zu schützen und zu nutzen. Im Fokus stehen Rechte an Schlüsseltechnologien wie 3G, 4G und 5G. Eingeschränkt werde der Schutz von Rechten an diesen Technologien, wenn ihe Patente beispielsweise von chinesischen Mobiltelefonherstellern illegal oder ohne angemessenen Ausgleich genutzt werden. Patentinhaber, die ausserhalb Chinas vor Gericht gehen, würden in China oft mit erheblichen Geldstrafen belegt, wodurch sie unter Druck gesetzt werden, sich mit Lizenzgebühren unter den marktüblichen Sätzen zufrieden zu geben. Seit August 2020 erlassen chinesische Gerichte Entscheidungen – sogenannte Prozessführungsverbote („anti-suit injunctions“), um Druck auf EU-Unternehmen mit High-Tech-Patenten auszuüben und diese Unternehmen daran zu hindern, ihre Technologien rechtmässig zu schützen.

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Energie

Europäische Batterie-Allianz: Erste Fortschritte

Im Rahmen des sechsten hochrangigen Treffens stellte die Europäische Kommission vorrangige Bereiche für die Arbeit der Europäischen Batterie-Allianz vor. Hierzu zählen, u.a. die rasche Annahme des Vorschlags der Kommission für eine Verordnung über nachhaltige Batterien, die fortgesetzte Diversifizierung der Quellen von Batterierohstoffen durch die Zusammenarbeit mit mineralienreichen Handelspartnern sowie die Straffung der Genehmigungsverfahren für Batterierohstoffprojekte in den Mitgliedstaaten im Einklang mit den höchsten Umweltstandards. Die Europäische Batterie-Allianz wurde 2017 von der Europäischen Kommission ins Leben gerufen, um eine vollständige, weltweit wettbewerbsfähige und nachhaltige Batterie-Wertschöpfungskette in der EU zu schaffen. Die Allianz hat einen Rahmen geschaffen, um die Kommission, die Mitgliedstaaten, die Europäische Investitionsbank und Akteure aus Industrie und Innovation zusammenzubringen und an einer gemeinsamen Agenda zu arbeiten.

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Kommunikation und Medien

Sanktionen gegen russische Medien

Nach der Ankündigung von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Sonntag beschloss der Rat der Europäischen Union, per 2. März 2022 Sendungen der staatlichen Desinformationskanäle Russia Today und Sputnik in der gesamten EU auszusetzen. Russia Today und Sputnik werden nach Auffassung der Kommission vom Kreml als wichtige Instrumente eingesetzt, um die Aggression Russlands gegen die Ukraine voranzubringen und zu unterstützen. Dies stellt auch eine erhebliche und unmittelbare Bedrohung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit in der Union dar. Beide Sender seien Teil einer koordinierten Informationsmanipulation, sowie Desinformationskampagne, die bereits seit 2015 von der East StratCom Task Force des Europäischen Auswärtigen Dienstes dokumentiert wird.

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Wirtschafts- und Währungspolitik

Bericht über Wirtschaftsreformen in Griechenland

Die Europäische Kommission hat am 23. Februar 2022 den dreizehnten Bericht über eine verstärkte Überwachung Griechenlands vorgelegt. Der Bericht wird im Rahmen der verstärkten Überwachung erstellt, mit der sichergestellt werden soll, dass die Erfüllung der Reformzusagen Griechenlands nach dem erfolgreichen Abschluss des Finanzhilfeprogramms im Jahr 2018 weiterhin staatlicherseits unterstützt wird. In dem Bericht wird festgestellt, dass Griechenland die erforderlichen Massnahmen ergriffen hat, um seine spezifischen Verpflichtungen trotz der weiterhin schwierigen Bedingungen aufgrund der Pandemie zu erfüllen. Die Behörden haben spezifische Verpflichtungen in verschiedenen Bereichen erfüllt, insbesondere was die Steigerung der Effizienz des Staatsapparats, den Abschluss der Umstrukturierung der Verwaltung des einheitlichen Pensionsfonds und die Vereinfachung von Investitionsgenehmigungen in den vereinbarten Sektoren angeht.

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