Über die EuZ
Leitartikel
Simon Schären *
ELTIF 2.0 – Weiterentwicklung des europäischen Rechtsrahmens für langfristige Anlagen
Der European long-term Investment Fund (sog. ELTIF) konnte sich im europäischen Markt bislang nicht durchsetzen. Mit der abgeschlossenen Reform der ELTIF-VO (ELTIF 2.0) sollen langfristige Investitionen gefördert und insb. auch Kleinanlegern zugänglich gemacht werden. Dadurch werden die Ziele der Kapitalmarktunion verwirklicht. Die abgeschlossene Revision sieht z.T. weitgehende Liberalisierungen vor und soll den Rechtsrahmen so attraktiver machen. Der vorliegende Beitrag geht auf die Neuerungen ein und stellt konzeptionelle und rechtspolitische Bezugspunkte zur Schweizer Rechtsentwicklung her.
* PD Dr. iur. Simon Schären, Rechtsanwalt, LL.M. ist Senior Legal Counsel bei Asset Management Association Switzerland (AMAS) sowie Privatdozent und Lehrbeauftragter an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bern.
Aktuelle Entwicklungen im Europarecht
Allgemeines und Institutionelles
EuGH: Fortsetzung des Ausgangsverfahrens bei Vorabentscheidungsersuchen
Mit Urteil vom 17. Mai 2023 hat der Gerichtshof entschieden, dass das Unionsrecht einem nationalen Gericht, das ein Vorabentscheidungsersuchen eingereicht hat, nicht verbietet, das Ausgangsverfahren nur insoweit auszusetzen, als dieses Aspekte betrifft, auf die sich die Beantwortung dieses Ersuchens durch den Gerichtshof auswirken kann. Die Wahrung der praktischen Wirksamkeit dieses Vorabentscheidungsverfahrens wird in der Praxis nicht unmöglich gemacht oder übermässig erschwert durch eine nationale Regelung, nach der das Ausgangsverfahren zwischen dem Tag der Einreichung des Vorabentscheidungsersuchens und dem Tag der Beantwortung desselben durch den Gerichtshof fortgesetzt werden darf, um bestimmte Verfahrenshandlungen vorzunehmen.
EuGH: Unabhängigkeit von Disziplinarorganen der Justiz
Mit heutigem Urteil vom 11. Mai 2023 hat der Gerichtshof seine Rechtsprechung bestätigt, nach der die Organisation der Justiz zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt, bei der Wahrnehmung dieser Befugnis aber das Unionsrecht zu beachten ist. Daher muss eine Disziplinarordnung für Richter, die das Unionsrecht anzuwenden haben, die erforderlichen Garantien aufweisen, damit jegliche Gefahr verhindert wird, dass eine solche Regelung als Instrument zur Ausübung politischer Kontrolle ihrer Tätigkeit eingesetzt wird. Die Regeln über die Organisation und Arbeitsweise eines Organs, das für die Durchführung von Disziplinaruntersuchungen und die Erhebung von Disziplinarklagen gegen Richter und Staatsanwälte zuständig ist, müssen daher den Anforderungen des Unionsrechts und insbesondere der Rechtsstaatlichkeit genügen.
Handelsabkommen Schweiz/UK
Bundesrat Guy Parmelin und die Handelsministerin des Vereinigten Königreichs, Kemi Badenoch, haben am 15. Mai 2023 in Bern den Verhandlungsauftakt für die Weiterentwicklung des bilateralen Handelsabkommens gesetzt. Gegenwärtig sind die Handelsbeziehungen im Handelsabkommen zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich (UK) von 2019 geregelt. Dieses sichert die gegenseitigen Rechte und Pflichten, welche die beiden Staaten vor dem Brexit verbanden, so weit wie möglich. Das bestehende Vertragsverhältnis soll nun an die aktuellen Bedürfnisse angepasst und in Richtung eines möglichst umfassenden Handelsabkommens weiterentwickelt werden. Die Schweiz strebt etwa die Integration von Bestimmungen über den Handel mit Dienstleistungen, Investitionen, digitalen Handel, Rechte an geistigem Eigentum, kleine und mittlere Unternehmen sowie Handel und nachhaltige Entwicklung an. Die erste Verhandlungsrunde hatte in der Woche vom 22. Mai 2023 in London stattgefunden.
Aussenbeziehungen
Strategische Partnerschaft EU-Kasachstan
Im Namen der Kommission hat Vizepräsident Valdis Dombrovskis gemeinsam mit dem kasachischen Ministerpräsidenten Älichan Smajylow eine Reihe konkreter Massnahmen zur Umsetzung der Absichtserklärung zwischen der EU und Kasachstan über eine strategische Partnerschaft in den Bereichen Rohstoffe, Batterien und erneuerbarer Wasserstoff angekündigt. Die im November 2022 vereinbarte Partnerschaft zielt darauf ab, strategische Wertschöpfungsketten in den betreffenden Bereichen gemeinsam zu entwickeln und besser zu integrieren.
Bildung und Forschung
Horizon-Paket des Bundesrats
Aktuell gilt die Schweiz beim Horizon-Paket 2021–2027 als nicht assoziiertes Drittland. Damit ist Akteuren aus Forschung und Innovation in der Schweiz die Teilnahme an ungefähr zwei Dritteln des Programms möglich. Sie erhalten jedoch keine Finanzierung seitens der Europäischen Kommission. Vor diesem Hintergrund hat der Bundesrat hat am 24. Mai 2023 Übergangsmassnahmen für die Ausschreibungen 2023 beschlossen. Diese will er mit 625 Millionen Franken finanzieren. Für den Bundesrat bleibt das Ziel die raschestmögliche Assoziierung am Horizon-Paket.
Binnenmarkt
Ausbau der Munitionsproduktion
Die Europäische Kommission hat einen Verordnungsvorschlag vorgelegt, mit dem die Kapazitäten für die Munitionsproduktion in der EU ausgebaut werden sollen. Sie schlägt vor, Haushaltsmittel in Höhe von 500 Millionen Euro bereitzustellen, Lieferketten besser zu überwachen und einen befristeten Rechtsrahmen einzuführen, mit dem Engpässe bei der Munitionsversorgung behoben werden. Mit dem Vorstoss soll die Ukraine unterstützt und die europäischen Verteidigungsfähigkeiten gestärkt werden.
EU-Zollreform
Die Europäische Kommission hat am 17. Mai 2023 Vorschläge für die umfassendste Reform der EU-Zollunion seit deren Gründung im Jahr 1968 vorgelegt. Im Sinne des digitalen Wandels soll die Reform schwerfällige Zollverfahren abbauen und durch einen datengesteuerten Ansatz für die Einfuhrüberwachung ersetzen. Eine neue EU-Zollbehörde soll eine EU-Zolldatenplattform überwachen, die als Motor des neuen Systems fungieren wird. Gleichzeitig erhalten die Zollbehörden alle notwendigen Instrumente, um Einfuhren, die echte Gefahren darstellen, angemessen bewerten und stoppen zu können. Die Kommission schlägt ausserdem vor, den derzeitigen Schwellenwert anzuheben, der eine Zollbefreiung von Waren mit einem Wert von weniger als 150 Euro ermöglicht und von Betrügern stark ausgenutzt wird.
Geistiges Eigentum
Schutz handwerklicher und industrieller Produkte
Das Europäische Parlament und der Rat konnten am 3. Mai 2023 eine politische Einigung über eine neue Verordnung zum Schutz des geistigen Eigentums an handwerklichen und industriellen Produkten erzielen, die auf der Originalität und Authentizität traditioneller Praktiken aus ihren Regionen beruhen. Der neue Rechtsrahmen gilt für Produkte wie Glas, Textilien, Porzellan, Besteck, Keramik, Kuckucksuhren, Musikinstrumente und Möbel. Dazu gehören z. B. Murano-Glas, Donegal-Tweed, Porzellan aus Limoges, Messerschmiedewaren aus Solingen, Messer aus Albacete und Bunzlauer Keramik. Obwohl diese Produkte einen europaweiten, teilweise auch weltweiten Ruf geniessen, gab es bisher keinen Schutz durch eine EU-Kennzeichnung, die Ursprung und Ansehen der Produkte mit ihrer Qualität verknüpft.
Gesundheit
Gesundheits-Taskforce EU/USA
Um die Partnerschaft der EU und der Vereinigten Staaten im Gesundheitsbereich zu erweitern, wurde eine Taskforce eingerichtet. Die Arbeit der Taskforce wird die Bereiche Krebsbekämpfung, globale Gesundheitsgefahren und Stärkung der globalen Gesundheitsarchitektur fokussieren. Zu diesen vorrangigen Bereichen werden Facharbeitsgruppen eingerichtet. Es fanden bereits erste virtuelle Treffen zum Thema Krebs bei Kindern statt.
Kommunikation und Medien
Überwachung der Halbleiter-Lieferkette
Die Europäische Kommission hatte im Februar 2022 ein Massnahmenpaket zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz der EU betreffend Halbleitertechnologien erlassen (u.a. EU Chips Act). Ergänzend hat die Europäische Kommission am 10. Mai 2023 ein Pilotprojekt zur Überwachung der Halbleiter-Lieferkette lanciert. Das neue Warnsystem soll auf kritische Störungen aufmerksam machen und Informationen sammeln, die für eine genaue Risikobewertung und eine rasche Reaktion auf mögliche Krisensituationen durch die Europäische Halbleiter-Expertengruppe erforderlich sind.
Verordnung über digitale Märkte in Kraft
Die neue Verordnung über digitale Märkte (Digital Markets Act, DMA) ist seit dem 2. Mai 2023 vollständig anwendbar. Sie zielt darauf ab, wettbewerbsfähige und faire Märkte im digitalen Sektor zu gewährleisten. Die Verordnung definiert digitale Gatekeeper als grosse Online-Plattformen, die eine wichtige Schnittstelle zwischen Unternehmen und Verbrauchern bilden. Aufgrund ihrer Position können sie die Macht haben, als privater Regelsetzer zu agieren und somit einen Engpass in der digitalen Wirtschaft zu schaffen. Um diese Probleme anzugehen, definiert die DMA eine Reihe spezifischer Verpflichtungen, die Gatekeeper einhalten müssen, einschliesslich des Verbots bestimmter Verhaltensweisen in einer Liste von „Do’s and Don’ts“.
Bericht zu Perspektiven in der europäischen Medienbranche
Die Europäische Kommission hat am 18. Mai 2023 den ersten Bericht über Perspektiven in der europäischen Medienbranche veröffentlicht, in dem Trends in den Bereichen audiovisuelle Medien, Videospiele und Nachrichtenmedien analysiert werden. In dem Bericht werden Marktdaten bereitgestellt und Herausforderungen sowie zugrunde liegende Techniktrends bestimmt, die den verschiedenen Branchen der Medien gemein sind. Unter anderem werden die strukturellen Auswirkungen der laufenden Verlagerung des Medienkonsums auf digitale Medien hervorgehoben.
Personenfreizügigkeit
Zweiter Schengen-Statusbericht
Die Europäische Kommission hat am 16. Mai 2023 den zweiten Schengen-Statusbericht vorgelegt. Dieser Bericht ist Teil der Initiative der Kommission, die Steuerung des Schengen-Systems durch eine jährliche Berichterstattung über den Schengen-Status weiter zu intensivieren und zu diesem Zweck Herausforderungen und bewährte Vorgehensweisen sowie Handlungsschwerpunkte zu ermitteln. Laut Kommission sind verschiedene Erfolge zu verzeichnen, so etwa der Beitritt Kroatiens zum Schengen-Raum zum 1. Januar 2023 sowie die Bildung des neuen Schengen-Rats, der für die strategische Lenkung und operative Leitlinien sorgt. Prioritäten für die Zukunft seien insbesondere die weitere Stärkung der EU-Aussengrenzen und die Verbesserung der Wirksamkeit des Rückführungssystems.
Steuerrecht
Neue Steuertransparenzvorschriften betreffend Krypto-Assets
Die Finanzministerinnen und -minister konnten am 16. Mai 2023 eine politische Einigung über neue Steuertransparenzvorschriften für alle Dienstleister erzielen, die im Auftrag von in der EU ansässigen Kunden Transaktionen mit Kryptowerten abwickeln. Die neuen Bestimmungen ergehen im Wege der Revision der Richtlinie 2011/16/EU über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung (sog. DAC 8). Mit der Revision soll den Herausforderungen begegnet werden, die sich aus der immer stärkeren Nutzung von Krypto-Assets zu Anlagezwecken ergeben. Die neuen Vorschriften ergänzen die Bestimmungen der Verordnung über Märkte für Kryptowerte (MiCA) und der Verordnung über Geldtransfers (TFR) und stehen in Einklang mit der OECD-Initiative für einen Melderahmen für Kryptowerte.
Strafrecht
Korruptionsbekämpfung in der EU
In einer gemeinsamen Mitteilung vom 3. Mai 2023 äussern sich die Kommission und der Hohe Vertreter für Aussen- und Sicherheitspolitik zu den Perspektiven der Korruptionsbekämpfung. Ein EU-weites Netz, in dem Strafverfolgungsbehörden, öffentliche Stellen, Angehörige der einschlägigen Berufsgruppen, Vertreter der Zivilgesellschaft und andere Interessenträger zusammenkommen, soll die Korruptionsprävention in der gesamten EU vorantreiben und bewährte Verfahren und praktische Leitlinien ausarbeiten. Eine zentrale Aufgabe des Netzes wird darin bestehen, die Kommission bei der Erfassung gemeinsamer Bereiche zu unterstützen, in denen EU-weit ein hohes Korruptionsrisiko besteht. Zeitgleich hat die Kommission eine Modernisierung des Rechtsrahmens zur Korruptionsbekämpfung vorgeschlagen. Kernelement davon ist der Aufbau einer Kultur der Integrität mit Rechenschaftspflichten des öffentlichen Sektors nach höchsten Standards. Schliesslich soll auch das Sanktionsinstrumentarium im Rahmen der GASP auf Korruptionsdelikte erweitert werden.
Umwelt
Verbot für Blei in PVC-Produkten
Per Durchführungsverordnung hat die Europäische Kommission am 3. Mai 2023 die Verwendung von Blei für PVC-Produkte verboten. Bleihaltige PVC-Produkte finden insbesondere in der Bauindustrie Einsatz, zum Beispiel in Fensterprofilen, Rohren, Schläuchen und Kabeln. Die Beschränkung wurde auf der Grundlage der EU-Chemikalienverordnung (REACH) verabschiedet. Die neue Durchführungsverordnung wird voraussichtlich bis zu 8,4 Tonnen Bleiemissionen pro Jahr verhindern, und bringt so einen erheblichen Nutzen für einen besseren Gesundheitsschutz, insbesondere für Kinder.
Verbraucherschutz
EuGH: Nichtaufklärung über das Widerrufsrecht
Mit Urteil vom 17. Mai 2023 hat der Gerichtshof festgestellt, dass ein Verbraucher von jeder Verpflichtung zur Vergütung einer Vertragsleistung befreit ist, die in Erfüllung eines ausserhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Dienstleistungsvertrags erbracht wurden, wenn der betreffende Unternehmer ihn nicht über sein Widerrufsrecht informiert hat und der Verbraucher sein Widerrufsrecht nach Erfüllung dieses Vertrags ausgeübt hat.