EuZ – Zeitschrift für Europarecht – Ausgabe 06 / 2025

Über die EuZ

Die EuZ – Zeitschrift für Europarecht berichtet über die jüngsten Entwicklungen im Recht der EU sowie über die Beziehungen der Schweiz zur EU. Im Rahmen wissenschaftlicher Beiträge analysieren renommierte Experten aktuelle Rechtsfragen in allen wirtschaftsrelevanten Bereichen des EU-Rechts. Daneben informieren kurze Beiträge über neue Gesetzesvorhaben, sonstige Vorstösse der EU-Institutionen sowie Urteile des EuGH.
Die EuZ erscheint zehnmal jährlich als Open Access-eJournal. Die wissenschaftlichen Beiträge werden zudem am Ende jeden Jahres in Gestalt eines Jahrbuchs zusammengefasst und sind in dieser Form als eBook sowie als Print on demand-Publikation erhältlich. 

Leitartikel

Ralf Imstepf*

Das EU-Reformpaket „VAT in a Digital Age“ (ViDA) und seine Auswirkungen auf die Schweiz

Am 11. März 2025 erzielte der Rat der Europäischen Union (EU) Einigkeit über das weitreichende Reformpaket „VAT in a Digital Age“ (ViDA), mit dem das EU-Mehrwertsteuerrecht für die Herausforderungen des digitalen Zeitalters schrittweise bis 2035 revidiert werden soll. Es handelt sich um die grösste EU-Mehrwertsteuerrechtsreform seit der Binnenmarktrichtlinie im Jahr 1993. Vorliegender Beitrag bezweckt die Darstellung und Würdigung des ViDA-Reformpakets und seiner Auswirkungen auf die Schweiz. Im Zentrum der Diskussion stehen dabei die Vorschriften, an die sich auch in der Schweiz ansässige Unternehmen halten müssen, wenn sie Leistungen an Empfänger in der EU erbringen. Dargestellt werden aber auch weitere (tatsächliche) Drittwirkungen und der mögliche Handlungsbedarf für den Schweizer Gesetzgeber mit Blick auf ein EU-kompatibles Mehrwertsteuerrecht.

* Ralf Imstepf ist Assistenzprofessor für Steuerrecht an der Universität St. Gallen und leitet die Rechtsabteilung MWST bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung. Zuvor war er als Steuerberater und Rechtsanwalt in einer international ausgerichteten Anwaltskanzlei sowie als Gerichtsschreiber am Bundesverwaltungsgericht tätig. Ralf Imstepf hat im Bereich des Mehrwertsteuerrechts dissertiert, ist Rechtsanwalt und eidgenössisch diplomierter Steuerexperte. Er publiziert und referiert regelmässig im Bereich des Steuer- und Verfahrensrechts.

Aktuelle Entwicklungen im Europarecht

Allgemeines und Institutionelles

Bulgarien erfüllt Kriterien für Euro-Beitritt

Die Europäische Kommission hat heute festgestellt, dass Bulgarien hinreichend vorbereitet ist, um ab 1. Januar 2026 den Euro einführen zu können – ein wichtiger Meilenstein auf seinem Weg zum 21. Mitgliedstaat des Euro-Währungsgebiets. Diese Einschätzung der Kommission wird im Konvergenzbericht 2025 erläutert, der auf Antrag Bulgariens ausgearbeitet wurde und einen entscheidenden, historischen Schritt auf dem Weg Bulgariens zum Euro markiert. In dem Bericht wird festgestellt, dass Bulgarien die vier nominalen Konvergenzkriterien erfüllt, die sicherstellen sollen, dass ein Land für die Euro-Einführung bereit und seine Wirtschaft hinreichend darauf vorbereitet ist. Festgestellt wird auch, dass die Rechtsvorschriften Bulgariens mit den Anforderungen des Vertrags und der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank (EZB) in Einklang stehen.

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EuGH/Generalanwältin Ćapeta: Verbot des Zugangs zu LGBTI-Inhalten verstösst gegen Unionsrecht

Mit einem Gesetz über ein strengeres Vorgehen gegen pädophile Straftäter und die Änderung bestimmter Gesetze zum Schutz von Kindern hat Ungarn Änderungen an verschiedenen innerstaatlichen Gesetzen vorgenommen. Mehrere dieser Gesetzesänderungen, die Ungarn zufolge aus Jugendschutzgründen eingeführt wurden, verbieten oder beschränken den Zugang zu Inhalten, die „eine Abweichung von der dem Geschlecht bei der Geburt entsprechenden Identität, Geschlechtsumwandlung oder Homosexualität“ darstellen oder fördern. Die Kommission hat wegen dieser Gesetzesänderungen gegen Ungarn ein Vertragsverletzungsverfahren vor dem Gerichtshof eingeleitet. Sie beantragt, festzustellen, dass Ungarn auf drei verschiedenen Ebenen gegen das Unionsrecht verstossen hat: erstens gegen Primär- und Sekundärrecht in Bezug auf den Binnenmarkt für Dienstleistungen sowie gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), zweitens gegen mehrere Rechte aus der EU-Grundrechtecharta und drittens gegen Art. 2 EUV. Generalanwältin Tamara Ćapeta schlägt dem Gerichtshof vor, zu entscheiden, dass die Klage in allen Punkten begründet ist. Insbesondere stellten die Gesetzesänderungen einen Eingriff in mehrere durch die Charta geschützte Grundrechte dar, nämlich das Verbot einer Diskriminierung wegen des Geschlechts oder der sexuellen Ausrichtung, die Achtung des Privat- und Familienlebens, die Meinungs- und Informationsfreiheit sowie das Recht auf Menschenwürde.

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Sichere Badegewässer in Europa

Von den europäischen Küstengewässern bis zu den Binnenbadestellen ist ein grosser Teil der europäischen Gewässer sicher zu schwimmen, so die jüngste europäische Badegewässerbewertung für die Badesaison 2024, die heute veröffentlicht wurde. Sie stellte fest, dass über 85 % der überwachten Standorte im vergangenen Jahr die strengsten Qualitätsnormen der Europäischen Union für „ausgezeichnete“ Badegewässer erfüllten, während 96 % aller offiziell ausgewiesenen Badegewässer in der EU die Mindestqualitätsnormen erfüllten. Insgesamt wurden über 22’000 Badegewässer in allen 27 EU-Mitgliedstaaten sowie Albanien und der Schweiz bewertet. In fünf Ländern – Zypern, Bulgarien, Griechenland, Österreich und Kroatien – waren 95 % oder mehr der Badegewässer von ausgezeichneter Qualität. Lediglich 1,5 % der Badegewässer der EU waren von schlechter Qualität. Die Qualität der Badegewässer an der Küste ist im Allgemeinen besser als die von Flüssen und Seen.

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Besserer Zugang zu erschwinglichem Wohnraum

Die Kommission ersucht um Rückmeldungen zu einer Überarbeitung der Beihilfevorschriften für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DAWI), die dem Mangel an erschwinglichem Wohnraum entgegenwirken soll. Zur Überbrückung der Investitionslücke für erschwinglichen Wohnraum bedarf es grosser Investitionen. Staatliche Beihilfemassnahmen können einen Anreiz für die erforderlichen Investitionen bieten. Nach dem geltenden Beihilferecht gibt es verschiedene Möglichkeiten für die Mitgliedstaaten, den Zugang zu Wohnraum zu fördern. So können sie Fördermassnahmen für sozialen Wohnungsbau für die am stärksten Benachteiligten durchführen, wobei für den Ausgleich keine Obergrenze gilt. Allerdings bietet das geltende Beihilferecht, wie in den politischen Leitlinien der Kommission anerkannt, den Mitgliedstaaten keine Möglichkeit, die verschiedenen Herausforderungen im Zusammenhang mit erschwinglichem Wohnraum, die durch sozialen Wohnungsbau nicht hinreichend bewältigt werden, wirksam anzugehen. Mit der gezielten Überarbeitung der DAWI-Vorschriften soll dieses Problem angegangen werden und Anreize für weitere Investitionen in erschwinglichen Wohnraum geschaffen werden.

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Aussen- und Sicherheitspolitik

Beschleunigung von Investitionen in die Verteidigung

Die Europäische Kommission hat am 17. Juni 2025 Massnahmen zur Beschleunigung von Investitionen in die Verteidigung und die Produktion von Verteidigungsgütern vorgeschlagen, damit die EU besser auf die derzeitigen Sicherheitsherausforderungen reagieren kann, wie sie im Weissbuch der Kommission zur europäischen Verteidigung – Bereitschaft 2030 beschrieben werden. Zweck der in einer Omnibus-Verordnung für die Verteidigungsbereitschaft festgelegten Massnahmen ist die Unterstützung der Mitgliedstaaten und der Industrie bei der Erhöhung der Verteidigungsfähigkeiten und dem Ausbau der entsprechenden Infrastruktur. Die Verordnung enthält insbesondere folgende Elemente: Einführung einer Regelung zur beschleunigten Genehmigung von Verteidigungsprojekten, Verringerung des Verwaltungsaufwands im Zusammenhang mit dem Europäischen Verteidigungsfonds für Antragsteller und Teilnehmer, Erleichterung von Beschaffungen durch die Förderung gemeinsamer Beschaffungen und Erhöhung der Schwellenwerte für öffentliche Aufträge zwecks schnellerer grenzüberschreitender Verbringung von Verteidigungsgütern.

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Militärische Mobilität

Um die Mobilität von Truppen sowie von militärischer Ausrüstung in der gesamten Europäischen Union und darüber hinaus zu verbessern, sind die Europäische Kommission und die Hohe Vertreterin der EU in Gespräche mit Interessenträgern zwecks Ausarbeitung eines Massnahmenpakets zur militärischen Mobilität eingetreten. Mit diesem Paket sollen bestehende Infrastrukturengpässe, verfahrenstechnische Hindernisse und Lücken bei Verteidigungsfähigkeiten beseitigt werden. Das Paket dient dazu, die nationalen strategischen Ziele festzulegen, nationale Verfahren zu harmonisieren und die Infrastruktur resilienter zu gestalten. Diese Massnahmen sollen eine effizientere Durchführung militärischer Verlegungen in ganz Europa ermöglichen und den militärischen Bedarf auf Gebieten wie Verkehr, Energie und Steuern in die allgemeine EU Politik einbeziehen.

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Banken- und Finanzmarktrecht

Neubelebung des EU-Verbriefungsrahmens

Die Europäische Kommission hat am 17. Juni 2025 ein Massnahmenpaket zur Vereinfachung des EU-Verbriefungsrahmens vorgeschlagen. Bei Verbriefungen werden Kredite und von Banken und Finanzinstituten gehaltene Schuldtitel gebündelt und in neue Produkte umgewandelt, die von Anlegern gekauft werden können. Sie ermöglichen eine breitere Teilung des Kreditrisikos über das Bankensystem hinaus. Die von der Kommission vorgeschlagenen Massnahmen haben das Ziel, Verbriefungstätigkeiten in der EU zu erleichtern, ohne die Finanzstabilität zu beeinträchtigen. Die Änderungen verfolgen das Ziel, die hohen Kosten für Emittenten und Anleger im Zusammenhang mit EU-Verbriefungen zu verringern und bestimmte Anforderungen an die Sorgfaltspflichten und die Transparenz zu vereinfachen. Darüber hinaus werden Änderungen an der Eigenkapitalverordnung (CRR) vorgeschlagen, die den Aufsichtsrahmen für Banken festlegt und vorgibt, wie viel Kapital Banken für ihre Verbriefungsrisikopositionen halten müssen. Darüber hinaus enthält das Paket Entwürfe für Änderungen der delegierten Verordnung zur Liquiditätsdeckungsquote.

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Beziehungen Schweiz-EU

Zusammenarbeit während der Ratifikationsphase des Pakets Schweiz-EU

Am 24. Juni 2025 haben Bundesrat Ignazio Cassis und EU-Kommissar Maroš Šefčovič in Brüssel eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet, welche die Modalitäten der Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und der EU für den Zeitraum von Ende 2024 bis zum Inkrafttreten des Pakets Schweiz-EU regelt. Zuvor, am 13. Juni 2025, hat der Bundesrat die Abkommen, Protokolle und Erklärungen des Pakets zur Stabilisierung und Weiterentwicklung der Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU gutgeheissen und die Vernehmlassung eröffnet. In den Verhandlungen haben die Schweiz und die EU Massnahmen vereinbart, die darauf abzielen, ihre Zusammenarbeit in wichtigen Bereichen wie Forschung, Gesundheit der Bevölkerung und Stabilität der Stromnetze bereits in den nächsten Phasen des Prozesses, insbesondere der Ratifizierungsphase, zu verbessern. Für die Zeitspanne ab Ende 2024 bis zum Inkrafttreten des Pakets haben sie den Umfang ihrer Zusammenarbeit und Partnerschaft festgelegt und in einem Dokument abgefasst. Diese gemeinsame Erklärung, die Teil der Vernehmlassungsunterlagen ist, werden EDA-Vorsteher Ignazio Cassis und EU-Kommissar Maroš Ševčovič am 24. Juni 2025 in Brüssel unterzeichnen.

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Energie

Einstellung der Gas- und Öleinfuhren aus Russland

Die EU plant, die Einfuhr von Gas und Öl aus Russland bis Ende 2027 schrittweise zu beenden. Die Europäische Kommission hat am 17. Juni 2025 einen diesbezüglichen Verordnungsvorschlag angenommen. Vorgeschlagen wird der schrittweise Ausstieg aus Pipelinegas und Flüssigerdgas (LNG), die ihren Ursprung in der Russischen Föderation haben oder direkt oder indirekt aus der Russischen Föderation ausgeführt werden. Ausserdem werden Massnahmen vorgestellt, mit denen die vollständige Einstellung der Einfuhren von Öl aus Russland bis Ende 2027 erleichtert werden soll. Bestimmungen zur Verbesserung der Transparenz, der Überwachung und der Rückverfolgbarkeit von russischem Gas auf den EU-Märkten sollen die wirksame Umsetzung des Einfuhrverbots unterstützen.

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Gesundheit

Beschränkung der Berücksichtigung Chinas bei der Vergabe öffentlicher Aufträge für Medizinprodukte

Die Europäische Kommission hat beschlossen, chinesische Unternehmen von öffentlichen Aufträgen für Medizinprodukte im Wert von mehr als 5 Mio. EUR in der EU auszuschliessen. Mit dieser Massnahme, die den Schlussfolgerungen der ersten Untersuchung im Rahmen des Instruments betreffend das internationale Beschaffungswesen folgt, wird der Anteil chinesischer Inputs bei erfolgreichen Geboten auf maximal 50 % beschränkt. Mit diesem Vorgehen soll die Verfügbarkeit aller für das EU-Gesundheitssystem notwendigen Medizinprodukte sichergestellt werden. Für Fälle, in denen keine alternativen Anbieter zur Verfügung stehen, sind Ausnahmen vorgesehen.

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Strafrecht

Zugang zu Daten für die Strafverfolgung

Die Europäische Kommission hat am 24. Juni 2025 einen Fahrplan für die Sicherstellung eines wirksamen und rechtmässigen Zugangs zu Daten für die Strafverfolgung vorgelegt. Der Fahrplan ist eines der Ergebnisse von ProtectEU – der EU-Strategie für die innere Sicherheit, die die Kommission im April dieses Jahres vorgelegt hatte. Da 85 % der strafrechtlichen Ermittlungen inzwischen auf elektronische Beweismittel gestützt sind, benötigen die Strafverfolgungsbehörden bessere Instrumente und einen modernisierten Rechtsrahmen, um auf rechtmässige Weise auf digitale Daten zugreifen und gleichzeitig die uneingeschränkte Achtung der Grundrechte gewährleisten zu können. Der Fahrplan konzentriert sich auf sechs Schlüsselbereiche, nämlich Vorratsdaten, rechtmässige Überwachung, digitale Forensik, Entschlüsselung, Normung und KI-Lösungen für die Strafverfolgung.

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Wettbewerbsrecht

Beihilferahmen zur Förderung sauberer Industrie

Die Europäische Kommission hat am 25. Juni 2025 einen neuen Beihilferahmen zum Deal für eine saubere Industrie angenommen, der den Mitgliedstaaten Werkzeuge an die Hand gibt, um die Entwicklung sauberer Energie, die Dekarbonisierung der Industrie und saubere Technologien voranzutreiben. In dem Beihilferahmen werden die Bedingungen festgelegt, unter denen die Mitgliedstaaten im Einklang mit den EU-Beihilfevorschriften Unterstützung für bestimmte Investitionen und Ziele gewähren können. Auf der Grundlage dieses Beihilferahmens wird die Kommission Beihilferegelungen der Mitgliedstaaten zur Förderung sauberer Industrie genehmigen, und so eine rasche Einführung von Einzelbeihilfen ermöglichen. Der Beihilferahmen für den Deal für eine saubere Industrie gilt bis zum 31. Dezember 2030.

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