
Risiko & Recht
Risiko & Recht macht es sich zur Aufgabe, Rechtsfragen der modernen Risikogesellschaft zu analysieren. Berücksichtigung finden Entwicklungen in verschiedensten Gebieten, von denen Sicherheitsrisiken für Private, die öffentliche Ordnung, staatliche Einrichtungen und kritische Infrastrukturen ausgehen. Zu neuartigen Risiken führt zuvorderst der digitale Transformationsprozess und der damit verbundene Einsatz künstlicher Intelligenz; des Weiteren hat die Covid-Pandemie Risikopotentiale im Gesundheitssektor verdeutlicht und auch der Klimawandel zwingt zu umfassenderen Risikoüberlegungen; schliesslich geben gesellschaftliche Entwicklungen, u.a. Subkulturenbildung mit Gewaltpotential, Anlass zu rechtlichen Überlegungen. Risiko und Recht greift das breite und stets im Wandel befindliche Spektrum neuartiger Risikosituationen auf und beleuchtet mit Expertenbeiträgen die rechtlichen Herausforderungen unserer Zeit.
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Editorial
Sehr geehrte Damen und Herren
Die vorliegende Ausgabe 1/2025 der Risiko & Recht deckt ein breites Themenspektrum aktueller Sicherheitsfragen ab. Eingangs untersucht der Autor Mark Roth in seinem Gastbeitrag was «Risiko und Recht» mit einer Just Culture zu tun haben sollten. Gemeint ist die «Redlichkeitskultur», die in Hochrisikobranchen wie der Luftfahrt und der Medizin eine zunehmend zentrale Bedeutung erlangt.
Die Autorinnen und Autoren Elisa Lanzi, Jana Dreyer, Christoph Sidler, Karoline Niedenzu, Évi Forgó Baer, Carmelo Campanello, Andreas Wepfer, Francesco Castelli, Thierry Urwyler, Marc Graf und Marcel Aebi setzen sich in einem weiteren Beitrag mit Demografie, Delinquenz und psychischer Störungen bei jungen Erwachsenen mit einer Massnahme nach Art. 61 StGB auseinander. Hiernach besteht in der Schweiz die Möglichkeit, bei einer zum Tatzeitpunkt 18-25-jährigen Person, bei welcher eine erhebliche Störung der Persönlichkeitsentwicklung im Zusammenhang mit dem Tatverhalten sowie dem Rückfallrisiko besteht, eine spezifische, auf das Alter zugeschnittene Massnahme anzuordnen.
Jan Imhof setzt sich mit dem Strafverfahren gegen Angehörige der Polizei auseinander. In seinem Beitrag behandelt er die rechtliche Überprüfung polizeilichen Handelns unter dem Gesichtspunkt des Strafrechts.
Schliesslich befassen sich die Autorinnen und Autoren Lena Machetanz, Michael Pommerehne, Gian Ege, Madeleine Kassar, Elmar Habermeyer und Johannes Kirchebner mit der Elektrokonvulsionstherapie unter Zwang im stationären Massnahmenvollzug. Sie gehen aus medizinischer, ethischer und juristischer Perspektive der Frage nach, ob ein psychisch kranker Mensch mit therapierefraktärer Schizophrenie und fehlenden Rehabilitationsperspektiven auch gegen seinen Willen einer Elektrokonvulsionstherapie unterzogen werden darf.
Wir wünschen Ihnen, geschätzte Leserinnen und Leser, eine anregende Lektüre und erlauben uns noch auf die Möglichkeit eines Print-Abonnements hinzuweisen.
Tilmann Altwicker
Dirk Baier
Goran Seferovic
Franziska Sprecher
Stefan Vogel
Sven Zimmerlin
GRUNDLAGEN
Mark Roth*
GASTBEITRAG: Was «Risiko und Recht» mit einer Just Culture zu tun haben sollten
Just Culture, auf Deutsch «Redlichkeitskultur», hat in Hochrisikobranchen wie der Luftfahrt und der Medizin eine zunehmend zentrale Bedeutung erlangt. Die aktive Auseinandersetzung mit diesem Konzept – sowohl auf Ebene von Organisationen und Einzelpersonen als auch durch Behörden und Strafverfolgungsinstitutionen – offenbart in aktuellen wie auch vergangenen Ereignissen die Komplexität und Vielschichtigkeit seiner praktischen Umsetzung.
Die unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen erschweren jedoch die einheitliche Implementierung in den genannten Industrien. Insbesondere im Gesundheitswesen bleibt abzuwarten, wie dieses Konzept langfristig und nachhaltig auf nationaler Ebene umgesetzt werden kann.
Angesichts der Notwendigkeit, Risiko und Recht in Einklang zu bringen, gibt es aus Sicht des Verfassers kaum Alternativen zu einer konsequenten Auseinandersetzung mit den damit verbundenen Herausforderungen. Nur durch ein aktives Engagement in diesem Spannungsfeld kann eine Zukunft gestaltet werden, die sowohl das Risiko minimiert als auch die Sicherheit nachhaltig steigert.
* Mark Roth ist in Teilzeit als Chief Instructor Airbus bei Lufthansa Aviation Training Schweiz tätig. Darüber hinaus engagiert er sich in seiner selbstständigen Tätigkeit als Gastdozent an der Medizinischen Fakultät der Universität Basel. Durch seine ehemalige Aufgabe als Chief Medical Officer (CMO) eines Zentrumspitals durfte er wertvolle Einblicke in die Herausforderungen des Spitalalltags gewinnen. Heute unterstützt er mit seinem Unternehmen AviMedConsulting medizinische Leistungserbringer und deren Führungspersönlichkeiten. Er ist als Beauftragter der Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle SUST mit der Untersuchung von Flugunfällen betraut.
POLIZEI & MILITÄR
Elisa Lanzi / Jana Dreyer / Christoph Sidler / Karoline Niedenzu / Évi Forgó Baer / Carmelo Campanello / Andreas Wepfer / Francesco Castelli / Thierry Urwyler / Marc Graf / Marcel Aebi*
Demografie, Delinquenz und psychische Störungen bei jungen Erwachsenen mit einer Massnahme nach Art. 61 StGB
Junge Erwachsene begehen häufiger Delikte als ältere Personen. Ihre noch fortschreitende Hirnentwicklung und die damit einhergehende psychosoziale Unreife stehen in kausalem Zusammenhang mit einem erhöhten Delinquenzrisiko. Mit der Massnahme für junge Erwachsene nach Art. 61 StGB besteht in der Schweiz die Möglichkeit, bei einer zum Tatzeitpunkt 18-25-jährigen Person, bei welcher eine erhebliche Störung der Persönlichkeitsentwicklung im Zusammenhang mit dem Tatverhalten sowie dem Rückfallrisiko besteht, eine spezifische, auf das Alter zugeschnittene Massnahme anzuordnen. Die gerichtliche Praxis zur Anordnung der Massnahme sowie die Indikationsstellung der beigezogenen Sachverständigen für das Vorliegen einer erheblichen Störung der Persönlichkeitsentwicklung wurden bisher wenig systematisch untersucht. Die vorliegende Studie basiert auf einer explorativen Analyse von Akten und Gutachten junger Erwachsener, bei welchen eine Massnahme nach Art. 61 StGB vorzeitig (Art. 236 StPO) oder im Anlassurteil rechtskräftig angeordnet wurde. Es werden deren aus forensisch-psychiatrischer und psychologischer Sicht relevante Charakteristika der Demografie sowie der Delinquenz im Vergleich zur Referenzpopulation von ambulant behandelten jungen Erwachsenen nach Art. 63 StGB beleuchtet. Zudem soll die gutachterliche Beurteilung der Persönlichkeitsentwicklung beleuchtet werden.
Jan Imhof*
Amtsmissbrauch: Polizist:innen vor Gericht
Strafverfahren gegen Angehörige der Polizei sind auf verschiedenen Ebenen komplex – sei es die Nähe der Untersuchungsbehörde zu den Verfahrensbeteiligten oder die rechtliche Überprüfung polizeilichen Handelns unter dem Gesichtspunkt des Strafrechts. Letzteres versucht der vorliegende Beitrag zu erhellen. Es geht darum, eine Brücke zwischen polizeilichem Handeln, gestützt auf das jeweilige Verwaltungsrecht, und der strafrechtlichen Einordnung zu schlagen, zwischen den beiden Rechtsgebieten zu vermitteln und Fernwirkungen aufzuzeigen. Schliesslich darf nicht unerwähnt bleiben, dass die Strafuntersuchung nicht der einzige Weg sein muss, um einen Polizeieinsatz aufzuarbeiten.
* MLaw Jan Imhof, Rechtsanwalt, ist Mitarbeiter in der Strafabteilung am Regionalgericht Bern-Mittelland, Angehöriger der Militärjustiz und Ausbilder an der Interkantonalen Polizeischule Hitzkirch. Die vorliegende Arbeit ist im Rahmen des CAS Recht der inneren Sicherheit an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, ZHAW, unter der Studienleitung von Dr. iur. Patrice Zumsteg entstanden.
Lena Machetanz / Michael Pommerehne / Gian Ege / Madeleine Kassar / Elmar Habermeyer / Johannes Kirchebner*
Elektrokonvulsionstherapie unter Zwang im stationären Massnahmenvollzug**
* Dr. med. Lena Machetanz, Oberärztin a.i., Erwachsenenpsychiatrie und Psychotherapie, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich; RA MLaw Michael Pommerehne, Rechtsanwalt bei Kellerhals-Carrard und ehemaliger wissenschaftlicher Assistent von Prof. Dr. iur. Gian Ege;Prof. Dr. iur. Gian Ege, Assistenzprofessor für Strafrecht und Strafprozessrecht, an der Universität Zürich; Dr. Madeleine Kassar, Leiterin MRV, kbo-Isar-Amper-Klinikum, kbo-Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie Taufkirchen (Vils); Prof. Dr. med. Elmar Habermeyer, Direktor Forensische Psychiatrie und Psychotherapie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich; PD Dr. med. Johannes Kirchebner, Leitender Arzt an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich.
** Dieser Aufsatz wurde in der Zeitschrift psychopraxis.neuropraxis am 19. August 2024 erstveröffentlicht. Die identische Zweitveröffentlichung erfolgt, um eine breitere juristische Leserschaft zu erreichen.