Über die EuZ
Leitartikel
Yeşim M. Atamer/Patrick Wittum*
Von Laissez-faire zu Regulierung: Grundlagen der EU-Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit (CSDDD)
Dieser Beitrag vermisst die Grundbausteine der Richtlinie (EU) 2024/1760 über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit (CSDDD). Nach einem einleitenden Blick auf die Regulierungsziele liegt der Fokus auf den drei Dimensionen des Regulierungsgegenstands: Adressaten, Schutzgütern und Verantwortungsbereich. Mit Blick auf die Adressaten zeigt der Beitrag u.a. die Grenzen des rechtsformbasierten Regulierungsansatzes. Im Kontext der Schutzgüter ist v.a. die Frage relevant, inwieweit die CSDDD auch das Klima schützt. Die wichtigste Neuerung der Richtlinie liegt in der Ausweitung des unternehmerischen Verantwortungsbereichs auf Töchter und Geschäftspartner. Mit dieser Neuerung wendet sich die Richtlinie von etablierten Rechtsprinzipien wie dem gesellschaftsrechtlichen Trennungsprinzip und dem deliktsrechtlichen Vertrauensgrundsatz ab, um Menschenrechts- und Umweltarbitrage zu reduzieren. Der Verantwortungsbereich weist aber zwei (mögliche) Schutzlücken auf, nämlich eine nur eingeschränkte Verantwortung für Geschäftspartner der Tochterunternehmen und für Franchisenehmer.
* Prof. Dr. Dr. h.c. Yeşim M. Atamer, LL.M., ist Inhaberin des Lehrstuhls für Privat‑, Wirtschafts- und Europarecht sowie Rechtsvergleichung an der Universität Zürich und Direktorin des Zentrum für Regulierung und Vertragsrecht (CRCL) an der UZH (https://orcid.org/0000-0002-9996-0698); Patrick Wittum, Mag. iur., ist wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Privat-, Wirtschafts- und Europarecht sowie Rechtsvergleichung an der Universität Zürich.
Aktuelle Entwicklungen im Europarecht
Beziehungen Schweiz – EU
Zivilluftfahrt: Schweiz übernimmt neue EU-Bestimmungen
Der Gemischte Ausschuss des bilateralen Luftverkehrsabkommens Schweiz-EU hat am 24. Oktober 2024 beschlossen, dass die Schweiz mehrere EU-Rechtsakte in den Anhang des Luftverkehrsabkommens übernimmt. Sie dienen dazu, in der europäischen Zivilluftfahrt ein hohes und einheitliches Sicherheitsniveau aufrechtzuerhalten. Der Bundesrat hatte die Übernahme der neuen Bestimmungen an seiner Sitzung vom 27. September 2024 genehmigt. Die neuen Bestimmungen treten am 1. November 2024 in Kraft.
Handel
Ausgleichszölle für E-Autos aus China
Eine Antisubventionsuntersuchung der Europäischen Kommission zur Einfuhr von batteriebetriebenen Elektrofahrzeugen aus China hat ergeben, dass die BEV-Wertschöpfungskette in China von einer unfairen Subventionierung profitiert. Das bringe die Gefahr mit sich, dass EU-Hersteller wirtschaftlich geschädigt werden. Deshalb hat die Kommission endgültige Ausgleichszölle eingeführt. Sie gelten vom 30. Oktober 2024 an für einen Zeitraum von fünf Jahren. Die EU und China arbeiten weiterhin an alternativen und WTO-kompatiblen Lösungen zu den festgestellten Problemen.
Kommunikation und Medien
Neue Vorschriften zur Verbesserung der Cybersicherheit kritischer Einrichtungen und Netze in der EU
Die Europäische Kommission hat die ersten Durchführungsbestimmungen zur Cybersicherheit kritischer Einrichtungen und Netze im Rahmen der Richtlinie über Massnahmen für ein gemeinsames Cybersicherheitsniveau in der Union (NIS2-Richtlinie) angenommen. Die Durchführungsverordnung gilt für bestimmte Kategorien von Unternehmen, die digitale Dienste erbringen, darunter Cloud-Computing-Dienstleister, Anbieter von Rechenzentrumsdiensten, Online-Marktplätzen, Online-Suchmaschinen und Plattformen für Dienste sozialer Netzwerke. Für jede Kategorie von Diensteanbietern wird darin auch festgelegt, wann ein Sicherheitsvorfall als erheblich gilt.
Onlinedienst X ist kein zentraler Plattformdienst nach dem DMA
Die Europäische Kommission hat am 16. Oktober 2024 entschieden, dass der Onlinedienst X nicht als zentraler Plattformdienst nach dem Gesetz über digitale Märkte (Digital Markets Act, DMA) eingestuft werden sollte. Damit gilt X nicht als Gatekeeper in Bezug auf seinen Online-Dienst für soziale Netzwerke, da die Untersuchung ergeben habe, dass X kein wichtiges Gateway für Geschäftsnutzer ist, um Endnutzer zu erreichen.
EuGH: Schrems / Facebook
In seinem Urteil vom 4. Oktober 2024 in der Rechtssache C-446/21 hat der EuGH entschieden, dass ein soziales Online-Netzwerk wie Facebook nicht sämtliche personenbezogenen Daten, die es für Zwecke der zielgerichteten Werbung erhalten hat, zeitlich unbegrenzt und ohne Unterscheidung nach ihrer Art verwenden darf.
Konkret geht es dabei um Informationen, die gänzlich ausserhalb von digitalen Anwendungen geäussert worden waren, nämlich im Rahmen einer Panel-Diskussion. Insoweit hatte Max Schrems (Datenschutz-Aktivist), während einer öffentlichen und per Facebook-Livestream übertragenen Podiumsdiskussion seine Homosexualität erwähnt. Die anschliessend Schrems auf Facebook angezeigte Werbung war auf homosexuelle Personen zugeschnitten. Er hatte in seinem Facebook-Profil aber nie seine sexuelle Orientierung angegeben, entsprechende sensible Daten veröffentlicht oder die Nutzung dazugehöriger Profil-Felder erlaubt. Der EuGH stellt in seinem Urteil fest, dass die Speicher- und Verarbeitungspraktiken von Facebook für personenbezogene Werbung nicht mit dem Grundsatz der Datenminimierung der DS-GVO vereinbar sind. Nach diesem Grundsatz dürfen personenbezogene Daten nur in dem Umfang verarbeitet werden, wie sie für die jeweilige Anwendung nötig ist.
Migration und Asyl
EuGH: Sichere Drittstaaten
Der EuGH hat mit Urteil vom 4. Oktober 2024 in der Rechtssache C-406/22 die Bedingungen für die Bestimmung eines Drittstaats als sicherer Herkunftsstaat nach der Richtlinie zu gemeinsamen Verfahren im Bereich des internationalen Schutzes präzisiert. Danach muss sich die Bestimmung eines Drittstaats als sicherer Herkunftsstaat auf sein gesamtes Hoheitsgebiet beziehen. Weiter führt der EuGH aus, dass das Abweichen eines Drittstaats von den sich aus der EMRK ergebenden Verpflichtungen nicht ausschliesse, dass dieser Staat als sicherer Herkunftsstaat bestimmt werden kann.
Personenfreizügigkeit
Digitalisierung von Reisepässen und Personalausweisen
Die Europäische Kommission hat die Verwendung digitaler Reisedokumente und eine neue EU-App (sog. „Digitale EU-Reise-App“) für digitales Reisen vorgeschlagen. Dies soll für Personen, die in den Schengen-Raum einreisen und von dort ausreisen, gelten. Die Vorschläge liegen nun dem Rat und dem des Europäischen Parlament vor. Nach ihrer Annahme werden die Digitale EU-Reise-App und die erforderlichen technischen Standards entwickelt.
EuGH: FIFA-Transferregeln verstossen gegen Unionsrecht
Der EuGH wurde im Verfahren C-650/22 mit der Frage befasst, ob die Regeln für Transfers von Fussballern, die sich nach den sogenannten „Reglements bezüglich Status und Transfers der Spieler“ (RSTS) des Weltfussballverbandes FIFA richten, mit dem Unionsrecht vereinbar sind. In seinem Urteil vom 4. Oktober 2024 hat der EuGH nicht nur einen Verstoss gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit, sondern auch gegen europäisches Wettbewerbsrecht festgestellt. Ausgangspunkt war der Fall des ehemaligen französischen Nationalspielers Lassana Diarra, der einen auf vier Jahren angelegten Vertrag beim russischen Klub Lokomotive Moskau nach nur einem Jahr gekündigt hatte. Der russische Klub verlangte eine Entschädigung und verhinderte damit, dass der Spieler einen internationalen Freigabeschein bekam. Dieser wäre aber die Voraussetzung für die Anmeldung bei einem anderen Fussballverband, sodass Diarra keine neue Verpflichtung eingehen konnte und deshalb Klage gegen die FIFA und den belgischen Fussballverband auf entgangenen Gewinn erhoben hatte.
Unionsbürgerrechte
EuGH: Zugriff auf Mobilfunkdaten
Der EuGH hat in seinem Urteil vom 4. Oktober 2024 entschieden, dass der Zugang der Polizei zu den auf einem Mobiltelefon gespeicherten personenbezogenen Daten nicht zwingend auf die Bekämpfung schwerer Kriminalität beschränkt ist. Er bedürfe jedoch der vorherigen Genehmigung durch ein Gericht oder eine unabhängige Behörde und müsse verhältnismässig sein.
EuGH: Anerkennung von neuem Vornamen und Geschlecht
Mit Urteil vom 4. Oktober 2024 in der Rechtssache C-4/23 hat der EuGH festgestellt, dass die Weigerung eines Mitgliedstaats, eine rechtmässig erworbene Änderung des Vornamens und des Geschlechts anzuerkennen, gegen die Rechte der Unionsbürger verstösst. Geklagt hatte eine Person aus Rumänien, die ebendort als Frau geboren und registriert worden war. Die Person erwarb später auch die britische Staatsangehörigkeit. In Grossbritannien änderte die Person ihren Vornamen und die Anrede von weiblich zu männlich und wurde im Jahr 2020 als männliche Geschlechtsidentität rechtlich anerkannt. Die rumänischen Behörden lehnten die Anträge des Klägers auf Anerkennung der Änderungen ab und forderten ihn auf, ein neues Verfahren zur Änderung der Geschlechtsidentität vor den rumänischen Gerichten anzustrengen. Der EuGH befindet dies für rechtswidrig.
Verkehr
EuGH: Mobilitätspakt rechtmässig
Sieben Mitgliedstaaten der EU (Litauen, Bulgarien, Rumänien, Zypern, Ungarn, Malta und Polen) haben mit Unterstützung von drei weiteren Mitgliedstaaten (Belgien, Estland und Lettland) beim EuGH unter Vorbringung verschiedener Argumente Nichtigkeitsklagen gegen das sog. Mobilitätspaket erhoben, das im Jahr 2020 vom Unionsgesetzgeber erlassen wurde (vgl. insb. Verordnung (EU) 2020/1054, Verordnung (EU) 2020/1055, Richtlinie (EU) 2020/1057). Der EuGH hat in seinem Urteil vom 4. Oktober 2024 die Klagen grösstenteils abgewiesen und die Rechtmässigkeit der Rechtsakte bestätigt.
Warenverkehr
EuGH: Vegetarische Produkte dürfen wie Fleischprodukte heissen
Mit Urteil vom 4. Oktober 2024 in der Rechtssache C-438/23 hat der EuGH geurteilt, dass ein Mitgliedstaat nicht verbieten darf, dass Begriffe, die traditionell mit Erzeugnissen tierischen Ursprungs in Verbindung gebracht werden, zur Bezeichnung von vegetarischen Erzeugnissen verwendet werden. Die französische Regierung hatte ein Dekret erlassen, das es verbietet, Bezeichnungen wie „Steak“ oder „Wurst“, ohne oder auch mit ergänzenden Klarstellungen wie „pflanzlich“ oder „aus Soja“, zur Bezeichnung von Verarbeitungserzeugnissen zu verwenden. Dies sei unionswidrig, entschied der EuGH. Allerdings könne eine nationale Behörde, wenn sie der Auffassung sei, dass Verbraucher irregeführt werden, rechtlich gegen den betreffenden Lebensmittelunternehmer vorgehen.