EuZ - Zeitschrift für Europarecht

Ausgabe 7 / 2022

Die „Konditionalitätsregelung“ zum Schutz des Haushalts der EU vor Verstössen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit

Waldemar Hummer*

Die massiven Verletzungen der Rechtsstaatlichkeit in den „illiberalen“ Demokratien Ungarns und Polens wurden zwar durch Vertragsverletzungsverfahren gem. Art. 258 AEUV sowie die Einleitung des Sanktionsverfahrens gem. Art. 7 EUV zu sanktionieren versucht, was aber nicht zu dem gewünschten Ergebnis führte. Die Europäische Kommission musste trotzdem diesen beiden „Visegrád-Staaten“, die noch dazu die grössten Netto-Empfänger von EU-Haushaltsmittel waren, die vorgesehenen Finanzhilfen auszahlen, da für deren Zurückbehaltung bzw. Einziehung in den Verträgen keine Rechtsgrundlage existierte. Erst die im Jahr 2020 verabschiedete, und auf die Haushaltsvorschrift des Art. 322 Abs. 1 lit. a) AEUV gestützte, „Verordnung über eine allgemeine Konditionalitätsregelung zum Schutz des Haushalts der Union“ (sog. „Konditionalitäts-VO“) enthielt eine Rechtsgrundlage zur Sanktionierung allgemeiner Rechtsstaatsmängel in den Mitgliedstaaten, die sich unmittelbar auf den Haushalt der EU auswirken. Ende April 2022 wurde der „Konditionalitätsmechanismus“ erstmals gegen Ungarn eingeleitet.

* em. o. Univ.-Prof. Dr. iur., Dr. rer. pol., Dr. phil. Waldemar Hummer, Institut für Europarecht und Völkerrecht, Universität Innsbruck.

Inhalt

  1. Einleitung
  2. Die Bedeutung des Rechtsstaatsprinzips im Wertekanon des Art. 2 EUV
  3. Reaktion des EuGH auf (potentielle) Verletzungen des Rechtsstaatlichkeitsprinzips
    1. Einschlägige Judikatur
    2. „Rückschrittsverbot“ und „Kontextmethode“
  4. Vorläufer des „Konditionalitätsmechanismus“
    1. „Ein neuer EU-Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips“ (2014)
    2. Der „Schutz des Haushalts der Union im Falle von generellen
      Mängeln in Bezug auf das Rechtsstaatsprinzip in den
      Mitgliedstaaten“ (2018)
    3. Komplexe Ausarbeitung der „Konditionalitäts-Verordnung“
    4. Der „Konditionalitätsmechanismus“ als Verbindung von
      Rechtsstaatsverstössen und Haushalt
  5. Die „Konditionalitäts-Verordnung“
    1. Die Leitlinien für die Anwendung der „Konditionalitäts-VO“
    2. Das Verfahren zur Einleitung des Konditionalitätsmechanismus
  6. Abweisung der Nichtigkeitsklagen Ungarns und Polens gegen die
    „Konditionalitäts-VO“
  7. Erstmalige Einleitung des „Konditionalitätsmechanismus“ gegen Ungarn
  8. „Rechtssetzende“ Judikatur des Gerichtshofs der EU?

A. Einleitung

Die Europäische Union (EU) beruht auf dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit.[1]Vgl. EuGH, Urteil vom 23. April 1987 in der Rechtssache C-294/83, ECLI:EU:C:1986:166 – Les Verts/Parlament, Rn. 23. Die Achtung der Rechtsstaatlichkeit ist, wie in Art. 2 EUV und in den Präambeln des EUV und der Grundrechte-Charta festgelegt, einer der tragenden Werte, auf den sich die EU gründet und der allen Mitgliedstaaten gemeinsam ist. Trotzdem musste die Europäische Kommission, die gem. Art. 17 Abs. 1 EUV die Rechtmässigkeitsaufsicht in der EU wahrzunehmen hat, in letzter Zeit immer öfter den Umstand bemängeln, dass vor allem „illiberale“ Demokratien, wie diejenigen in Ungarn und Polen, massive Rechtsverletzungen begingen, ohne dass dagegen aber ein effektives Sanktionsmittel zur Verfügung stand.[2]Vgl. Hummer, Waldemar, Rechtsstaatlichkeitsprobleme in Ungarn und Polen (Teil 1), EU-Infothek, vom 12. Mai 2017, 1 ff.; (Teil 2), EU-Infothek, vom 16. Mai 2017, 1 ff.

So wurden zum einen Verurteilungen wegen Vertragsverletzungen gem. Art. 258 AEUV von Ungarn und Polen nicht befolgt, „Dialog-orientierte“ Massnahmen im Gefolge der jeweiligen Berichte der Kommission über die Rechtsstaatlichkeit[3]Vgl. dazu nachstehend Fn. 57. bzw. über den Einsatz des „EU-Justizbarometers“[4]Vgl. dazu nachstehend Fn. 58. blieben erfolglos, und das als „ultima ratio“ vorgesehene Sanktionsverfahren des Art. 7 EUV wurde zwar gegen Polen (2017) erstmals eingeleitet[5]Vgl. dazu nachstehend Fn. 30. – 2018 folgte ein weiteres Verfahren gegen Ungarn[6]Vgl. dazu nachstehend Fn. 31 – scheiterte in weiterer Folge aber am Einstimmigkeitserfordernis im Europäischen Rat gem. Art. 7 Abs. 2 EUV, da beide Staaten drohten, in den jeweils gegen sie eröffneten Verfahren wechselseitig ihr Veto einzulegen. Trotz dieser Widrigkeiten mussten seitens der Europäischen Kommission aber alle diesen beiden Mitgliedstaaten zugesagten Finanzhilfen ausgezahlt werden, da für deren Zurückbehaltung in den Verträgen keine Rechtsgrundlage existierte.

Die Kommission musste daher, „nolens volens“, diesen beiden Visegrád-Staaten, die noch dazu die grössten Netto-Empfänger von EU-Haushaltsmitteln waren, die für sie vorgesehenen Gelder auszahlen und konnte sie nicht, „compensandi causa“, zurückhalten bzw. einziehen. Da an eine diesbezügliche primärrechtliche Novellierung des EUV gem. Art. 48 EUV aber nicht zu denken war, blieb im Grunde nur die Möglichkeit, auf sekundärrechtlichem Wege einen entsprechenden Konnex zwischen dem Schutz der Rechtsstaatlichkeit und der Absicherung des Haushalts der EU herzustellen und in der Folge auf eine diesbezüglich „verständnisvolle“ Judikatur des Gerichtshofes zu hoffen. Letztendlich gelang dieser „Kunstgriff“ im Umweg über die Einführung des „Konditionalitätsmechanismus“ und dessen unionsrechtlicher Absicherung durch ein einschlägiges Judikat des Gerichtshofs.

Die dabei aufgetretenen Probleme erwiesen sich als vielschichtig und die dafür in der Literatur angebotenen Lösungen[7]Vgl. z.B. Closa, Carlos/Kochenov, Dimitry (eds.), Reinforcing Rule of Law Oversight in the European Union, 2016, <https://doi.org/10.1017/CBO9781316258774>. waren alles andere als einheitlich. Daher versuchte die Kommission im Jahr 2014 dieser Problematik mit einem eigenen Vorschlag für einen „Neuen EU-Rahmen zur Stärkung des Rechtstaatsprinzips[8]Vgl. dazu nachstehend unter D. I. zu begegnen, den sie im Vorfeld von Art. 7 EUV ansiedelte. In der Folge legte sie 2018 einen weiteren Vorschlag für eine „Verordnung über den Schutz des Haushalts der Union im Falle von generellen Mängeln in Bezug auf das Rechtsstaatsprinzip in den Mitgliedstaaten[9]Vgl. dazu nachstehend unter D. II. vor, der – nach einer überaus komplexen Umarbeitung – letztlich 2020 in die Verabschiedung der „Verordnung über eine allgemeine Konditionalitätsregelung zum Schutz des Haushalts der Union[10]Vgl. dazu nachstehend unter E. mündete.

Bevor nachstehend auf diesen, sowohl politisch, als auch juristisch, überaus anspruchsvollen Prozess eingegangen werden kann, muss zunächst aber ein kurzer Blick auf die Rechtsstaatlichkeit als Grundwert der EU i.S.v. Art. 2 EUV und deren Bedeutung im Lichte der (rezenten) Judikatur des Gerichtshofes geworfen werden.

B. Die Bedeutung des Rechtsstaatsprinzips im Wertekanon des Art. 2 EUV

Verfolgt man die Einführung des Rechtsstaatsprinzips in das Recht der EU und dessen primärrechtliche Verankerung als tragenden Grundwert, macht man die verblüffende Erkenntnis, dass dieser Umstand nicht schon seit Beginn der europäischen Integration, Anfang bzw. Mitte der 1950-er Jahre, der Fall war, sondern erst vierzig Jahre später (sic) verwirklicht wurde.

Der Grund dafür war die Ansicht der Gründungsväter der Europäischen Gemeinschaften, dass diese nur „funktionelle Zweckverbände“ zur wirtschaftlichen Integration i.S.v. Art. XXIV GATT darstellten, die wegen ihres bloss „technischen“ (Harmonisierungs‑)Charakters keine rechtsstaatlichen Garantien enthalten mussten, da ihre Verbandsgewalt nicht in Grundrechtspositionen Einzelner eingreifen könne.[11]Ipsen, Hans Peter, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, 196 ff. Im Übrigen sei die fehlende Gewaltenteilung im Verbandsrecht der Europäischen Gemeinschaften durch ein originelles System von „checks and balances“ iSe „institutionellen Gleichgewichts“ substituiert.[12]Vgl. Hummer, Waldemar, Ursprünge, Stand und Perspektiven der Europäischen Verfassungsdiskussion, in: Griller, Stefan/Hummer, Waldemar (Hrsg.), Die EU nach Nizza. Ergebnisse und Per­spek­ti­ven, … Continue reading Das „institutionelle Gleichgewicht“, verbunden mit dem Prinzip der begrenzten Ermächtigung und einer strikten Legalitätskontrolle durch den EuGH, seien als rechtsstaatliche Surrogate ausreichende Garantien für die rechtsstaatliche Natur der Gemeinschaften.[13]Vgl. Hummer, Waldemar, Das „institutionelle Gleichgewicht“ als Strukturdeterminante der Europäischen Gemeinschaften, in: Miehsler, Herbert/Mock, Erhard/Simma, Bruno/Tammelo, Ilmar (Hrsg), … Continue reading

Die erste ausdrückliche primärrechtliche Verankerung des Rechtsstaatsprinzips erfolgte in Art. F Abs. 1 des Vertrages von Amsterdam (1997)[14]ABl. 1997, C 340, 1 ff., und erst durch den Vertrag von Lissabon (2007)[15]ABl. 2007, C 306, 1 ff., der am 1. Dezember 2009 in Kraft trat,[16]Für die zwischenzeitlichen Verzögerungen siehe Hummer, Waldemar, Zum weiteren Schicksal des Vertrags von Lissabon, in: Hummer, Waldemar/Obwexer, Walter (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, 2009, … Continue reading wurde die Rechtsstaatlichkeit als Grundwert in Art. 2 EUV festgeschrieben.

Lange Zeit wurde die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten der EU mit einer gewissen Selbstverständlichkeit vorausgesetzt und wurde, wenn überhaupt, höchstens beim Beitritt neuer Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit der Diskussion der sog. „Kopenhagen-Kriterien“ (1993), überprüft. Auch die am 4. Februar 2000 gegen die österreichische Bundesregierung (Schüssel I) verhängten „Sanktionen der Vierzehn[17]Hummer, Waldemar, Die „Maßnahmen“ der Mitgliedstaaten der Europäischen Union gegen die österreichische Bundesregierung – Die „EU-Sanktionen“ aus juristischer Sicht, in: Hummer, … Continue reading sowie deren Aufhebung durch den „Bericht der drei Weisen“ vom 8. September 2000[18]Erstellt von Martti Ahtisaari, Jochen Frowein und Marcelino Oreja, die dazu vom Präsidenten des EGMR, Luzius Wildhaber, beauftragt worden waren; die Aufhebung der Sanktionen gegen die … Continue reading hatten keine grundlegenden Auswirkungen auf die Ausgestaltung des Rechtsstaatlichkeitsprinzips.

In der Folge erwies sich aber das gegenständliche Organisationssystem der EU, auf der Basis einer Reihe von grundlegenden Werten in Art. 2 EUV, und abgesichert durch ein sich immer mehr als inoperativ erweisendes Sanktionssystem des Art. 7 EUV, als nicht mehr geeignet, um entsprechend auf massive Verletzungen des Rechtsstaatsprinzips zu reagieren. Einmal mehr erwies sich in diesem Zusammenhang daher die einschlägige Judikatur des Gerichtshofes als wichtiger Rechtsbehelf.

C. Reaktion des EuGH auf (potentielle) Verletzungen des Rechtsstaatlichkeitsprinzips

I. Einschlägige Judikatur

Der EuGH hatte sich in den letzten Jahren verstärkt mit potentiellen Verletzungen des Rechtsstaatlichkeitsprinzips auseinanderzusetzen, wobei vor allem der Aspekt der richterlichen Unabhängigkeit im Zentrum seiner Judikatur stand. So stellte der Gerichtshof z.B. im Zusammenhang mit der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls fest, dass bei Bestehen einer echten Gefahr einer Verletzung des Grundrechts auf ein unabhängiges Gericht, die vollstreckende Justizbehörde ausnahmsweise von der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls absehen kann.[19]EuGH, Urteil vom 25. Juli 2018 in der Rechtssache C-216/18, ECLI:EU:C:2018:586 – PPU-Minister for Justice and Equality.

In der Rechtssache Associação Sindical dos Juízes Portugueses[20]EuGH, Urteil vom 27. Februar 2018 in der Rechtssache C-64/16, ECLI:EU:C:2018:117 – Associação Sindical dos Juízes Portugueses, Rz 42. wiederum leitete der Gerichtshof aus der Bestimmung des Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV die Pflicht der Mitgliedstaaten ab, die richterliche Unabhängigkeit nicht nur auf der Ebene der Union, sondern auch auf der der Mitgliedstaaten für die nationalen Gerichte zu gewährleisten. Des Weiteren verknüpfte er Art. 19 EUV explizit mit den grundlegenden Werten des Art. 2 EUV, indem er feststellte, dass mit Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV der Wert der in Art. 2 EUV proklamierten Rechtsstaatlichkeit konkretisiert wird.

In seinem Urteil in der Rs. Repubblika[21]EuGH, Urteil vom 20. April 2021 in der Rechtssache C-896/19, ECLI:EU:C:2021:311 – Repubblika/Il-Prim Ministru, Rz 64. wiederum spricht der EuGH erstmals von einer Verpflichtung der Mitgliedstaaten, einen „Rückschritt“ (regression) in ihrer Gesetzgebung zu vermeiden, der darin bestehen kann, dass neu erlassene Regeln die richterliche Unabhängigkeit untergraben. Nationale Vorschriften über die Organisation der Justiz, die eine Verminderung des Schutzes der Rechtsstaatlichkeit – insbesondere hinsichtlich der richterlichen Unabhängigkeit – zur Folge haben, verletzen das Rückschrittsverbot (principle of non-regression) und sind dementsprechend nicht mit Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EUV vereinbar.

In einem weiteren Judikat in der Rs. Rumänische Richter I[22]EuGH, Urteil vom 18. Mai 2021 in der Rechtssache C-83/19, ECLI:EU:C:2021:393 – Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România”, Rz 206 f. erweitert der EuGH das Rückschrittsverbot auch auf Staatsanwälte und nimmt in einem dritten Urteil[23]EuGH, Urteil vom 8. November 2001 in der Rechtssache C-791/19, ECLI:EU:C:2001:596 – Kommission/Polen (Disziplinarkammer). auch auf die beim polnischen Obersten Gerichtshof angesiedelte Disziplinarkammer Bezug. Damit stellt das „Rückschrittsverbot“ eine „Neuschöpfung“ des EuGH dar, die speziell auf den Schutz der Rechtsstaatlichkeit bzw. der Werte des Art. 2 EUV gerichtet ist. Ein Mitgliedstaat darf seine Rechtsvorschriften nicht so abändern, dass der Schutz des Wertes der Rechtstaatlichkeit vermindert wird.[24]Mader, Oliver, Wege aus der Rechtsstaatsmisere: der neue EU-Verfassungsgrundsatz des Rückschrittsverbots und seine Bedeutung für die Wertedurchsetzung (Teil 1), EuZW 2021, 922.

II. „Rückschrittsverbot“ und „Kontextmethode“

In Vorlagefragen gem. Art. 267 AEUV wird das Rückschrittsverbot durch die „Kontextmethode“ ergänzt, aufgrund derer die nationalen Gerichte vom EuGH in die Beurteilung der Lage vor Ort de iure und de facto eingebunden werden. Das vorlegende Gericht hat alle massgeblichen Umstände, die den „rechtlichen und tatsächlichen Kontext“ einer rechtsstaatsrelevanten Situation – z.B. einer Richterernennung – kennzeichnen, selbst zu bewerten und dabei zu prüfen, ob die Umstände geeignet sind, bei den Rechtsunterworfenen systemische Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der am Ende dieses Verfahrens ernannten Richter hervorzurufen. Der Grundgedanke der „Kontextmethode“ ist dabei der, dass ein nationales Gericht dank der besonderen Kenntnisse der rechtlichen und tatsächlichen Umstände am besten beurteilen kann, wie sich eine legislative Reform der Justizorganisation auf die Unabhängigkeit der Gerichte und die Arbeitsbedingungen der Richter vor Ort auswirkt.[25]Mader, Oliver, Wege aus der Rechtsstaatsmisere (Fn. 24) (Teil 2), EuZW 2021, 977; Mader, Oliver, Polexit? Hungarexit? Quo vadis EU? Reflexions on the latest solutions provided by EU … Continue reading

D. Vorläufer des „Konditionalitätsmechanismus“

I. „Ein neuer EU-Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips“ (2014)

Wie die Ereignisse in einigen EU-Mitgliedstaaten gezeigt haben, gab die mangelnde Achtung der Rechtstaatlichkeit Anlass zu ernster Sorge, sodass sich die Kommission, nach längerem Zögern, im März 2014 veranlasst sah, die Mitteilung „Ein neuer EU-Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips[26]COM (2014) 158 final vom 11. März 2014; vgl. Hummer, Waldemar, Die gemeinsame Wertebasis in der EU – Vertikales und horizontales “Kongruenz- und Homogenitätsgebot”, in: Pichler Johannes … Continue reading zu verabschieden. Mit diesem neuen Rahmen sollen Gefahren für das Rechtsstaatsprinzip abgewendet werden, und zwar, bevor noch die Voraussetzungen für die Aktivierung des Sanktionsmechanismus in Art. 7 EUV gegeben sind. Der neue EU-Rahmen ist keine Alternative zu Art. 7 EUV, sondern ergänzt ihn und dient eher dazu, eine Lücke im Vorfeld desselben zu schliessen. Auch bleibt die Befugnis der Kommission, auf das Vertragsverletzungsverfahren gem. Art. 258 AEUV zurückzugreifen, davon unberührt.

Dementsprechend soll dem Sanktionsverfahren gem. Art. 7 EUV ein „Konsultationsmechanismus“ vorgeschaltet werden, der bereits kurz danach in den (Vor-)Verfahren nach Art. 7 Abs. 1 EUV betreffend Ungarn und Polen angewendet wurde. Es handelt sich dabei um ein dreistufiges „Verfahren vor Anwendung von Art. 7 EUV“ („pre-article 7 procedure“), das dem zu strikten und damit inoperativen Sanktionsverfahren des Art. 7 EUV – Kommissionspräsident José Manuel Barroso sprach in diesem Zusammenhang sehr anschaulich von der „nuclear bomb of article 7“[27]Speech/13/684. – vorgeschaltet wird. Sollten dessen drei Stufen aber nicht zu einer Behebung des „systemischen“ rechtsstaatlichen Mangels geführt haben, dann kann die Kommission die Einleitung des Sanktionsverfahrens gem. Art. 7 EUV anregen.

Mit diesem neuen EU-Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips wagte die Kommission erstmals einen Vorstoss im Hinblick auf die Sanktionierung von Verletzungen der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten. Durch die Mitteilung wurde die interne Handhabe von Rechtsstaatlichkeitsverletzungen bei der Kommission de lege lata verändert, indem dem Sanktionsverfahren gem. Art. 7 EUV ein Konsultationsmechanismus vorgeschaltet wurde.[28]COM (2014) 158 final vom 11. März 2014, 7f.

Auch die Entschliessung des Europäischen Parlaments vom 25. Oktober 2016 zur Schaffung eines EU-Mechanismus für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die Grundrechte[29]2015/2254(INL), P8­_TA(2016)0409., die einen umfassenden Forderungskatalog zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit in der EU enthielt, trug zur Durchdringung des Rechtsstaatlichkeitsprinzips auf der unionsrechtlichen Ebene bei.

Nachdem die beiden, am 13. Januar 2017 gegen Polen[30]COM (2017) 835 final vom 20. Dezember 2017; vgl. Hummer, Waldemar, Nutzlose „rote Karte“ der Kommission gegen Polen? Erstmalige Einleitung des Sanktionsverfahrens gem. Art. 7 EUV wegen … Continue reading, und am 12. September 2018 gegen Ungarn[31]P8-TA(2018)0340., eingeleiteten Art. 7 EUV-Sanktionsverfahren – in Form eines „kollusiven Einverständnisses“ beider Staaten – durch wechselseitige Blockaden, zum Stillstand gekommen waren, versuchte die Kommission diese Lücke wenigstens teilweise dadurch zu schliessen, dass sie die Zuteilung von Fördermitteln von der Beachtung der in Art. 2 EUV niedergelegten Werte, vor allem aber desjenigen der Rechtsstaatlichkeit, abhängig zu machen versuchte.

II. Der „Schutz des Haushalts der Union im Falle von generellen Mängeln in Bezug auf das Rechtsstaatsprinzip in den Mitgliedstaaten“ (2018)

In diesem Sinne konzipierte die Kommission einen Vorschlag für eine Verordnung „über den Schutz des Haushalts der Union im Falle von generellen Mängeln in Bezug auf das Rechtsstaatsprinzip in den Mitgliedstaaten[32]COM (2018) 324 final vom 2. Mai 2018, doc. 8356/18., den sie am 2. Mai 2018, gemeinsam mit ihrem Vorschlag „für einen mehrjährigen Finanzrahmen für die Jahre 2021 bis 2027[33]COM (2018) 322 final vom 2. Mai 2018. vorstellte, und der als Rechtsgrundlage auf Art. 322 Abs. 1 lit. a) AEUV gestützt war.

Die dahinterstehende Motivation war die, allgemeine Rechtsstaatsmängel in den einzelnen Mitgliedstaaten, die sich aufgrund ihrer ökonomischen Bedeutung unmittelbar auf den Haushalt der Union auswirken, mit dem Entzug von vorgesehenen Haushaltsmitteln zu sanktionieren. Dieses neue Instrument war offensichtlich auf jene osteuropäischen Staaten zugeschnitten, die zum einen die meisten Fördermittel aus dem Unionhaushalt beziehen, zugleich aber auch die grössten Defizite in Bezug auf die Verwirklichung des Rechtsstaatsprinzips aufweisen. Mit diesem Versuch, durch einen eigenen rechtlichen Mechanismus die Sicherstellung des Rechtstaatlichkeitsprinzips durch die Androhung finanzieller Sanktionen „von aussen“ zu gewährleisten, beschritt die Union regulatorisch allerdings völliges Neuland.[34]Leitner, Philipp, Der Schutz des Haushalts der Europäischen Union im Falle von generellen Mängeln in Bezug auf das Rechtsstaatsprinzip in den Mitgliedstaaten, Exposé zum Dissertationsvorhaben, Uni … Continue reading

III. Komplexe Ausarbeitung der „Konditionalitäts-Verordnung“

Zunächst wurde der Verordnungs-Vorschlag seitens der Kommission als Instrument zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit vorgestellt. In der Folge war die Kommission angesichts der begrenzten Befugnisse der EU im Bereich der Rechtsstaatlichkeitsaufsicht aber gezwungen, eine eher technische Rechtsgrundlage zu verwenden und rekurrierte daher auf Art. 322 Abs. 1 lit. a) AEUV im Bereich des Haushaltsrechts. Dahinter steckte zweifelsfrei politisches Kalkül,[35]Leitner, Philipp, Der Schutz des Haushalts der Europäischen Union (Fn. 34), 9. eröffnet doch Art. 322 AEUV den Weg des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens gem. Art. 294 ff. AEUV und ermöglicht so die Schaffung eines Rechtsstaatlichkeitsmechanismus ohne die Zustimmung Polens oder Ungarns.

Aus rechtlicher Sicht erscheint die Auswahl der Rechtsgrundlage von Art. 322 AEUV als eher unkonventionell, galt dieser bisher doch lediglich als Grundlage für die Ausgestaltung der Haushaltsordnung der Union. Auf diese Norm auch Massnahmen zur Überwachung der Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit, eines Grundwertes der EU i.S.v. Art. 2 EUV, zu stützen, bildet daher einen völlig neuen Ansatz. Dementsprechend unterschiedlich waren auch die Standpunkte dazu in der darauffolgenden Diskussion im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses im Europäischen Parlament und im Rat.[36]Vgl. dazu Hott, Luis, Der neue Konditionalitätsmechanismus – ein scharfes Schwert?, SaarBlueprints 10/2021 DE, 5 ff.

Am 13. November 2019 eröffnete das Europäische Parlament interinstitutionelle Verhandlungen mit dem Rat und der Kommission, im Rahmen derer es ein Jahr später, nämlich am 5. November 2020, den Verhandlungsführern des deutschen Ratsvorsitzes und des Europäischen Parlaments gelang, mit einer 2/3-Mehrheit eine vorläufige Einigung über eine neue allgemeine „Konditionalitätsregelung“ zum Schutz des Haushalts der Union zu erzielen. In der Folge legten aber Polen und Ungarn, sowie auch Slowenien[37]Slowenien lenkte später ein., am 16. November 2020, ihr Veto gegen den mit der Konditionalitäts-VO thematisch verbundenen Mehrjährigen Finanzrahmen (2021-2027)[38]Ratsdok. Nr. 9970/20, vom 17. November 2020. und den Eigenmittelbeschluss für den Corona-Aufbaufonds „NextGenerationEU“[39]Ratsdok. Nr. 9971/20, vom 17. November 2020. ein, deren Verabschiedung – anders als die Verordnung selbst –[40]Gem. Art. 311 Abs. 3, Satz 1 und Art. 312 Abs. 2 UAbs. 1, Satz 2 AEUV. der Einstimmigkeit bedurfte. Sie forderten eine substantielle Änderung des verabschiedeten Konditionalitätsmechanismus, ohne die sie dem mehrjährigen Finanzrahmen und dem Aufbauplan NextGenerationEU nicht zustimmen könnten.

Unter Vermittlung der deutschen Ratspräsidentschaft konnte am 9. Dezember 2020, „hinter verschlossenen Türen“, letztlich doch eine Einigung erzielt werden, und zwar deswegen, da die Kommission Polen und Ungarn versichert hatte, den Konditionalitätsmechanismus nicht auslösen zu wollen, solange eine Klage gegen dessen Rechtmässigkeit vor dem EuGH anhängig ist.[41]Vgl. dazu nachstehend unter F. Nach diesem Zugeständnis konnte der Erlass einer einschlägigen Verordnung vorgenommen werden und erfolgte auch schon wenige Tage später, nämlich am 16. Dezember 2020.[42]Vgl. dazu nachstehend unter E.

IV. Der „Konditionalitätsmechanismus“ als Verbindung von Rechtsstaatsverstössen und Haushalt

Ziel des „Konditionalitätsmechanismus“ ist der Schutz des Haushalts der EU im Falle von Verstössen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit in einem Mitgliedstaat. Damit sollen finanzielle Sanktionen gegen einen EU-Mitgliedstaat ermöglicht werden, der rechtsstaatliche Grundsätze missachtet. Der Mechanismus bezeichnet die im Falle von Verstössen gegen die Rechtsstaatlichkeit in einem der Mitgliedstaaten von der Kommission zu ergreifenden Massnahmen, um eine ordnungsgemässe Verwendung der Haushaltsmittel in dem betreffenden Mitgliedstaat zu gewährleisten. Die Auszahlung von Geldern aus dem Unionshaushalt wird dabei von der Einhaltung des Rechtsstaatsprinzips bei der Durchführung des Unionshaushaltes abhängig gemacht. Diese Bedingung (lat. „conditio“) stand daher auch Pate bei der Namensgebung des „Konditionalitätsmechanismus“, der die Vergabe von EU-Finanzmitteln erstmals in konditionaler Weise an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien knüpft.

Beim „Konditionalitätsmechanismus“ handelt es sich in mehrfacher Hinsicht um ein neues Phänomen: erstens wird der Mechanismus nur innerhalb des EU-Rechts gegenüber Mitgliedstaaten angewendet; zweitens können durch ihn Verstösse gegen einen in Art. 2 EUV angeführten grundlegenden „Wert“ geahndet werden – aber nur im Zusammenhang mit der Durchführung des Unionshaushalts – und drittens würde sich eine finanzielle Sanktion bereits aus dem Sekundärrecht ergeben und nicht wie bisher – unter Einbeziehung des Gerichtshofs – zuerst der Verstoss festgestellt (Art. 258 AEUV), dann durch Zwangsmassnahmen zum Abstellen gebracht oder im Anschluss daran sanktioniert (Art. 260 AEUV) werden müssen.

Dementsprechend ist der gegenständliche „Konditionalitätsmechanismus“ als sekundärrechtlicher Mechanismus konzipiert, durch den die Kommission dazu verpflichtet wird, dem Rat geeignete Sanktionsmassnahmen für den Fall vorzuschlagen, dass ein Mitgliedstaat bei der Durchführung des Unionshaushalts gegen den Wert der Rechtsstaatlichkeit verstösst, der im Unionsrecht bisher nicht justiziabel war. Da damit die Massnahmen nicht auf – in der Höhe begrenzte – Zwangsstrafen im Vertragsverletzungsverfahren (Art. 258 AEUV) bzw. auf nachfolgende Pauschal- und Zwangsstrafen nach Art. 260 AEUV beschränkt sind, sondern theoretisch einen Grossteil der Zahlungen aus EU-Geldern betreffen können, weist der „Konditionalitätsmechanismus“, im Gegensatz zu diesen finanziellen Sanktionen, ein weit grösseres finanzielles Sanktionspotential auf.[43]Staudinger, Isabel, Der Konditionalitätsmechanismus als Instrument zum Schutz des Rechtsstaatsprinzips: COM (2018) 324 final, in: Kopetzki/Lanser/Leitner/Potocnik-Manzouri/Safron/Tillian/Wieser … Continue reading

Die besonders umstrittenen Elemente des Entwurfs der Konditionalitäts-VO waren dessen Rechtsgrundlage sowie sein Verhältnis zu Art. 7 EUV. Was die Rechtsgrundlage (Art. 322 Abs. 1 lit. a) AEUV) betrifft, so wird zum einen argumentiert, dass die Verordnung eine materielle Bestimmung über die Ausführung des EU-Haushalts sein müsse, deren Einhaltung die Kommission im Rahmen ihrer Zuständigkeiten gem. Art. 17 Abs. 1 EUV zu überwachen hätte – was aber nicht der Fall sei. Des Weiteren entfalte die VO materielle Wirkung, sodass sie keine Haushaltsvorschrift iSv Art. 322 Abs. 1 lit. a) AEUV sein könne.[44]Vgl. Brauneck, Jens, Gefährdung des EU-Haushalts durch rechtsstaatliche Mängel in den Mitgliedstaaten?, EuR 2019, 37 ff. (44 ff.). Zum anderen wird die Zulässigkeit der Rechtsgrundlage aber bejaht,[45]Vgl. von Bogdandy, Armin/Lacny, Justyna, Suspension of EU Funds paid to Member States breaching the rule of law – a dose of tough love needed?, MPIL Research Paper Series, No. 2020-24, … Continue reading selbst von dem ansonsten in diesem Problembereich durchaus skeptischen Rechtsdienst des Rates.[46]Opinion of the Legal Service, 25. Oktober 2018, Dok. 13593/18, 16; vgl. Hott, Luis, Der neue Konditionalitätsmechanismus (Fn. 36), 8.

Was hingegen das Verhältnis zu Art. 7 EUV betrifft, so wird dieses besonders kontrovers diskutiert. Zum einen wird eine gegenseitige Abhängigkeit in dem Sinne angeführt, dass die VO durchaus Teil des Art. 7 Abs. 3 EUV sein könnte, indem sie bestimmte Rechte, also die Finanzierung, aussetzt. Damit könnten aber Haushaltszahlungen sowohl unter Art. 7 Abs. 3 EUV, als auch unter der Konditionalitäts-VO, gekürzt werden. Zum anderen wird aber darauf hingewiesen, dass die neue VO gerade wegen der Schwierigkeiten der Aktivierung von Art. 7 EUV eingeführt wurde, und diese umgehen sollte. Darin eine Zusammenführung der beiden Verfahren zu sehen, erscheint nicht sinnvoll.[47]von Bogdandy, Armin/Lacny, Justyna, Suspension of EU Funds paid to Member States breaching the rule of law (Fn. 45), 11; Hott, Luis, Der neue Konditionalitätsmechanismus (Fn. 36), 10. Die beiden Verfahren sind vielmehr voneinander unabhängige Instrumente der EU, um die Werte der Union zu sichern.

E. Die „Konditionalitäts-Verordnung“

Am 16. Dezember 2020 erliessen das EP und der Rat im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren die Verordnung (EU, Euratom) 2020/2092 über eine allgemeine Konditionalitätsregelung zum Schutz des Haushalts der Union[48]ABl. 2020, LI 433, 1 ff.; Berichtigung, ABl. 2021, L 373, 94. (sog. „Konditionalitäts-VO“), in der die Regeln festgelegt sind, die zum Schutz des Haushalts der EU im Falle von Verstössen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit erforderlich sind.[49]Vgl. Symann, Malte, Schutz der Rechtsstaatlichkeit durch europäisches Haushaltsrecht, 2021; Baraggia, Antonia/Bonelli, Matteo, Linking Money to Values: The New Rule of Law Conditionality Regulation … Continue reading Die Konditionalitäts-VO ist insbesondere auf Art. 322 Abs. 1 lit. a) AEUV sowie Art. 106a Euratom gestützt, hat also, wie bereits festgestellt, ihre Rechtsgrundlage im Haushaltsrecht der Union.

Sie trat am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der EU in Kraft und gilt seit dem 1. Januar 2021. Gem. Art. 9 der Konditionalitäts-VO hat die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat bis zum 12. Januar 2024 einen Bericht über die Anwendung dieser Verordnung und insbesondere über die Wirksamkeit der angenommenen Massnahmen zu erstatten.

Mit der Konditionalitäts-VO wird nicht nur der langfristige Haushaltsplan der EU (2021-2027) sondern auch der Aufbauplan NextGenerationEU gegen Verstösse der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit zusätzlich abgesichert. Bei der Ausführung des Haushaltsplans der Union durch die Mitgliedstaaten ist die Achtung der Rechtsstaatlichkeit eine Grundvoraussetzung für die Einhaltung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung, der in Art. 317 AEUV verankert ist. Eine wirtschaftliche Haushaltsführung kann von den Mitgliedstaaten aber nur dann gewährleistet werden, wenn die Behörden im Einklang mit dem Gesetz handeln, wenn also Betrugsfälle, einschliesslich Steuerbetrug, Steuerhinterziehung, Korruption, Interessenkonflikte und andere Gesetzesverstösse, wirksam von Ermittlungs- und Strafverfolgungsinstanzen verfolgt, und willkürliche oder unrechtmässige Entscheidungen von Behörden, einschliesslich Strafverfolgungsbehörden, einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle durch unabhängige Gerichte und durch den Gerichtshof der EU unterworfen werden können.

I. Die Leitlinien für die Anwendung der „Konditionalitäts-VO“

In der Folge verabschiedete die Europäische Kommission am 2. März 2022 eigene Leitlinien für die Anwendung der Verordnung über eine allgemeine Konditionalitätsregelung[50]C(2022) 1382 final vom 2. März 2022., in der die einzelnen Schritte des förmlichen Verfahrens im Rahmen der Konditionalitäts-VO zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit erläutert werden, und zwar von der Übermittlung einer schriftlichen Mitteilung durch die Kommission, über den Vorschlag von Massnahmen derselben an den Rat bis hin zu deren Erlass. Die Leitlinien sind nicht rechtsverbindlich, begründen keine Rechte oder Pflichten und ändern nichts an den im EUV und dem AEUV, der Haushaltsordnung[51]Verordnung (EU, Euratom) 2018/1046 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juli 2018 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union, ABl. L 193 vom 30. Juli … Continue reading, der OLAF-Verordnung[52]Verordnung (EU, Euratom) Nr. 883/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. September 2013 über die Untersuchungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF); ABl. … Continue reading, der EUStA-Verordnung[53]Verordnung (EU) 2017/1939 des Rates vom 12. Oktober 2017 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit zur Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA), ABl. L 248 vom … Continue reading oder in anderen einschlägigen Rechtsakten der Union festgelegten Rechte oder Pflichten, in der Auslegung durch den Gerichtshof der EU.[54]Art. 19 Abs. 1 EUV.

Das Verfahren der Anwendung der Konditionalitäts-VO wird in den Leitlinien ausführlich erläutert, vor allem wird aber auch geregelt, wie die Rechte der Endempfänger und Begünstigten von EU-Mitteln geschützt werden. Die Leitlinien tragen auch den Urteilen des Gerichtshofs vom 16. Februar 2022 in den Rechtssachen C-156/21 und C-157/21 Rechnung, in denen vom Gerichtshof über die Rechtmässigkeit der Konditionalitäts-VO (positiv) entschieden wurde.[55]Vgl. dazu nachstehend unter F.

Im Speziellen werden in den Leitlinien folgende fünf Aspekte der Konditionalitäts-VO näher erläutert:[56]IP/22/1468.

(1) Die Voraussetzungen für den Erlass von Massnahmen, einschliesslich der Frage, wie die einschlägigen Verstösse gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit aussehen können und wie beurteilt wird, ob diese Verstösse die finanziellen Interessen der EU – und zwar sowohl einnahmen‑, als auch ausgabenseitig – hinreichend unmittelbar beeinträchtigen oder zu beeinträchtigen drohen: Diesbezüglich muss mindestens in einem Mitgliedstaat gegen einen der in der Konditionalitäts-VO genannten Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit – dazu gehören die Grundsätze der Rechtmässigkeit, der Rechtssicherheit, des Verbots der willkürlichen Ausübung von Hoheitsgewalt, des wirksamen Rechtsschutzes, der Gewaltenteilung, der Nichtdiskriminierung und der Gleichheit vor dem Gesetz – verstossen worden sein. Der Verstoss betrifft Behörden, sofern diese für die wirtschaftliche Führung des Haushalts der EU oder für den Schutz der finanziellen Interessen der Union von Bedeutung sind.

(2) Die Komplementarität zwischen der Konditionalitäts-VO und anderen Instrumenten zum Schutz des Haushalts der EU, wie z.B. den Vorschriften für Fonds mit geteilter Mittelverwaltung (z.B. Kohäsionspolitik, Gemeinsame Agrarpolitik) und solchen für die Aufbau- und Resilienzfazilität, die das Kernstück des Aufbauinstruments darstellt: Bevor die Kommission aber Massnahmen vorschlägt, prüft sie, ob nicht andere Verfahren es ihr ermöglichen würden, den Unionshaushalt wirksamer zu schützen.

(3) Das Erfordernis, dass die vorgeschlagenen Massnahmen verhältnismässig, geeignet und notwendig sind, um die betreffenden Probleme lösen zu können: Um zu beurteilen, ob die Massnahmen verhältnismässig sind, hat die Kommission Art, Dauer, Schwere und Umfang der gegenständlichen Verstösse gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit zu berücksichtigen.

(4) Die Schritte, die unternommen werden müssen, bevor Massnahmen vorgeschlagen werden, sowie die Verfahren für die Annahme und die Aufhebung von Massnahmen: Zur Bewertung der Verstösse gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit nimmt die Kommission eine gründliche qualitative und fallbasierte Bewertung vor, wobei sie die besonderen Umstände in den einzelnen Mitgliedstaaten gebührend berücksichtigt. Dabei wird die Kommission verschiedene Informationsquellen heranziehen, wozu der Jahresbericht der Kommission über die Rechtsstaatlichkeit[57]Vgl. Europäische Kommission, Rechtsstaatlichkeitsbericht 2021, COM (2021) 700 final vom 20. Juli 2021. und das EU-Justizbarometer[58]Vgl. Europäische Kommission, EU-Justizbarometer 2021, COM (2021) 389 final vom 8. Juli 2021., Entscheidungen des Gerichtshofs der EU, Berichte des Europäischen Rechnungshofs, des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) und der Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA) sowie Schlussfolgerungen einschlägiger internationaler Organisationen, gehören.[59]QANDA/22/1471.

(5) Der Schutz der Rechte von Endempfängern oder Begünstigten von EU-Mitteln: Diese sollen nicht von Massnahmen betroffen werden, die im Rahmen der Konditionalitäts-VO ergriffen werden. Um dies sicherzustellen, sollten die von der Konditionalitäts-VO betroffenen Mitgliedstaaten weiterhin Zahlungen an diese Empfänger oder Begünstigten leisten. Sollten sich die betroffenen Mitgliedstaaten aber weigern, ihren Verpflichtungen nachzukommen, können sich die betroffenen Begünstigten oder Endempfänger zunächst an die zuständigen nationalen Behörden, und in der Folge, an die Kommission wenden.

II. Das Verfahren zur Einleitung des Konditionalitätsmechanismus

Was die konkreten Voraussetzungen für die Einleitung des Konditionalitätsmechanismus betrifft, so sind gem. Art. 4 Abs. 1 der Konditionalitäts-VO geeignete Massnahmen dann zu ergreifen, wenn gem. Art. 6 festgestellt wird, dass Verstösse gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit in einem der Mitgliedstaaten die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder den Schutz ihrer finanziellen Interessen hinreichend unmittelbar beeinträchtigen oder ernsthaft zu beeinträchtigen drohen. In diesem Fall übermittelt die Kommission gem. Art. 6 Abs. 1 dem betreffenden Mitgliedstaat eine schriftliche Mitteilung und legt darin die Tatsachen und spezifischen Gründe dar, auf denen ihre Feststellungen beruhen. Anschliessend unterrichtet die Kommission das Europäische Parlament und den Rat unverzüglich über diese Mitteilung und deren Inhalt. Das Europäische Parlament kann die Kommission auf der Grundlage der erhaltenen Informationen zu einem strukturierten Dialog über deren Feststellungen auffordern.

Gelangt die Kommission zu der Feststellung, dass die Voraussetzungen des Art. 4 erfüllt sind, so legt sie dem Rat einen Entwurf für einen Durchführungsbeschluss mit geeigneten Massnahmen vor, und zwar binnen eines Monats nach Eingang der Stellungnahme des Mitgliedstaates. Die Kommission legt in ihrem Vorschlag die spezifischen Gründe und Beweismittel dar, auf denen ihre Feststellung beruht (Art. 6 Abs. 9). Gem. Abs. 10 nimmt der Rat den Durchführungsbeschluss binnen eines Monats nach Eingang des Kommissionsvorschlags an. Im Falle von aussergewöhnlichen Umständen kann dieser Zeitraum um höchstens zwei Monate verlängert werden. Zur Gewährleistung eines rechtzeitigen Beschlusses kann die Kommission von ihrem Recht auf Einberufung des Rates (Art. 237 AEUV) Gebrauch machen. Der Rat kann den Vorschlag der Kommission mit qualifizierter Mehrheit[60]Das heisst, mit einer Mehrheit von mindestens 55% der Mitglieder des Rates (das sind 15 der 27 EU-Mitgliedstaaten), die zusammen mindestens 65% der EU-Bevölkerung repräsentieren (Art. 238 … Continue reading ändern und den geänderten Text durch einen Durchführungsbeschluss erlassen (Art. 6 Abs. 11).

Gem. Art. 7 Abs. 1 kann der betreffende Mitgliedstaat jederzeit neue Abhilfemassnahmen annehmen und der Kommission eine schriftliche Mitteilung, einschliesslich Beweismittel, vorlegen, um darzulegen, dass die Voraussetzungen für die Annahme von Massnahmen gem. Art. 4 nicht länger erfüllt sind.

F. Abweisung der Nichtigkeitsklagen Ungarns und Polens gegen die „Konditionalitäts-VO“

Es erscheint naheliegend, dass dieses neue Sanktionsinstrument der EU auf die beiden vorerwähnten osteuropäischen Staaten Polen und Ungarn gleichsam „massstabgetreu“ zugeschnitten wurde, erhalten diese doch nicht nur die meisten Fördermittel aus dem EU-Budget,[61]Aus dem regulären EU-Haushalt erhielt Polen zuletzt netto rund 12,4 Mrd. Euro/Jahr, Ungarn rund 4,7 Mrd. Euro. Zudem rechnet Polen mit rund 23,9 Mrd. Euro an Corona-Hilfen, Ungarn mit rund 7,2 Mrd. … Continue reading sondern weisen auch noch gleichzeitig die grössten Defizite in Bezug auf die ordnungsgemässe Umsetzung des Rechtsstaatlichkeitsprinzips auf, wie die (erstmalige) Einleitung des Art. 7 EUV-Sanktionsverfahrens gegen diese beiden Mitgliedstaaten belegt.[62]Vgl. Hummer, Waldemar, Nutzlose „rote Karte“ der Kommission gegen Polen? (Fn. 30).

Dementsprechend erhoben beide Staaten am 11. März 2021 auch umgehend Klage auf Nichtigerklärung der „Konditionalitäts-VO“[63]EuGH, Urteile vom 16. Februar 2022 in den Rechtssachen C-156/21 und C-157/21, ECLI:EU:C:2022:97 und 98 – Ungarn und Polen/Parlament und Rat., und machten dabei u.a. geltend, dass es weder im EUV noch im AEUV eine geeignete Rechtsgrundlage für deren Erlass gäbe, sodass damit die Zuständigkeiten der Union überschritten würden. Ebenso werde dadurch das in Art. 7 EUV vorgesehene Sanktionsverfahren rechtswidrig umgangen und auch gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstossen.

Da damit Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen werden, wurden die beiden Rechtssachen an das Plenum des Gerichtshofs verwiesen, und auf Antrag des Parlaments behandelte der Gerichtshof beide Rechtssachen im beschleunigten Verfahren. In Übereinstimmung mit den Schlussanträgen des Generalanwalts Sánchez-Bordona vom 2. Dezember 2021[64]EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts M. Campos Sánchez-Bordona vom 2. Dezember 2021 in den Rechtssachen C-156/21 und C-157/21, ECLI:EU:C:2021:974 und 978 – Ungarn und Polen/Parlament und … Continue reading wies der Gerichtshof am 16. Februar 2022[65]EuGH, Urteile vom 16. Februar 2022 in den Rechtssachen C-156/21 und C-157/21, ECLI:EU:C:2022:97 und 98 – Ungarn und Polen/Parlament und Rat. die Nichtigkeitsklagen Ungarns und Polens in vollem Umfang ab und begründete dies wie folgt:

(1) Was die Rechtsgrundlage der Verordnung betrifft, so darf das Konditionalitätsverfahren nicht bei jedem Verstoss gegen das Rechtsstaatsprinzip, sondern nur dann eingeleitet werden, wenn dieser die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder den Schutz ihrer finanziellen Interessen hinreichend unmittelbar beeinträchtigen oder ernsthaft zu beeinträchtigen droht. Damit besteht das Ziel der Konditionalitäts-VO darin, den Unionshaushalt vor Beeinträchtigungen zu schützen, die sich hinreichend unmittelbar aus Verstössen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit ergeben, und nicht etwa darin, derartige Verstösse als solche zu ahnden. Damit kann aber ein (horizontaler) „Konditionalitätsmechanismus“ unter die der Union durch die Verträge verliehene Zuständigkeit fallen, „Haushaltsvorschriften“ über die Ausführung des Haushaltsplans der Union zu erlassen. Dementsprechend ist die Konditionalitäts-VO auf Art. 322 Abs. 1 lit. a) AEUV gestützt und damit in das Haushaltsrecht eingebettet.

(2) Was die Umgehung des Sanktionsverfahrens gem. Art. 7 EUV betrifft, so trifft dies deshalb nicht zu, da beide Verfahren unterschiedliche Ziele verfolgen und einen eigenen, klar abgegrenzten Gegenstand zum Inhalt haben. Zweck des in Art. 7 EUV vorgesehenen Verfahrens ist es nämlich, schwerwiegende und anhaltende Verletzungen eines der in Art. 2 EUV verankerten grundlegenden Werte zu sanktionieren. Dagegen zielt die Konditionalitäts-VO darauf ab, den Haushalt der Union zu schützen, und zwar allein im Fall eines in einem Mitgliedstaat begangenen Verstosses gegen den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit, der die ordnungsgemässe Ausführung des Haushaltsplans der Union beeinträchtigt oder ernsthaft zu beeinträchtigen droht.

(3) Was wiederum den Verstoss gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit betrifft – insofern, als die Verordnung weder den Begriff der „Rechtsstaatlichkeit“, noch die dazugehörenden Grundsätze[66]Gemäss Erwägungsgrund (3) der Konditionalitäts-VO umfasst dieser Begriff insbesondere die Grundsätze der Rechtmässigkeit, die einen transparenten, rechenschaftspflichtigen, demokratischen und … Continue reading definiert – stellt der Gerichtshof fest, dass dies sehr wohl der Fall ist, da diese Grundsätze in seiner Judikatur umfänglich konkretisiert wurden und auf einem Verständnis von Rechtsstaatlichkeit beruhen, das die Mitgliedstaaten in ihren Verfassungstraditionen teilen. Die Mitgliedstaaten sind daher in der Lage, den Wesensgehalt eines jeden dieser Grundsätze sowie die aus ihnen folgenden Erfordernisse hinreichend genau zu bestimmen.

G. Erstmalige Einleitung des „Konditionalitätsmechanismus“ gegen Ungarn

Am 27. April 2022 verkündete der Vizepräsident der Europäischen Kommission, Margaritis Schinas, dass die Kommission gegen Ungarn erstmals ein Verfahren im Rahmen des Konditionalitätsmechanismus eröffnet hat. Die wichtigsten Gründe dafür sind zahlreiche Verdachtsmomente für das Vorliegen von Korruption und Unregelmässigkeiten bei öffentlichen Ausschreibungen sowie eine wesentliche Gefährdung der Unabhängigkeit der Justiz. Nach Angaben von OLAF „versickern“ in Ungarn ca. vier Prozent der europäischen Fördergelder in dunklen Kanälen – ein absoluter Spitzenwert im EU-Vergleich.[67]Steinvorth, Daniel, Wegen Korruption und Vetternwirtschaft: Die EU geht offiziell gegen Ungarn vor, nzz.ch, vom 27. April 2022.

Dementsprechend sendete EU-Budgetkommissar Johannes Hahn einen Brief an die ungarische Regierung mit dem Auftrag um Aufklärung der systematischen Unregelmässigkeiten im Bereich von öffentlichen Ausschreibungen und beim Verkauf landwirtschaftlicher Nutzflächen an Orbán-nahe Unternehmen – womit hohe EU-Subventionen verbunden sind – sowie der Gründe für die so gut wie inexistente Zusammenarbeit zwischen dem EU-Betrugsbekämpfungsamt OLAF und der ungarischen Staatsanwaltschaft.

OLAF hatte in den vergangenen Jahren in zahlreichen Fällen wegen Betrugs und Korruption im Zusammenhang mit EU-Geldern ermittelt, und die Akten in der Folge an die ungarische Staatsanwaltschaft weitergeleitet, die allerdings untätig blieb. Insgesamt handelte es sich um Zahlungen aus dem vergangenen EU-Haushalt in Höhe von 1,4 Mrd. Euro, die vorschriftwidrig verwendet worden sein sollten.

Die Kommission reagierte damit reichlich spät, hatten doch Ungarn-Experten und das Europäische Parlament an Präsidentin von der Leyen appelliert, die Konditionalitätsregelung noch vor der ungarischen Parlamentswahl am 3. April 2022 zu aktivieren, um damit den erwartbaren Wahlsieg der rechtsnationalen Fidesz-Partei u.U. zu verhindern.[68]Die Fidesz-Partei gewann mit rund 53% der Stimmen die Parlamentswahl und sicherte sich damit zum vierten Mal in Folge eine verfassungsändernde Zweidrittel-Mehrheit im ungarischen Parlament. Von der Leyen war jedoch der Ansicht, dass eine solche Vorgangsweise eher der Anti-EU-Opferpropaganda Orbáns in die Hände spielen würde. Aus diesem Grunde nahm die Kommission auch nicht unmittelbar die vom Europäischen Parlament bereits am 29. Oktober 2021 gegen sie eingebrachte Untätigkeitsklage gem. Art. 265 AEUV[69]EuGH, Rechtssache C-657/21, Parlament/Kommission; vgl. EU-Parlament verklagt EU-Kommission wegen Untätigkeit, beck-aktuell, 2. November 2021. zur Kenntnis.

Die ungarische Regierung hat nunmehr auf die von der Kommission geäusserten Vorbehalte entsprechend Stellung zu nehmen. Gelangt die Kommission, nach Prüfung der Stellungnahme Ungarns, zu dem Schluss, dass die Voraussetzungen für die Annahme von Massnahmen gem. Art. 4 Konditionalitäts-VO gegeben sind, so legt sie dem Rat gem. Art. 6 Abs. 9 einen Entwurf für einen Durchführungsbeschluss mit geeigneten Massnahmen vor, und zwar binnen eines Monats nach Eingang der Stellungnahme Ungarns.

Wie vorstehend bereits ausgeführt, nimmt der Rat den Durchführungsbeschluss binnen eines Monats nach Eingang des Kommissionsvorschlages an. Sollten aussergewöhnliche Umstände auftreten, kann der Zeitraum für die Annahme des Durchführungsbeschlusses um höchstens zwei Monate verlängert werden. Der Rat kann den Vorschlag der Kommission mit qualifizierter Mehrheit ändern und den geänderten Text durch einen Durchführungsbeschluss erlassen.

Anders als im Fall des Sanktionsmechanismus nach Art. 7 EUV kann Ungarn damit die Konditionalitätsregelung nicht per Veto verhindern. In der gegenwärtigen Situation des Krieges Russlands gegen die Ukraine könnte die ungarische Regierung aber z.B. versuchen, die Drohung mit finanziellen Sanktionen dadurch abzuwehren, dass sie seinerseits mit einem Veto gegen bestimmte antirussische EU-Sanktionen droht, was Viktor Orbán nicht nur ohne Weiteres zuzutrauen, sondern im Bereich des Erdöl-Embargos bereits tatsächlich passiert ist.[70]<https://www.dw.com/de/eu-eröffnet-verfahren-gegen-ungarn/a-61602419>.

H. „Rechtssetzende“ Judikatur des Gerichtshofs der EU?

Mit dem Versuch der Sicherstellung des Rechtsstaatsprinzips durch die Androhung finanzieller Sanktionen im Rahmen des „Konditionalitätsmechanismus“, beschritt die Union regulatorisch völliges Neuland im Sinn der Zusammenführung zweier bislang vollkommen getrennter Rechtsgebiete, nämlich der Werte der EU gem. Art. 2 EUV und der Verwaltung der Haushaltsmittel gem. Art. 322 AEUV[71]Leitner, Philipp, Der Schutz des Haushalts (Fn. 34), 4 f. – und zwar, ohne dafür primärrechtlich ausdrücklich berechtigt zu sein.

Obwohl der Gerichtshof in seinem vorerwähnten Judikat von Mitte Februar 2022[72]Vgl. dazu vorstehend unter F. diese Vorgangsweise als rechtlich zulässig bezeichnet hatte, erhob sich in der Literatur sehr bald Widerstand dagegen und man begann, diese Judikatur als unzulässige „Rechtssetzung“ zu qualifizieren, eine Vorgangsweise, die einem „Gericht“ an sich nicht zustehe, da diesem ja nur judikative, nicht aber legislative Funktionen, zukommen.[73]Vgl. Hummer, Waldemar, Der Gerichtshof der EU: Garant der Rechtsstaatlichkeit oder unzulässiger „Rechtssetzer“?, EU-Infothek, vom 7. März 2018.

Tatsächlich wird dem EuGH im Unionsrecht expressis verbis lediglich im Bereich der ausservertraglichen Haftung gem. Art. 340 Abs. 2 AEUV eine (gewisse) rechtssetzende Funktion zuerkannt, nicht aber in den sonstigen Bereichen seiner Judikatur.[74]Vgl. Pache, Eckhard, Art. 340 AEUV Rz 6, in: Vedder, Christoph/Heintschel von Heinegg, Wolff (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 2. A, 2018, 1272. In der Praxis begnügt sich der EuGH aber nicht mit der üblichen Auslegung und ergänzenden Rechtsfindung, sondern greift vermehrt auch zur Rechtsfortbildung. Er orientiert sich dabei nicht an der „Wortlautschranke“ der jeweiligen Begriffe, sondern versteht auch klare Rechtsfortbildung (noch) als Interpretation. Er bedient sich dabei vorrangig der systematisch-teleologischen Methode, und legt besondere Bedeutung auf das Kriterium der „praktischen Wirksamkeit“ (effet utile) einzelner Bestimmungen, auf das Prinzip der Sicherung der Funktionsfähigkeit der Union sowie auf das Erfordernis der einheitlichen Geltung des Unionsrechts. Mit dieser unionsfreundlichen, rechtsfortbildenden Interpretation, ist der EuGH mit seinem „judicial activism“[75]Ausgehend vom EuGH, Urteil vom 22. November 2005 in der Rechtssache Rs. C-144/04, ECLI:EU:C:2005:709 – Mangold/Helm, Rz 75; vgl. Veit, Paul, Stoppt den Europäischen Gerichtshof? Richterlicher … Continue reading zu einem „Motor der Integration“ geworden, der den Integrationsprozess stets in Gang hielt.[76]Vgl. Schweitzer, Michael/Hummer, Waldemar/Obwexer, Walter, Europarecht, 2007, 201 f.

Der vorerwähnten Kritik der Überschreitung der „judikativen Funktion“ des EuGH iSd Gewaltenteilungsprinzips ist grundsätzlich entgegenzuhalten, dass das staatsrechtliche Prinzip der „Gewaltenteilung“ im Verbandsrecht der EU nicht existiert – so ist z.B. der Hauptrechtssetzer in der EU der Rat, ein exekutiv rekrutiertes Organ (sic) – sondern durch das einer „Funktionenordnung“ ersetzt wurde.[77]Vgl. Hummer, Waldemar, Von der „Verstaatlichung“ der EU durch den Verfassungs-Vertrag (2004) zu ihrer „Entstaatlichung“ durch den Vertrag von Lissabon, 2007 – Das Scheitern des … Continue reading Die Verbandsgewalt der EU unterliegt daher nicht einem staatsrechtlich konfigurierten System einer Gewaltenteilung zur Sicherung des Schutzes individueller Freiheiten, sondern soll so effizient als möglich eingesetzt werden, um die Verbandsziele zu erreichen. Dementsprechend kann der EuGH in seiner Judikatur – zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Union – durchaus über die Grenzen hinausgehen, die einem nationalen Gericht durch das Gewaltenteilungsprinzip an sich vorgegeben sind.

Fussnoten

Fussnoten
1 Vgl. EuGH, Urteil vom 23. April 1987 in der Rechtssache C-294/83, ECLI:EU:C:1986:166 – Les Verts/Parlament, Rn. 23.
2 Vgl. Hummer, Waldemar, Rechtsstaatlichkeitsprobleme in Ungarn und Polen (Teil 1), EU-Infothek, vom 12. Mai 2017, 1 ff.; (Teil 2), EU-Infothek, vom 16. Mai 2017, 1 ff.
3 Vgl. dazu nachstehend Fn. 57.
4 Vgl. dazu nachstehend Fn. 58.
5 Vgl. dazu nachstehend Fn. 30.
6 Vgl. dazu nachstehend Fn. 31
7 Vgl. z.B. Closa, Carlos/Kochenov, Dimitry (eds.), Reinforcing Rule of Law Oversight in the European Union, 2016, <https://doi.org/10.1017/CBO9781316258774>.
8 Vgl. dazu nachstehend unter D. I.
9 Vgl. dazu nachstehend unter D. II.
10 Vgl. dazu nachstehend unter E.
11 Ipsen, Hans Peter, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, 196 ff.
12 Vgl. Hummer, Waldemar, Ursprünge, Stand und Perspektiven der Europäischen Verfassungsdiskussion, in: Griller, Stefan/Hummer, Waldemar (Hrsg.), Die EU nach Nizza. Ergebnisse und Per­spek­ti­ven, 2002, 325 ff.
13 Vgl. Hummer, Waldemar, Das „institutionelle Gleichgewicht“ als Strukturdeterminante der Europäischen Gemeinschaften, in: Miehsler, Herbert/Mock, Erhard/Simma, Bruno/Tammelo, Ilmar (Hrsg), Festschrift zum 90. Geburtstag von Alfred Verdross, 1980, 459.
14 ABl. 1997, C 340, 1 ff.
15 ABl. 2007, C 306, 1 ff.
16 Für die zwischenzeitlichen Verzögerungen siehe Hummer, Waldemar, Zum weiteren Schicksal des Vertrags von Lissabon, in: Hummer, Waldemar/Obwexer, Walter (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, 2009, 471 ff.
17 Hummer, Waldemar, Die „Maßnahmen“ der Mitgliedstaaten der Europäischen Union gegen die österreichische Bundesregierung – Die „EU-Sanktionen“ aus juristischer Sicht, in: Hummer, Waldemar/Pelinka, Anton, Österreich unter „EU-Quarantäne“, 2002, 50 ff.
18 Erstellt von Martti Ahtisaari, Jochen Frowein und Marcelino Oreja, die dazu vom Präsidenten des EGMR, Luzius Wildhaber, beauftragt worden waren; die Aufhebung der Sanktionen gegen die österreichische Bundesregierung, auf der Basis des „Berichts der drei Weisen“, erfolgte am 12. September 2000.
19 EuGH, Urteil vom 25. Juli 2018 in der Rechtssache C-216/18, ECLI:EU:C:2018:586 – PPU-Minister for Justice and Equality.
20 EuGH, Urteil vom 27. Februar 2018 in der Rechtssache C-64/16, ECLI:EU:C:2018:117 – Associação Sindical dos Juízes Portugueses, Rz 42.
21 EuGH, Urteil vom 20. April 2021 in der Rechtssache C-896/19, ECLI:EU:C:2021:311 – Repubblika/Il-Prim Ministru, Rz 64.
22 EuGH, Urteil vom 18. Mai 2021 in der Rechtssache C-83/19, ECLI:EU:C:2021:393 – Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România”, Rz 206 f.
23 EuGH, Urteil vom 8. November 2001 in der Rechtssache C-791/19, ECLI:EU:C:2001:596 – Kommission/Polen (Disziplinarkammer).
24 Mader, Oliver, Wege aus der Rechtsstaatsmisere: der neue EU-Verfassungsgrundsatz des Rückschrittsverbots und seine Bedeutung für die Wertedurchsetzung (Teil 1), EuZW 2021, 922.
25 Mader, Oliver, Wege aus der Rechtsstaatsmisere (Fn. 24) (Teil 2), EuZW 2021, 977; Mader, Oliver, Polexit? Hungarexit? Quo vadis EU? Reflexions on the latest solutions provided by EU constitutional law in the face of a persistent rule of law misery, ALJ 2022, 47 ff.
26 COM (2014) 158 final vom 11. März 2014; vgl. Hummer, Waldemar, Die gemeinsame Wertebasis in der EU – Vertikales und horizontales “Kongruenz- und Homogenitätsgebot”, in: Pichler Johannes (Hrsg.), Rechtswertestiftung und Rechtswertebewahrung in Europa, 2015, 65 ff.
27 Speech/13/684.
28 COM (2014) 158 final vom 11. März 2014, 7f.
29 2015/2254(INL), P8­_TA(2016)0409.
30 COM (2017) 835 final vom 20. Dezember 2017; vgl. Hummer, Waldemar, Nutzlose „rote Karte“ der Kommission gegen Polen? Erstmalige Einleitung des Sanktionsverfahrens gem. Art. 7 EUV wegen „systemischer“ Gefährdung des Rechtsstaatsprinzips durch Polen, EU-Infothek vom 8. Jänner 2018, 1 ff.
31 P8-TA(2018)0340.
32 COM (2018) 324 final vom 2. Mai 2018, doc. 8356/18.
33 COM (2018) 322 final vom 2. Mai 2018.
34 Leitner, Philipp, Der Schutz des Haushalts der Europäischen Union im Falle von generellen Mängeln in Bezug auf das Rechtsstaatsprinzip in den Mitgliedstaaten, Exposé zum Dissertationsvorhaben, Uni Wien, Juli 2019, 4 f.; <https://ssc-rechtswissenschaften.univie.ac.at>.
35 Leitner, Philipp, Der Schutz des Haushalts der Europäischen Union (Fn. 34), 9.
36 Vgl. dazu Hott, Luis, Der neue Konditionalitätsmechanismus – ein scharfes Schwert?, SaarBlueprints 10/2021 DE, 5 ff.
37 Slowenien lenkte später ein.
38 Ratsdok. Nr. 9970/20, vom 17. November 2020.
39 Ratsdok. Nr. 9971/20, vom 17. November 2020.
40 Gem. Art. 311 Abs. 3, Satz 1 und Art. 312 Abs. 2 UAbs. 1, Satz 2 AEUV.
41 Vgl. dazu nachstehend unter F.
42 Vgl. dazu nachstehend unter E.
43 Staudinger, Isabel, Der Konditionalitätsmechanismus als Instrument zum Schutz des Rechtsstaatsprinzips: COM (2018) 324 final, in: Kopetzki/Lanser/Leitner/Potocnik-Manzouri/Safron/Tillian/Wieser (Hrsg.), Autoritäres vs Liberales Europa, 2019, 197, 207; vgl. Heinemann, Friedrich, Rule-of-Law Conditionality in EU Spending: Reflections from a Public Finance Perspective, in: Müller-Graff, Peter-Christian (Hrsg.), Kernelemente der europäischen Integration, 2020, 447 ff.
44 Vgl. Brauneck, Jens, Gefährdung des EU-Haushalts durch rechtsstaatliche Mängel in den Mitgliedstaaten?, EuR 2019, 37 ff. (44 ff.).
45 Vgl. von Bogdandy, Armin/Lacny, Justyna, Suspension of EU Funds paid to Member States breaching the rule of law – a dose of tough love needed?, MPIL Research Paper Series, No. 2020-24, 6 ff.
46 Opinion of the Legal Service, 25. Oktober 2018, Dok. 13593/18, 16; vgl. Hott, Luis, Der neue Konditionalitätsmechanismus (Fn. 36), 8.
47 von Bogdandy, Armin/Lacny, Justyna, Suspension of EU Funds paid to Member States breaching the rule of law (Fn. 45), 11; Hott, Luis, Der neue Konditionalitätsmechanismus (Fn. 36), 10.
48 ABl. 2020, LI 433, 1 ff.; Berichtigung, ABl. 2021, L 373, 94.
49 Vgl. Symann, Malte, Schutz der Rechtsstaatlichkeit durch europäisches Haushaltsrecht, 2021; Baraggia, Antonia/Bonelli, Matteo, Linking Money to Values: The New Rule of Law Conditionality Regulation and Its Constitutional Challenges, German Law Journal, 2022, 131 ff.
50 C(2022) 1382 final vom 2. März 2022.
51 Verordnung (EU, Euratom) 2018/1046 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juli 2018 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union, ABl. L 193 vom 30. Juli 2018, S. 1.
52 Verordnung (EU, Euratom) Nr. 883/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. September 2013 über die Untersuchungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF); ABl. 2013, L 248, 1 ff.
53 Verordnung (EU) 2017/1939 des Rates vom 12. Oktober 2017 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit zur Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA), ABl. L 248 vom 18. September 2013, 1 ff.
54 Art. 19 Abs. 1 EUV.
55 Vgl. dazu nachstehend unter F.
56 IP/22/1468.
57 Vgl. Europäische Kommission, Rechtsstaatlichkeitsbericht 2021, COM (2021) 700 final vom 20. Juli 2021.
58 Vgl. Europäische Kommission, EU-Justizbarometer 2021, COM (2021) 389 final vom 8. Juli 2021.
59 QANDA/22/1471.
60 Das heisst, mit einer Mehrheit von mindestens 55% der Mitglieder des Rates (das sind 15 der 27 EU-Mitgliedstaaten), die zusammen mindestens 65% der EU-Bevölkerung repräsentieren (Art. 238 Abs. 3 lit. a AEUV).
61 Aus dem regulären EU-Haushalt erhielt Polen zuletzt netto rund 12,4 Mrd. Euro/Jahr, Ungarn rund 4,7 Mrd. Euro. Zudem rechnet Polen mit rund 23,9 Mrd. Euro an Corona-Hilfen, Ungarn mit rund 7,2 Mrd. Euro; Polen und Ungarn kämpfen gegen Rechtsstaatsklausel, vom 11. Oktober 2021.
62 Vgl. Hummer, Waldemar, Nutzlose „rote Karte“ der Kommission gegen Polen? (Fn. 30).
63 EuGH, Urteile vom 16. Februar 2022 in den Rechtssachen C-156/21 und C-157/21, ECLI:EU:C:2022:97 und 98 – Ungarn und Polen/Parlament und Rat.
64 EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts M. Campos Sánchez-Bordona vom 2. Dezember 2021 in den Rechtssachen C-156/21 und C-157/21, ECLI:EU:C:2021:974 und 978 – Ungarn und Polen/Parlament und Rat.
65 EuGH, Urteile vom 16. Februar 2022 in den Rechtssachen C-156/21 und C-157/21, ECLI:EU:C:2022:97 und 98 – Ungarn und Polen/Parlament und Rat.
66 Gemäss Erwägungsgrund (3) der Konditionalitäts-VO umfasst dieser Begriff insbesondere die Grundsätze der Rechtmässigkeit, die einen transparenten, rechenschaftspflichtigen, demokratischen und pluralistischen Gesetzgebungsprozess voraussetzen, der Rechtssicherheit, des Verbots der willkürlichen Ausübung von Hoheitsgewalt, des wirksamen Rechtsschutzes, einschliesslich des Zugangs zur Justiz durch unabhängige und unparteiische Gerichte, sowie der Gewaltenteilung.
67 Steinvorth, Daniel, Wegen Korruption und Vetternwirtschaft: Die EU geht offiziell gegen Ungarn vor, nzz.ch, vom 27. April 2022.
68 Die Fidesz-Partei gewann mit rund 53% der Stimmen die Parlamentswahl und sicherte sich damit zum vierten Mal in Folge eine verfassungsändernde Zweidrittel-Mehrheit im ungarischen Parlament.
69 EuGH, Rechtssache C-657/21, Parlament/Kommission; vgl. EU-Parlament verklagt EU-Kommission wegen Untätigkeit, beck-aktuell, 2. November 2021.
70 <https://www.dw.com/de/eu-eröffnet-verfahren-gegen-ungarn/a-61602419>.
71 Leitner, Philipp, Der Schutz des Haushalts (Fn. 34), 4 f.
72 Vgl. dazu vorstehend unter F.
73 Vgl. Hummer, Waldemar, Der Gerichtshof der EU: Garant der Rechtsstaatlichkeit oder unzulässiger „Rechtssetzer“?, EU-Infothek, vom 7. März 2018.
74 Vgl. Pache, Eckhard, Art. 340 AEUV Rz 6, in: Vedder, Christoph/Heintschel von Heinegg, Wolff (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 2. A, 2018, 1272.
75 Ausgehend vom EuGH, Urteil vom 22. November 2005 in der Rechtssache Rs. C-144/04, ECLI:EU:C:2005:709 – Mangold/Helm, Rz 75; vgl. Veit, Paul, Stoppt den Europäischen Gerichtshof? Richterlicher Aktivismus als rechtskontextuelle Notwendigkeit, Recht und Politik 2/2014, 90 ff.
76 Vgl. Schweitzer, Michael/Hummer, Waldemar/Obwexer, Walter, Europarecht, 2007, 201 f.
77 Vgl. Hummer, Waldemar, Von der „Verstaatlichung“ der EU durch den Verfassungs-Vertrag (2004) zu ihrer „Entstaatlichung“ durch den Vertrag von Lissabon, 2007 – Das Scheitern des „Verfassungs-Konzepts“, in: Hummer, Waldemar/Obwexer, Walter (Hrsg.), Der Vertrag von Lissabon, 2009, 19 ff. (42 ff.).