EuZ - Zeitschrift für Europarecht

Ausgabe 3 / 2022

Die Europäische Union ist um der Menschen willen da

Peter M. Huber*

Vor dem Hintergrund verschiedener Krisen (Brexit, Migration, Euro) befasst sich der Leitartikel mit den Zukunftsperspektiven der Europäischen Union. Peter M. Huber, Richter des deutschen Bundesverfassungsgerichts, vertritt in seinem Beitrag die Auffassung, dass sich die Eliten in den europäischen Institutionen sowie in den Mitgliedstaaten von grossen Teilen der Gesellschaften, die sie tragen, entfernt haben. Entfremdung sei die Folge und könne, wie der Brexit zeige, auf mittlere Sicht sogar zu einem Zerfall der Union führen. Um dies zu verhindern, bedürfe es der Einsicht, dass die Europäische Union die Mitgliedstaaten nicht mediatisieren könne und dies auch nicht solle.

* Prof. Dr. Peter M. Huber ist Richter des Bundesverfassungsgerichts (Zweiter Senat) und Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Staatsphilosophie an der LMU München.

Inhalt

  1. Die Europäische Union zwischen Zerfall und Aufbruch
    1. Krisensymptome
      1. Brexit
      2. Rechtsstaatskrise
      3. Flüchtlings‑, Euro- und Coronakrise
      4. Befund
    2. Die Reaktion der Institutionen – zwischen Leugnung und Aufbruch
      1. Selbstgewissheit und Leugnung
      2. Aufbruch und Zukunftsorientierung
      3. Selbstreferentialität
  2. Legitimität und Selbstbestimmung als Grundlagen von Herrschaft
    1. Akzeptanz und Legitimität
    2. Selbstbestimmung als Legitimations- und Legitimitätsquelle
      1. Allgemeines
      2. Politische Selbstbestimmung und Subsidiarität
  3. Die Europäische Union als Rechtsgemeinschaft
    1. Effektuierung der Kompetenzordnung
      1. Missachtung des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung
      2. Verhältnismäßigkeit
      3. Subsidiarität
      4. Konstitutionalisierung
    2. Hypertrophie der Rechtsordnung
    3. Verteidigung der Werte
  4. Legitimität durch eine Balance von Einheit und Vielfalt im Staatenverbund
    1. Realitätsgerechter Zuschnitt des Integrationsprogramms
    2. Verbesserung der Responsivität
      1. Dekonstitutionalisierung des gemeinschaftlichen Besitzstandes
      2. Europäisches Parlament
    3. Verbesserung der Integrationsverantwortung im nationalen Bereich
  5. Ausblick: Die Europäische Union als Dienstleister, Makler und Treuhänder

A. Die Europäische Union zwischen Zerfall und Aufbruch

Der Vertrag von Lissabon – 2009 nach dem Scheitern des Verfassungsvertrages in Referenden in Frankreich und den Niederlanden in Kraft getreten – sollte die Europäische Union konsolidieren und zukunftsfest machen. Wirklich gelungen ist das nicht. Vielmehr schwankt die Union seit mehr als 10 Jahren zwischen Aufbruch und Resignation.

Auf der einen Seite wirkt sie angesichts des Brexits, der Rechtsstaats‑, Migrations‑, Euro- und Coronakrise zutiefst verunsichert und orientierungslos. Auf der anderen Seite fehlt es den europäischen Institutionen und manchem Staats- und Regierungschef auch nicht an Pathos, Selbstgewissheit und Selbstsicherheit. Die bombastische Inszenierung der am US-Vorbild orientierten jährlichen „State of the Union“-Rede der Kommissionspräsidentin zeigt das ebenso wie ihre Antrittsrede vor dem Europäischen Parlament am 27. November 2019, die sie in bester de Gaulle´scher Manier mit dem Dreiklang „Vive l’Europe, es lebe Europa, long live Europe“ beendete,[1]Ursula von der Leyen, Rede vor dem Plenum des Europäischen Parlaments am 27. November 2019, abrufbar unter <https://ec.europa.eu/info/sites/default/files/president-elect-speech_de.pdf> … Continue reading oder der an alle Unionsbürgerinnen und -bürger gerichtete Brief Emmanuel Macrons vom 5. März 2019,[2]Der Brief ist im Wortlaut abrufbar unter <https://www.spiegel.de/politik/ausland/emmanuel-macron-brief-an-die-eu-buerger-im-wortlaut-a-1256271.html> (21.12.2021). in dem er nichts Geringeres forderte als einen Neubeginn des Projektes Europa. Seit nunmehr vier Jahren fordert er mehr „europäische Souveränität“,[3]E. Macron, „Initiative für Europa“, Rede vom 26. September 2017 an der Pariser Sorbonne-Universität, Rede in deutscher Sprache, abrufbar unter … Continue reading was seine Jünger,[4]Vgl. etwa auch U. Guérot, Warum Europa eine Republik werden muss! – Eine politische Utopie, 2016, die sich für eine den Nationalstaat überwindende Europäische Republik einsetzt. zu denen offenbar auch die neue deutsche Ampel-Regierung gehört,[5]Koalitionsvertrag zwischen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP, „Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“, 24.11.2021, S. 131, abrufbar unter … Continue reading als Initiative zur Schaffung eines europäischen Bundesstaates (miss-?)verstanden haben. Wie dem auch sei: Understatement ist jedenfalls keine Kategorie der Europapolitik.

I. Krisensymptome

1. Brexit

Der schlimmste Rückschlag, den das europäische Einigungswerk seit seinem Beginn 1951 erlebt hat, war zweifellos der Brexit. Mit seinen Folgen werden wir nicht nur jeden Tag konfrontiert; er hat auch und vor allem das Selbstverständnis der Union als einer sich kontinuierlich verdichtenden Integrationsgemeinschaft („ever closer Union“, sog. „Fahrradtheorie“)[6]Dazu bereits W. Hallstein, Die EWG – eine Rechtsgemeinschaft, in: T. Oppermann (Hrsg.), Europäische Reden, 1979, S. 59 und ders., Die Europäische Gemeinschaft, 1973, S. 36 – ihm wird auch die … Continue reading nachhaltig erschüttert.

2. Rechtsstaatskrise

Weiterer Sprengstoff ergibt sich aus dem unverhohlenen Abbau rechtsstaatlicher Strukturen vor allem in Polen und Ungarn, wo die Regierungen in den vergangenen Jahren Verfassungsgerichte und Justiz entmachtet bzw. gleichgeschaltet haben und nun auch Medien und Zivilgesellschaft auf Linie zu bringen versuchen. Nicht weniger bedrohlich ist die offenkundige Korruption in Bulgarien,[7]Vgl. etwa FAZ-online vom 4.7.2016, „Studie: Bulgarien bleibt im Griff der Korruption“, abrufbar unter … Continue reading Malta[8]Vgl. etwa die Vertragsverletzungsverfahren gegen Malta wegen des „Verkaufs“ von Staatsbürgerschaften (sog. „golden passport“), abrufbar unter … Continue reading oder Rumänien[9]Vgl. etwa das Verfahren um die Absetzung der Leiterin der Korruptionsbekämpfungsbehörde: EGMR Urt. v. 5.5.2020 – 3594/19 – Kövesi/Rumänien = NVwZ-RR 2020, 1032; sowie die Reporte der … Continue reading.

Diese Vorgänge bleiben nicht ohne Rückwirkungen auf den Rest der Europäischen Union.[10]The Journal v. 12.3.2018, „High Court [of Ireland] judge says changes in Poland have, systematically damaged’ the rule of law and breached democracy“; P. M. Huber, Europäische Verfassungs- und … Continue reading Sie untergraben das gegenseitige Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten, ihren Verwaltungen und Gerichten,[11]Zu entsprechenden Sachverhaltsermittlungspflichten der nationalen Gerichte dahingehend, ob dem von der Abschiebung Betroffenen eine unmenschliche und entwürdigende Behandlung droht, vgl. BVerfG, … Continue reading gefährden aber auch die Integrität der europäischen Institutionen, weil die fraglichen Mitgliedstaaten Abgeordnete und Kommissare nach Brüssel sowie Richter und Generalanwälte nach Luxemburg entsenden und zahllose weitere Vertreter in andere Einrichtungen der Europäischen Union, wo sie deren Handeln mitbestimmen.

3. Flüchtlings‑, Euro- und Coronakrise

Es kommt hinzu, dass zentrale Bereiche des Integrationsprogramms (acquis communautaire) durch erhebliche Vollzugs- bzw. strukturelle Regelungsdefizite[12]Zu der Figur des sich aus einem Vollzugsdefizit ergebenden strukturellen Regelungsdefizits, die zur Nichtigkeit einer Norm führen kann, vgl. BVerfGE 133, 168 (234 Rn. 119) – Verständigung im … Continue reading gekennzeichnet sind.

aa) Das gilt zum einen für die seit 2015 anhaltende und – wie die aktuellen Vorgänge an der griechisch-türkischen und der polnisch-weissrussichen Grenze zeigen – nicht ansatzweise gelöste Migrationskrise. Sie wird von Beobachtern als „9/11“ der Integration beschrieben,[13]I. Krastev, Europadämmerung, 4. Aufl. 2018, S. 25 ff., 56 ff. weil sie die nationalen Solidaritätsgefühle stärke und die Chancen für eine Art unionalen Verfassungspatriotismus verringere und daher ein Wendepunkt in der politischen Dynamik des europäischen Projekts sei. Sie signalisiere einen Zeitpunkt, an dem die Forderungen nach Demokratie in Europa sich in die Forderungen nach dem Schutz der eigenen politischen Gemeinschaft verwandeln und damit eher auf Ausschluss denn auf Inklusion zielen.[14]I. Krastev, Europadämmerung, 4. Aufl. 2018, S. 71. Auf jeden Fall legt sie offen, dass die Vorstellung über die Grundwerte der Union und/oder die Bereitschaft, für diese einzutreten, sehr weit auseinander liegen.

In der Tat funktioniert das europäische Asylrecht nicht. Nach der Grundidee des sog. Dublin-Regimes soll der Mitgliedstaat für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig sein, in dem ein Asylbewerber zum ersten Mal europäischen Boden betritt – einbezogen sind insofern auch Norwegen, Island und die Schweiz. Grundlage war insoweit zunächst das Dubliner Abkommen von 1997, das 2003 durch die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin II) und zum 1. Januar 2014 durch Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III) ersetzt worden ist. Das damit etablierte System wird in der öffentlichen Debatte häufig als unfair kritisiert, weil sich die nord- und mitteleuropäischen Staaten mit ihm vom Migrationsdruck entlastet und die Staaten Südeuropas alleine gelassen hätten. Ein Blick auf die Realitäten zeigt freilich, dass es – was allen Beteiligten klar gewesen oder doch rasch klar geworden sein dürfte – von Anfang an nicht funktioniert hat und weder Griechenland noch Italien ihren unionsrechtlichen Verpflichtungen auch nur ansatzweise nachgekommen sind bzw. nachkommen. Sie lassen die Asylbewerber häufig weiterziehen und einige der Mitgliedstaaten – insbesondere Griechenland und Ungarn – verweigern sich meist auch deren Rücküberstellung.[15]Vgl. zu der geringen Anzahl an positiv beschiedenen Rückstellungsersuchen insbesondere in Griechenland und Ungarn etwa die Statistiken von Eurostat aus dem Jahr 2020, abrufbar unter … Continue reading Seit 2003 hat jedenfalls Deutschland fast jedes Jahr mit Abstand die meisten Asylbewerber und Migranten aufgenommen.[16]Vgl. dazu die Asylum Quartely Reports von Eurostat, abrufbar unter <https://ec.europa.eu/eurostat/de/web/migration-asylum/asylum/publications> (20.12.2021).

Auch die durch die Richtlinie 2013/33/EU,[17]Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen, ABl. EU 2013 Nr. L … Continue reading die Richtlinie 2013/32/EU[18]Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, ABl. EU 2013 Nr. L … Continue reading und die Richtlinie 2011/95/EU[19]Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf … Continue reading normierten Anforderungen an Asylverfahren werden vielfach missachtet. Noch heute wirkt etwa nach, dass EGMR,[20]EGMR, Urt. v. 21.1.2011, Nr. 30696/09, ECLI:CE:ECHR:2011:0121JUD003069609 – M.S.S. c. Belgique et Grece. EuGH[21]EuGH, Urt. v. 21.12. 2011, Verb. Rs. C-411/10 und C‑493/10, ECLI:EU:C:2011:865 – N. S. / Secretary of State for the Home Department und M. E. u.a. / Refugee Applications Commissioner und Minister … Continue reading und BVerfG[22]BVerfGE 128, 224 ff. – Einstellung des Verfahrens; BVerfG, Beschl. v. 8.5.2017 – 2 BvR 157/17 – Abschiebung nach Griechenland. zwischen 2010 und 2012 aus diesem Grund die Überstellung von Asylbewerbern nach Griechenland untersagt haben. Geändert hat sich seitdem wenig.

bb) Die Euro- und Finanzkrise hat dagegen die unterschiedlichen Interessen zwischen den mittel- und nordeuropäischen Mitgliedstaaten auf der einen und den südeuropäischen Mitgliedstaaten auf der anderen Seite sowie ein substantielles Nord-Südgefälle offengelegt.

Seit 2012 musste das institutionelle Design der Währungsunion immer wieder nachgebessert werden und ist dabei zumindest faktisch grundlegend verändert worden: durch die Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), der bis zu 700 Mrd. Euro für mögliche Hilfsleistungen an Mitgliedstaaten[23]BVerfGE 132, 195 ff. – ESM (einstweilige Anordnung); 135, 317 ff. – ESM; a.A. EuGH, Urt. v. 27.11.2012, Rs. C‑370/12, ECLI:EU:C:2012:756 – Pringle. und – nach dem Änderungsentwurf – den Abwicklungsmechanismus bereit hält,[24]Verordnung (EU) Nr. 806/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Juli 2014 zur Festlegung einheitlicher Vorschriften und eines einheitlichen Verfahrens für die Abwicklung von … Continue reading durch den EU-Wiederaufbaufonds, der Zuschüsse und Darlehen vor allem an den Süden ermöglicht,[25]Vgl. BVerfG, Beschl. v. 15.4.2021 – 2 BvR 547/21 – EU-Wiederaufbaufonds. und durch die mittlerweile 5 Bill. Euro, mit denen die EZB seit 2015 die Finanzmärkte im Rahmen von EAPP und PEPP geflutet[26]Vgl. BVerfGE 147, 39 ff. – Vorlage PSPP; 154, 17 ff. – PSPP; BVerfG, Beschl. v. 29.4.2021 – 2 BvR 1651/15 – PSPP-Vollstreckungsanordnung; a.A. EuGH, Urt. von 11.12.2018, Rs. C-493/17, … Continue reading und die zusammen mit einer 0%-Zinspolitik die Inflation in der Eurozone mittlerweile auf ein 30-Jahres-Hoch von 5-6% getrieben haben.

Diese Umgestaltung der Währungsunion[27]So schon BVerfGE 132, 195 (247 f. Rn. 128) – ESM (einstweilige Anordnung); 135, 317 (407 Rn. 180) – ESM; a.A. Urt. v. 27.11.2012, Rs. C‑370/12, ECLI:EU:C:2012:756 – Pringle. war und ist politisch wie juristisch umstritten. Ob die Währungsunion vor diesem Hintergrund wirklich als Erfolgsgeschichte gelten kann und ob die Praxis der EZB von ihrem Mandat gedeckt ist, wird unterschiedlich beurteilt und hängt vor allem von der Perspektive ab.[28]Keinerlei Bedenken EuGH, Urt. v. 16.6.2015, Rs. C-62/14, ECLI:EU:C:2015:400 – Gauweiler; Urt. v. 11.12.2018, C-493/17, ECLI:EU:C:2018:1000 – Weiss; anders und kritisch BVerfGE 134, 366 ff. – … Continue reading Die südeuropäischen Staaten, die die Mehrheit im EZB-Rat stellen, sehen das großzügig, der Norden eher nicht. Dafür spricht nicht zuletzt, dass im Oktober 2021 mit Jens Weidmann mittlerweile der dritte Bundesbankpräsident aus Protest gegen die Linie der EZB und die mangelnde Unterstützung der Bundesregierung zurückgetreten ist.[29]G. Braunberger, „Weidmanns Rückzug“, FAZ.net v. 20.10.2021, abrufbar … Continue reading

Eine ökonomische Konvergenz zwischen den Mitgliedstaaten hatten alle diese Maßnahmen allerdings nicht zur Folge, wohl aber einen kräftigen Ausbau der Transferleistungen in den Süden. Dass das die Währungsunion noch auf die Probe stellen wird, liegt auf der Hand.

cc) Auch das Management der Pandemie hat das Vertrauen in die Europäische Union nicht wirklich gestärkt.[30]G. Conti im britischen Fernsehen, wonach die sozioökonomischen Folgen der Pandemie eine große Herausforderung für das Weiterbestehen Europas und die Gefahr eines Zerfalls real seien, zitiert bei … Continue reading Vor allem die Impfstoffbeschaffung durch die EU-Kommission wirkte missglückt. Sie krankte nicht nur daran, dass die Europäische Union im Bereich der Gesundheitspolitik gar keine Zuständigkeiten besitzt und über keinerlei Erfahrung bei der Beschaffung von Impfstoffen verfügt, sondern auch daran, dass industriepolitische Egoismen einzelner Mitgliedstaaten eine rasche Auftragsvergabe erschwerten und wertvolle Zeit verloren wurde.[31]Dass die EU-Kommissionspräsidentin das Handeln ihrer Behörde heute lobt, vgl. SZ v. 15.9.2021, „Mit Pathos und Millarden“, abrufbar unter … Continue reading

Die Kritikpunkte sind freilich so unterschiedlich wie die Mentalitäten und Charaktere in Europa. So sah etwa Jacques Delors in der Corona-Krise eine mangelnde Solidarität und eine „tödliche Gefahr“ für die Union,[32]Zitiert bei S. de Ravinel, „Le manque de solidarité est un ‚danger mortel‘ pour l’Europe, selon Jacques Delors“, Le Figaro online v. 28.3.2020, abrufbar unter … Continue reading weil mit der vorübergehenden Schließung der Grenzen ihr „größter Stolz“ preisgegeben worden sei, was das europäische Projekt wegen mangelnder Handlungsfähigkeit vermeintlich entzaubert habe.[33]Zu diesem „pandemischen Lamento über das drohende Ende Europas“ ausführlich, im Ergebnis aber mit differenzierterer Bewertung L. van Middelaar, Das europäische Pandämonium, 2021, S. 10 ff. … Continue reading Der luxemburgische Außenminister Asselborn verstieg sich gar zu dem emotionalen Hinweis, dass es nicht zu Europa passe, wenn ein deutsches Polizeiauto die deutsch-luxemburgische Grenze bewache,[34]Vgl. ARD-Interview v. 8.5.2020, zitiert bei … Continue reading und bemühte damit Bilder aus der Zeit des Krieges.

4. Befund

Diese und andere – für den Einzelnen weit entfernte und von ihm kaum beeinflussbare – Vorgänge haben den Eindruck verstärkt, dass seine Stimme in der europäischen Politik keine Bedeutung hat bzw. wirkungslos sei.[35]I. Krastev, Europadämmerung, 4. Aufl. 2018, S. 80, 124. Nach dem Eurobarometer von 2012 glauben nur 33%, dass ihre Stimme in der Europäischen Union zählt, wobei die Zahlen zwischen den Mitgliedstaaten stark variieren: von 61% in Dänemark und immerhin 47% in Deutschland bis zu nur 16% in Italien, 15% in Griechenland und 14% in der Tschechischen Republik. Im nationalen Kontext glauben dagegen 96% der Dänen und 70% der Deutschen, dass ihre Stimme zählt, während sich mit Blick auf die anderen Länder keine nennenswerten Unterschiede ergeben.[36]Europäische Kommission, Special Eurobarometer 379 „Future of Europe“, 2012, S. 22, abrufbar unter <https://europa.eu/eurobarometer/surveys/detail/1059> (21.12.2021). In jüngster Zeit … Continue reading

Betrachtet man zudem die Erfahrungen, die etwa die Griechen während der verschiedenen Eurorettungsmaßnahmen mit dem Regime der Troika machen mussten, so kann dies nicht verwundern: Ein erstes Referendum mit dem die Bevölkerung über die Bedingungen des Sparprogramms abstimmen sollte, wurde auf Druck aus Brüssel, Berlin und Paris verworfen. Mit neuer Regierung fand es 2015 zwar dann doch statt, mit dem Ergebnis, dass die Bedingungen für die dritte Rettungsaktion abgelehnt wurden. Danach lenkte die griechische Regierung allerdings ein, wohl weil sie einen Austritt Griechenlands aus der Währungsunion nicht riskieren wollte. Die Wirkungen hat Ivan Krastev wie folgt zusammengefasst: „Demokratie ohne Wahlmöglichkeiten, Souveränität ohne Bedeutung und Globalisierung ohne Legitimation“.[37]I. Krastev, Europadämmerung, 4. Aufl. 2018, S. 83.

II. Die Reaktion der Institutionen – zwischen Leugnung und Aufbruch

Man tritt der Kommission und den anderen Institutionen vermutlich nicht zu nahe, wenn man ihnen eine robuste Selbstgewissheit attestiert, die sich durch Rückschläge und Kritik nicht ernsthaft irritieren lässt. Zwar hat die Kommission am 1. März 2017 ein „Weißbuch zur Zukunft Europas“ vorgelegt und fünf Szenarien für die weitere Entwicklung der Union skizziert: Szenario 1: weiter wie bisher, Szenario 2: Schwerpunkt Binnenmarkt, Szenario 3: Wer mehr will, tut mehr, Szenario 4: Weniger aber effizienter, Szenario 5: Viel mehr gemeinsames Handeln.[38]COM(2017) 2025, 1.3.2017. Der damalige Kommissionspräsident Jean Claude Juncker hat in seiner Rede zur Lage der Union 2017 allerdings wenig Zweifel daran gelassen, welches Szenario die Kommission und andere Unionsorgane für allein zukunftsträchtig halten: das Szenario 5.[39]T. Isler, „Junckers Pathos von gestern gefährdet die EU von morgen“, NZZ am Sonntag-online v. 16.9.2017, abrufbar unter … Continue reading

1. Selbstgewissheit und Leugnung

Für eine solche Interpretation spricht schon der Umstand, dass der in Frankreich und den Niederlanden in zwei Volksabstimmungen krachend gescheiterte Verfassungsvertrag – von ein paar Symbolen entkleidet[40]U. Haltern, Europäische Verfassungsästhetik – Grundrechtscharta und Verfassung der EU im Zeichen von Konsumkultur, KritV 2002, S. 261 ff. (264 f., 268 f.); ders., Pathos and Patina: The Failure … Continue reading – mit dem Vertrag von Lissabon im Ergebnis doch relativ ungerührt umgesetzt wurde. An einer Ursachenforschung hatte man in Brüssel, Paris oder Den Haag ebenso wenig Interesse wie daran, den acquis communautaire auf den Prüfstand zu stellen. Dass die Europäische Union außer zu wenig Zuständigkeiten und Ressourcen Defizite und Reformbedarf aufweisen könnte, ist für die Institutionen ebenso unvorstellbar wie für das politische Personal in den meisten Mitgliedstaaten.

Auch auf den Brexit haben die europäischen Institutionen eher ungläubig reagiert. Zwar war die Mehrheit für den Brexit in der Tat knapp und das politische Personal in Großbritannien inkompetent, leichtfertig und verantwortungslos. Aus blauem Himmel kam das Ergebnis aber nicht, auch wenn man dem beflissen anmutenden Urteil des EuGH vom 10. Dezember 2018 in der Rs. Wightman[41]EuGH, Urt. v. 10.12.2018, Rs. C 621/18, ECLI:EU:C:2018:999 – Wightman. entnehmen kann, dass man im Brexit auf dem Kontinent in erster Linie einen Betriebsunfall sehen wollte.

Nachdenklich stimmen muss auch, dass die siebenjährigen Verhandlungen über ein neues Rahmenabkommen zwischen der Europäischen Union und der Schweiz vor kurzem geplatzt sind. Zwar hat der Schweizer Bundesrat die Verhandlungen abgebrochen; der Umstand allein, dass ein demokratischer Rechtsstaat wie die Schweiz, der prosperiert und vollständig von der Europäischen Union umgeben ist, glaubt, auf eine enge Verzahnung mit dieser verzichten zu können, sollte die Alarmglocken schrillen lassen.

Ähnlich ungerührt ist das Handeln der Organe in der Migrationspolitik. Seit 2015 ist hier nichts Nennenswertes geschehen. Allerdings hat die Kommission am 23. September 2015, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise und mehr als 10 Jahre nachdem sie Erfahrungen mit dem europäischen Asylrecht und seinen strukturellen Regelungsdefiziten sammeln konnte, 40 Vertragsverletzungsverfahren auf den Weg gebracht, die fast durchweg technokratische Aspekte wie unterlassene Mitteilungen von Richtlinienumsetzungen zum Gegenstand hatten, die existentiellen Probleme des unionalen Asylregimes jedoch nicht adressiert haben.[42]EU-Kommission, Pressemitteilung v. 23.9.2015: „Mehr Verantwortung bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise: Europäische Kommission bringt Gemeinsames Europäisches Asylsystem auf Kurs und leitet … Continue reading

2. Aufbruch und Zukunftsorientierung

Unangefasst von all diesen Defiziten und Enttäuschungen hat es die Europäische Union 2020 geschafft, ein gigantisches Aufbauprogramm wie das Programm „Next Generation EU“ mit einem Volumen von 750 Mrd. Euro aufzulegen.[43]Vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 15.4.2021 – 2 BvR 547/21 – EU-Wiederaufbaufonds. Gleichzeitig hat die Kommission einen „Green Deal“ verkündet, mit dem Europa bis 2050 klimaneutral und von Grund auf umgebaut werden soll.[44]Europäische Kommission, Mitteilung „Der europäische Grüne Deal“ v. 1.12.2019, COM(2019) 640 final und Mitteilung der Kommission „Investitionsplan für ein zukunftsfähiges Europa, … Continue reading

Als Trostpflaster für das Scheitern des Spitzenkandidatenmodells ist zudem eine Konferenz zur Zukunft Europas ins Leben gerufen worden, deren Plenarversammlung sich aus 108 Mitgliedern des Europäischen Parlaments, 54 Vertreterinnen und Vertretern des Rates und drei der Kommission, 108 Vertreterinnen und Vertretern der nationalen Parlamente sowie 108 Bürgerinnen und Bürgern zusammensetzt. Darüber hinaus sind der Ausschuss der Regionen und der Wirtschafts- und Sozialausschuss mit je 18 Vertretern, regionale und lokale Behörden mit sechs gewählten Vertretern repräsentiert, die Sozialpartner mit 12 und die Zivilgesellschaft mit acht. Dass dabei etwas anderes herauskommen wird als das Szenario 5 – „Viel mehr gemeinsames Handeln“ –, sollte angesichts der organisationssoziologischen Einsicht, dass der Inhalt einer Kollegialentscheidung „durch ihre Zusammensetzung mindestens tendenziell, in einem allgemeinen qualitativen Sinn, vorausbestimmt“ wird,[45]BVerfGE 35, 79 (120 f.) – Nds. Vorschaltgesetz. nicht überraschen. Auch wenn sie numerisch nicht die Mehrheit bilden, so nehmen die für eine Unitarisierung und Zentralisierung eintretenden Kräfte – allen voran die europäischen Institutionen – in dieser Konferenz doch aufgrund ihrer Erfahrung, der persönlichen Kontakte und der eingespielten Prozeduren eine Schlüsselrolle ein. Insoweit unterscheidet sich die jetzige Konferenz nicht wesentlich von dem vor 15 Jahren gescheiterten Verfassungskonvent.[46]H. Klinger, Der Konvent, 2007, S. 196 ff.; zu der organisationssoziologischen Einsicht, dass die Zusammensetzung eines Gremiums seine Entscheidungen tendenziell vorausbestimmt. Das hat aber freilich niemanden irritiert.

3. Selbstreferentialität

Brüssel ist freilich nicht Europa mit seinen 27 Mitgliedstaaten und seinen ca. 400 Mio. Menschen. Ihm, d.h. den europäischen Institutionen, fehlt nicht nur die Kenntnis der ökonomischen, sozialen, kulturellen, historischen und psychologischen Gegebenheiten vor Ort. Sie glauben häufig sogar, auf diese verzichten zu können.

Ein markantes Beispiel bieten insoweit die Auseinandersetzungen um das im Nachgang zum PSPP-Urteil des Bundesverfassungsgerichts initiierte Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland, bei dem es im Kern um die Frage geht, ob der Anwendungsvorrang des Unionsrechts verfassungsrechtlichen Grenzen unterliegt oder nicht. Der EuGH hat dies formal nie akzeptiert, die Verfassungs- und Höchstgerichte der Mitgliedstaaten etwas anderes nie zugelassen. Seine mehr als 50‑jährige Rechtsprechung zusammenfassend hat das Bundesverfasssungsgericht im Beschluss zum Einheitlichen Patentgericht II vom 23. Juni 2021 dies noch einmal festgehalten:

„Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts besteht (…) nur kraft und im Rahmen der verfassungsrechtlichen Ermächtigung (…). Daher findet die vom Grundgesetz ermöglichte und vom Integrationsgesetzgeber ins Werk gesetzte Öffnung der deutschen Rechtsordnung für das Unionsrecht ihre Grenzen nicht nur in dem vom Gesetzgeber verantworteten Integrationsprogramm, sondern auch in der ebenso änderungs- wie integrationsfesten Identität der Verfassung (Art. 23 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG). Der Anwendungsvorrang reicht nur soweit, wie das Grundgesetz und das Zustimmungsgesetz die Übertragung von Hoheitsrechten erlauben oder vorsehen (…).“[47]BVerfG, Beschl. v. 23.6.2021 – 2 BvR 2216/20 –, Rn. 73 f. – Einheitliches Patentgericht II, unter Hinweis auf BVerfGE 37, 271 (279 f.); 58, 1 (30 f.); 73, 339 (375 f.); 75, 223 (242); 89, 155 … Continue reading

Dieser – mutatis mutandis in nahezu allen Mitgliedstaaten nachweisbare[48]Königreich Belgien: Verfassungsgerichtshof, Ent. Nr. 62/2016 v. 28.4.2016, Rn. B.8.7.; für das Königreich Dänemark: Højesteret, Urt. v. 6.4.1998 – I 361/1997 –, Abschn. 9.8.; Urt. v. … Continue reading – Befund war und ist der Europäischen Kommission jedoch offenbar nicht geläufig. Sie hat ihn bislang mit keiner Silbe zur Kenntnis genommen und hält es wohl für ausreichend, sich an der Luxemburger Rechtsprechung zu orientieren und ihr nicht ins Konzept passende Ansätze in den Mitgliedstaaten zu ignorieren.

B. Legitimität und Selbstbestimmung als Grundlagen von Herrschaft

I. Akzeptanz und Legitimität

Vor diesem Hintergrund macht es Sinn, sich daran zu erinnern, dass jede politische Herrschaftsordnung ihre soziale Anerkennung als gerechtfertigt voraussetzt. Eine solche Anerkennungswürdigkeit kann mit religiösen, ideologischen oder normativen Argumenten in Anspruch genommen werden,[49]J. Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, 1973, S. 39. wobei man mit Max Weber bekanntlich zwischen charismatischer, traditionaler und rationaler Herrschaft unterscheiden kann.[50]M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 5. Aufl. 1972, S. 124.

In jedem Fall müssen die Herrschaftsunterworfenen die Herrschaft aber auch in einem politisch-praktischen Sinne tatsächlich anerkennen.[51]W. Heun, Legitimität, Legalität, in: Ev. Staatslexikon, 2006, 1418 (1420). Schon Rousseau spricht davon, dass auch der Stärkste nicht stark genug ist, „seine Herrschaft auf Dauer zu behaupten, wenn er nicht die Gewalt in Recht und Gehorsam in Pflicht verwandelt“.[52]J. J. Rousseau, Contrat social, I 3. Bei Georg Jellinek heißt es mit Blick auf die Untertanen, dass „all ihre Tätigkeit (…) verwandelter Gehorsam“ sei,[53]G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl. 1914, S. 426. während Herrschaft nach Hermann Heller „weder den Machtunterworfenen allein noch irgend einem Machthaber, und sei er noch der unbeschränkteste Diktator, zugerechnet werden (kann). Immer verdankt sie ihr Entstehen und Bestehen erst dem Zusammenwirken beider.“[54]H. Heller, Staatslehre, 6. Aufl. 1983, S. 239. Die Inanspruchnahme von Legitimität findet ihr Korrelat somit in der Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger.

In einer demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung setzt Anerkennung zumindest Legalität voraus.[55]U. Di Fabio, Herrschaft und Gesellschaft, 2018, S. 34. Das ist jedoch eine zwar notwendige, aber keinesfalls hinreichende Voraussetzung für Legitimität. Hinzukommen muss die glaubhafte Erfüllung einiger fundamentaler Staatszwecke, die sich seit dem 17. Jahrhundert herausgebildet haben, und deren Erfüllung dem Staat die Akzeptanz seiner Angehörigen sichert:[56]Vgl. etwa R.Schmidt, Der Staat der Umweltvorsorge, in: Huber (Hrsg.), Das ökologische Produkt, 1995, S. 97 (105 f.). Die Sicherung des Friedens nach außen und innen, ökonomische Wohlfahrt und – in jüngerer Zeit – ein glaubhafter Beitrag zur ökologischen Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft. Scheitert ein Staat dabei, wird er zum „failed state“.

Die Verbindung von Legitimität und Staatszwecken schlägt die Brücke zu einem neuen Staatsverständnis, wie es sich in Deutschland nach der Katastrophe des NS-Regimes nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt hat und am prägnantesten im Entwurf des Herrenchiemseer Konvents für Art. 1 des Grundgesetzes Ausdruck gefunden hatte, der lautete: „Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen“.[57]JöR 1 (1951), 1 (48). So gesehen dienen auch die genannten Staatszwecke – Frieden, Wohlstand und der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen – letztlich dem einzelnen Menschen. Er ist der Fluchtpunkt allen staatlichen Handelns und – in Gestalt seiner Bürgerinnen und Bürger – die einzige Quelle demokratischer Legitimation.

II. Selbstbestimmung als Legitimations- und Legitimitätsquelle

1. Allgemeines

Elementarste Form von Selbstbestimmung ist es, wenn der Einzelne eigenverantwortlich über Inhalt und Ausmaß dessen entscheiden kann, was für ihn die „pursuit of happiness“ – die die Unabhängigkeitserklärung der USA proklamiert – konkret ausmacht.[58]Declaration of Independence, abrufbar unter <http://www.archives.gov/exhibits/charters/declaration.html> (21.12.2021). Verfassungsrechtlicher Ausgangspunkt ist insoweit die in Art. 1 Abs. 1 GG bzw. Art. 1 GRCh geschützte Würde des Menschen und sein aus ihr fließendes Recht, grundsätzlich „plastes et fictor[59]G. Pico della Mirandola, Oratio de hominis dignitate, aus dem Lateinischen von N. Baumgarten, 1990, S. 6 f. seiner selbst zu sein. Dieses Recht bildet den Kern aller Grundrechtsgarantien,[60]Umstritten für das Asylrecht, BVerfGE 94, 49 (103 f.); näher P. M. Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG I, 7. Aufl. 2018, Art. 19 Abs. 2 Rn. 126 f. m. w. N. zum Streitstand. die man insoweit als bereichsspezifische Garantien individueller Selbstbestimmung verstehen kann.

Selbstbestimmung aber impliziert immer auch eine Distanzierung von anderen – der Familie, der Gruppe, dem Staat etc. Auch wenn der Mensch als „zoon politikon“ bzw. „animal sociale“ von seiner Natur her gemeinschaftsgebunden ist,[61]BVerfGE 4, 7 (15 ff.). kommt ihr nach dem sog. rechtsstaatlichen Verteilungsprinzip[62]Zum Begriff C. Schmitt, Verfassungslehre, 5. Aufl. 1954, S. 158. ein struktureller Vorrang vor dem Gemeinwohl und seinen Konkretisierungen durch die öffentliche Gewalt zu. Sie ist prinzipiell legitim und von den Trägern öffentlicher Gewalt grundsätzlich zu respektieren, während deren Handeln der Legitimation, Rationalität, Transparenz und der Begründung bedarf und sich hinterfragen lassen muss.

Im demokratischen Rechtsstaat und der u. a. auf den Werten der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit beruhenden Europäischen Union (Art. 2 EUV) richtet sich Selbstbestimmung damit letztlich gegen demokratisch getroffene Mehrheitsentscheidungen. Das ist auch der tiefere Grund, weshalb Grundrechte auch als Instrumente des Minderheitenschutzes begriffen werden.[63]F. Hufen, Staatsrecht II, 9. Aufl. 2021, § 1 Rn. 18; W. Rüfner, Leistungsrechte, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR II, 2006, § 40 Rn. 48.

2. Politische Selbstbestimmung und Subsidiarität

Selbstbestimmung hat auch eine politische Dimension. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verbürgt das in der Würde des Menschen radizierte[64]P. M. Huber, Das Menschenbild im Grundgesetz, Jura 1998, S. 505 (507); P. Kirchhof, Das Parlament als Mitte der Demokratie, in: FS Badura, 2004, S. 237 (238). Verfassungsprinzip der Demokratie nicht nur ein möglichst hohes Maß an staatsbürgerlichen Mitwirkungsrechten,[65]BVerfGE 5, 85 (204 f.) – KPD; 107, 59 (91 ff.) – Emschergenossenschaft; BayVerfGHE 2, 181 (218); P. M. Huber, Volksgesetzgebung und Ewigkeitsgarantie, 2003, S. 28 ff.; S. Unger, Das … Continue reading sondern über die Wahl des Deutschen Bundestages auch ein Recht auf demokratische Selbstbestimmung. Sedes materiae ist insoweit Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG.[66]Vgl. BVerfGE 89, 155 (187); 123, 267 (340); 129, 124 (169, 177); 132, 195 (238 Rn. 104); 135, 317 (386 Rn. 125); 151, 202 (286 Rn. 118); BVerfG, Beschl. v. 23.6.2021 – 2 BvR 2216/20 –, Rn. 55 – … Continue reading

Diese, in der Garantie der Menschenwürde wurzelnde[67]Vgl. BVerfGE 123, 267 (341) – Lissabon; 129, 124 (169) – EFSF und Griechenlandhilfe; 135, 317 (386 Rn. 125) – ESM; vgl. P. Häberle, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, 3. Aufl. 2004, § 22 Rn. … Continue reading Dimension der Demokratie hat das Bundesverfassungsgericht seit den 1950er Jahren immer wieder betont[68]BVerfGE 5, 85 (204 f.) – KPD. und in jüngerer Vergangenheit etwa im OMT-Urteil vom 21. Juni 2016 festgestellt:

„Das Grundgesetz geht vom Eigenwert und der Würde des zur Freiheit befähigten Menschen aus und verbürgt im Recht der Bürger, in Freiheit und Gleichheit durch Wahlen und Abstimmungen die sie betreffende öffentliche Gewalt personell und sachlich zu bestimmen, einen menschenrechtlichen Kern des Demokratieprinzips. Dieser ist in der Würde des Menschen verankert (…). Der Mensch ist danach eine zu eigenverantwortlicher Lebensgestaltung begabte ‚Persönlichkeit‘. Er wird als fähig angesehen und es wird ihm demgemäß abgefordert, seine Interessen und Ideen mit denen der anderen auszugleichen. Um seiner Würde willen muss ihm eine möglichst weitgehende Entfaltung seiner Persönlichkeit gesichert werden. Für den politisch-sozialen Bereich bedeutet das, dass es nicht genügt, wenn eine ‚Obrigkeit‘ sich bemüht, noch so gut für das Wohl von ‚Untertanen‘ zu sorgen; der Einzelne soll vielmehr in möglichst weitem Umfange verantwortlich auch an den Entscheidungen für die Gesamtheit mitwirken (…)“.[69]BVerfGE 142, 123 (189 f. Rn. 124) – OMT.

Die Direktionskraft des dermaßen würdeimprägnierten und subjektivierten Demokratiegebots ist ubiquitär.[70]P. M. Huber, Deutschland in der Föderalismusfalle?, 2003, S. 18. Ihm lassen sich daher nicht nur Maßstäbe für die Mitwirkung des Einzelnen an der Legitimation der öffentlichen Gewalt entnehmen, sondern auch für das Verhältnis von Staat und Kommunen,[71]Vgl. BVerfGE 138, 1 (18 Rn. 51) – Sächsische Schulnetzplanung. Bund und Ländern[72]Vgl. BVerfGE 137, 108 (107 f. Rn. 81 f.) – Optionskommunen; P. M. Huber, Klarere Verantwortungsteilung von Bund, Ländern und Kommunen, 65. DJT, 2004, D 131; Chr. Möllers, Der parlamentarische … Continue reading sowie von Mitgliedstaaten und Europäischer Union.

Dass die politische Selbstbestimmung des Einzelnen umso eher gelingt, je kleiner die Einheit ist, in der kollidierende Individualinteressen und Zukunftsvorstellungen ausgeglichen werden müssen, liegt in der Natur der Sache. Umgekehrt ist das Ausmaß an Selbstbestimmung umso geringer, je größer der Kreis der an einer Entscheidung Beteiligten ist. Nimmt man dies ernst, so folgt aus Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG bzw. aus Art. 10 EUV i.V.m. Art. 1 GRCh ein politisches Subsidaritätsprinzip als Grundmuster einer demokratischen Ordnung. Dieses hat in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 EUV bereits 1993 eine – nur wenig beachtete – Verankerung erfahren und erinnert an das Subsidiaritätsprinzip der katholischen Soziallehre, wie es in der Enzyklika „Quadragesimo anno“ von Pius XI von 1931 niedergelegt ist.

C. Die Europäische Union als Rechtsgemeinschaft

Mehr als bei allen anderen Trägern öffentlicher Gewalt hängen Legitimität und Akzeptanz der Europäischen Union als eines Prototyps rationaler Herrschaft von der Legalität ihres Handelns ab. Die Europäische Union ist eine Rechtsgemeinschaft. Sie existiert nur auf der Grundlage des Rechts und durch ihr Recht. Dessen strikte Beachtung sichert ihr Legitimität, steht aber in dreierlei Hinsicht unter Druck: Durch die weitgehende Missachtung der Kompetenzordung (1.), die Hypertrophie ihres Rechts (2.) und eine nur halbherzige Verteidigung ihrer Werte (3.).

I. Effektuierung der Kompetenzordnung

Die Beachtung der Kompetenzordnung ist aus der Sicht des Einzelnen und seiner Selbstbestimmung – zumal in einem föderalen Gebilde – ein zwingendes Gebot. Erst auf der Grundlage einer verlässlichen Kompetenzordnung haben Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit, durch Wahlen auf unionaler, nationaler oder regionaler Ebene politische Richtungsentscheidungen zu treffen. Nur ihre skrupulöse Beachtung ermöglicht es, Verantwortung zuzurechnen, so dass die Wahlberechtigten wissen können, wen sie wofür verantwortlich machen und wem sie ihre Stimme geben oder entziehen können. Werden politische Entscheidungen unter Bedingungen gefällt, die eine solche Verantwortungszuordnung nicht zulassen, gefährdet das die Demokratie.[73]Vgl. BVerfGE 119, 331 (366) – Hartz IV-Arbeitsgemeinschaften; 137, 108 (107 f. Rn. 81) – Optionskommunen.

1. Missachtung des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung

Der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 EUV, Art. 2 ff. AEUV), die zentrale Vorschrift der unionalen Kompetenzordnung, hat in den vergangenen 70 Jahren keine nennenswerte Rolle gespielt. Wenn die Institutionen etwas regeln wollten, haben sie die passende Begründung bislang noch immer gefunden. In der Praxis ist der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung somit keine ernsthafte Hürde.[74]Siehe etwa das sog. Patentpaket, das auch ausschließlich in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallende Gegenstände betrifft Verordnung (EU) Nr. 1257/2012, ABl. EU 2012 Nr. L 361/1 ff.; … Continue reading

Dafür trägt neben den anderen Organen vor allem der Gerichtshof der Europäischen Union Verantwortung, der sich der Rolle eines fairen Schiedsrichters zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten bislang verweigert hat. Zwar hat er eine Reihe von Rechtsakten des Sekundär- und Tertiärrechts für nichtig erklärt,[75]Verhältnismäßigkeit und Grundrechte vgl. EuGH, Urt. v. 30.5.2006, Rs. C-317/04 und C-318/04, ECLI:EU:C:2006:346, Rn. 67 – Parlament/Rat und Kommission; Urt. v. 10.2.2009, Rs. C-301/06, … Continue reading die Verbandskompetenz der Europäischen Union und ihrer Vorläuferinnen hat er in den 70 Jahren seines Wirkens jedoch nur ganze vier Mal verneint.[76]Vgl. EuGH, Urt. v. 23.4.1986, Rs. 294/83, ECLI:EU:C:1986:166, Rn. 51 ff. – Les Verts, (Parteienfinanzierung); Urt. v. 9.7.1987, Verb. Rs. 281, 284-285 und 287/85, ECLI:EU:C:1987:351, Rn. 9 ff., 36 … Continue reading Statt als Hüter der Kompetenzordnung zu wirken,[77]P. M. Huber, Bundesverfassungsgericht und Europäischer Gerichtshof als Hüter der Gemeinschaftsrechtlichen Kompetenzordnung, AöR 116 (1991), S. 210 ff. versteht er sich wie in den 1950er und 1960er Jahren, in den Anfangszeiten des europäischen Projekts, als „Motor der Integration“.[78]U. Everling, FS Lukes, 1989, S. 359 (374); Chr. Calliess, 70 Jahre Grundgesetz und europäische Integration: „Take back control“ oder „Mehr Demokratie wagen“?, NVwZ 2019, S. 684 (687). Als solcher unterstützt und fördert er die Tendenz der Organe zur politischen Selbstverstärkung[79]Vgl. den Sachverhalt BVerfGE 134, 366 (372 ff. Rn. 1 ff) – OMT. in der Regel durch eine großzügige Kompetenzauslegung im Sinne der implied powers-Doktrin oder des Grundsatzes der praktischen Wirksamkeit (effet utile).[80]Vgl. BVerfGE 123, 267 (351 f.). Den gemeinschaftlichen Besitzstand (acquis communautaire) verteidigt er zudem rigoros. Das stößt in immer mehr Mitgliedstaaten zwar auf wachsenden Widerstand;[81]Dazu schon BVerfGE 89, 155 (210); 142, 123 (218 Rn. 183) – OMT; kritisch A. Bleckmann, Politische Aspekte der europäischen Integration unter dem Vorzeichen des Binnenmarktes, ZRP 1990, 265 ff.; U. … Continue reading dass dies in Luxemburg wahrgenommen wird, erscheint jedoch fraglich. Zu einem Umdenken hat es bislang jedenfalls nicht geführt.

2. Verhältnismäßigkeit

In der unionalen Kompetenzordnung werden die Regelungsbefugnisse der Europäischen Union trotz der Typisierungs- und Kategorisierungsversuche in den Art. 3 bis 6 AEUV bekanntlich nicht konditional durch bestimmte Materien umrissen, sondern final durch Ziele und Aufgaben.[82]U. Everling, Gestaltungsbedarf des Europäischen Rechts, EuR 1987, S. 214. Das erschwert eine rechtssichere Abgrenzung,[83]BVerfGE 142, 123 (219 Rn. 185) – OMT; vgl. auch EuGH, Gutachten 2/94 v. 28.3.1996, Slg. 1996, I-1759, ECLI:EU:C:1996:140, Rn. 30 – EMRK-Beitritt; vgl. ferner die Erklärung Nr. 42 zur Schlussakte … Continue reading wird aber dadurch aufgefangen, dass Art. 5 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 4 EUV die EU darauf verpflichten, bei der Ausübung ihrer Komptenzen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Ihre Maßnahmen müssen zur Erreichung der mit einer Regelung verfolgten Ziele geeignet sein und dürfen nicht über die Grenzen dessen hinausgehen, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist.[84]Vgl. EuGH, Urt. v. 16.6.2015, C-62/14, ECLI:EU:C:2015:400, Rn. 67 – Gauweiler; BVerfGE 154, 17 (103 f. Rn. 128) – PSPP. Dahinter steht die Vorstellung, dass eine großzügige Zuweisung finaler Einzelermächtigungen durch eine substantielle Verhältnismäßigkeitskontrolle bis zu einem gewissen Grad kompensiert werden kann. Dass dies oftmals nicht überzeugend gelingt, zeigt nicht nur der Fall des PSPP-Programms der Europäischen Zentralbank und seine Überprüfung durch den Gerichtshof.[85]BVerfGE 154, 17 (99 ff. Rn. 123 ff.) – PSPP; BVerfG, Beschl. v. 29.4.2021 – 2 BvR 1651/15 – PSPP-Vollstreckungsanordnung.

3. Subsidiarität

Als zahnloser Tiger hat sich schließlich auch das unionsrechtliche Subsidiaritätsprinzip und seine verfahrensrechtliche Absicherung im Frühwarnmechanismus (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 EUV, Art. 3 Protokoll über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union und Art. 4 ff. Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit) erwiesen. Kein einziger Rechtsakt ist bislang an dem seit 1993 primärrechtlich verankerten Verfassungsgrundsatz gescheitert.[86]Exemplarisch EuGH‚ Urt. v. 8.6.2010, Rs. C-58/08, ECLI:EU:C:2010:321, Slg. 2010, I-4999, Rn. 79 – Vodafone. Auch eine erfolgreiche Subsidiaritätsrüge durch die nationalen Parlamente hat es bislang nicht gegeben. Die verfahrensrechtlichen Anforderungen sind zu hoch, die Fristen zu kurz, die Rechtsfolgen zu trivial.

4. Konstitutionalisierung

Unbeeindruckt von der zentralistischen Schlagseite bei der Umsetzung des Integrationsprogramms treiben Kommission und Gerichtshof seit Jahren die Konstitutionalisierung der Europäischen Union voran und versuchen, durch die „Erfindung“ von Rechtsinstituten wie der „Autonomie der Unionsrechtsordnung“ oder eines schrankenlosen Vorrangs die Mitgliedstaaten als „Herren der Verträge“[87]Vgl. BVerfGE 75, 223 (242) – Kloppenburg; 89, 155 (190) – Maastricht. Schritt für Schritt beiseite zu schieben.[88]Jüngst M. Nettesheim, Kompetenzkonflikte zwischen EuGH und Mitgliedstaaten, ZRP 2021, S. 222 ff.

Wie Dieter Grimm zutreffend festgestellt hat, hat sich der Gerichtshof durch eine methodologische Vorentscheidung das Tor zu einem Verständnis der Verträge geöffnet, das es ihm gestattet, „die Verträge nicht so auszulegen, wie bei internationalem Recht üblich, also orientiert am Willen der vertragschließenden Parteien und eng, sofern damit Souveränitätseinbußen verbunden sind, sondern wie nationale Verfassungen, also vom historischen Willen des Vertragsgebers weitgehend gelöst und an einem objektivierten Zweck orientiert.“[89]D. Grimm, Auf der Suche nach Akzeptanz: Über Legitimationsdefizite und Legitimationsressourcen der Europäischen Union, Leviathan 43 (2015), S. 325 (328 ff.). Mit der Behauptung einer – in den Verträgen weder ausdrücklich geregelten noch der Sache nach angelegten[90]Vgl. P. M. Huber, Europäisches und nationales Verfassungsrecht, VVDStRL 60 (2001), S. 194 (213 ff., insb. 221 ff.). – Autonomie der Unionsrechtsordnung hat er zudem einen Weg gefunden, um die Herrschaft der Mitgliedstaaten über die Verträge zu unterminieren.[91]Vgl. EuGH, Urt. v. 4.10.2018, Rs. C-416/17, ECLI:EU:C:2018:811 – Kommission/Frankreich; Urt. v. 26.2.2019, Rs. 202/18 und 238/18, ECLI:EU:C:2019:139 – Rimšēvičs/Lettland; Instruktiv A. … Continue reading Die damit geschaffene Macht nutzt er, um den nationalen Regelungsraum immer weiter zu verengen und im Wege extensiver Interpretation der Verträge auch in Kompetenzbereiche vorzudringen, welche sich die Mitgliedstaaten vorbehalten haben.[92]D. Grimm, Auf der Suche nach Akzeptanz: Über Legitimationsdefizite und Legitimationsressourcen der Europäischen Union, Leviathan 43 (2015), S. 325 (328 ff.).

Das zeigt der strategisch geplante Übergriff auf die Gerichtsorganisation der Mitgliedstaaten, obwohl diese in die institutionelle und verfahrensmäßige Autonomie der Mitgliedstaaten fällt und die Europäische Union für sie nicht den Hauch einer Kompetenz besitzt. Den Versuch, sich über Art. 19 Abs. 1 Satz 2 und Art. 2 EUV die Kontrolle über die gesamte Justiz in Europa an sich zu reißen,[93]EuGH, Urt. v. 27.2.2018, Rs. C-64/16, ECLI:EU:C:2018:117, Rn. 31 f. – Associação Sindical dos Juízes Portugueses; Urt. v. 6.3.2018, Rs. C-284/16, ECLI:EU:C:2018:158, Rn. 36 – Achmea; Urt. … Continue reading rechtfertigt der Gerichtshof als Beitrag zur Rettung des Rechtsstaats in Polen und hat ihn damit geschickt gegen jegliche Kritik imprägniert. Hält man sich zudem die Dworkin’sche Einsicht vor Augen „fitting what judges did is more important than fitting what they said“,[94]R. Dworkin, Law’s Empire, 1986, S. 247 f. so zeigt sich, dass der wesentliche Ertrag dieser Rechtsprechung in ihren Kollateralschäden für die Justizsysteme anderer Mitgliedstaaten besteht.[95]EuGH, Urt. v. 27.5.2019, Verb. Rs. C‑508/18 und C‑82/19 PPU, ECLI:EU:C:2019:456; Urt. v. 16.11.2021, C-748/19, ECLI:EU:C:2021:931, Rn. 79 könnte dagegen die Abordnungspraxis in der deutschen … Continue reading Einmal mehr hat ein Organ der Europäischen Union hier eine Gelegenheit beim Schopf gepackt, um die unionale Kompetenzordnung zu seinen Gunsten zu verschieben, treu dem Motto „never waste a good crisis“.

Durch die Rechtsstaatskrise in Polen und Ungarn wird zudem verdeckt, dass der Gerichtshof auch andernorts nicht nur Teil der Lösung, sondern zunehmend auch Teil des Problems ist. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass der Brexit jedenfalls auch auf die Unzufriedenheit selbst der proeuropäischen Kräfte in Großbritannien mit der als aktivistisch, zentralistisch und nicht vorhersehbar empfundenen Rechtsprechung aus Luxemburg und dem damit einher gehenden Kontrollverlust zurückzuführen ist.[96]Vgl. etwa J. Zenthöfer, FAZ v. 4.5.2020, S. 16 unter Hinweis auf L. Klenk, Die Genzen der Grundfreiheiten, 2019. So kann man etwa in der Rechtsprechung des UK Supreme Courts der letzten 10 Jahre Belege finden,[97]High Court, Urt. v. 18.2.2002, Thoburn v. Sunderland City Council, (2002), EWHC 195 (Admin), Abs.-Nr. 69; UK Supreme Court, Urt. v. 22.1.2014, R (on the application of HS2 Action Alliance Limited) v. … Continue reading die man als Ringen um eine verlässlichere vertikale Kompetenzverteilung in der Europäischen Union deuten kann und als eine – zu späte – Annäherung an die Rechtsprechung anderer Verfassungs- und Höchstgerichte, die die luxemburger Rechtsprechung schon länger konstruktiv-kritisch begleiten. Unvergessen ist insoweit ein Ausspruch des früheren Chief Justice Lord Neuberger, der auf einem bilateralen Treffen mit dem Bundesverfassungsgericht im Frühjahr 2015 in diesem Zusammenhang äußerte: „We want to become as muscular as you are“.

Dass sich in den letzten 10 Jahren das dänische Højesteret,[98]Højesteret, Ent. Nr. 15/2014 – Dansk Industri (DI) acting for Ajos A/S vs. The estate left by A. das Bundesverfassungsgericht,[99]BVerfGE 154, 17 ff. – PSPP. der französische Conseil d´État[100]Conseil d`État, Ent. v. 21.4.2021, Rs. Nr. 393099 u.a., ECLI:FR:CEASS:2021:393099.20210421 – French Data Network et autres, abrufbar unter … Continue reading und das tschechische Verfassungsgericht,[101]Ústavní Soud, Urt. v. 31.1.2012, Pl. ÚS 5/12, Absch. VII – Holoubec. wenn auch mit unterschiedlichen Begründungen und Konstruktionen, veranlasst gesehen haben, der Rechtsprechung des Gerichtshofs in einer konkreten Frage die Gefolgschaft zu verweigern, erhärtet diesen Befund.

II. Hypertrophie der Rechtsordnung

Der gemeinschaftliche Besitzstand, d.h. die Summe des Sekundär- und Tertiärrechts, ist mittlerweile unüberschaubar.[102]G. Hirsch, EG: Kein Staat, aber eine Verfassung?, NJW 2000, S. 46 hat Ende der 1990er Jahre 120.000 Rechtsakte gezählt. Allein seit 1990 hat die Europäische Union 38.000 Rechtsakte erlassen.[103]Vgl. dazu die Statisik von EUR-lex, abrufbar unter <https://eur-lex.europa.eu/statistics/legislative-acts-statistics.html> (21.12.2021). Hinzu kommen in Deutschland etwa 14.000 Normen des Bundesrechts[104]Vgl. Deutscher Bundestag, Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages, Kap. 10.1, Statistik zur Gesetzgebung, S. 10. und etwa 8.000 des Landesrechts. Es liegt auf der Hand, dass das Nebeneinander so vieler, häufig unabgestimmter Rechtsvorschriften Geltung und Durchsetzungskraft des Rechts in Frage stellt. Ein Recht, das keiner mehr zu erfassen vermag, kann weder seine demokratische Steuerungsfunktion erfüllen noch die Risiken von Machtmissbrauch bannen. Es verleitet Regierung und Verwaltung zudem zu Attentismus und führt die Rechtsgemeinschaft damit ad absurdum. Der berühmte, Montesquieu zugeschriebe Satz, dass es, wenn es nicht notwendig ist ein Gesetz zu erlassen, es notwendig ist, ein Gesetz nicht zu erlassen – nie war er richtiger als im Rechtsetzungsverbund der Europäischen Union unserer Tage.

Die Versteinerung des einmal in Kraft getretenen Unionsrechts und der Judikatur des Gerichtshofs (Korallenriff) kommen hinzu. Entscheidungen des Gerichtshofs sind praktisch irreversibel – und können de facto weder durch nationale oder europäische Wahlen verändert werden, noch durch Vertragsänderungen.[105]D. Grimm, Europa ja – aber welches?, 2016, S. 18, 41; F. W. Scharpf, Legitimacy in the Multi-level European Polity, in: Dobner/Loughlin (Hrsg.), The Twilight of Constitutionalism?, Oxford 2010, S. … Continue reading Was den gemeinschaftlichen Besitzstand angeht, haben sich Europäische Kommision und Gerichtshof gegen die Politik immunisiert. Als Ausweg bleibt den Mitgliedstaaten nur mehr der Austritt aus der Europäischen Union (Art. 50 EUV).[106]Wie sicher sich der Gerichtshof insoweit fühlt, wird deutlich an den dreisten, im Ton unangemessenen und sachlich nicht veranlassten Äußerungen des GA Tanchev, Schlussanträge v. 17.12.2020, Rs. … Continue reading

III. Verteidigung der Werte

Auch wenn Kommission und Gerichtshof nicht die richtigen Adressaten für die Durchsetzung der in Art. 2 EUV niedergelegten Werte sind, besteht doch kein Zweifel daran, dass diese Werte, die jedenfalls zum Teil auch politische Inhalte aufweisen,[107]P. M. Huber, Art. 2 EUV als Grundlage des Staaten- und Verfassungsverbundes der EU, in: Pánstwo a gospodarka, Ksiega Jubileuszowa dedykowana Profesir Bozenie Popowskiej, 2020, S. 41 ff. verteidigt werden müssen. Diese Aufgabe weist Art. 7 EUV allerdings dem Rat zu und räumt der Kommission und dem Europäischen Parlament insoweit lediglich ein Antragsrecht ein. Der Vertrag will, dass über etwas so wichtiges wie die Werte, auf denen die Europäische Union beruht, auch deren wichtigstes Organ entscheidet: der Rat. Nur die im Rat vertretenen Mitgliedstaaten und ihre Regierungen haben das Gewicht und das Mandat, diese Auseinandersetzung zu führen, nur sie haben die Legitimation, Gefüge und Zusammensetzung der Europäischen Union zu verändern, nur sie haben auch den notwendigen Überblick über die politische Gesamtlage und das realpolitisch Machbare. Nur die Regierungen der Mitgliedstaaten können schließlich verhindern, dass sich bei der Auseinandersetzung über die Werte der Europäischen Union einseitige politische oder ideologische Positionen Bahn brechen und diese Auseinandersetzung instrumentalisiert wird.

Der Rat kann seine Hände deshalb nicht in Unschuld waschen, sondern muss die Auseinandersetzungen mit Polen, Ungarn und den anderen problematischen Mitgliedstaaten offensiv führen, und zwar so, dass eine Mobilisierung der Unionsbürgerinnen und -bürger in der ganzen Europäischen Union möglich ist. Lippenbekenntnisse genügen insoweit nicht. Das mag mühsam sein, die von Art. 7 EUV geforderte Einstimmigkeit lästig, und sie mag auch einen politischen und ökonomischen Preis haben. Gleichwohl lässt sich diese Aufgabe nicht delegieren. Dass Rat und Mitgliedsstaaten es dennoch versuchen und Kommission und Gerichtshof sie gewähren lassen, wirft kein gutes Licht auf den Stellenwert, den die Werte des Art. 2 EUV in der politischen Realität besitzen.

D. Legitimität durch eine Balance von Einheit und Vielfalt im Staatenverbund

Fragt man, wie sich Akzeptanz und Legitimität der Europäischen Union über die Sicherung der Rechtsgemeinschaft hinaus durch ihren Beitrag zur Erfüllung der Staatszwecke sichern lassen, so trifft man in der Regel auf die These, dass die Selbstbehauptung Europas zwischen den Blöcken, seine „Souveränität“, eine forcierte Zentralisierung erforderten. Ein näherer Blick zeigt allerdings, dass sich die 27 Mitgliedstaaten in zentralen Politikbereichen nicht einig sind – Russland, China, Welthandel, Energieversorgung, Klimaschutz, Migration etc. etc. Zudem verbergen sich hinter manchem Ziel oftmals nur die Partikularinteressen einzelner Mitgliedstaaten, Institutionen oder Politiker. Die Europäische Union ist jedoch weder ein autokratischer Zentralstaat noch eine über 200 Jahre alte, in Bürgerkriegen erprobte Föderation, sondern ein Staaten‑, Verfassungs‑, Rechtssetzungs‑, Verwaltungs- und Rechtsprechungsverbund.

Auch die Europäische Union erfährt Akzeptanz nur, wenn sie über die Wahrung des Rechts hinaus erkennbar zur Verwirklichung der zentralen Zwecke von Herrschaft beiträgt. Da sie – anders als die Mitgliedstaaten – insoweit keine Letztverantwortung für die Wohlfahrt der Unionsbürgerinnen und -bürger trägt, kommt es auf einen überzeugenden Beitrag der Union zur arbeitsteiligen Erfüllung dieser Zwecke im Zusammenwirken mit den Mitgliedsstaaten an. Wie aber stellt man das fest und vor allem wer?

So richtig die empirische Feststellung auch sein mag, dass wirtschaftliche Modernität und Prosperität die Entfaltung der Demokratie begünstigen[108]M. G. Schmidt, Geschichtliche Entwicklungslinien der Demokratie, in: Bauer/Huber/Sommermann (Hrsg.), Demokratie in Europa, 2005, S. 21 ff. und ihre Akzeptanz erleichtern, so kann dieser Befund doch nicht ins Normative gewendet werden. Das gilt auch für die Europäische Union, die ausweislich von Art. 10 EUV – ähnlich wie das Grundgesetz – einem letztlich an die Selbstbestimmung des Einzelnen anknüpfenden Demokratieprinzip verpflichtet ist.[109]P. M. Huber, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 10 EUV Rn. 11. Die Frage nach Akzeptanz und Legitimität der Europäischen Union kann daher weder von der Europäischen Kommission noch vom Europäischen Parlaments beantwortet werden, weder von den Medien noch von den politischen Parteien, und auch nicht von den nationalen Regierungen, sondern nur durch die Unionsbürgerinnen und -bürger selbst.

I. Realitätsgerechter Zuschnitt des Integrationsprogramms

Blickt man auf die vergangenen 70 Jahre zurück, so zeigt sich, dass Europa bis zur weitgehenden Vollendung des Binnenmarktes nie ernsthaft umstritten war. Die Zusammenarbeit der zunächst sechs, später neun und dann 15 Mitgliedstaaten[110]Vgl. P. M. Huber, Recht der Europäischen Integration, 2. Aufl. 2002, § 3 Rn. 23, 29 und 45. ermöglichte nicht nur immer wieder neue Kompromisse zwischen über Jahrhunderte verfeindeten und mentalitätsmäßig sehr unterschiedlichen Staaten bzw. Gesellschaften wie Deutschland und Frankreich. Sie ließ auch Vertrauen wachsen und bescherte den Marktbürgern ein nie da gewesenes Maß an Wohlstand. Ernsthafte Kritik an diesem Prozess gab es kaum.

Das hat sich mit der Gründung der Europäischen Union durch den Vertrag von Maastricht (1992/93) und seine Fortschreibungen mit den Verträgen von Amsterdam (1997/99), Nizza (2000/03) und Lissabon (2007/09) grundlegend geändert. Mit diesen Verträgen wurde die Europäische Union in kürzester Zeit zu einem Staatenverbund, der – ohne wirkliche politische Debatte und Beteiligung der Bürger[111]D. Grimm, Auf der Suche nach Akzeptanz: Über Legitimationsdefizite und Legitimationsressourcen der Europäischen Union, Leviathan 43 (2015), S. 325 (326): „Unter dem Deckmantel der … Continue reading – heute in praktisch alle Lebensbereiche hineinwirkt und auch für viele unattraktive Seiten der Politik mitverantwortlich zeichnet: die Nichtbewältigung der Migrationsprobleme, die zunehmende Umverteilung zwischen den Mitgliedstaaten, die natürlich auch Gewinner und Verlierer produziert, oder das Hinterherhinken Europas bei der Impfstoffbeschaffung. Seither sinkt ihre Akzeptanz und die zentrifugalen Kräfte mehren sich. Gescheiterte Referenden in Dänemark, Irland, Frankreich und den Niederlanden markieren dies deutlich.

Europa war mit anderen Worten immer dann erfolgreich, wenn es für „win-win-Situationen“ stand, und es gerät schnell an seine Grenzen, wo unionale Entscheidungen erkennbare Gewinner oder Verlierer produzieren – nicht nur in ökonomischer Hinsicht. Denn auf eine traditionale Legitimität kann die EU – anders als die teilweise jahrhundertealten, historisch gewachsenen und mehr oder weniger bewährten Mitgliedstaaten – nicht bauen.

Vor diesem Hintergrund spricht manches dafür, für die Weiterentwicklung der Europäischen Union, die Interessen der Mitgliedstaaten, ihrer Gesellschaften und Subsysteme in den Blick zu nehmen, und sich auf solche Bereiche zu konzentrieren, in denen es eine weitgehende Interessenübereinstimmmung gibt und in denen die Europäische Union realistische Erfolgschancen hat: den Binnenmarkt, die Sicherung der Außengrenzen, eine gemeinsame Rüstungsplanung und -beschaffung, die kartellrechtliche Behauptung gegenüber den Internetgiganten Google, Facebook, Amazon und Microsoft oder gemeinsame geostrategische Interessen gegenüber China und den USA, den G 16 oder den AKP-Staaten.

In anderen Bereichen muss die Zukunft zeigen, ob es die notwendige Interessenübereinstimmung tatsächlich und dauerhaft gibt: in der gemeinsamen Handelspolitik, der Wirtschafts‑, Währungs- und Fiskalpolitik, der Energiepolitik, der Justizpolitik oder im kulturellen Bereich einschließlich der audiovisuellen Medien.[112]Richtlinie (EU) 2018/1808 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Änderung der Richtlinie 2010/13/EU zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der … Continue reading Wo die Interessen der Mitgliedstaaten und ihrer Gesellschaften nachhaltig divergieren, sollte Raum für Vielfalt gelassen und das Integrationsprogramm reduziert werden. Viele Ameisen machen eben noch keinen Elefanten!

Eine zentrale Regelung des Verhältnisses von Staat und Kirche etwa würde angesichts der Vielgestaltigkeit der einschlägigen Regime in den Mitgliedstaaten, die von der Staatskirche in Griechenland oder Skandinavien bis zur „laïcité“ in Frankreich reichen, die Legitimität der Europäischen Union nachhaltig beeinträchtigen,[113]EGMR, Urt. v. 18.3.2011, Nr. 30814/06, ECLI:CE:ECHR:2011:0318JUD003081406 – Lautsi/Italien; Urt. v. 1.7.2014, Nr. 43835/11, ECLI:CE:ECHR:2014:0701JUD004383511 – S.A.S./Frankreich (Burka-Verbot). wenn auch vielleicht nicht in Deutschland, wo selbst die Kirchen davor zurückscheuen, ihre Position zu verteidigen.[114]BVerfGE 137, 273 ff. – Chefarzt; EuGH, Urt. v. 11.9.2018, Rs. C 68/17, ECLI:EU:C:2018:696 – IR/JQ; anhängig allerdings BVerfG – 2 BvR 934/19 – Egenberger; EuGH, Urt. v. 17.4.2018, Rs. … Continue reading

II. Verbesserung der Responsivität

1. Dekonstitutionalisierung des gemeinschaftlichen Besitzstandes

Mit Blick auf die Überkonstitutionalisierung der Europäischen Union und die zu großen Spielräume des Gerichtshofes[115]D. Grimm, Auf der Suche nach Akzeptanz: Über Legitimationsdefizite und Legitimationsressourcen der Europäischen Union, Leviathan 43 (2015), S. 325 (332 f.). kann die Therapie nur darin liegen, den Großteil des gemeinschaftlichen Besitzstandes wieder dem politischen Prozess zu öffnen. Dieter Grimm hat insoweit eine drastische Reduzierung des Primärrechts vorgeschlagen, was es Rat und Europäischem Parlament ermöglichen würde, die rechtsprechende Gewalt durch Gesetzesänderungen für die Zukunft umzuprogrammieren.[116]D. Grimm, Auf der Suche nach Akzeptanz: Über Legitimationsdefizite und Legitimationsressourcen der Europäischen Union, Leviathan 43 (2015), S. 325 (335). Man sollte auch an eine Streichung des Initiativmonopols der Europäischen Kommission denken und nicht nur Rat, Europäischem Parlament und Bürgerinitiativen echte Initiativrechte zugestehen, sondern auch den – nach Art. 12 EUV zum institutionellen Gefüge der Europäischen Union zählenden – nationalen Parlamenten sowie einen Umbau des unionalen Gerichtssystems in Betracht ziehen, mit dem Ziel, dessen Macht zu begrenzen und die notwendige Pluralität sicherzustellen.

2. Europäisches Parlament

Auch ein Umbau des Europäischen Parlaments könnte dazu beitragen, dieses mehr als bisher in den Dienst der (einzelnen) Unionsbürgerinnen und -bürger zu stellen. Seine mangelnde Partizipationstauglichkeit beruht allerdings weniger auf der nationalen Kontingentierung der Sitze (Art. 14 Abs. 2 UAbs. 1 S. 3 und 4 EUV) und der damit zusammenhängenden nur rudimentären Verwirklichung der Wahlrechtsgleichheit,[117]BVerfGE 123, 267 (373 ff.) – Lissabon; F. Arndt, Ausrechnen statt aushandeln: Rationalitätsgewinne durch ein formalisiertes Modell für die Bestimmung der Zusammensetzung des Europäischen … Continue reading sondern auf seiner absolut unzureichenden Responsivität.

Zu einem wirklichen Demokratisierungsschub und einer deutlichen Verbesserung der Selbstbestimmung von Unionsbürgerinnen und -bürgern würde insbesondere eine Modifikation des Wahlrechts beitragen. Die Vorgabe des Art. 1 Abs. 1 des Direktwahlaktes,[118]Beschl. (EGKS, EWG, Euratom) Nr. 76/787 des Rates v. 20.9.1976; Beschluss und Akt zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten des Europäischen Parlaments, ABl. 1976 Nr. L … Continue reading wonach die Mitglieder des Europäischen Parlaments nach dem Verhältniswahlsystem auf der Grundlage von Listen oder von übertragbaren Einzelstimmen gewählt werden, führt zu bürgerfernen Listenaufstellungen, beamtenähnlichen Parlamentskarrieren und macht es unmöglich, den Erfolg der Abgeordneten an die Interessen und den Willen konkreter Wähler zu binden.[119]D. Grimm, Auf der Suche nach Akzeptanz: Über Legitimationsdefizite und Legitimationsressourcen der Europäischen Union, Leviathan 43 (2015), S. 325 (334). Daran würden auch transnationale Listen nichts ändern, weil sie die auf ihnen Platzierten angesichts der im Vorfeld erforderlichen Aushandlungsprozesse noch ein Stück weiter von den Wählern abschotten.

Will man das ändern und meint man es ernst mit der europäischen Demokratie, bedarf es eines Wechsels zu einem Mehrheitswahlrecht, idealtypisch mit Stichwahl. Dieses mag im Kontext eines Nationalstaates zwar zahlreiche Defizite haben, die Vielgestaltigkeit der politischen Auffassungen nur unzureichend abbilden und kleinere Parteien benachteiligen. Die Europäische Union ist jedoch kein Nationalstaat und ihre Bevölkerung ebenso fragmentiert wie ihre Öffentlichkeit. In ihrer Demokratie muss es auch 50 Jahre nach der ersten Direktwahl zunächst einmal darum gehen, die Verfahren so auszugestalten, dass eine Willensbildung von den Unionsbürgerinnen und -bürgern über das Europäische Parlament zu den Organen und Einrichtungen der Europäischen Union hin überhaupt möglich und dieser Prozess in Gang gebracht wird. Dazu benötigt das Europäische Parlament ein Minimum an Responsivität. Das kann mit dem – grobschlächtigen – Mehrheitswahlrecht deutlich eher gelingen als mit dem Status quo oder anderen Reformvorschlägen wie etwa transnationalen Listen.

Würden die 751 Sitze auf eine entsprechende Anzahl von Wahlkreisen verteilt, so könnte jede Unionsbürgerin und jeder Unionsbürger „ihren“ bzw. „seinen“ Abgeordneten identifizieren und besäße insoweit auch einen konkreten Ansprechpartner, der schon wegen seines Interesses an einer Wiederwahl in der Regel geneigt wäre, den Interessen „seiner“ Wähler bestmöglich Rechnung zu tragen und der für sein Handeln in Brüssel bzw. Straßburg effektiv Rechenschaft abzulegen hätte. Dass das Mehrheitswahlrecht – wie man in Großbritannien und Irland beobachten kann – mitunter zu einer von den Regierungsspitzen beklagten „Kirchturmpolitik“ (constituency oriented) führen kann, wäre für die Europäische Union kein Nachteil, sondern ein erheblicher Legitimitätsgewinn.[120]P. M. Huber, in: Franzius/Mayer/Neyer (Hrsg.), Die Neuerfindung Europas, 2019, S. 215 (230 ff.).

III. Verbesserung der Integrationsverantwortung im nationalen Bereich

Auch wenn es zu kurz greift, die europäische Integration als Verfallsprozess des europäischen Parlamentarismus zu beschreiben,[121]Mit guten Gründen dagegen A. v. Bogdandy, Parlamentarismus in Europa: eine Verfalls- oder Erfolgsgeschichte?, AöR 130 (2005), 445 (462 ff.), der einen Funktionswandel der Parlamente beschreibt. so hat sie doch jedenfalls zu einem substantiellen Funktionsverlust der nationalen Parlamente geführt,[122]P. M. Huber, Recht der Europäischen Integration, 2. Aufl. 2002, § 7 Rn. 16 ff.; Dänemark: Højesteret, Urt. v. 6.4.1998, I 361/1997, ZaöRV 58 (1998), S. 901 – Maastricht; Deutschland: … Continue reading der durch das gewachsene Gewicht des Europäischen Parlaments nicht ausgeglichen wird.[123]Krit. S. Biernat, in: Offene Staatlichkeit: Polen, in: IPE II, § 21 Rn. 52. Der Vertragsgeber wie auch die nationalen Gesetzgeber haben aus diesem Befund die Konsequenz gezogen, nicht nur die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union zu stärken[124]Zu entsprechenden Überlegungen im Vorfeld vgl. P.M. Huber, Die Rolle der nationalen Parlamente bei der Rechtsetzung der Europäischen Union, 2001; A. Tiedtke, Demokratie in der Europäischen Union, … Continue reading und ihre Europafunktion auszubauen,[125]Für einen Überblick über die europaverfassungsrechtlichen Regelungen P. M. Huber, Offene Staatlichkeit: Vergleich, in: v. Bogdandy/Cruz Villalón/ders. (Hrsg.), IPE II, 2008, § 26 Rn. 49 … Continue reading sondern sie im Interesse der Bürgerinnen und Bürger auch entsprechend zu verpflichten. In Deutschland trifft Bundestag und Bundesrat – wie auch die anderen Verfassungsorgane[126]BVerfGE 134, 366 (394 f. Rn. 47) – OMT-Vorlage. – eine besondere Integrationsverantwortung, der sie nicht nur bei Abschluss und Änderung der Verträge Rechnung tragen müssen, sondern auch bei ihrer Umsetzung.[127]BVerfGE 73, 339 (374 ff.); 102, 147 (161 ff.); 118, 79 (95 ff.); 123, 267 (354); 126, 286 (298 ff.); 135, 317 (399 ff. Rn. 159 ff.); 140, 317 (334 ff. Rn. 36 ff.); 142, 123 (186 Rn. 115 ff.) – OMT; … Continue reading

Ausgangspunkt[128]BVerfGE 123, 267 (352 ff., 389 ff., 413 ff.) – Lissabon. der Integrationsverantwortung ist die auf das insoweit integrationsfeste (Art. 23 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG) Demokratieprinzip des Grundgesetzes gegründete Annahme, dass die Abgeordneten des Deutschen Bundestages als Repräsentanten des Volkes auch in einem Staaten‑, Verfassungs‑, Rechtsetzungs‑, Verwaltungs- und Rechtsprechungsverbund die Kontrolle über die grundlegenden Entscheidungen behalten müssen. Der Bundestag muss insoweit der Ort bleiben, an dem eigenverantwortlich über die wesentlichen Fragen entschieden wird[129]BVerfGE 129, 124 (177); 130, 318 (344); 131, 152 (205 f.); 132, 195 (239 f. Rn. 107); 135, 317 (400 f. Rn. 162) – ESM, auf das Budgetrecht und die haushaltspolitische Gesamtverantwortung bezogen; … Continue reading und er trägt deshalb die Verantwortung für den Inhalt des Integrationsprogramms und seine Einhaltung.[130]BVerfGE 123, 267 (352 ff., 389 ff., 413 ff.) – Lissabon; 126, 286 (307) – Honeywell; 129, 124 (181) – EFSF; 132, 195 (238 f. Rn. 105) – ESM (einstweilige Anordnung); 134, 366 (394 f. Rn. 47) … Continue reading

Die Wahrnehmung der Integrationsverantwortung ist eine Daueraufgabe. Sie mag zwar nur in ihrem durch Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Kern justitiabel sein, verpflichtet Bundestag und Bundesrat im Prozess der europäischen Integration jedoch umfassend zur Loyalität gegenüber den Werten, Institutionen und Instituten des Grundgesetzes. Dass dies unter den Bedingungen der komplexen politischen Willensbildung in Deutschland und Europa rasch an Grenzen stößt, zeigen zahlreiche Beispiele aus der Praxis, in denen das Parlament die ihm zur Verfügung stehenden Instrumente nicht ansatzweise genutzt hat. Der Europäische Haftbefehl[131]BVerfGE 113, 273 (300 f.) – Europäischer Haftbefehl; 140, 317 ff. – Identitätskontrolle I. kann hier ebenso genannt werden wie der ESM,[132]BVerfGE 132, 195 ff. – ESM (einstweilige Anordnung); 135, 317 ff. – ESM. das PSPP[133]BVerfGE 154, 17 ff. – PSPP; BVerfG, Beschl. v. 29.4.2021 – 2 BvR 1651/15 – PSPP-Vollstreckungs-anordnung. oder das EPGÜ.[134]Zur verfassungswidrigen Verankerung eines unbegrenzten Vorrangs des Unionsrechts in Art. 20 EPGÜ. Eine positive Ausnahme bildet demgegenüber die bisherige parlamentarische Behandlung von CETA.[135]Vgl. BVerfGE 143, 65 ff. – CETA (einstweilige Anordnung); BVerfG, Urt. v. 2.3.2021 – 2 BvE 4/16 –, Rn. 82 – CETA Organklage.

E. Ausblick: Die Europäische Union als Dienstleister, Makler und Treuhänder

Die europäische Integration war von Anfang an ein grandioses Projekt, das Europa Frieden und Wohlstand beschert hat und dies weiterhin tut.[136]L. Viellechner, Nach den großen Erzählungen: Möglichkeiten und Grenzen von Verfassungspluralismus in der Krise der Europäischen Union, in: Franzius/Mayer/Neyer (Hrsg.), Die Neuerfindung Europas … Continue reading Es liegt daher im Interesse aller Europäerinnen und Europäer, dass die Europäische Union auch in Zukunft Erfolg hat. Dies wird allerdings nur gelingen, wenn ihre Eliten, die sog. „anywheres“, die sie kennzeichnenden Abschottungstendenzen überwinden und wenn sie in der Lage sind, Gefühle und Erwartungen ihrer Mitbürgerinnen und Mitbürger zu teilen und Opferbereitschaft und Loyalität erkennen lassen.[137]I. Krastev, Europadämmerung, 4. Aufl. 2018, S. 43, 105 ff.; in Anlehnung an D. Goodharts Differenzierung zwischen den „somewheres“ und den „anywheres“.

Vor allem aber müssen die Organe ihre Selbstreferentialität überwinden und die tatsächlichen Lebensbedingungen der Unionsbürgerinnen und -bürger einschließlich der damit verbundenen Erwartungen und Interessen deutlicher zur Kenntnis nehmen. Setzen sie, wie bisher die Kommission, auf paternalistische Bevormundung, die die Selbstbestimmung des Einzelnen ignoriert, wird die Union auf lange Sicht scheitern.[138]P. M. Huber, Demokratie in Europa – Zusammenfassung und Ausblick, in: Bauer/Huber/Sommermann (Hrsg.), Demokratie in Europa, 2005, S. 491 (512). Denn sie ist kein Selbstzweck, sondern um der Unionsbürgerinnen und -bürger willen da.

Vor diesem Hintergrund ist die von der aktuellen Kommission forcierte Verwendung von Englisch als vorrangigem Kommunikationsmittel nicht nur ein technokratischer Irrweg. Sie verkennt vor allem, dass sich die Europäerinnen und Europäer, ihre Kultur und ihr Fühlen nur über die unterschiedlichen Sprachen erschließen lassen. Wirkliche Europäerinnen und Europäer mögen zwar auch Englisch sprechen, aber vor allem Französisch und Italienisch, Spanisch und Polnisch und natürlich auch Deutsch.[139]BVerfGE 89, 155 (185) – Maastricht; P. M. Huber, Deutsch als Gemeinschaftssprache, BayVBl. 1992, S. 1 ff.; W. Kahl, Sprache als Kultur- und Rechtsgut, VVDStRL 65 (2006), S. 386 (439 ff.). Hier kann die Europäische Union von der Schweiz noch Einiges lernen.

Fussnoten

Fussnoten
1 Ursula von der Leyen, Rede vor dem Plenum des Europäischen Parlaments am 27. November 2019, abrufbar unter <https://ec.europa.eu/info/sites/default/files/president-elect-speech_de.pdf> (21.12.2021).
2 Der Brief ist im Wortlaut abrufbar unter <https://www.spiegel.de/politik/ausland/emmanuel-macron-brief-an-die-eu-buerger-im-wortlaut-a-1256271.html> (21.12.2021).
3 E. Macron, „Initiative für Europa“, Rede vom 26. September 2017 an der Pariser Sorbonne-Universität, Rede in deutscher Sprache, abrufbar unter <https://de.ambafrance.org/Initiative-fur-Europa-Die-Rede-von-Staatsprasident-Macron-im-Wortlaut> (21.12.2021), im französischen Originalwortlaut und englischer Sprache abrufbar unter <https://www.elysee.fr/emmanuel-macron/2017/09/26/initiative-pour-l-europe-discours-d-emmanuel-macron-pour-une-europe-souveraine-unie-democratique> (21.12.2021).
4 Vgl. etwa auch U. Guérot, Warum Europa eine Republik werden muss! – Eine politische Utopie, 2016, die sich für eine den Nationalstaat überwindende Europäische Republik einsetzt.
5 Koalitionsvertrag zwischen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP, „Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“, 24.11.2021, S. 131, abrufbar unter <https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_
2021-2025.pdf
> (21.12.2021).
6 Dazu bereits W. Hallstein, Die EWG – eine Rechtsgemeinschaft, in: T. Oppermann (Hrsg.), Europäische Reden, 1979, S. 59 und ders., Die Europäische Gemeinschaft, 1973, S. 36 – ihm wird auch die Fahrradmetapher zugeschrieben, wonach es sich mit der Integration wie mit einem Rad verhält, das ständig bewegt werden muss, weil es sonst umfällt; vgl. A. v. Bogdandy, Von der technokratischen Rechtsgemeinschaft zum politisierten Rechtsraum. Probleme und Entwicklungslinien in der Grundbegrifflichkeit des Europarechts, in: Claudio Franzius/Franz C. Mayer/Jürgen Neyer (Hrsg.), Die Neuerfindung Europas. Bedeutung und Gehalte von Narrativen für die europäische Integration. Recht und Politik in der Europäischen Union, 2019, S. 67 (71 f.); dazu auch bereits W. Möschel, Politische Union für Europa: Wunschtraum oder Alptraum?, JZ 1992, S. 877 (878).
7 Vgl. etwa FAZ-online vom 4.7.2016, „Studie: Bulgarien bleibt im Griff der Korruption“, abrufbar unter <https://www.faz.net/agenturmeldungen/dpa/studie-bulgarien-bleibt-im-griff-der-korruption-14324047.html> (21.12.2021).
8 Vgl. etwa die Vertragsverletzungsverfahren gegen Malta wegen des „Verkaufs“ von Staatsbürgerschaften (sog. „golden passport“), abrufbar unter <https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/ en/ip_20_1925> (21.12.2021)
9 Vgl. etwa das Verfahren um die Absetzung der Leiterin der Korruptionsbekämpfungsbehörde: EGMR Urt. v. 5.5.2020 – 3594/19 – Kövesi/Rumänien = NVwZ-RR 2020, 1032; sowie die Reporte der Europäischen Kommission im Rahmen des Kooperations- und Kontrollverfahrens, abrufbar unter <https://ec.europa.eu/info/policies/justice-and-fundamental-rights/upholding-rule-law/rule-law/assistance-bulgaria-and-romania-under-cvm/reports-progress-bulgaria-and-romania_de> (21.12.2021).
10 The Journal v. 12.3.2018, „High Court [of Ireland] judge says changes in Poland have, systematically damaged’ the rule of law and breached democracy“; P. M. Huber, Europäische Verfassungs- und Rechtsstaatlichkeit in Bedrängnis. Zur Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit in Europa, in: Der Staat 56 (2017), S. 389 ff.
11 Zu entsprechenden Sachverhaltsermittlungspflichten der nationalen Gerichte dahingehend, ob dem von der Abschiebung Betroffenen eine unmenschliche und entwürdigende Behandlung droht, vgl. BVerfG, NVwZ 2016, S. 1242; NVwZ 2017, S. 1196; zu Anforderungen an das Verfahren EuGH, Urt. v. 5.4.2016, Rs. C‑404/15, ECLI:EU:C:2016:198 und C‑659/15 PPU, ECLI:EU:C:2016:140 – Aranyosi und Căldăraru; Rs. C-216/18 PPU, ECLI:EU:C:2018:586 – LM.
12 Zu der Figur des sich aus einem Vollzugsdefizit ergebenden strukturellen Regelungsdefizits, die zur Nichtigkeit einer Norm führen kann, vgl. BVerfGE 133, 168 (234 Rn. 119) – Verständigung im Strafprozess.
13 I. Krastev, Europadämmerung, 4. Aufl. 2018, S. 25 ff., 56 ff.
14 I. Krastev, Europadämmerung, 4. Aufl. 2018, S. 71.
15 Vgl. zu der geringen Anzahl an positiv beschiedenen Rückstellungsersuchen insbesondere in Griechenland und Ungarn etwa die Statistiken von Eurostat aus dem Jahr 2020, abrufbar unter <https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php?title=Statistics_
on_countries_responsible_for_asylum_applications_(Dublin_Regulation)#Dublin_requests
> (21.12.2021); zu der hohen Zahl an zurückgezogenen Asylanträgen v.a. in Griechenland und Italien als potentiellem Hinweis auf ein „Untertauchen und den Beginn von Sekundärmigration in andere EU-Länder“ der Annual Report des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (European Asylum Support Office, EASO) 2020, S. 13, abrufbar unter <https://www.easo.europa.eu/information-analysis/asylum-report/easo-annual-report-previous-editions> (21.12.2021), dazu auch Gutschker, Warum Dublin nicht funktioniert, FAZ-online v. 25.06.2020, abrufbar unter <https://www.faz.net/aktuell/politik/eu-asylbericht-warum-dublin-nicht-funktioniert-16832261.html> (21.12.2021).
16 Vgl. dazu die Asylum Quartely Reports von Eurostat, abrufbar unter <https://ec.europa.eu/eurostat/de/web/migration-asylum/asylum/publications> (20.12.2021).
17 Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen, ABl. EU 2013 Nr. L 180/96.
18 Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, ABl. EU 2013 Nr. L 180/60.
19 Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. EU 2011 Nr. L 337/9.
20 EGMR, Urt. v. 21.1.2011, Nr. 30696/09, ECLI:CE:ECHR:2011:0121JUD003069609 – M.S.S. c. Belgique et Grece.
21 EuGH, Urt. v. 21.12. 2011, Verb. Rs. C-411/10 und C‑493/10, ECLI:EU:C:2011:865 – N. S. / Secretary of State for the Home Department und M. E. u.a. / Refugee Applications Commissioner und Minister for Justice, Equality and Law Reform.
22 BVerfGE 128, 224 ff. – Einstellung des Verfahrens; BVerfG, Beschl. v. 8.5.2017 – 2 BvR 157/17 – Abschiebung nach Griechenland.
23 BVerfGE 132, 195 ff. – ESM (einstweilige Anordnung); 135, 317 ff. – ESM; a.A. EuGH, Urt. v. 27.11.2012, Rs. C‑370/12, ECLI:EU:C:2012:756 – Pringle.
24 Verordnung (EU) Nr. 806/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Juli 2014 zur Festlegung einheitlicher Vorschriften und eines einheitlichen Verfahrens für die Abwicklung von Kreditinstituten und bestimmten Wertpapierfirmen im Rahmen eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus und eines einheitlichen Abwicklungsfonds sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 (SRM-Verordnung); ABl. EU Nr. L 225 v. 30.7.2014, S. 1 ff.; siehe ferner BVerfGE 151, 202 ff. – Bankenunion.
25 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 15.4.2021 – 2 BvR 547/21 – EU-Wiederaufbaufonds.
26 Vgl. BVerfGE 147, 39 ff. – Vorlage PSPP; 154, 17 ff. – PSPP; BVerfG, Beschl. v. 29.4.2021 – 2 BvR 1651/15 – PSPP-Vollstreckungsanordnung; a.A. EuGH, Urt. von 11.12.2018, Rs. C-493/17, ECLI:EU:C:2018:1000 – Weiss.
27 So schon BVerfGE 132, 195 (247 f. Rn. 128) – ESM (einstweilige Anordnung); 135, 317 (407 Rn. 180) – ESM; a.A. Urt. v. 27.11.2012, Rs. C‑370/12, ECLI:EU:C:2012:756 – Pringle.
28 Keinerlei Bedenken EuGH, Urt. v. 16.6.2015, Rs. C-62/14, ECLI:EU:C:2015:400 – Gauweiler; Urt. v. 11.12.2018, C-493/17, ECLI:EU:C:2018:1000 – Weiss; anders und kritisch BVerfGE 134, 366 ff. – Vorlage OMT; 142, 123 ff. – OMT; 147, 39 ff. – Vorlage PSPP; 154, 17 ff. – PSPP.
29 G. Braunberger, „Weidmanns Rückzug“, FAZ.net v. 20.10.2021, abrufbar unter
<https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/bundesbank-jens-weidmann-tritt-aus-frust-ueber-geldpolitik-zurueck-17593603.html> (21.12.2021).
30 G. Conti im britischen Fernsehen, wonach die sozioökonomischen Folgen der Pandemie eine große Herausforderung für das Weiterbestehen Europas und die Gefahr eines Zerfalls real seien, zitiert bei L. van Middelaar, Das europäische Pandämonium, 2021, S. 12.
31 Dass die EU-Kommissionspräsidentin das Handeln ihrer Behörde heute lobt, vgl. SZ v. 15.9.2021, „Mit Pathos und Millarden“, abrufbar unter <https://www.sueddeutsche.de/politik/eu-eu-kommission-ursula-von-der-leyen-1.5411664> (21.12.2021), fällt eher in die Kategorie Marketing und Legendenbildung.
32 Zitiert bei S. de Ravinel, „Le manque de solidarité est un ‚danger mortel‘ pour l’Europe, selon Jacques Delors“, Le Figaro online v. 28.3.2020, abrufbar unter <https://www.lefigaro.fr/politique/le-manque-de-solidarite-est-un-danger-mortel-pour-l-europe-selon-jacques-delors-20200328> (21.12.2021).
33 Zu diesem „pandemischen Lamento über das drohende Ende Europas“ ausführlich, im Ergebnis aber mit differenzierterer Bewertung L. van Middelaar, Das europäische Pandämonium, 2021, S. 10 ff. m.w.N.
34 Vgl. ARD-Interview v. 8.5.2020, zitiert bei <https://www.bild.de/politik/ausland/politik-ausland/nachbar-regierung-sauer-auf-deutschland-luxemburg-ist-ein-land-und-kein-schlacht-72137068.bild.html> (21.12.2021); vgl. auch SZ v. 8.5.2020, „Seehofer soll die Grenzen öffen“, S. 1.
35 I. Krastev, Europadämmerung, 4. Aufl. 2018, S. 80, 124.
36 Europäische Kommission, Special Eurobarometer 379 „Future of Europe“, 2012, S. 22, abrufbar unter <https://europa.eu/eurobarometer/surveys/detail/1059> (21.12.2021). In jüngster Zeit scheint sich die Wahrnehmung allerdings zu verbessern.
37 I. Krastev, Europadämmerung, 4. Aufl. 2018, S. 83.
38 COM(2017) 2025, 1.3.2017.
39 T. Isler, „Junckers Pathos von gestern gefährdet die EU von morgen“, NZZ am Sonntag-online v. 16.9.2017, abrufbar unter <https://nzzas.nzz.ch/notizen/junckers-pathos-von-gestern-gefaehrdet-die-eu-von-morgen-ld.1316820> (21.12.2021).
40 U. Haltern, Europäische Verfassungsästhetik – Grundrechtscharta und Verfassung der EU im Zeichen von Konsumkultur, KritV 2002, S. 261 ff. (264 f., 268 f.); ders., Pathos and Patina: The Failure and Promise of Constitutionalism in the European Imagination, ELJ 9 (2003), S. 14 ff.
41 EuGH, Urt. v. 10.12.2018, Rs. C 621/18, ECLI:EU:C:2018:999 – Wightman.
42 EU-Kommission, Pressemitteilung v. 23.9.2015: „Mehr Verantwortung bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise: Europäische Kommission bringt Gemeinsames Europäisches Asylsystem auf Kurs und leitet 40 Vertragsverletzungsverfahren ein“.
43 Vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 15.4.2021 – 2 BvR 547/21 – EU-Wiederaufbaufonds.
44 Europäische Kommission, Mitteilung „Der europäische Grüne Deal“ v. 1.12.2019, COM(2019) 640 final und Mitteilung der Kommission „Investitionsplan für ein zukunftsfähiges Europa, Investitionsplan für den europäischen Grünen Deal“ v. 14.1.2020, COM(2020) 21 final; sowie Verordnung (EU) 2021/1119 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Juni 2021 zur Schaffung des Rahmens für die Verwirklichung der Klimaneutralität und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 401/2009 und (EU) 2018/1999 („Europäisches Klimagesetz“), ABl. EU Nr. L 243/1.
45 BVerfGE 35, 79 (120 f.) – Nds. Vorschaltgesetz.
46 H. Klinger, Der Konvent, 2007, S. 196 ff.; zu der organisationssoziologischen Einsicht, dass die Zusammensetzung eines Gremiums seine Entscheidungen tendenziell vorausbestimmt.
47 BVerfG, Beschl. v. 23.6.2021 – 2 BvR 2216/20 –, Rn. 73 f. – Einheitliches Patentgericht II, unter Hinweis auf BVerfGE 37, 271 (279 f.); 58, 1 (30 f.); 73, 339 (375 f.); 75, 223 (242); 89, 155 (190); 123, 267 (348 ff., 402); 126, 286 (302); 129, 78 (99); 134, 366 (384 Rn. 26); 140, 317 (336 Rn. 40); 142, 123 (187 f. Rn. 120); 154, 17 (89 f. Rn. 109).
48 Königreich Belgien: Verfassungsgerichtshof, Ent. Nr. 62/2016 v. 28.4.2016, Rn. B.8.7.; für das Königreich Dänemark: Højesteret, Urt. v. 6.4.1998 – I 361/1997 –, Abschn. 9.8.; Urt. v. 6.12.2016 – I 15/2014 –; für die Republik Estland: Riigikohus, Urt. v. 12.7.2012 – 3-4-1-6-12 –, Abs.-Nr. 128, 223; für die Französische Republik: Conseil Constitutionnel, Ent. Nr. 2006-540 DC v. 27.7.2006, Rn. 19; Ent. Nr. 2011-631 DC v. 9.6. 2011, Rn. 45; Ent. Nr. 2017-749 DC v. 31.7.2017, Rn. 9 ff.; Conseil d’État, Ent. Nr. 393099 v. 21.4.2021, Rn. 5; für Irland: Supreme Court of Ireland, Crotty v. An Taoiseach, (1987), I.R. 713 (783); S.P.U.C. (Ireland), Ltd. v. Grogan, (1989), I.R. 753 (765); für die Italienische Republik: Corte Costituzionale, Ent. Nr. 183/1973, Rn. 3 ff.; Ent. Nr. 168/1991, Rn. 4; Ent. Nr. 24/2017, Rn. 2; für Lettland: Satversmes tiesa, Urt. v. 7.4.2009 – 2008-35-01 –, Abs.-Nr. 17; für die Republik Polen: Trybunał Konstytucyjny, Urt. v. 11.5.2005 – K 18/04 –, Rn. 4.1., 10.2.; Urt. v. 24.11.2010 – K 32/09 –, Rn. 2.1. ff.; Urt. v. 16.11.2011 – SK 45/09 –, Rn. 2.4., 2.5.; für das Königreich Spanien: Tribunal Constitucional, Erklärung v. 13.12.2004, DTC 1/2004; für die Tschechische Republik: Ústavní Soud, Urt. v. 31.1.2012 – 2012/01/31 – Pl. ÚS 5/12 –, Abschn. VII; für Kroatien: Ustavni Sud, Ent. v. 21.4.2015 – U-VIIR-1158/2015 –, Rn. 60.
49 J. Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, 1973, S. 39.
50 M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 5. Aufl. 1972, S. 124.
51 W. Heun, Legitimität, Legalität, in: Ev. Staatslexikon, 2006, 1418 (1420).
52 J. J. Rousseau, Contrat social, I 3.
53 G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl. 1914, S. 426.
54 H. Heller, Staatslehre, 6. Aufl. 1983, S. 239.
55 U. Di Fabio, Herrschaft und Gesellschaft, 2018, S. 34.
56 Vgl. etwa R.Schmidt, Der Staat der Umweltvorsorge, in: Huber (Hrsg.), Das ökologische Produkt, 1995, S. 97 (105 f.).
57 JöR 1 (1951), 1 (48).
58 Declaration of Independence, abrufbar unter <http://www.archives.gov/exhibits/charters/declaration.html> (21.12.2021).
59 G. Pico della Mirandola, Oratio de hominis dignitate, aus dem Lateinischen von N. Baumgarten, 1990, S. 6 f.
60 Umstritten für das Asylrecht, BVerfGE 94, 49 (103 f.); näher P. M. Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG I, 7. Aufl. 2018, Art. 19 Abs. 2 Rn. 126 f. m. w. N. zum Streitstand.
61 BVerfGE 4, 7 (15 ff.).
62 Zum Begriff C. Schmitt, Verfassungslehre, 5. Aufl. 1954, S. 158.
63 F. Hufen, Staatsrecht II, 9. Aufl. 2021, § 1 Rn. 18; W. Rüfner, Leistungsrechte, in: Merten/Papier (Hrsg.), HGR II, 2006, § 40 Rn. 48.
64 P. M. Huber, Das Menschenbild im Grundgesetz, Jura 1998, S. 505 (507); P. Kirchhof, Das Parlament als Mitte der Demokratie, in: FS Badura, 2004, S. 237 (238).
65 BVerfGE 5, 85 (204 f.) – KPD; 107, 59 (91 ff.) – Emschergenossenschaft; BayVerfGHE 2, 181 (218); P. M. Huber, Volksgesetzgebung und Ewigkeitsgarantie, 2003, S. 28 ff.; S. Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008, S. 249 ff.; a.A. Chr. Hillgruber, Die Herrschaft der Mehrheit, AöR 127 (2002), S. 460 (469); J. Isensee, Verfassungsreferendum mit einfacher Mehrheit, 1999, S. 53; allgemein zum Prinzip R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 3. Aufl. 1996, S. 71 ff.; H. Dreier, in: ders. (Hrsg.), GG I, 3. Aufl. 2012, Vorb. Rn. 79, und GG II, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Einleitung) Rn. 43.
66 Vgl. BVerfGE 89, 155 (187); 123, 267 (340); 129, 124 (169, 177); 132, 195 (238 Rn. 104); 135, 317 (386 Rn. 125); 151, 202 (286 Rn. 118); BVerfG, Beschl. v. 23.6.2021 – 2 BvR 2216/20 –, Rn. 55 – Einheitliches Patentgericht II.
67 Vgl. BVerfGE 123, 267 (341) – Lissabon; 129, 124 (169) – EFSF und Griechenlandhilfe; 135, 317 (386 Rn. 125) – ESM; vgl. P. Häberle, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, 3. Aufl. 2004, § 22 Rn. 61 ff.; S. Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008, S. 252 ff.; H. H. Trute, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. 1, 2. Aufl. 2012, § 6 Rn. 19 f.
68 BVerfGE 5, 85 (204 f.) – KPD.
69 BVerfGE 142, 123 (189 f. Rn. 124) – OMT.
70 P. M. Huber, Deutschland in der Föderalismusfalle?, 2003, S. 18.
71 Vgl. BVerfGE 138, 1 (18 Rn. 51) – Sächsische Schulnetzplanung.
72 Vgl. BVerfGE 137, 108 (107 f. Rn. 81 f.) – Optionskommunen; P. M. Huber, Klarere Verantwortungsteilung von Bund, Ländern und Kommunen, 65. DJT, 2004, D 131; Chr. Möllers, Der parlamentarische Bundesstaat – Das vergessene Spannungsverhältnis von Parlament, Demokratie und Bundesstaat, in: Aulehner u. a. (Hrsg.), Föderalismus – Auflösung oder Zukunft der Staatlichkeit?, 1997, S. 81 (109) mit Mahnung zur Vorsicht.
73 Vgl. BVerfGE 119, 331 (366) – Hartz IV-Arbeitsgemeinschaften; 137, 108 (107 f. Rn. 81) – Optionskommunen.
74 Siehe etwa das sog. Patentpaket, das auch ausschließlich in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallende Gegenstände betrifft Verordnung (EU) Nr. 1257/2012, ABl. EU 2012 Nr. L 361/1 ff.; Verordnung (EU) Nr. 1260/2012, ABl. EU 2012 Nr. L 361/89 ff. und Übereinkommen über ein einheitliches Patentgericht ABl. EU 2013 Nr. C 175/1 ff. Auch beim sog. Six-Pack gibt es einzelne Zweifel an der Kompetenzkonformität, dazu Verordnung (EU) Nr. 1173/2011; Verordnung (EU) Nr. 1174/2011; Verordnung (EU) Nr. 1175/2011; Verordnung (EU) Nr. 1176/2011; Verordnung (EU) Nr. 1177/2011 und Richtlinie 2011/85/EU, alle ABl. EU 2012 Nr. L 361/1 ff.
75 Verhältnismäßigkeit und Grundrechte vgl. EuGH, Urt. v. 30.5.2006, Rs. C-317/04 und C-318/04, ECLI:EU:C:2006:346, Rn. 67 – Parlament/Rat und Kommission; Urt. v. 10.2.2009, Rs. C-301/06, ECLI:EU:C:2009:68, Rn. 56 – Irland/Parlament und Rat; Urt. v. 9.11.2010, Verb. Rs. C-92/09 und C-93/09 = EuZW 2010, 939 – Schecke GbR und Eifert. In diese Kategorie gehört auch das Gutachten über die geplante Übereinkunft zum EMRK-Beitritt der Union, die gegen einzelne Bestimmungen des Unionsrechts verstoßen soll; siehe EuGH, Gutachten 2/13 v. 18.12.2014; Rechtsgrundlage: vgl. EuGH, Urt. v. 25.2.1999, Rs. C-164/97 und 165/97, ECLI:EU:C:1999:99, Rn. 20 – Parlament/Rat; Urt. v. 7.7.1992, Rs. C-295/90, ECLI:EU:C:1992:294, Rn. 20 – Parlament/Rat; Urt. v. 26.3.1987, Rs. 45/86, ECLI:EU:C:1987:163, Rn. 21 – Kommission/Rat; Begründungserfordernis: Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 12.11.1996, Rs. C-84/94, ECLI:EU:C:1996:431, Rn. 37 – Vereinigtes Königreich/Rat. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist ein Rechtsakt nur dann ordnungsgemäß begründet, wenn er die Rechtsgrundlage, auf die er gestützt ist, angibt. Gibt er eine Rechtsgrundlage an, überprüft der EuGH den Rechtsakt ausschließlich am Maßstab dieser Rechtsgrundlage, nicht aber anderer Rechtsgrundlagen, die ebenfalls in Betracht kommen, sofern die Absicht, eine andere Rechtsgrundlage zu wählen, nicht anderweitig erkennbar ist; siehe EuGH, Urt. v. 10.9.2015, Rs. C-363/14, ECLI:EU:C:2015:579, Rn. 23 ff. – Parlament/Rat.
76 Vgl. EuGH, Urt. v. 23.4.1986, Rs. 294/83, ECLI:EU:C:1986:166, Rn. 51 ff. – Les Verts, (Parteienfinanzierung); Urt. v. 9.7.1987, Verb. Rs. 281, 284-285 und 287/85, ECLI:EU:C:1987:351, Rn. 9 ff., 36 – Deutschland u. a./Kommission und Parlament; Urt. v. 5.10.2000, Rs. C-376/98, ECLI:EU:C:2000:544, Rn. 76 ff. – Deutschland/Parlament und Rat, mit anderem Ergebnis jedoch Urt. v. 12.12.2006, Rs. C-380/03, ECLI:EU:C:2006:772, Rn. 36 ff. – Deutschland/Parlament und Rat (Tabakwerbung); Urt. v. 30.5.2006, Rs. C-317/04 und C-318/04, ECLI:EU:C:2005:190, Rn. 67 – Parlament/Kommission. In einer die Europäischen Schulen betreffenden Vorabentscheidung hat der Gerichtshof seine Zuständigkeit für die Auslegung der betreffenden Rechtsakte bejaht, für die Beantwortung von Einzelfragen, die einer Beschwerdekammer der Europäischen Schulen vorbehalten ist, dagegen verneint; siehe EuGH, Urt. v. 11.3.2015, C-464/13 u. a., Rn. 28 ff. – Europäische Schulen München.
77 P. M. Huber, Bundesverfassungsgericht und Europäischer Gerichtshof als Hüter der Gemeinschaftsrechtlichen Kompetenzordnung, AöR 116 (1991), S. 210 ff.
78 U. Everling, FS Lukes, 1989, S. 359 (374); Chr. Calliess, 70 Jahre Grundgesetz und europäische Integration: „Take back control“ oder „Mehr Demokratie wagen“?, NVwZ 2019, S. 684 (687).
79 Vgl. den Sachverhalt BVerfGE 134, 366 (372 ff. Rn. 1 ff) – OMT.
80 Vgl. BVerfGE 123, 267 (351 f.).
81 Dazu schon BVerfGE 89, 155 (210); 142, 123 (218 Rn. 183) – OMT; kritisch A. Bleckmann, Politische Aspekte der europäischen Integration unter dem Vorzeichen des Binnenmarktes, ZRP 1990, 265 ff.; U. Everling, Zur föderalen Struktur der Europäischen Gemeinschaft, in: FS Doehring, 1989, S. 179 (195 ff.); Chr. Hillgruber, Unmittelbare Wirkung von Rahmenbeschlüssen im Bereich polizeilicher und justizieller Zusammenarbeit in Strafsachen, JZ 2005, S. 841 (844); P. M. Huber, Bundesverfassungsgericht und Europäischer Gerichtshof als Hüter der Gemeinschaftsrechtlichen Kompetenzordnung, AöR 116 (1991), S. 210 (213); E. Klein, Der Verfassungsstaat als Glied einer europäischen Gemeinschaft, VVDStRL 50 (1990), S. 56 (72).
82 U. Everling, Gestaltungsbedarf des Europäischen Rechts, EuR 1987, S. 214.
83 BVerfGE 142, 123 (219 Rn. 185) – OMT; vgl. auch EuGH, Gutachten 2/94 v. 28.3.1996, Slg. 1996, I-1759, ECLI:EU:C:1996:140, Rn. 30 – EMRK-Beitritt; vgl. ferner die Erklärung Nr. 42 zur Schlussakte der Regierungskonferenz zu Art. 352 AEUV. Im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik (Art. 218 Abs. 1 AEUV) etwa wissen derzeit weder die Kommission noch Bundestag und Bundesregierung, wo die Grenze zwischen unionalen und nationalen Zuständigkeiten im Einzelnen verläuft, BVerfGE 143, 65 (93 ff. Rn. 52 ff.) – CETA I (einstweilige Anordnung); wenig überraschend weiter EuGH, Gutachten 2/15 v. 16.5.2017, ECLI:EU:C:2017:376.
84 Vgl. EuGH, Urt. v. 16.6.2015, C-62/14, ECLI:EU:C:2015:400, Rn. 67 – Gauweiler; BVerfGE 154, 17 (103 f. Rn. 128) – PSPP.
85 BVerfGE 154, 17 (99 ff. Rn. 123 ff.) – PSPP; BVerfG, Beschl. v. 29.4.2021 – 2 BvR 1651/15 – PSPP-Vollstreckungsanordnung.
86 Exemplarisch EuGH‚ Urt. v. 8.6.2010, Rs. C-58/08, ECLI:EU:C:2010:321, Slg. 2010, I-4999, Rn. 79 – Vodafone.
87 Vgl. BVerfGE 75, 223 (242) – Kloppenburg; 89, 155 (190) – Maastricht.
88 Jüngst M. Nettesheim, Kompetenzkonflikte zwischen EuGH und Mitgliedstaaten, ZRP 2021, S. 222 ff.
89 D. Grimm, Auf der Suche nach Akzeptanz: Über Legitimationsdefizite und Legitimationsressourcen der Europäischen Union, Leviathan 43 (2015), S. 325 (328 ff.).
90 Vgl. P. M. Huber, Europäisches und nationales Verfassungsrecht, VVDStRL 60 (2001), S. 194 (213 ff., insb. 221 ff.).
91 Vgl. EuGH, Urt. v. 4.10.2018, Rs. C-416/17, ECLI:EU:C:2018:811 – Kommission/Frankreich; Urt. v. 26.2.2019, Rs. 202/18 und 238/18, ECLI:EU:C:2019:139 – Rimšēvičs/Lettland; Instruktiv A. Bouveresse, How autonomy can lead to subordination, in: ECB Legal Conference 2019, 104 ff.; W. Schön, Selektivität schlägt Souveränität. Zur Transformation des Beihilfenverbots in einen europäischen Supergleichheitssatz, ZHR 183 (2019), S. 393.
92 D. Grimm, Auf der Suche nach Akzeptanz: Über Legitimationsdefizite und Legitimationsressourcen der Europäischen Union, Leviathan 43 (2015), S. 325 (328 ff.).
93 EuGH, Urt. v. 27.2.2018, Rs. C-64/16, ECLI:EU:C:2018:117, Rn. 31 f. – Associação Sindical dos Juízes Portugueses; Urt. v. 6.3.2018, Rs. C-284/16, ECLI:EU:C:2018:158, Rn. 36 – Achmea; Urt. v. 25.7.2018, Rs. C 216/18 PPU, ECLI:EU:C:2018:586, Rn. 48 f. – Minister for Justice and Equality (deficiencies in the Polish judicial system).
94 R. Dworkin, Law’s Empire, 1986, S. 247 f.
95 EuGH, Urt. v. 27.5.2019, Verb. Rs. C‑508/18 und C‑82/19 PPU, ECLI:EU:C:2019:456; Urt. v. 16.11.2021, C-748/19, ECLI:EU:C:2021:931, Rn. 79 könnte dagegen die Abordnungspraxis in der deutschen Justiz ebenso gefährden wie das Institut des Proberichters.
96 Vgl. etwa J. Zenthöfer, FAZ v. 4.5.2020, S. 16 unter Hinweis auf L. Klenk, Die Genzen der Grundfreiheiten, 2019.
97 High Court, Urt. v. 18.2.2002, Thoburn v. Sunderland City Council, (2002), EWHC 195 (Admin), Abs.-Nr. 69; UK Supreme Court, Urt. v. 22.1.2014, R (on the application of HS2 Action Alliance Limited) v. The Secretary of State for Transport, (2014), UKSC 3, Abs.-Nr. 79, 207; Urt. v. 25.3.2015, Pham v. Secretary of State for the Home Department, (2015), UKSC 19, Abs.-Nr. 54, 58, 72 bis 92.
98 Højesteret, Ent. Nr. 15/2014 – Dansk Industri (DI) acting for Ajos A/S vs. The estate left by A.
99 BVerfGE 154, 17 ff. – PSPP.
100 Conseil d`État, Ent. v. 21.4.2021, Rs. Nr. 393099 u.a., ECLI:FR:CEASS:2021:393099.20210421 – French Data Network et autres, abrufbar unter <https://www.conseil-etat.fr/fr/arianeweb/CE/decision/2021-04-21/393099> (21.12.2021); B. Stepanek, Diplomatie la française?, EuZW 2021, S. 701 ff.
101 Ústavní Soud, Urt. v. 31.1.2012, Pl. ÚS 5/12, Absch. VII – Holoubec.
102 G. Hirsch, EG: Kein Staat, aber eine Verfassung?, NJW 2000, S. 46 hat Ende der 1990er Jahre 120.000 Rechtsakte gezählt.
103 Vgl. dazu die Statisik von EUR-lex, abrufbar unter <https://eur-lex.europa.eu/statistics/legislative-acts-statistics.html> (21.12.2021).
104 Vgl. Deutscher Bundestag, Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages, Kap. 10.1, Statistik zur Gesetzgebung, S. 10.
105 D. Grimm, Europa ja – aber welches?, 2016, S. 18, 41; F. W. Scharpf, Legitimacy in the Multi-level European Polity, in: Dobner/Loughlin (Hrsg.), The Twilight of Constitutionalism?, Oxford 2010, S. 89 ff., 100; K. Messerschmidt, Gesetzesänderung in der Europäischen Union, in: Kloepfer (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Thilo Brandner, 2011, S. 29; vgl. bereits M. Cappelletti/M. Seccombe/J. H. Weiler, Integration Through Law: Europe and the American Federal Experience, A General Introduction, 1985, S. 40.
106 Wie sicher sich der Gerichtshof insoweit fühlt, wird deutlich an den dreisten, im Ton unangemessenen und sachlich nicht veranlassten Äußerungen des GA Tanchev, Schlussanträge v. 17.12.2020, Rs. C‑824/18, ECLI:EU:C:2020:1053, Rn. 80 ff. – A.B. u.a.
107 P. M. Huber, Art. 2 EUV als Grundlage des Staaten- und Verfassungsverbundes der EU, in: Pánstwo a gospodarka, Ksiega Jubileuszowa dedykowana Profesir Bozenie Popowskiej, 2020, S. 41 ff.
108 M. G. Schmidt, Geschichtliche Entwicklungslinien der Demokratie, in: Bauer/Huber/Sommermann (Hrsg.), Demokratie in Europa, 2005, S. 21 ff.
109 P. M. Huber, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 10 EUV Rn. 11.
110 Vgl. P. M. Huber, Recht der Europäischen Integration, 2. Aufl. 2002, § 3 Rn. 23, 29 und 45.
111 D. Grimm, Auf der Suche nach Akzeptanz: Über Legitimationsdefizite und Legitimationsressourcen der Europäischen Union, Leviathan 43 (2015), S. 325 (326): „Unter dem Deckmantel der wirtschaftlichen Integration vollzogen sich Veränderungen, die die Herstellung und Sicherung des gemeinsamen Marktes überschritten, aber öffentlich nicht wahrgenommen geschweige denn zum Gegenstand einer politischen Debatte gemacht wurden[…] war der Maastricht-Vertrag von 1992, der den Deckmantel von der Entwicklung wegzog und die Bürger der Mitgliedstaaten mit einem Integrationsgrad konfrontierte, zu dem sie nicht um ihre Meinung gefragt worden waren.
112 Richtlinie (EU) 2018/1808 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Änderung der Richtlinie 2010/13/EU zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste (Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste) im Hinblick auf sich verändernde Marktgegebenheiten ABl. EU Nr. L 303/69.
113 EGMR, Urt. v. 18.3.2011, Nr. 30814/06, ECLI:CE:ECHR:2011:0318JUD003081406 – Lautsi/Italien; Urt. v. 1.7.2014, Nr. 43835/11, ECLI:CE:ECHR:2014:0701JUD004383511 – S.A.S./Frankreich (Burka-Verbot).
114 BVerfGE 137, 273 ff. – Chefarzt; EuGH, Urt. v. 11.9.2018, Rs. C 68/17, ECLI:EU:C:2018:696 – IR/JQ; anhängig allerdings BVerfG – 2 BvR 934/19 – Egenberger; EuGH, Urt. v. 17.4.2018, Rs. C‑414/16, ECLI:EU:C:2018:257 – Egenberger; P. M. Huber, Siebzig Jahre Inkorporation. Die Stationen der bundesverfassungsgerichtlichen Judikatur vom Inkrafttreten des Grundgesetzes bis zur Gegenwart, Essener Gespräche 54 (2019), S. 104 (131 f.).
115 D. Grimm, Auf der Suche nach Akzeptanz: Über Legitimationsdefizite und Legitimationsressourcen der Europäischen Union, Leviathan 43 (2015), S. 325 (332 f.).
116 D. Grimm, Auf der Suche nach Akzeptanz: Über Legitimationsdefizite und Legitimationsressourcen der Europäischen Union, Leviathan 43 (2015), S. 325 (335).
117 BVerfGE 123, 267 (373 ff.) – Lissabon; F. Arndt, Ausrechnen statt aushandeln: Rationalitätsgewinne durch ein formalisiertes Modell für die Bestimmung der Zusammensetzung des Europäischen Parlaments, ZaöRV 68 (2008), S. 247 (248 f.); A. v. Bogdandy, in: ders./J. Bast (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2. Aufl. 2009, S. 13 (63 f.); U. Guérot, Warum Europa eine Republik werden muss! – Eine politische Utopie, 2016, S. 33; E. Peuker, Das Wahlrecht zum Europäischen Parlament als Achillesferse der europäischen Demokratie, ZEuS 2008, S. 453 ff.; J. Sack, Die EU als Demokratie – Plädoyer für eine europäische Streitkultur, ZEuS 2007, S. 457 (477 und 481).
118 Beschl. (EGKS, EWG, Euratom) Nr. 76/787 des Rates v. 20.9.1976; Beschluss und Akt zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten des Europäischen Parlaments, ABl. 1976 Nr. L 278/1; geändert durch Beschluss (EGKS, EWG, Euratom) Nr. 93/81 vom 1.2.1993, ABl. 1993 Nr. L 33/15; BGBl. 1977 I 733 f.
119 D. Grimm, Auf der Suche nach Akzeptanz: Über Legitimationsdefizite und Legitimationsressourcen der Europäischen Union, Leviathan 43 (2015), S. 325 (334).
120 P. M. Huber, in: Franzius/Mayer/Neyer (Hrsg.), Die Neuerfindung Europas, 2019, S. 215 (230 ff.).
121 Mit guten Gründen dagegen A. v. Bogdandy, Parlamentarismus in Europa: eine Verfalls- oder Erfolgsgeschichte?, AöR 130 (2005), 445 (462 ff.), der einen Funktionswandel der Parlamente beschreibt.
122 P. M. Huber, Recht der Europäischen Integration, 2. Aufl. 2002, § 7 Rn. 16 ff.; Dänemark: Højesteret, Urt. v. 6.4.1998, I 361/1997, ZaöRV 58 (1998), S. 901 – Maastricht; Deutschland: BVerfGE 89, 155 (184 ff.) – Maastricht; Frankreich: J. F. Flauss, in: Schwarze (Hrsg.), Die Entstehung einer europäischen Verfassungsordnung, 2000, S. 25 (93 f.); C. Haguenau-Moizard, in: IPE II, § 15 Rn. 16; Großbritannien: P. Birkinshaw, in: Schwarze, a.a.O., S. 250 ff.; Niederlande: R. A. Wessel / W. van de Griendt, Offene Staatlichkeit: Niederlande, in: IPE II, § 19 Rn. 24; Österreich: Chr. Grabenwarter, Offene Staatlichkeit: Österreich, in: IPE II, § 20 Rn. 16; Polen: S. Biernat, in: Offene Staatlichkeit: Polen, in: IPE II, § 21 Rn. 15; Spanien: López Castillo, in: IPE II, § 24 Rn. 55.
123 Krit. S. Biernat, in: Offene Staatlichkeit: Polen, in: IPE II, § 21 Rn. 52.
124 Zu entsprechenden Überlegungen im Vorfeld vgl. P.M. Huber, Die Rolle der nationalen Parlamente bei der Rechtsetzung der Europäischen Union, 2001; A. Tiedtke, Demokratie in der Europäischen Union, 2011, S. 240 f.; P. Norton, Conclusion, in: ders. (Hrsg.), National Parliaments and the European Union, 1995, S. 177 (183).
125 Für einen Überblick über die europaverfassungsrechtlichen Regelungen P. M. Huber, Offene Staatlichkeit: Vergleich, in: v. Bogdandy/Cruz Villalón/ders. (Hrsg.), IPE II, 2008, § 26 Rn. 49 ff., 59 ff.
126 BVerfGE 134, 366 (394 f. Rn. 47) – OMT-Vorlage.
127 BVerfGE 73, 339 (374 ff.); 102, 147 (161 ff.); 118, 79 (95 ff.); 123, 267 (354); 126, 286 (298 ff.); 135, 317 (399 ff. Rn. 159 ff.); 140, 317 (334 ff. Rn. 36 ff.); 142, 123 (186 Rn. 115 ff.) – OMT; 143, 65 (95 ff. Rn. 58, 65) – CETA (einstweilige Anordnung).
128 BVerfGE 123, 267 (352 ff., 389 ff., 413 ff.) – Lissabon.
129 BVerfGE 129, 124 (177); 130, 318 (344); 131, 152 (205 f.); 132, 195 (239 f. Rn. 107); 135, 317 (400 f. Rn. 162) – ESM, auf das Budgetrecht und die haushaltspolitische Gesamtverantwortung bezogen; der Ansatz ist jedoch generalisierbar.
130 BVerfGE 123, 267 (352 ff., 389 ff., 413 ff.) – Lissabon; 126, 286 (307) – Honeywell; 129, 124 (181) – EFSF; 132, 195 (238 f. Rn. 105) – ESM (einstweilige Anordnung); 134, 366 (394 f. Rn. 47) – OMT-Vorlage; 143, 65 ff. – CETA (einstweilige Anordnung).
131 BVerfGE 113, 273 (300 f.) – Europäischer Haftbefehl; 140, 317 ff. – Identitätskontrolle I.
132 BVerfGE 132, 195 ff. – ESM (einstweilige Anordnung); 135, 317 ff. – ESM.
133 BVerfGE 154, 17 ff. – PSPP; BVerfG, Beschl. v. 29.4.2021 – 2 BvR 1651/15 – PSPP-Vollstreckungs-anordnung.
134 Zur verfassungswidrigen Verankerung eines unbegrenzten Vorrangs des Unionsrechts in Art. 20 EPGÜ.
135 Vgl. BVerfGE 143, 65 ff. – CETA (einstweilige Anordnung); BVerfG, Urt. v. 2.3.2021 – 2 BvE 4/16 –, Rn. 82 – CETA Organklage.
136 L. Viellechner, Nach den großen Erzählungen: Möglichkeiten und Grenzen von Verfassungspluralismus in der Krise der Europäischen Union, in: Franzius/Mayer/Neyer (Hrsg.), Die Neuerfindung Europas – Bedeutung und Gehalte von Narrativen für die europäische Integration, 2019, S. 179 (180).
137 I. Krastev, Europadämmerung, 4. Aufl. 2018, S. 43, 105 ff.; in Anlehnung an D. Goodharts Differenzierung zwischen den „somewheres“ und den „anywheres“.
138 P. M. Huber, Demokratie in Europa – Zusammenfassung und Ausblick, in: Bauer/Huber/Sommermann (Hrsg.), Demokratie in Europa, 2005, S. 491 (512).
139 BVerfGE 89, 155 (185) – Maastricht; P. M. Huber, Deutsch als Gemeinschaftssprache, BayVBl. 1992, S. 1 ff.; W. Kahl, Sprache als Kultur- und Rechtsgut, VVDStRL 65 (2006), S. 386 (439 ff.).