
Über die EuZ
Leitartikel
Okan Yildiz*
Marktbeherrschende Stellung und kollektive Marktbeherrschung in digitalen Märkten
Die Digitalisierung stellt die Kartellbehörden vor neue Herausforderungen. Traditionelle Konzepte sind nicht mehr nahtlos auf digitale Märkte anwendbar, sondern bedürfen punktuellen Anpassungen. Der folgende Aufsatz untersucht die Marktbeherrschung in der digitalen Wirtschaft und zeigt auf, inwiefern neue Parameter, welche die Besonderheiten der digitalen Geschäftsmodelle berücksichtigen, an Bedeutung gewinnen. Dabei wird dargelegt, dass den Behörden die erforderlichen Hilfsmittel für die angemessene Beurteilung der marktbeherrschenden Stellung bereits zur Verfügung stehen.
* Dr. iur. Okan Yildiz ist Gerichtsschreiber am Bundesverwaltungsgericht (Abteilung II). Er studierte an der Universität Zürich sowie an der Université de Neuchâtel. Während seines Master- und Doktoratsstudiums war er bei Prof. Dr. iur. Rolf H. Weber wissenschaftlicher Assistent am Universitären Forschungsschwerpunkt (UFSP) Finanzmarktregulierung. Anschliessend doktorierte er an der Universität Zürich zu Kopplungsgeschäften in der digitalen Wirtschaft und verbrachte je einen Forschungsaufenthalt an der University of Melbourne sowie an der UNSW Sydney.
Aktuelle Entwicklungen im Europarecht
Allgemeines und Institutionelles
Arbeitsprogramm der Kommission für 2025
Die Kommission hat ihr Arbeitsprogramm für 2025 angenommen. Mit den dort angekündigten Vorhaben verfolgt sie das Ziel, Europa wettbewerbsfähiger, sicherer und wirtschaftlich widerstandsfähiger zu machen. Im Zentrum des Arbeitsprogramms stehen die Leitinitiativen, die die Kommission im ersten Jahr ihrer Amtszeit ergreifen wird und mit denen jene Themen angegangen werden, die für die Europäerinnen und Europäer am wichtigsten sind. Es spiegelt die Notwendigkeit von mehr Chancen, Innovation und Wachstum für Bürger und Unternehmen wider und soll dazu beitragen, dass die EU sicherer und wohlhabender wird. Ferner ist dem Arbeitsprogramm eine Mitteilung über die Umsetzung und Vereinfachung beigefügt. Dort legt die Kommission dar, wie sie in den nächsten fünf Jahren die Umsetzung der EU-Vorschriften in der Praxis erleichtern, den Verwaltungsaufwand verringern und die EU-Vorschriften vereinfachen will.
Reform- und Wachstumsfazilität für Moldau
Das Europäische Parlament und der Rat haben am 19. Februar 2025 eine politische Einigung über die Verordnung zur Einrichtung einer Reform- und Wachstumsfazilität für Moldau erzielt. Sie stellt eine wichtige Säule des Wachstumsplans für Moldau dar, der im Oktober 2024 von der Kommission vorgeschlagen wurde. Geplant ist das grösste finanzielle Unterstützungspaket seit der Unabhängigkeit Moldaus. Mit der Fazilität wird die Wirtschaft Moldaus angekurbelt, es wird umfangreiche finanzielle Unterstützung geleistet, wodurch das Land näher an die EU-Mitgliedschaft herangeführt werden soll.
Beziehungen Schweiz – EU
Materieller Abschluss der Verhandlungen
Die Schweiz und die Europäische Union haben die Verhandlungen auf Basis des Paketansatzes materiell abgeschlossen. An seiner Sitzung vom 20. Dezember 2024 hat der Bundesrat davon mit Befriedigung Kenntnis genommen. Er stellte fest, dass die Schweizer Delegation unter der Leitung von Chefunterhändler Patric Franzen die im Verhandlungsmandat festgesetzten Ziele erreicht hat. Nach der Bundesratssitzung würdigten Bundespräsidentin Viola Amherd und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die nach Bern gereist war, den materiellen Verhandlungsabschluss vor den Medien.
Energie und Umwelt
Aktionsplan zur Energieeinsparung
Die Kommission hat am 26. Februar 2025 einen Aktionsplan mit kurzfristigen Massnahmen vorgelegt, um die Energiekosten zu senken, die Energieunion zu vollenden, Investitionen zu fördern und besser auf potenzielle Energiekrisen vorbereitet zu sein. Als ein Schlüsselelement des Deals für eine saubere Industrie soll dieser Plan nicht nur Haushalte mit hohen Energierechnungen entlasten, sondern auch Branchen, die mit hohen Produktionskosten zu kämpfen haben. Die geschätzten Gesamteinsparungen belaufen sich im Jahr 2025 auf 45 Mrd. EUR und werden schrittweise auf 130 Mrd. EUR jährliche Einsparungen bis 2030 und 260 Mrd. EUR bis 2040 steigen.
Sicherheit von Seekabeln
Am 21. Februar 2025 haben die Kommission und ihre Hohe Vertreterin eine Gemeinsame Mitteilung zur Erhöhung der Sicherheit und Resilienz von Seekabeln vorgestellt. Sie enthält eine Reihe von Massnahmen, um die Prävention, Erkennung, Reaktion, Wiederherstellung und Abschreckung zu verbessern. Kommunikationskabel verbinden mehrere Mitgliedstaaten miteinander, sie verbinden Inseln mit dem EU-Festland und die EU mit dem Rest der Welt. 99 % des interkontinentalen Internetverkehrs laufen über solche Kabelverbindungen. Seestromkabel erleichtern die Integration der Strommärkte der Mitgliedstaaten, erhöhen deren Versorgungssicherheit und liefern erneuerbare Offshore-Energie zum Festland. Mit der Gemeinsamen Mitteilung sollen alle Mitgliedstaaten unterstützt werden, vor allem auch diejenigen im Ostseeraum, wo die Zahl der Vorfälle im Zusammenhang mit Seekabeln deutlich zugenommen hat.
Gesundheit
EuGH: Werbeaktionen für verschreibungspflichtige Arzneimittel
Mit Urteil vom 27. Februar 2025 hat der EuGH entschieden, dass die Mitgliedstaaten Werbeaktionen für den Bezug unbestimmter verschreibungspflichtiger Arzneimittel in Gestalt von Preisnachlässen oder Zahlungen in Höhe eines genauen Betrags erlauben dürfen. Verbieten dürfen die Mitgliedstaaten Werbeaktionen für den Bezug solcher Arzneimittel, wenn damit Gutscheine für nachfolgende Bestellungen nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel sowie von Gesundheits- oder Pflegeprodukten angeboten werden.
Kapitalmarkt
Stärkung des Finanzrisikomanagementrahmens
Die Kommission hat am 25. Februar beschlossen, die Aufgaben des unabhängigen Risikovorstands zu erweitern. Dieser soll künftig alle Finanztransaktionen – einschliesslich der Mittelaufnahme-, Schuldenmanagement-, Liquiditätsmanagement- und Darlehenstransaktionen sowie der Haushaltsgarantien – und alle verwalteten Vermögenswerte der Union überwachen. Die Stärkung des Risikomanagements der EU-Finanztransaktionen ist eine der Massnahmen, die die Kommission ergreift, um die Finanzverwaltung des Unionshaushalts widerstandsfähiger zu gestalten. Die Rolle des Risikovorstands ist eine Säule des Modells der „drei Verteidigungslinien“, eines Rahmens für bewährte Verfahren für das Risikomanagement.
Kürzung des Abwicklungszyklus für Wertpapiergeschäfte
Die Kommission hat vorgeschlagen, den Abwicklungszyklus für Wertpapiergeschäfte innerhalb der EU von zwei Tagen auf einen Tag zu verkürzen. Mit der vorgeschlagenen Änderung würde der Abwicklungszyklus für Wertpapiergeschäfte – z.B. mit Aktien oder Anleihen – an EU-Handelsplätzen von zwei Geschäftstagen („T+2“) nach dem betreffenden Handel auf einen („T+1“) verkürzt. Die Abwicklung umfasst sowohl die Lieferung als auch die Abrechnung eines Wertpapiergeschäfts, in deren Verlauf der Käufer die Wertpapiere und der Verkäufer das Geld erhält. Mit der Verkürzung auf T+1 sollen Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit der Nachhandels-Finanzmarktdienstleistungen in der EU gestärkt werden, da sie für eine gut funktionierende Spar- und Investitionsunion von entscheidender Bedeutung sind.
Kommunikation und Medien
Aufnahme des freiwilligen Verhaltenskodex in den DSA
Die Kommission und das Europäische Gremium für digitale Dienste haben am 13. Februar 2025 die Aufnahme des freiwilligen Verhaltenskodex zur Bekämpfung von Desinformation in den Rahmen des Gesetzes über digitale Dienste (DSA-Rahmen) gebilligt. Dadurch wird der Kodex zu einem Massstab für die Feststellung, ob Plattformen das Gesetz über digitale Dienste einhalten. Die Unterzeichner des Kodex (darunter Unternehmen, die nach dem DSA als sehr grosse Online-Plattformen und sehr grosse Suchmaschinen benannt wurden, wie Google, Meta, Microsoft und TikTok) hatten im Januar 2025 alle erforderlichen Unterlagen zur Untermauerung ihres Antrags auf Umwandlung in einen Verhaltenskodex im DSA-Rahmen vorgelegt.
Investitionen in KI
Auf dem Aktionsgipfel zur Künstlichen Intelligenz (KI) in Paris hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Initiative „InvestAI“ ins Leben gerufen, mit der 200 Mrd. EUR für Investitionen in KI mobilisiert werden sollen. Dazu gehört auch ein neuer europäischer Fonds in Höhe von 20 Mrd. EUR für KI-Gigafabriken. Diese grosse KI-Infrastruktur ist erforderlich, um eine offene und kooperative Entwicklung der komplexesten KI-Modelle zu ermöglichen und Europa zu einem KI-Kontinent zu machen. Aus dem EU-Fonds „InvestAI“ werden vier künftige KI-Gigafabriken in der gesamten EU finanziert. Die neuen KI-Gigafabriken werden auf das Training der komplexesten sehr grossen KI-Modelle spezialisiert sein.
Landwirtschaft
Soforthilfe für LandwirtInnen
Die Mitgliedstaaten haben am 19. Februar 2025 eine positive Stellungnahme zu dem Vorschlag der Kommission abgegeben, 98,6 Mio. EUR aus der Agrarreserve bereitzustellen, um landwirtschaftliche Betriebe in Spanien, Kroatien, Zypern, Lettland und Ungarn, die seit dem Frühjahr 2024 von aussergewöhnlichen widrigen Witterungsverhältnissen und Naturkatastrophen betroffen waren, direkt zu unterstützen. Die nationalen Behörden müssen die Beihilfen bis zum 30. September 2025 verteilen und sicherstellen, dass die Landwirtinnen und Landwirte die Endbegünstigten sind. Die fünf Mitgliedstaaten müssen der Kommission ausserdem bis zum 31. Mai 2025 die Einzelheiten der Durchführung der Massnahmen mitteilen.
Umwelt
Vereinfachung der Nachhaltigkeitsberichterstattung
Die Kommission hat am 26. Februar 2025 ein Massnahmenpaket zur Entlastung von Unternehmen beim Verwaltungsaufwand vorgelegt. Gegenstand des Pakets sind Änderungen der Richtlinie über Nachhaltigkeitsberichterstattung, der Richtlinie über Sorgfaltspflichten, der Taxonomieverordnung und des CO2-Grenzausgleichssystems. Die Kommission will hiermit den Verwaltungsaufwand bis zum Ende ihrer Amtszeit um mindestens 25 % verringern; für mittelständische Unternehmen soll der Bürokratieaufwand sogar um mindestens 35 % gesenkt werden. Die vorgeschlagenen Änderungen sollen laut Kommission zu jährlichen Einsparungen von rund 6,3 Mrd. EUR führen und Mittel für zusätzliche öffentliche und private Investitionen in Höhe von 50 Mrd. EUR zur Unterstützung politischer Prioritäten freisetzen.
Verbesserung der Kreislauffähigkeit von Textilien
Das Europäische Parlament und der Rat konnten eine vorläufige Einigung über die Revision der Abfallrahmenrichtlinie erzielen. Die geänderte Abfallrahmenrichtlinie wird eine Kreislaufwirtschaft in der gesamten EU fördern, insbesondere durch die Förderung von Innovationen und den Übergang zu nachhaltigeren Industrie- und Verbraucherpraktiken. Dies ist ein bedeutender Fortschritt bei der Bekämpfung von Textil- und Lebensmittelverschwendung bei gleichzeitiger Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der EU. Mit der geänderten Abfallrahmenrichtlinie wird jeder Mitgliedstaat sein eigenes System der erweiterten Herstellerverantwortung (EPR) für Textil- und Schuherzeugnisse einrichten. Indem Hersteller für das Ende der Lebensdauer der von ihnen verkauften Produkte verantwortlich sind, werden sie ermutigt, länger haltbare Textilprodukte zu entwerfen, die leichter wiederverwendet, repariert und recycelt werden können. Daneben soll mit der revidierten Richtlinie gegen illegale Ausfuhren von Textilabfällen vorgegangen.
Wettbewerb
Konsultation zu Kartellvorschriften für den Kfz-Sektor
Die Europäische Kommission hat heute eine öffentliche Konsultation eingeleitet, in der alle Interessenträger aufgefordert werden, zu den Wettbewerbsvorschriften für vertikale Vereinbarungen in der Automobilindustrie Stellung zu nehmen. Zu diesen Vorschriften gehören die Kfz-Gruppenfreistellungsverordnung („Kfz-GVO“) und die ergänzenden Leitlinien, die beide im April 2023 geändert wurden, sowie die Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung („Vertikal-GVO“) und die Leitlinien für vertikale Beschränkungen, soweit sie für den Automobilsektor gelten. Gleichzeitig hat die Kommission am 30. Januar 2025 den Strategischen Dialog über die Zukunft der europäischen Automobilindustrie eröffnet.
EuGH: Interoperabilität von Internet-Plattformen
Die Weigerung eines Unternehmens in beherrschender Stellung, das eine digitale Plattform entwickelt hat, den Zugang zu dieser Plattform zu ermöglichen, indem es die Gewährleistung der Interoperabilität dieser Plattform mit einer von einem Drittunternehmen entwickelten App ablehnt, kann laut EuGH-Urteil vom 25. Februar 2025 einen Missbrauch einer beherrschenden Stellung darstellen, obwohl die Plattform für die kommerzielle Nutzung der App nicht unerlässlich ist. Ein solcher Missbrauch kann nämlich festgestellt werden, wenn die Plattform mit dem Ziel entwickelt wurde, eine Nutzung durch Drittunternehmen zu ermöglichen, und wenn sie geeignet ist, die App für die Verbraucher attraktiver zu machen. Die Weigerung kann jedoch damit gerechtfertigt werden, dass es zum Zeitpunkt, zu dem das Drittunternehmen um Zugang ersucht hat, kein Template für die Kategorie der betreffenden Apps gab, wenn die Gewährung der Interoperabilität die Sicherheit oder die Integrität der Plattform gefährden würde oder wenn es aus anderen technischen Gründen unmöglich wäre, diese Interoperabilität zu gewährleisten.