EuZ – Zeitschrift für Europarecht – Ausgabe 08 / 2025

Über die EuZ

Die EuZ – Zeitschrift für Europarecht berichtet über die jüngsten Entwicklungen im Recht der EU sowie über die Beziehungen der Schweiz zur EU. Im Rahmen wissenschaftlicher Beiträge analysieren renommierte Experten aktuelle Rechtsfragen in allen wirtschaftsrelevanten Bereichen des EU-Rechts. Daneben informieren kurze Beiträge über neue Gesetzesvorhaben, sonstige Vorstösse der EU-Institutionen sowie Urteile des EuGH.
Die EuZ erscheint zehnmal jährlich als Open Access-eJournal. Die wissenschaftlichen Beiträge werden zudem am Ende jeden Jahres in Gestalt eines Jahrbuchs zusammengefasst und sind in dieser Form als eBook sowie als Print on demand-Publikation erhältlich. 

Leitartikel

Benedikt Pirker*

Plus c’est la même chose, plus ça change – Schiedsverfahren im Rahmen des Pakets Schweiz-EU

Der Beitrag untersucht anhand der vor kurzem veröffentlichten Texte des Verhandlungsergebnisses des Pakets Schweiz-EU die Regelungen zur schiedsgerichtlichen Streitbeilegung. Obwohl eine Art Modellschiedsverfahren existiert, lohnt ein näherer Blick. So sind je nach Verhandlungsgegenstand auch Schiedsverfahren mit abweichenden Regelungen in den Abkommen vorgesehen. Diese Regelungen zielen teils darauf ab, dass Verfahren einerseits möglichst effektiv durchgeführt werden können, andererseits aber auch darauf, die künftige potenzielle Rolle des EuGH rechtlich oder faktisch einzuschränken.

* Benedikt Pirker ist Titularprofessor am Lehrstuhl für Europarecht, Völkerrecht und Öffentliches Recht der Universität Freiburg i. Üe. und Forschungsbeauftragter am Liechtenstein-Institut. Der Autor dankt Astrid Epiney und Robert Mosters für die kritische Lektüre und Kommentierung des ursprünglichen Manuskripts.

Aktuelle Entwicklungen im Europarecht

Allgemeines und Institutionelles

Kommissionspräsidentin von der Leyen zur Lage der Union

In ihrer Rede zur Lage der Union vom 10. September 2025 deutet die Kommissionspräsidentin Europas Lage als „Kampf“ um Unabhängigkeit, Sicherheit und Werte und ruft alle pro-europäischen Kräfte zu Geschlossenheit auf. Für die Ukraine fordert sie mehr Druck auf Russland mit einem 19. Sanktionspaket und der Nutzung von Erträgen eingefrorener Vermögenswerte, kündigt ein Programm „Qualitative Military Edge“, eine Drohnen-Allianz sowie einen Gipfel zur Rückführung entführter ukrainischer Kinder an. Europa müsse seine Verteidigungsunion insgesamt beschleunigt ausbauen.

Im Hinblick auf die Krise in Gaza verurteilt sie die humanitäre Katastrophe, will EU-Zahlungen an staatliche Stellen Israels aussetzen, Sanktionen gegen extremistische Minister und gewalttätige Siedler prüfen, eine Gebergruppe samt Wiederaufbauinstrument starten und bekräftigt die Zwei-Staaten-Lösung.

Technologisch setzt die Kommission auf europäische KI-Gigafabriken, Leitmärkte für saubere Produkte und ein Batterie-Booster-Paket. Sozialpolitisch kündigt sie eine Armutsstrategie bis 2050 und Initiativen für bezahlbare Lebenshaltung an. Zum Schutz der Demokratie will die Kommission EU-Mittel strikt an Rechtsstaatlichkeit koppeln, ein Zentrum für demokratische Resilienz sowie ein Medienresilienz-Programm lancieren.

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Verbesserung der Beziehungen zwischen den EU-Organen

Vertreter der EU-Kommission und des Europäischen Parlaments haben am 9. September 2025 ihre Verhandlungen über die Überarbeitung der Rahmenvereinbarung zur Verbesserung der Beziehungen, des Vertrauens, der Transparenz und des Dialogs zwischen den Organen abgeschlossen. Neue Bestimmungen wurden angenommen, u.a. zum Grundsatz der Gleichbehandlung von Parlament und Rat, zur Rolle der Kommission als ehrlicher Makler sowie der zeitnahen Übermittlung umfassender und detaillierter Informationen, damit das Parlament seine Gesetzgebungs- und Haushaltsbefugnisse sowie seine Befugnisse der politischen Kontrolle und der Konsultation ausüben kann. Die Vereinbarung sieht auch verstärkte Verpflichtungen vor, mit denen eine bessere Anwesenheit der zuständigen Kommissionsmitglieder bei Plenartagungen und in Ausschusssitzungen und die Beteiligung der Kommission an anderen parlamentarischen Tätigkeiten auf Anfrage sichergestellt werden. Ebenso werden mit der Vereinbarung die Bemühungen des Parlaments unterstützt, die Anwesenheit von Mitgliedern des Europäischen Parlaments bei Plenartagungen und in Ausschusssitzungen zu verbessern.

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Aussen- und Sicherheitspolitik

Aussetzung von Handelszugeständnissen an Israel

Nach der Ankündigung von Präsidentin von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der Union hat die Europäische Kommission dem Rat am 17. September 2025 ihren Vorschlag zur Aussetzung bestimmter handelsbezogener Bestimmungen des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und Israel sowie ihre Vorschläge für Sanktionen gegen die Hamas, extremistische Minister und gewalttätige Siedler vorgelegt. Die Kommission stellt auch ihre bilaterale Unterstützung für Israel ein, mit Ausnahme der Unterstützung für die Zivilgesellschaft und Yad Vashem. Konkret betrifft dies künftige jährliche Mittelzuweisungen zwischen 2025 und 2027 sowie laufende Projekte der institutionellen Zusammenarbeit mit Israel und Projekte, die im Rahmen der regionalen Kooperationsfazilität EU-Israel finanziert werden. Die Vorschläge folgen einer Überprüfung der Einhaltung von Artikel 2 des Abkommens durch Israel, in dem festgestellt wurde, dass die von der israelischen Regierung ergriffenen Massnahmen einen Verstoss gegen wesentliche Elemente im Zusammenhang mit der Achtung der Menschenrechte und der demokratischen Grundsätze darstellen. Dies berechtigt die EU, das Abkommen einseitig auszusetzen.

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Verordnung zur stärkeren Rolle von Europol

Das Europäische Parlament und der Rat haben am 25. September 2025 eine vorläufige politische Einigung zur Stärkung der Rolle von Europol erzielen können (Trilogverfahren). Die Kommission hatte die „Verordnung zur Verstärkung der polizeilichen Zusammenarbeit bei der Verhütung, Aufdeckung und Untersuchung der Schleuserkriminalität und des Menschenhandels und zur Verstärkung der Unterstützung von Europol bei der Verhütung und Bekämpfung solcher Straftaten“ im November 2023 vorgeschlagen. Mit den neuen Vorschriften soll Europol besser in die Lage versetzt werden, die nationalen Strafverfolgungsbehörden mit einem gestärkten Europäischen Zentrum gegen die Schleusung von Migranten, einem verbesserten Informationsaustausch sowie zusätzlichen finanziellen und personellen Ressourcen zu unterstützen. Sobald die Verordnung vom Europäischen Parlament und vom Rat förmlich angenommen wurde, wird der Europol-Verwaltungsrat Durchführungsbestimmungen zur Festlegung des Tätigkeitsbereichs des Europäischen Zentrums gegen Migrantenschleusung erlassen.

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Bildung und Forschung

Stärkung der europäischen Forschungs- und Technologieinfrastrukturen

Die Kommission hat am 17. September 2025 die europäische Strategie für Forschungs- und Technologieinfrastrukturen auf den Weg gebracht, um Europas Führungsrolle in den Bereichen wissenschaftliche Exzellenz und technologische Innovation zu stärken. Mit dieser Strategie wird sichergestellt, dass Wissenschaftler, Forschende, Innovatoren und die Industrie einfachen Zugang zu den modernsten Einrichtungen, hochwertigen Daten und massgeschneiderten Dienstleistungen Europas haben. Im Rahmen der Strategie sind eine Reihe von Massnahmen in verschiedenen Bereichen vorgesehen; dazu zählt die Stärkung des europäischen Ökosystems für Forschungs- und Technologieinfrastrukturen durch Kapazitätsausbau, Mobilisierung von Investitionen und bessere Abstimmung der verfügbaren Einrichtungen und Dienste auf die Bedürfnisse der Nutzer. Zudem zielt die Gewährleistung eines einfacheren und besseren Zugangs zu Forschungs- und Technologieinfrastrukturen darauf ab, Forschenden und innovativen Unternehmen, einschliesslich Start-ups und Scale-ups, in der gesamten EU ein kontinuierliches Angebot an ergänzenden Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen. Geplant ist auch die Anwerbung und Ausbildung von Talenten in Europa durch attraktive Laufbahnen in Forschungs- und Technologieinfrastrukturen, vom Fachpersonal bis zur wissenschaftlichen Führungskraft.

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Handel

Freihandelsabkommen EU-Indonesien

Am 23. September 2025 wurden die Verhandlungen über ein umfassendes Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (Comprehensive Economic Partnership Agreement, CEPA) und ein Investitionsschutzabkommen (IPA) zwischen der Europäischen Union und Indonesien abgeschlossen. Die beiden Abkommen stellen ein wichtiges Etappenziel der Diversifizierungs- und Partnerschaftsstrategie der EU dar, indem sie die Handels- und Investitionsbeziehungen mit einer grossen Volkswirtschaft stärken und so für neue Ausfuhrmöglichkeiten sowie sicherere Lieferketten in der Energie- und Rohstoffversorgung sorgen. So soll das CEPA der europäischen Landwirtschaft erhebliche Vorteile bringen, da die Zölle auf Agrarerzeugnisse und Lebensmittel gesenkt und traditionelle Erzeugnisse aus der EU geschützt werden. Ebenso sollen Schlüsselsektoren des verarbeitenden Gewerbes, etwa die Automobil- und die chemische Industrie sowie der Maschinenbau profitieren. Insgesamt werden die EU-Ausführer etwa 600 Mio. EUR pro Jahr an Zöllen sparen, wenn sie ihre Waren auf dem indonesischen Markt in Verkehr bringen, und europäische Produkte werden für indonesische Verbraucherinnen und Verbraucher erschwinglicher und leichter verfügbar.

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Industriepolitik

Zukunft der Automobilindustrie

Präsidentin von der Leyen hatte im Januar 2025 einen Strategischen Dialog über die Zukunft der Automobilindustrie ins Leben gerufen, um tiefgreifende Veränderungen in der Automobilbranche anzugehen. Im Rahmen des dritten Treffens vom 12. September 2025, an dem die europäische Automobilindustrie, die Sozialpartner und andere Interessenträger vertreten waren, wurde bekräftigt, dass auf die technologischen und geopolitischen Veränderungen reagiert werden müsse. Im Bereich Innovation unterzeichneten die Kommission eine Absichtserklärung mit Interessenträgern, um die Forschung und Innovation im Automobilbereich auf EU-Ebene zu beschleunigen und Europa bis 2035 und darüber hinaus als Vorreiter bei nachhaltiger und intelligenter Mobilität zu positionieren. Die Absichtserklärung vereint die 2Zero-Partnerschaft (mit Schwerpunkt auf emissionsfreiem Strassenverkehr), die CCAM-Partnerschaft (vernetzte, kooperative und automatisierte Mobilität) und die BATT4EU-Partnerschaft (Batteriewertschöpfungskette) mit ihren wichtigsten Interessenträgern und Branchenvertretern, um den strategischen Bedürfnissen des Automobilsektors gerecht zu werden.

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Kommunikation und Medien

EU-Datenverordnung tritt in Kraft

Seit 12. September 2025 findet die neue EU-Datenverordnung Anwendung. Sie verschafft Nutzern die Kontrolle über die Daten, die von ihren vernetzten Geräten wie Smartwatches und Autos erzeugt werden, und eröffnet gleichzeitig kleinen Unternehmen die Möglichkeit, diese Daten für die Entwicklung innovativer Kundendienste zu nutzen. Die Datenverordnung verbessert den Zugang zu hochwertigen Daten und vergrössert damit auch das Potenzial für datengetriebene Innovationen. Die Datenverordnung enthält faire Regelungen, die für eine breitere Verfügbarkeit von Daten sorgen und so Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum in der digitalen Wirtschaft in Europa fördern. Verbraucher und gewerbliche Nutzer vernetzter Geräte – wie Autos, Smart-TVs und Industrieanlagen – können jetzt auf die von ihren Geräten erzeugten Rohdaten zugreifen und diese selbst nutzen und weitergeben.

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Migration und Asyl

EuGH: Pflicht zur Deckung der Grundbedürfnisse von Asylbewerbern

Mit Urteil vom 1. August 2025 hat der Gerichtshof klargestellt, dass die Mitgliedstaaten nach der Richtlinie 2013/33/EU verpflichtet sind, Antragstellern auf internationalen Schutz im Rahmen der Aufnahme materielle Leistungen zu gewähren, die einem angemessenen Lebensstandard entsprechen, sei es in Form von Unterkunft, Geldleistungen, Gutscheinen oder einer Kombination davon. Diese Leistungen müssen die Grundbedürfnisse, einschliesslich einer angemessenen Unterbringung, der betroffenen Personen decken und deren physische und psychische Gesundheit schützen. Ein Mitgliedstaat, der es – und sei es auch nur vorübergehend – unterlässt, einem Antragsteller, der nicht über ausreichende Mittel verfügt, diese materiellen Leistungen zu gewähren, überschreitet demnach offenkundig und erheblich den Spielraum, über den er bei der Anwendung der Richtlinie verfügt. Eine solche Unterlassung kann daher einen hinreichend qualifizierten Verstoss gegen das Unionsrecht darstellen, der zu einer Haftung des betreffenden Mitgliedstaats führt.

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Wettbewerb

Überarbeitung der EU-Wettbewerbsregeln für Technologietransfer-Vereinbarungen

Die Kommission hat am 11. September 2025 im Rahmen einer öffentlichen Konsultation alle Interessenträger aufgefordert, Stellungnahmen zu den Entwürfen der überarbeiteten Gruppenfreistellungsverordnung für Technologietransfer-Vereinbarungen (TT-GVO) und der überarbeiteten Leitlinien zur Anwendung von Artikel 101 AEUV auf Technologietransfer-Vereinbarungen (TT-Leitlinien) einzureichen. Der Überarbeitung der TT-GVO und der TT-Leitlinien ist eine Evaluierung der seit 2014 geltenden Vorschriften vorausgegangen. Die Entwürfe der überarbeiteten TT-GVO und TT-Leitlinien schaffen mehr Klarheit in Bezug auf die Anwendung der Marktanteilsschwellen nach der TT-GVO auf Technologiemärkte (die TT-GVO sieht Marktanteilsschwellen sowohl für Produktmärkte als auch für Technologiemärkte vor). Daneben wurden im Entwurf der überarbeiteten TT-Leitlinien die Voraussetzungen für den Soft-Safe-Harbour-Bereich für Technologiepools geändert, um grössere Rechtssicherheit zu ermöglichen und die Einhaltung von Artikel 101 AEUV zu gewährleisten. Weiterhin enthält der Entwurf neue Orientierungshilfen für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung von Lizenzverhandlungsgruppen.

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