Risiko & Recht – Ausgabe 2 / 2025

Risiko & Recht

Risiko & Recht macht es sich zur Aufgabe, Rechtsfragen der modernen Risikogesellschaft zu analysieren. Berücksichtigung finden Entwicklungen in verschiedensten Gebieten, von denen Sicherheitsrisiken für Private, die öffentliche Ordnung, staatliche Einrichtungen und kritische Infrastrukturen ausgehen. Zu neuartigen Risiken führt zuvorderst der digitale Transformationsprozess und der damit verbundene Einsatz künstlicher Intelligenz; des Weiteren hat die Covid-Pandemie Risikopotentiale im Gesundheitssektor verdeutlicht und auch der Klimawandel zwingt zu umfassenderen Risikoüberlegungen; schliesslich geben gesellschaftliche Entwicklungen, u.a. Subkulturenbildung mit Gewaltpotential, Anlass zu rechtlichen Überlegungen. Risiko und Recht greift das breite und stets im Wandel befindliche Spektrum neuartiger Risikosituationen auf und beleuchtet mit Expertenbeiträgen die rechtlichen Herausforderungen unserer Zeit.

Editorial

Sehr geehrte Damen und Herren

Die vorliegende Ausgabe 2/2025 der Risiko & Recht deckt ein breites Themenspektrum aktueller Sicherheitsfragen ab. Eingangs setzen sich zwei Beiträge mit der Thematik Basisraten im strafprozessualen Kontext auseinander. Hierbei dreht es sich um die statistische Grundwahrscheinlichkeit eines bestimmten Ereignisses oder Merkmals. Basisraten sind essenzieller Bestandteil evidenzbasierter Risikoeinschätzungen. Die Autorinnen und Autoren Joëlle Ninon Albrecht, Nina Schnyder, Jérôme Endrass, Marc Graf, Dirk Baier und Astrid Rossegger befassen sich in ihrem Beitrag mit den mit Basisraten verbundenen Herausforderungen und stellen die wesentlichen Faktoren dar, welche bei der Nutzung von Basisraten zu berücksichtigen sind. Thomas Noll und Michèle Iseli setzen sich mit rechtlichen Aspekten der forensischen Basisraten auseinander. Angesichts der potenziell einschneidenden Bedeutung solcher Risikoeinschätzungen, widmen sich die Autoren in ihrem Beitrag dem rechtlichen Rahmen, den Fachpersonen im Umgang mit Basisraten einzuhalten haben.

Robert Baumann beleuchtet in seinem Beitrag die staatliche Gesichtserkennung aus rechtlicher Sicht. In verschiedenen Kantonen und Gemeinden sind Vorstösse eingereicht worden, um die biometrische Gesichtserkennung im öffentlichen Raum gänzlich zu verbieten. Vor diesem Hintergrund ordnet der Autor die Gesichtserkennung rechtlich ein und beurteilt insbesondere die Zulässigkeit der vom Bund geplanten Einführung eines automatischen Gesichtsbildabgleichs.

Patrice Martin Zumsteg befasst sich mit dem polizeilichen Veranstaltungsverbot im Kanton St. Gallen. In seinem Beitrag behandelt er anhand eines Anwendungsfalls die praktische Umsetzbarkeit von Art. 50quater des Polizeigesetzes des Kantons St. Gallen.

Schliesslich berichten Niklaus Sempach, Vivian Stein und Jacqueline Walder vom 15. Zürcher Präventionsforum, an welchem die aktuellen Schwerpunkte der Kriminalprävention Jugend, Radikalisierung und Gewalt aufgearbeitet wurden.

Die Zeitschrift Risiko & Recht freut sich zudem, eine Kooperation mit den beiden Weiterbildungsstudiengängen CAS Recht der inneren Sicherheit und CAS Polizeirecht an der ZHAW in Winterthur bekannt geben zu dürfen. Die von den ausgewiesenen Experten im Sicherheitsrecht, Patrice Martin Zumsteg und Lucien Müller, geleiteten Studiengänge werden der Zeitschrift künftig hervorragende Zertifikatsarbeiten zur Publikation vorschlagen. Die Entscheidung über eine Veröffentlichung liegt weiterhin bei den Herausgebern. Den Auftakt dieser Kooperation bildet der Beitrag von Patrice Martin Zumsteg zum polizeirechtlichen Veranstaltungsverbot im Kanton St. Gallen in der vorliegenden Ausgabe.

Wir wünschen Ihnen, geschätzte Leserinnen und Leser, eine anregende Lektüre und erlauben uns noch auf die Möglichkeit eines Print-Abonnements hinzuweisen.

Tilmann Altwicker
Dirk Baier
Goran Seferovic
Franziska Sprecher
Stefan Vogel
Sven Zimmerlin

GRUNDLAGEN

Joëlle Ninon Albrecht / Nina Schnyder / Jérôme Endrass / Marc Graf / Dirk Baier / Astrid Rossegger*

Basisraten in forensischen Humanwissenschaften: Grundlagen und Herausforderungen

Einzelfallorientierte Risikoeinschätzungen stützten sich auf Basisraten ab, respektive bauen auf diesen auf. Entsprechend kann das Heranziehen einer unpassenden Basisrate zu einer Verzerrung der Risikoeinschätzung führen. Die Identifikation und Auswahl geeigneter Basisraten stellt grosse Anforderungen an Fachpersonen. Im folgenden Beitrag werden die mit Basisraten verbundenen Herausforderungen geschildert und es werden die wesentlichen Faktoren dargestellt, welche bei der Nutzung von Basisraten zu berücksichtigen sind.

Die unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen erschweren jedoch die einheitliche Implementierung in den genannten Industrien. Insbesondere im Gesundheitswesen bleibt abzuwarten, wie dieses Konzept langfristig und nachhaltig auf nationaler Ebene umgesetzt werden kann.

Angesichts der Notwendigkeit, Risiko und Recht in Einklang zu bringen, gibt es aus Sicht des Verfassers kaum Alternativen zu einer konsequenten Auseinandersetzung mit den damit verbundenen Herausforderungen. Nur durch ein aktives Engagement in diesem Spannungsfeld kann eine Zukunft gestaltet werden, die sowohl das Risiko minimiert als auch die Sicherheit nachhaltig steigert.

* Dr. Joëlle Ninon Albrecht ist Psychologin mit viel Forschungserfahrung in verschiedenen Bereichen. Sie hat an der Universität Zürich studiert und ein Doktorat am Universitäts-Kinderspital Zürich absolviert. Danach trat sie als Hauptbeschäftigung die Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Forschung & Entwicklung bei Justizvollzug und Wiedereingliederung (JuWe) Zürich an. Zudem ist sie weiterhin in einem Teilzeitpensum in Forschungsprojekten des Kinderspitals involviert; Dr. Nina Schnyder ist Psychologin und verfügt über umfangreiche nationale und internationale Forschungserfahrung in verschiedenen Bereichen. Derzeit arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Forschung & Entwicklung bei Justizvollzug und Wiedereingliederung (JuWe). Zuvor war sie bei der Schweizerischen Bundesverwaltung und der Privatwirtschaft tätig. Sie absolvierte ihr Studium an den Universitäten Basel, Bern und Konstanz; Prof. Dr. Jérôme Endrass ist Rechtspsychologe und Psychotherapeut. Er verfügt über langjährige Erfahrung in Klinik, Forschung und Lehre. Er leitet die Abteilung Forschung & Entwicklung im Zürcher Amt Justizvollzug und Wiedereingliederung (JuWe) und ist stellvertretender Amtsleiter des JuWe. An der Universität Konstanz leitet er die Arbeitsgruppe für Forensische Psychologie. Berufspolitisch engagiert sich Endrass im Vorstand der SGFP und SGRP; Prof. Dr. med. Marc Graf ist als forensischer Psychiater erfahrener Therapeut und Gutachter. Er leitete als Klinikdirektor bis 2024 die Klinik für Forensik an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel und ist weiterhin als ordentlicher Professor für forensische Psychiatrie an der Universität Basel tätig mit Forschungsschwerpunkt klinische forensische Psychiatrie und Psychologie. Er ist Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für forensische Psychiatrie SGFP; Prof. Dr. Dirk Baier ist seit 2024 Professor für Kriminologie an der Universität Zürich und seit 2015 Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Vorher war er wissenschaftlicher Mitarbeiter und stellvertretender Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen in Hannover/Deutschland; PD Dr. Astrid Rossegger ist Rechtspsychologin. Sie verfügt über langjährige Erfahrung in Klinik, Forschung und Lehre. Sie leitet in Co-Funktion die Abteilung Forschung & Entwicklung im Zürcher Amt Justizvollzug und Wiedereingliederung (JuWe) und an der Universität Konstanz die Arbeitsgruppe für Forensische Psychologie. Berufspolitisch engagiert sie sich im Vorstand der SGRP.

Thomas Noll / Michèle Iseli*

Rechtliche Aspekte der forensischen Basisraten

Basisraten sind essentieller Bestandteil evidenzbasierter Risikoeinschätzungen. Bei der Wahl geeigneter Basisraten können sich Konflikte zwischen Spezifität und Robustheit ergeben. Angesichts der potentiell einschneidenden Bedeutung solcher Risikoeinschätzungen, insbesondere für Betroffene, widmet sich dieser Beitrag dem (grund-)rechtlichen Rahmen, den Fachpersonen im Umgang mit Basisraten einzuhalten haben.

* PD Dr. iur. Dr. med. Thomas Noll ist Arzt und Strafrechtler. Er hat als Allgemein- und Gefängnispsychiater gearbeitet, war Chef Vollzug der JVA Pöschwies und Direktor des Schweizerischen Ausbildungszentrums für das Strafvollzugspersonal. Heute ist er Forscher im JuWe (Justizvollzug und Wiedereingliederung des Kantons Zürich). MLaw Michèle Iseli ist juristische Auditorin bei Forschung und Entwicklung (F&E) im JuWe.

POLIZEI & MILITÄR

Patrice Martin Zumsteg*

Das polizeirechtliche Veranstaltungsverbot im Kanton St. Gallen

Veranstaltungen können die öffentliche Sicherheit und Ordnung stören. Gleichzeitig stellt ein präventives Verbot von Veranstaltungen eine schwerwiegende Grundrechtseinschränkung dar. Der Kanton St. Gallen hat dementsprechend hohe Hürden in seinem Polizeigesetz für ein solches Verbot vorgesehen. Der vorliegende Beitrag untersucht anhand eines Anwendungsfalls die praktische Umsetzbarkeit von Art. 50<sup>quater</sup> des Polizeigesetzes des Kantons St. Gallen (PG/SG)[1]Polizeigesetz vom 10. April 1980 des Kantons St. Gallen (PG SG, sGS 451.1).

* Dr. iur. Patrice Martin Zumsteg ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent für Staats- und Verwaltungsrecht an der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Winterthur. Er leitet dort den Kompetenzbereich Sicherheits- und Innovationsrecht. Überdies ist er als Rechtsanwalt bei AAK Anwälte und Konsulenten AG, Zürich, tätig. Beim vorliegenden Beitrag handelt es sich um die überarbeite Version eines Leistungsnachweises, den ein Polizist mit eidgenössischem Diplom im CAS Recht der inneren Sicherheit 2024 an der ZHAW eingereicht hat.

TECHNIK & INFRASTRUKTUR

Robert Baumann*

Staatliche Gesichtserkennung: eine rechtliche Einordnung

Gesichtserkennung kann von den Behörden präventiv zur anlasslosen Überwachung des öffentlichen Raums eingesetzt werden, oder zur Gefahrenabwehr – beispielsweise bei einem Grossanlass. Im Kanton Basel-Stadt und in den Städten Zürich, St. Gallen und Lausanne ist der Einsatz von Gesichtserkennungsmethoden im öffentlichen Raum jedoch inzwischen verboten; in weiteren Kantonen und Gemeinden sind entsprechende Vorstösse bereits angenommen worden. Vor diesem Hintergrund soll die staatliche Gesichtserkennung nachfolgend rechtlich eingeordnet und die Zulässigkeit der auf Bundesebene geplanten Einführung eines automatischen Gesichtsbildabgleichs beurteilt werden.

* Dr. iur. Robert Baumann, Rechtsanwalt, Chef Rechtsabteilung fedpol a.i., Lehrbeauftragter an der ZHAW.

TAGUNGSBERICHT

Niklaus Julian Sempach / Vivian Stein / Jacqueline Walder

15. Zürcher Präventionsforum – Aktuelle Schwerpunkte der Kriminalprävention – Jugend, Radikalisierung und Gewalt

* MLaw Niklaus Julian Sempach ist Doktorand und wissenschaftlicher Assistent von Prof. Dr. iur. Gian Ege an der Universität Zürich. MLaw Vivian Stein und MLaw Jacqueline Walder sind Doktorandinnen und wissenschaftliche Assistentinnen am Lehrstuhl von Prof. Dr. iur. Felix Bommer für Strafrecht, Strafprozessrecht und Internationales Strafrecht an der Universität Zürich.

Fussnoten

Fussnoten
1 Polizeigesetz vom 10. April 1980 des Kantons St. Gallen (PG SG, sGS 451.1).