EuZ – Zeitschrift für Europarecht – Ausgabe 10 / 2024

Über die EuZ

Die EuZ – Zeitschrift für Europarecht berichtet über die jüngsten Entwicklungen im Recht der EU sowie über die Beziehungen der Schweiz zur EU. Im Rahmen wissenschaftlicher Beiträge analysieren renommierte Experten aktuelle Rechtsfragen in allen wirtschaftsrelevanten Bereichen des EU-Rechts. Daneben informieren kurze Beiträge über neue Gesetzesvorhaben, sonstige Vorstösse der EU-Institutionen sowie Urteile des EuGH.
Die EuZ erscheint zehnmal jährlich als Open Access-eJournal. Die wissenschaftlichen Beiträge werden zudem am Ende jeden Jahres in Gestalt eines Jahrbuchs zusammengefasst und sind in dieser Form als eBook sowie als Print on demand-Publikation erhältlich. 

Leitartikel

Astrid Epiney*

Die Unionsbürgerrichtlinie: Rechtliche Tragweite und Bedeutung für die Schweiz

Der Beitrag analysiert zunächst die rechtliche Tragweite der sog. Unionsbürgerrichtlinie (RL 2004/38) im Vergleich zur bis dahin in der Union geltenden Rechtslage sowie dem im Freizügigkeitsabkommen niedergelegten Regime. Auf dieser Grundlage werden die in den sog. „Bilateralen III“ in Aussicht genommenen Regelungen der dynamischen Rechtsübernahme mit Akzent auf der Personenfreizügigkeit erörtert, dies mit einem Exkurs auf dem vorgesehenen Streitbeilegungsmechanismus. Der Beitrag kommt zum Schluss, dass die Übernahme der RL 2004/38 sowie der Grundsatz der dynamischen Rechtsübernahme zweifellos eine qualitativ bedeutende Weiterentwicklung der „Bilateralen III“ darstellt; gleichzeitig sollten die praktischen Implikationen im Vergleich zum geltenden Recht nicht überschätzt werden, dies da die RL 2004/38 in weiten Teilen an das geltende Recht und die Rechtsprechung des EuGH anknüpft und im Übrigen gewisse Ausnahmen vorgesehen sind. Soweit zukünftige Rechtsentwicklungen betroffen sind, bliebe der Schweiz die Möglichkeit des „Ausscherens“, unter Inkaufnahme verhältnismässiger Ausgleichsmassnahmen.

* Prof. Dr. Astrid Epiney ist Professorin für Europa- und Völkerrecht sowie schweizerisches öffentliches Recht an der Universität Freiburg/CH. Sie ist geschäftsführende Direktorin des dortigen Instituts für Europarecht und war bis Januar 2024 Rektorin der Universität.

Aktuelle Entwicklungen im Europarecht

Allgemeines und Institutionelles

Europäische Innovationshauptstädte: Turin und Braga

Die Kommission hat am 13. November 2024 die Gewinner des Wettbewerbs „Europäische Innovationshauptstadt 2024–2025“ (iCapital) bekannt gegeben. Seit nunmehr einem Jahrzehnt werden Städte ausgezeichnet, die bei innovativen Lösungen für ihre Bürgerinnen und Bürger führend sind. In diesem Jahr gingen die Hauptpreise an die Städte Turin und Braga. Turin präsentiert einen umfassenden Ansatz für Experimente und Innovation, der sich auf die reiche Geschichte und das industrielle Erbe der Stadt stützt, und mit dem sowohl gegenwärtige als auch künftige Herausforderungen im urbanen Bereich angegangen werden sollen. Braga hat eine Reihe innovativer Lösungen entwickelt, die von technologiebasierten Clustern bis hin zur Kultur- und Kreativwirtschaft reichen, und ein starkes, auf Zusammenarbeit und Inklusivität fokussiertes Innovationssystem etabliert.

Weitere Informationen

Beziehungen Schweiz – EU

Standortbestimmung zu laufenden Verhandlungen

Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 6. November 2024 eine vertiefte Diskussion über den Stand der Verhandlungen mit der Europäischen Union (EU) und die Arbeiten im Hinblick auf die interne Umsetzung des Pakets geführt. Die Schweizer Delegation unter der Leitung von Chefunterhändler Patric Franzen hat seit dem 18. März 2024 über 140 Verhandlungssitzungen mit der EU geführt. Die Verhandlungen sind bei den meisten Dossiers weit fortgeschritten. In den Bereichen Personenfreizügigkeit, Strom und Schweizer Kohäsionsbeitrag wird intensiv weiterverhandelt, um übereinstimmende Positionen zu erzielen. Bei den internen Umsetzungsarbeiten und den Gesprächen mit den Kantonen, den Sozial- und Wirtschaftspartnern sowie relevanten Interessengruppen wurden in mehreren Bereichen Fortschritte erzielt.

Weitere Informationen

Bildung und Forschung

5 Mrd. Euro für Erasmus+

Im Jahr 2025 werden über das Programm Erasmus+ grenzüberschreitende Austauschaufenthalte und Partnerschaften zur Zusammenarbeit in den Bereichen allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport mit etwa 5 Mrd. EUR unterstützt. Die Kommission hat am 19. November 2024 eine Aufforderung zur Einreichung von Vorschlägen für Erasmus+ 2025 veröffentlicht, die eine Aufstockung der Mittel um 6,5 % gegenüber dem letzten Jahr bedeutet. Entsprechend den Prioritäten im Rahmen von Erasmus+ 2021-2027 wird die Unterstützung einer grossen Bandbreite von Projekten zur Förderung der sozialen Inklusion, des grünen und des digitalen Wandels sowie der Teilhabe junger Menschen am demokratischen Leben fortgesetzt. Mit über 16 Millionen Teilnehmenden seit dem Start des Programms 1987 steigt die Nachfrage nach Förderungen im Rahmen von Erasmus+ weiter.

Weitere Informationen

Energie und Umwelt

Waldbrandbericht 2023

Letztes Jahr wüteten in Europa, Nahost und Afrika einige der schlimmsten Wald- und Flurbrände seit 2000. Laut Waldbrandbericht 2023, der am 19. November 2024 von der Gemeinsamen Forschungsstelle der EU-Kommission veröffentlicht wurde, verwüsteten Vegetationsbrände rund 500 000 Hektar Naturlandschaft – ungefähr so viel wie halb Zypern. Die zunehmende Häufigkeit und Stärke der Waldbrände während länger andauernder Hauptfeuerzeiten stellt die Feuerwehren in Europa und weltweit vor neue Herausforderungen: Die Brandbekämpfung aus der Luft wird immer mühsamer, und Bodeneinsätze werden schwieriger, wenn nicht sogar unmöglich. Laut Bericht werden ungefähr 96 % der Waldbrände in der EU von Menschen verursacht – also sind Aufklärung und Sensibilisierungsmassnahmen wesentlicher Teil der Lösung.

Weitere Informationen

Personenfreizügigkeit

EuGH: Staatsangehörigkeitserfordernis bei Parteimitgliedschaft

Das Unionsrecht gewährt Unionsbürgern mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen, das aktive und passive Wahlrecht bei Kommunal- und Europawahlen. Die wirksame Ausübung dieses Rechts setzt voraus, dass diese Bürger gleichen Zugang zu den Mitteln haben, über die die Angehörigen dieses Mitgliedstaats für die Ausübung des Wahlrechts verfügen. Da die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei erheblich zur Ausübung des durch das Unionsrecht verliehenen Wahlrechts beiträgt, stellt der Gerichtshof mit Urteil vom 19. November 2024 fest, dass die Tschechische Republik und Polen dieses Recht verletzt haben, weil es Unionsbürgern mit Wohnsitz in diesen Mitgliedstaaten, deren Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen, verwehrt ist, dort Mitglied einer politischen Partei zu werden. Ihr Beitritt zu einer politischen Partei ist nicht geeignet, die nationale Identität der Tschechischen Republik oder Polens zu beeinträchtigen.

Weitere Informationen

Steuern

Mehrwertsteuer im digitalen Zeitalter

Die Kommission begrüsst die am 5. November 2024 vom Rat angekündigte allgemeine Ausrichtung zu ihren Vorschlägen zur Mehrwertsteuer im digitalen Zeitalter. Dank des Massnahmenpakets, das auf die Digitalisierung setzt, soll das Mehrwertsteuersystem der EU unternehmensfreundlicher und weniger betrugsanfällig werden. Die neuen Vorschriften sind ein erster Schritt, um den Herausforderungen im Zusammenhang mit der Plattformwirtschaft zu begegnen und einheitliche Wettbewerbsbedingungen für Online- und herkömmliche Dienste in den Bereichen Kurzzeitvermietung von Unterkünften und Personenbeförderung zu schaffen. Mit dem neuen System wird eine einheitliche digitale Mehrwertsteuererklärung in Echtzeit für grenzüberschreitende Umsätze auf der Grundlage der elektronischen Rechnungsstellung eingeführt. Dadurch erhalten die Mitgliedstaaten frühzeitig Informationen, die für die bessere Bekämpfung von Mehrwertsteuerbetrug notwendig sind. Zudem werden Plattformbetreiber in den Bereichen der Personenbeförderung und der kurzfristigen Vermietung von Unterkünften dafür verantwortlich sein, die Mehrwertsteuer zu erheben und an die Steuerbehörden abzuführen, wenn der zugrunde liegende Dienstleister keine Mehrwertsteuer in Rechnung stellt.

Weitere Informationen

Verbraucherschutz

Apple soll Geoblocking stoppen

Im Anschluss an eine koordinierte Untersuchung auf europäischer Ebene haben das Netz für die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz (CPC-Netz) und die Europäische Kommission Apple am 12. November 2024 über mehrere potenziell verbotene Geoblocking-Praktiken unterrichtet, die das CPC-Netz bei bestimmten Apple Media Services festgestellt hat, nämlich den Mediendiensten App Store, Apple Arcade, Music, iTunes Store, Books und Podcasts. Im Fokus stehen hierbei Länderbeschränkungen beim Zugriff auf Angebote in Apple-Diensten sowie auch entsprechende Einschränkungen bei Zahlungsmodalitäten. Das Netz forderte Apple auf, seine Verfahren an die Anti-Geoblocking-Vorschriften der EU anzupassen.

Weitere Informationen

Wettbewerb

Booking muss Digital Markets Act befolgen

Am 13. November 2024 wurde Booking als „Gate keeper“ im Sinne des Digital Markets Act (DMA) benannt und muss ab nun die einschlägigen Verpflichtungen erfüllen. Konkret bedeutet dies, dass Hotels, Autovermietungen und andere Anbieter von Reisediensten, die auf Booking.com angewiesen sind, um ihre Kunden zu erreichen, in den Genuss neuer Möglichkeiten kommen. Beispielsweise sind sog. „Bestpreisklauseln“ nach dem DMA verboten. Daher steht es Hotels, Autovermietungen und anderen Diensteanbietern, die Booking.com nutzen, nun frei, auf ihrer eigenen Website oder auf anderen Kanälen als auf Booking.com andere (auch bessere) Preise und Konditionen anzubieten.

Weitere Informationen

Geldbusse gegen Meta wegen missbräuchlicher Praktiken

Die Europäische Kommission hat eine Geldbusse in Höhe von 797 72 Mio. EUR gegen Meta verhängt, weil das Unternehmen gegen die EU-Kartellvorschriften verstösst, indem es seinen Online-Kleinanzeigendienst Facebook Marketplace mit seinem persönlichen sozialen Netzwerk Facebook verknüpft und anderen Anbietern von Online-Kleinanzeigendiensten unfaire Handelsbedingungen auferlegt hat. Die Untersuchung der Kommission hat ergeben, dass Meta auf dem Markt für persönliche soziale Netzwerke, der zumindest den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) umfasst, sowie auf den nationalen Märkten für Online-Display-Werbedienste in sozialen Medien eine beherrschende Stellung innehat und diese missbraucht.

Weitere Informationen

Evaluation des Rechtsrahmens zu Technologietransfer-Vereinbarungen

Die Europäische Kommission hat heute eine Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen veröffentlicht, in der die Ergebnisse ihrer Evaluierung der Technologietransfer-Gruppenfreistellungsverordnung („TT-GVO“) und der dazugehörigen Leitlinien zur Anwendung von Artikel 101 AEUV auf Technologietransfer-Vereinbarungen („Leitlinien“) zusammengefasst sind. Ziel der Evaluierung war es, Erkenntnisse über das Funktionieren der TT-GVO und der dazugehörigen Leitlinien zu gewinnen, damit die Kommission entscheiden kann, ob die Vorschriften auslaufen sollten oder verlängert oder überarbeitet werden sollten. Gemäss der Evaluation haben die TT-GVO und die Leitlinien eine wirksame, effiziente und einheitliche Anwendung der EU-Wettbewerbsregeln auf Technologietransfer-Vereinbarungen weitgehend gewährleistet. Die Evaluierung ergab auch, dass die TT-GVO und die Leitlinien in bestimmten Bereichen verbessert werden könnten, um die Rechtssicherheit zu erhöhen und den jüngsten Marktentwicklungen Rechnung zu tragen.

Weitere Informationen

Genehmigung von Beihilfen im Energiesektor

Die Europäische Kommission hat am 21. November 2024 eine mit 578 Mio. EUR ausgestattete rumänische Regelung zur Senkung einer Stromabgabe für energieintensive Unternehmen nach den EU-Beihilfevorschriften genehmigt. Mit der Abgabe soll Strom aus erneuerbaren Energiequellen gefördert werden. Ziel der Regelung ist die Verringerung des Risikos, dass energieintensive Unternehmen aufgrund dieser Abgabe ihre Tätigkeiten an Standorte in Nicht-EU-Länder mit einer weniger ehrgeizigen Klimapolitik verlagern. Im Rahmen der Regelung müssen die Beihilfeempfänger entweder i) bestimmte Empfehlungen des Energieaudits umsetzen, ii) mindestens 30 % des Stromverbrauchs aus CO2-freien Quellen decken oder iii) mindestens 50 % der Beihilfe in Vorhaben investieren, die zu einer erheblichen Verringerung der Treibhausgasemissionen der Anlage führen.

Weitere Informationen

Wirtschafts- und Währungspolitik

Herbstprognose 2024

Nach einer längeren Stagnationsphase kehrt die EU-Wirtschaft zu einem moderaten Wachstum zurück, während die Inflation weiter zurückgeht. In der Herbstprognose der Europäischen Kommission wird für 2024 ein BIP-Wachstum von 0,9 % für die EU und von 0,8 % für das Euro-Währungsgebiet in Aussicht gestellt. Anschliessend dürfte sich das Wirtschaftswachstum im Jahr 2025 auf 1,5 % in der EU und auf 1,3 % im Euro-Währungsgebiet und im Jahr 2026 auf 1,8 % in der EU und auf 1,6 % im Euro-Währungsgebiet beschleunigen. Die Gesamtinflation im Euro-Währungsgebiet wird sich der Kommissionsprognose zufolge im Jahr 2024 mehr als halbieren, und zwar von 5,4 % im Jahr 2023 auf 2,4 %, bevor sie in einem langsameren Tempo allmählich auf 2,1 % im Jahr 2025 und 1,9 % im Jahr 2026 zurückgehen dürfte. Auf Ebene der gesamten EU wird die Inflation 2024 voraussichtlich noch stärker zurückgehen, wobei die Gesamtinflation den Prognosen zufolge von 6,4 % im Jahr 2023 auf 2,6 % sinken wird, um anschliessend weiter auf 2,4 % im Jahr 2025 und 2,0 % im Jahr 2026 zu sinken.

Weitere Informationen