I. Einleitung
Im Verlauf der letzten Jahre sind die Entwicklungen für den Aufbau von umfassenden Bedrohungsmanagement-Strukturen in den Kantonen schweizweit vorangeschritten. Qualitätsstandards wurden definiert und auf politischer Ebene zur Umsetzung empfohlen. Die Handlungsfelder der Roadmap gegen Häusliche Gewalt von Bund und Kantonen sowie der Aktionsplan zur Umsetzung der Istanbul-Konvention forcieren diese Anstrengungen. Der Regierungsrat des Kantons Zürich legte Gewalt gegen Frauen und Häusliche Gewalt weiterhin als Schwerpunktthemen in der Strafverfolgung für die Legislaturperiode 2023 bis 2026 fest (Regierungsratsbeschluss Nr. 351/2023). Die 7. Fachtagung Bedrohungsmanagement, die am 2. November 2023 in Zürich unter der Leitung von Prof. Dr. Christian Schwarzenegger, Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie an der Universität Zürich, und Dr. iur. Andreas Eckert, leitender Oberstaatsanwalt des Kantons Zürich, stattfand, setzte sich zum Ziel, Einblick in ausgewählte Themen aus diesem Bereich zu geben, sowie neue Ansätze der Prävention von Gewalt, Best Practices und Erkenntnisse aus der Wissenschaft aufzeigen.
II. Die Umsetzung der Roadmap Häusliche Gewalt
Nach der Begrüssung durch Prof. Dr. iur. Christian Schwarzenegger und dem Einführungsreferat von Dr. Andreas Eickert, eröffnete Major Reinhard Brunner, Chef der Präventionsabteilung der Kantonspolizei Zürich, die Tagung mit seinem Vortrag „Roadmap Häusliche Gewalt: Handlungsfelder Bedrohungsmanagement und technische Mittel mit einem Seitenblick nach Spanien“. Zu Beginn skizzierte Brunner die politische Ausgangslage und umriss unter anderem den strategischen Dialog „Häusliche Gewalt“, der zur Unterzeichnung der Roadmap Häusliche Gewalt führte. Die Roadmap umfasst zehn Handlungsfelder, zu deren Umsetzung sich die Kantone verpflichteten, dazu gehört, neben einem gemeinsamen koordinierten Vorgehen und dem Addendum „Sexuelle Gewalt“, auch die Etablierung eines kantonalem Bedrohungsmanagements zur Verbesserung des Opferschutzes. Zudem wurden als Leitlinie für die Kantone Qualitätsstandards entlang des Bedrohungsmanagementprozesses definiert und ein Controlling-Instrument eingeführt, das den kantonalen Polizeikommandanten ermöglicht, ihre eigenen Systeme zu überprüfen und deren Stand zu melden. Die Arbeitsgruppe „Kantonales Bedrohungsmanagement“, zusammengesetzt aus Vertretern aller Polizeikonkordate, Fedpol und den Direktoren der Kurse des Schweizerischen Polizei-Instituts, ist in der Vereinigung der Schweizerischen Kriminalpolizeichefs angesiedelt, und soll dabei unter anderem den interkantonalen Informationsaustausch sicherstellen. Die Roadmap fordert die Kantone auf, auch Erkenntnisse aus externen Studien über elektronische Überwachungsmethoden zur Verbesserung des Opferschutzes zur Kenntnis zu nehmen. Umgesetzt wurde dies bspw. im Rahmen eines Workshops mit spanischen Experten. Parallel zur Roadmap Häusliche Gewalt und inspiriert von diesem Workshop startete Zürich im August 2023 einen Pilotbetrieb mit dem sogenannten dynamischen elektronischen Monitoring (EM). Bei einem Verstoss gegen ein Rayonverbot ist dann die unverzügliche Information des Opfers sowie die Einleitung einer polizeilichen Intervention zu dessen Schutz möglich.
Im Anschluss referierte MLaw Michael Bühl, Abteilungsleiter Alternativer Strafvollzug der Bewährungs- und Vollzugsdienste des Kantons Zürich, über die Anwendung des Electronic Monitoring in Fällen von Häuslicher Gewalt. Für das Electronic Monitoring (EM) gibt es verschiedene Überwachungstechniken und -ziele. Dabei wird zwischen der kontinuierlichen aktiven Meldungsbearbeitung rund um die Uhr, die ein Überwachungszentrum erfordert, und der passiven, nachträglichen Meldungsbearbeitung, die weniger Ressourcen benötigt, unterschieden. Zudem sind in sechs verschiedenen Bundesgesetzen acht verschiedene Anwendungsformen vorgesehen. Diese werden unterteilt in präventive Massnahmen, die sich auf zivilrechtliche Schutzmassnahmen oder die Verhinderung terroristischer Aktivitäten stützen, und Massnahmen im Strafverfahren, die in Form strafprozessualer Ersatzmassnahmen auftreten. Als dritte Anwendungsform kommt der Sanktionsvollzug in Frage, unter den gerichtlich angeordnete Rayon- und Kontaktverbote sowie die Verbüssung von Freiheitsstrafen und Auflagen, beispielsweise im Rahmen eines Hafturlaubs, fallen. Es fällt auf, dass präventive Massnahmen gemäss Art. 28c Abs. 1 ZGB, die am 1. Januar 2022 eingeführt wurden, bisher noch nicht angeordnet wurden. Zwischen Juni 2020 und 2023 wurde die elektronische Überwachung von Ersatzmassnahmen 33-mal durchgeführt, wovon zwölf Fälle im Kontext häuslicher Gewalt lagen. EM funktioniert durch satellitengestützte Ortung. Bei einem Verstoss durch den Täter gegen bspw. ein Annäherungsverbot, erfolgt eine Meldung durch den an ihm angebrachten Sender über das Mobilfunknetz an die Überwachungszentrale. Diese Meldung durchläuft einen Triage-Prozess und wird, wenn nötig, an die Polizei weitergeleitet. Die Polizei kann dann bspw. eine vordefinierte Intervention durchführen oder der gefährdeten Person Anweisungen erteilen. Die Grenzen des EM ergeben sich insbesondere aus dem Fehlen von GPS- oder Mobilfunksignalen, was eine Ortung unmöglich macht. Zudem ist immer mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung zu rechnen. Obwohl das EM physisch keine Straftaten oder Fluchten verhindern kann, wirkt es sich als Kontrollinstrument auf Grund der 99% Entdeckungswahrscheinlichkeit positiv auf die Einhaltung der behördlichen Auflagen aus. Als Element eines umfassenderen Schutzkonzepts hilft EM zur Steigerung der Lebensqualität der zu schützenden Person. EM in Fällen häuslicher Gewalt bleibt jedoch nach wie vor eine Randerscheinung, und es bleibt die Frage offen, warum schweizweit bisher kaum EM im Rahmen von zivilrechtlichen Schutzmassnahmen gemäss Art. 28c ZGB angeordnet wurde.
In der ersten Diskussionsrunde wurde die Bedeutung des Bedrohungsmanagements und der interkantonalen Zusammenarbeit für den risikoorientierten Strafvollzug betont, insbesondere bei Gewaltschutzfällen, die oft lokal auftreten. Es wurde auch die Frage aufgeworfen, ob ein ähnliches EM-System wie in Spanien in der Schweiz implementiert werden sollte. Allerdings wurde darauf hingewiesen, dass föderale Strukturen dies komplizieren könnten und entsprechende Ressourcen erst zugewiesen werden müssten. Die Diskussion endete mit der Frage, warum elektronische Überwachung im zivilrechtlichen Kontext selten oder gar nicht stattfinde. Unterschiedliche Regelungen in den Kantonen und wurden als ein möglicher Grund genannt. Es wurde auch darauf hingewiesen, dass die Gerichte oft über die Anwendung entscheiden und dass eine nähere Untersuchung mit der Vereinigung der Schweizer Richter oder Hochschulen erforderlich sein könnte. Es scheine, dass die Überwachung trotz möglicher Bussandrohungen bei den Gerichten auf Skepsis stösst und eine intensive Auseinandersetzung mit den Interessen von Täterschaft und Opferschaft notwendig ist.
Philippe Vogt, Spezialist und Referent für das Bedrohungsmanagement in der Kantonspolizei Waadt, behandelte in seiner Präsentation „Schlaglichter Bedrohungsmanagement Romandie“ das Bedrohungsmanagement in sechs französischsprachigen Kantonen. In einem ersten Schritt weist er auf die kantonale Kompetenz, selbstständig die polizeiliche Organisation und das Bedrohungsmanagement gestalten zu können und die daraus resultierenden Differenzen, hin. Trotz dieser kantonalen Unterschiede besteht ein gemeinsames Bedürfnis für ein Bedrohungsmanagement. Es werden sodann interessante Einblicke in die rechtlichen Situationen in den Kantonen Genf, Wallis, Neuenburg, Jura, Freiburg und Waadt (inkl. Stadt Lausanne) verschafft. Während die Kantone Genf, Wallis und Waadt noch über keine rechtlichen Grundlagen für das Bedrohungsmanagement verfügen, existieren in den Kantonen Neuenburg, Jura und Freiburg entsprechende gesetzliche Bestimmungen und gewisse Umsetzungsstrukturen, welche sich teilweise noch in Projektphasen befinden. Anschliessend wird anhand eines realen Falles veranschaulicht, wie schnell in der Praxis mehrere kantonale Bedrohungsmanagement-Teams in einem Fall involviert sein können und welche Herausforderungen sich bei der Zusammenarbeit mit mehreren kantonalen Institutionen in der Betreuung der betroffenen Personen ergeben können. Der Vortrag endet mit dem Fazit, dass die kantonalen Ansätze zum Bedrohungsmanagement in der Romandie zwar unterschiedlich entwickelt seien, ein gemeinsames Bestreben zur Verbesserung der Sicherheit und des Bedrohungsmanagements jedoch bestehen würde. Die interkantonale Zusammenarbeit und der Erfahrungsaustausch würden eine wichtige Rolle in der Bewältigung dieser Herausforderungen einnehmen.
III. Gefährdende und besonders gefährdete Personen
In seinem Vortrag „Soziale Arbeit als integrierter Bestandteil der Polizei“ widmete sich Massimo Bonato, Abteilungsleiter des Sozialdienstes der Kantonspolizei Basel-Stadt, der engen Zusammenarbeit zwischen dem Sozialdienst und der Kantonspolizei Basel-Stadt. Auf den ersten Blick scheinen die Berufe sehr unterschiedlich zu sein. Gem. Bonato wirken sie aber beide an Orten, an welchen Menschen in ihren sozialen Umfeldern aufeinandertreffen. Eine Zusammenarbeit zwischen den zwei Berufsgruppen erstreckt sich insbesondere auf die Bereiche der Präventionsarbeit, Gemeinwesensarbeit und Bedrohungsmanagement. Der Sozialdienst ist als operative Funktionseinheit in die Kantonspolizei Basel-Stadt eingegliedert. Dabei spielt er eine wichtige Rolle bei der Unterstützung von Menschen in sozialen Krisensituationen und leistet auf Anfrage Amts- und Vollzugshilfe an Behörden, Ämter und weitere Polizeiorganisationen. Gleichzeitig dient er als Bindeglied zu kantonalen und (inter)nationalen Diensten und Institutionen im sozialen Arbeitsfeld. Sodann wird erklärt, wie der Sozialdienst in die Arbeit des Bedrohungsmanagements integriert ist. Er bietet eine Unterstützung für die Grundinformationsbeschaffung und für das Screening der Risiko- und Schutzfaktoren. In Fällen, welche gerade nicht als Bedrohungsmanagementfälle zu kategorisieren sind, bearbeitet er diese weiter. Bonato schliesst mit dem Fazit ab, dass Basel-Stadt hinsichtlich des Bedrohungsmanagements zwar langsam voranschreite, die Zusammenarbeit zwischen Sozialarbeitenden und der Polizei jedoch seit über 90 Jahren einwandfrei funktioniere.
Die folgende Diskussion beginnt mit der Frage, welche Rolle die basel-städtischen Sozialarbeitenden im Zusammenhang mit dem Hooliganismus im Bedrohungsmanagement spielen. Bonato entgegnet, dass zwar eine Zusammenarbeit mit den Fanorganisationen, Polizei und einem Dialogteam bestünde, die Sozialarbeitenden aber keine spezielle Funktion einnehmen. Vogt wird gefragt, ob die verhältnismässig kleinen Strukturen des Bedrohungsmanagements (in Kanton Waadt sind drei Polizisten und eine Juristin zuständig) aufgrund von Ressourcenproblemen in ihrer Grösse beschränkt seien. Vogt weist darauf hin, dass die Kantone an sich schon eher klein seien, weshalb die Strukturen nicht so ausgebaut sind. Meistens würden private Akteure (bspw. Vires) Fälle von häuslicher Gewalt behandeln und für sozialarbeiterische Aspekte Privatpersonen beigezogen werden. Bonato wird auf das Verhältnis der Sozialarbeitenden einerseits zur Polizei und andererseits zur Klientel angesprochen. Dieser erwidert, dass die Sozialarbeitenden eng mit der Polizei zusammenarbeiten und über beschränkte polizeiliche Befugnisse (bspw. Polizeiausweis) verfügten. Abschliessend wird die Frage gestellt, ob in den französisch-sprachigen Kantonen mit mangelnden gesetzlichen Regelungen trotzdem Interventionen vorgenommen werden und falls ja, welche Probleme sich hierbei ergeben. Vogt bestätigt, dass Interventionen stattfinden. Sobald die Polizei einen Fall erhält, wird dieser bearbeitet und die betroffene Person vorgeladen. Allerdings besteht keine Pflicht, der Vorladung Folge zu leisten und zu erscheinen. Eine Schwierigkeit ergibt sich hinsichtlich der Amts- und Berufsgeheimnisse. Zunächst besteht eine gewisse Intransparenz zwischen den Akteuren. Meistens werden die entsprechenden Fachpersonen vom Amts- oder Berufsgeheimnis entbunden und mit der Arbeit fortgefahren.
May Beyli, Fachstelle Forensic Assessment & Risk Management der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, thematisierte in ihrem Referat „Kinder und Jugendliche im Umfeld von Gewalt – Erfahrungen und Erkenntnisse aus forensischer Sicht“ die Auswirkungen von häuslicher Gewalt auf Kinder und Jugendliche. Kinder können sowohl direkt als auch indirekt von Gewalt betroffen sein, wobei zwischen körperlicher, sexualisierter und psychischer Gewalt unterschieden wird. Die Gewalt kann dabei sowohl physische als auch psychische Auswirkungen in Form von physischen Verletzungen, psychischen Störungen bis zu Entwicklungsverzögerungen und Bindungsproblemen auf die betroffenen Kinder haben. Weiter hätten Kinder, welche häusliche Gewalt miterleben, ein höheres Risiko, im Laufe ihres Lebens entweder selbst Opfer von Gewalt zu werden oder sich dann selbst gewalttätig zu verhalten. In der Bewältigung von häuslicher Gewalt sind die Polizei und die KESB sehr wichtig. Nach dem heutigen Stand ist die Interaktion zwischen Polizei und betroffenen Kindern allerdings oft rudimentär, weshalb der Beizug von neutralen Drittpersonen und eine entsprechende Sensibilisierung indiziert ist. Es wird mit der Einsicht geendet, dass betroffene Kinder und Jugendliche eines schützenden und unterstützenden Umfelds bedürfen, in welchem sie u.a. mit liebevollen Bezugspersonen und klaren Rollenmodellen aufwachsen. Weiter seien die Pflege von guten Beziehungen zu Gleichaltrigen, der Schutz vor Disstress, Lernerfahrungen, bewältigbare Herausforderungen sowie finanzielle Ressourcen für eine gute Entwicklung wichtig.
Im Anschluss referierte lic. iur. Alexandra Ott Müller, leitende Jugendanwältin, Jugendanwaltschaft Winterthur, zum Thema „Kinder und Jugendliche im Umfeld von Gewalt – Aufgaben und Möglichkeiten der Jugendstrafrechtspflege“. Eine Besonderheit des Jugendstrafrechts ist es, dass es sich zum Ziel setzt, den Jugendlichen zu schützen, zu erziehen und auch seine Lebens- und Familienverhältnisse besonders zu berücksichtigen. Das äussert sich beispielsweise dadurch, dass das Alter und der Entwicklungsstand des Jugendlichen auch in der Rechtsanwendung zu seinen Gunsten berücksichtigt werden müssen. Im Kanton Zürich obliegt die Jugendstrafrechtspflege primär den fünf der Oberjugendanwaltschaft unterstellten Jugendanwaltschaften, wobei die Jugendanwaltschaft Winterthur in ihrer Abteilung alle Übertretungen von Ersttätern im Kanton behandelt. Wie auch das Erwachsenenstrafrecht kennt das Jugendstrafrecht ein Vorverfahren, hier bloss unter der Leitung der Jugendstaatsanwaltschaft. Im jugendstrafrechtlichen Untersuchungsverfahren können bereits vor einer Verurteilung Sofortmassnahmen wie eine Fremdplatzierung angeordnet werden, und die Anordnung der Untersuchungshaft ist für sieben Tage ohne Überprüfung durch das Zwangsmassnahmengericht möglich. Die Jugendanwaltschaft arbeitet bei der Aufklärung der Delikte besonders eng mit verschiedenen Stellen, wie der Jugendpolizei, der KESB und Schulen zusammen, um ein ganzheitliches Bild über die Situation des Jugendlichen zu gewinnen. Kommt es zu einer Verurteilung, gibt es verschiedene Optionen: Die Anordnung einer Schutzmassnahme oder einer Strafe. Eine Schutzmassnahme wird dann gewählt, wenn beim Jugendlichen, der die Tat mit oder ohne Schuldfähigkeit begangen hat, ein besonderes Bedürfnis für eine erzieherische Betreuung oder einer therapeutischen Behandlung besteht, wobei diese Massnahmen sowohl ambulant oder stationär durchgeführt werden können. Hat der Jugendliche seine Tat schuldhaft begangen, so kann auch eine Strafe ausgesprochen werden, wobei das Alter des jugendlichen für die zur Verfügung stehenden Sanktionen massgeblich ist. Insbesondere der Freiheitsentzug und die Busse können nur gegenüber über 15-jährigen ausgesprochen werden. Die Fallstatistik der Zürcher Jugendstaatsanwaltschaften zeigt auf, dass sowohl die Anzahl der beschuldigten Jugendlichen als auch die von Jugendlichen begangenen Gewaltstraftaten zunehmen. Die Gewaltstraftaten werden dabei zu 54.4% in Gruppen, primär im öffentlichen Raum, gegenüber einem den Jugendlichen unbekannten Opfer und tagsüber begangen. Auffällig ist auch, dass der durchschnittliche Gewaltstraftäter etwa 15 Jahre alt, männlich und nicht vorbestraft (52.1%) ist, grundsätzlich zur Schule geht und im Alltag funktioniert.
In der anschliessenden Diskussion wurde insbesondere auf die Vorteile von Electronic Monitoring für das Bedrohungsmanagement gegenüber Jugendlichen hingewiesen, da dadurch dem Jugendlichen Struktur gegeben und ein normaler Schulbesuch ermöglicht werden kann. Es wurde auch die Thematik von Kindern als indirekt Betroffene von Gewalt und ihre Wahrnehmung durch die Polizei angesprochen. Die Polizei erwähnt die Anwesenheit von Kindern in ihrem Rapport und ggf. werden entsprechende Fachstellen eingeschaltet. Dies sei Teil einer ganzheitlichen Fallbearbeitung.
Im letzten Vortrag der Veranstaltung befasste sich Prof. Dr. iur. Nora Markwalder, Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie unter besonderer Berücksichtigung des Wirtschaftsstrafrechts an der Universität St. Gallen mit dem Thema „Umgang mit gefährdenden Personen im Kantonalen Bedrohungsmanagement – Ergebnisse einer Studie der Universität St. Gallen“. In dieser Studie analysierte Markwalder zusammen mit Prof. Dr. Monika Simmler und zwei weiteren Forschenden die Eigenschaften der gefährdenden Personen, die Organisation der kantonalen Bedrohungsmanagement Fachstellen und wie diese ihre Fälle bearbeiten. Ein besonderer Fokus lag dabei auf der Verwendung und dem Einfluss von algorithmischen Tools im Rahmen der Risikobeurteilung. Gestützt auf die Journaleinträge und Risikobeurteilungsberichte von 293 Fällen in Zürich, Bern und St. Gallen konnten die Forschenden folgende Schlüsse ziehen: Die meisten Gefährdungen (46.5%) treten im Umfeld der häuslichen und sexuellen Gewalt auf. Wie auch in allen anderen Fallgruppen sind die Gefährder mehrheitlich (96% für die häusliche Gewalt) männlich. Ein Grossteil der Täter ist zwischen 26 – 55 Jahre alt. Im Falle der häuslichen Gewalt sind schweizerische Täter zu 38.1% vertreten. Bei allen anderen Formen der Gefährdung machen Schweizer mindestens 50% der Gefährder aus, bei Drohung und Gewalt gegen Behörden sogar bei 71.1%. Mit einer durchschnittlichen Quote von 45.7% über alle Formen der Gefährdung sind Ausländer jedoch im Schnitt leicht überrepräsentiert. Ein auffällig hoher Prozentsatz der Gefährder ist zudem nicht erwerbstätig (38.3% sind arbeitslos, 15.9% beziehen eine Invalidenrente). Psychische Auffälligkeiten wurden in 33.4% der Fälle dokumentiert, diese Personengruppe ist daher ebenfalls überrepräsentiert. Kenntnis von der Gefährdung erhält das kantonale Bedrohungsmanagement auf verschiedene Arten, wobei die häufigsten Formen die Kenntnisnahme durch andere Polizeibehörden (29.2%), eine Meldung durch andere Behörden (19.3%) und eine interne Identifizierung (16.8%) sind. Nur 32.7% der identifizierten Täter waren bereits polizeilich registriert und gegen 45% läuft oder lief mindestens ein dokumentiertes Strafverfahren. Das kantonale Bedrohungsmanagement nahm nach dem ersten Screening nur in 34.5% der Fälle noch eine erweiterte Beurteilung vor. Diese erfolgte grossmehrheitlich (75%) ohne die Verwendung algorithmischer Tools. Wenn Tools verwendet wurden, handelte es sich primär um komplexe Fälle. Hier wurde fast nur Octagon verwendet, das sehr automatisiert und nicht KI-basiert ist. Es wurde weiter festgestellt, dass in den meisten Fällen (94.9%) Massnahmen gegen den Gefährder ergriffen wurden, die meistens jedoch sehr niederschwellig waren. Verbesserungsmöglichkeiten für die Zukunft sahen die Forschenden insbesondere bei der Klärung und Abgrenzung der Zuständigkeiten und der Schaffung klarer Gesetzesgrundlagen, einerseits für die Interaktion innerhalb des Netzwerkes des kantonalen Bedrohungsmanagements und andererseits zur Klärung der Rechtstellung der betroffenen Person.
IV. Podiumsdiskussion und Schlusswort
In der anschliessenden Podiumsdiskussion wurde unter anderem erneut die Bedeutung einer gesetzlichen Grundlage für das Bedrohungsmanagement betont und festgehalten, dass die polizeiliche Generalklausel, insbesondere mit Blick auf die strafprozessrechtsähnlichen polizeilichen Massnahmen, keine hinreichende Grundlage bilde. Schwierig sei auch das Vorgehen, wenn zwar eine Bedrohung bestehe, aber noch kein Delikt begangen worden sei. Hier gibt es die Untersuchungshaft mit dem Haftgrund der Ausführungsgefahr und bald auch das mobile Electronic Monitoring. Letzterem blicke man zuversichtlich und optimistisch entgegen. Obwohl die Betroffenen über die Durchführungen der Gewaltschutzmassnahmen oft dankbar sind, kann gerade im Umgang mit ihnen eine Verbesserung bspw. durch die Einführung eines forensischen Sozialdienstes erreicht werden.
Im Anschluss fasste Prof. Dr. Christian Schwarzenegger die Erkenntnisse der Tagung noch einmal zusammen und betonte die Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen Behörden und Kantonen für ein erfolgreiches Bedrohungsmanagement.