EuZ - Zeitschrift für Europarecht

Ausgabe 06 / 2024

Die Regelung der EU-Binnenmarkt verzerrenden drittstaatlichen Subventionen auf dem Prüfstand – Überblick, Praxis und Beurteilung aus Schweizer Perspektive

Livio Bundi*

Mit der Verordnung 2022/2560 hat die EU ein neues Regelwerk eingeführt, um drittstaatliche Subventionen, die den Binnenmarkt verzerren, zu überwachen und zu regulieren. Damit sollen Wettbewerbsverzerrungen durch Subventionen aus Nicht-EU-Staaten verhindert werden, insbesondere in Fällen von Übernahmen, Fusionen oder öffentlichen Vergabeverfahren. Die Verordnung ermöglicht der Kommission, Untersuchungen durchzuführen und erforderliche Massnahmen zu ergreifen, wie z.B. Rückzahlungen von Subventionen oder Untersagungen von Zusammenschlüssen. In der Praxis könnten davon bald schon Schweizer Unternehmen, die auf dem EU-Binnenmarkt tätig sind, betroffen sein. Die EU-Kommission hat bereits erste Prüfungen chinesischer Unternehmen eingeleitet, um die Einhaltung der neuen Regelungen zu gewährleisten. Der vorliegende Beitrag bietet einen Überblick über die EU-Regelung von Drittstaatsubventionen und die aktuelle Kommissionspraxis. Zudem wird die praktische Relevanz der VO 2022/2560 insbesondere für Schweizer Unternehmen beleuchtet und anschliessend bewertet.

* Dr. iur. Livio Bundi ist auf öffentliches Recht spezialisierter Rechtsanwalt und Partner bei der Anwaltskanzlei Bratschi AG in Zürich. Er hat an der Universität Luzern studiert und promoviert.

Inhalt

  1. Einleitung
  2. Rechtliches
    1. Zweck und Anwendungsbereich der Verordnung 2022/2560
    2. Begriffliches
      1. Drittstaatliche Subvention
      2. Verschaffung eines Vorteils
      3. Verzerrungen auf dem Binnenmarkt
    3. Mögliche Reaktionen der Europäischen Kommission
      1. Abwägungsprüfung
      2. Verpflichtungszusagen und Abhilfemassnahmen
    4. Verfahren
      1. M&A-Transaktionen
      2. Öffentliche Vergabeverfahren
      3. Prüfung von Amtes wegen
    5. Kommissionspraxis
      1. Erste eingehende Prüfung im Zusammenhang mit
        chinesischem Unternehmen
      2. Zwei weitere eingehende Prüfungen im Zusammenhang
        mit chinesischen Unternehmen
    6. Auswirkungen auf Schweizer Unternehmen mit Geschäftstätigkeit
      in der EU
  3. Schlussfolgerung

A. Einleitung

Die Europäische Union (EU) unterliegt dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, wie in Art. 4 Abs. 1 EUV[1]Vertrag über die Europäische Union (konsolidierte Fassung; ABl. C 202/1 vom 7. Juni 2016)., Art. 5 Abs. 1 Satz 1 EUV und Art. 5 Abs. 2 EUV festgelegt. Aufgrund ihrer ausschliesslichen Zuständigkeit für die „Festlegung der für das Funktionieren des Binnenmarktes erforderlichen Wettbewerbsregeln“ (Art. 3 Abs. 1 lit. b AEUV[2]Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (konsolidierte Fassung; ABl. C 202/1 vom 7. Juni 2016).) ist die EU befugt, entsprechende Regelungen zu erlassen.[3]Fatlum Ademi/André S. Berne/Janine Dumont/Dirk Trüten/Wesselina Uebe, in: Andreas Kellerhals/Dirk Trüten (Hrsg.), Subventionen in der Schweiz – Implikationen einer Übernahme des … Continue reading Die Wettbewerbsregeln in Art. 101 ff. AEUV zielen darauf ab, ein System zu schaffen, das den Wettbewerb innerhalb des europäischen Binnenmarktes vor Verfälschungen schützt.[4]Livio Bundi, System und wirtschaftsverfassungsrechtliche Zulässigkeit von Subventionen in der Schweiz und von Beihilfen in der EU, Zürich 2016, S. 143.

Neben EU-Vorschriften zur Fusionskontrolle und Kartellen betrifft ein Teil der Wettbewerbsregeln die mitgliedstaatlichen Beihilfen, welche seit 1957 einem ständig verfeinerten und immer detaillierter geregelten Kontrollverfahren unterzogen werden. Auf der Grundlage der Artikel 107 ff. AEUV hat sich dabei ein differenziertes System entwickelt, das je nach dem Wettbewerbsgefährdungspotenzial der Beihilfen mehr oder weniger strenge Regeln festlegt.[5]Michael Hahn, Rechtsentwicklung in der Europäischen Union und die Schweiz, Aktuelle Entwicklungen im EU-Aussenwirtschaftsrecht: „Offene strategische Autonomie“ und EU-Aussenwirtschaftsrecht: … Continue reading

Während die staatlichen Beihilfen durch Mitgliedstaaten somit seit längerem der Beihilfenkontrolle der Kommission unterliegen, konnten für die durch Nicht-EU-Länder gewährten Subventionen[6]In diesem Beitrag wird der Begriff der Subvention in Anlehnung an die Praxis der Kommission für Beihilfen von Drittstaaten verwendet. Der inhaltlich identische Begriff der Beihilfe bezieht sich … Continue reading bis vor kurzem keine vergleichbaren Regelungen greifen. In den Augen der Kommission waren damit Unternehmen, die in der EU eine wirtschaftliche Tätigkeit ohne Subventionen ausübten, gegenüber Empfängern von Subventionen aus Drittstaaten benachteiligt, zumal drittstaatliche Subventionen den fairen Wettbewerb für verschiedene wirtschaftliche Tätigkeiten in der Union untergraben können.[7]Hahn, S. 178; VO 2022/2560, Erwägungsgrund 4. Diese Gefahr besteht vor allem dann, wenn Zusammenschlüsse dazu führen, dass Unionsunternehmen unter die Kontrolle von Unternehmen geraten, die ganz oder teilweise durch Subventionen aus Drittstaaten finanziert werden, oder wenn Unternehmen, die solche Subventionen erhalten, bei Ausschreibungen in der Union den Zuschlag bekommen.[8]VO 2022/2560, Erwägungsgrund 4. Am 17. Juni 2020 verabschiedete die Kommission ein Weissbuch über ausländische Subventionen, womit eine öffentliche Debatte über das Thema wettbewerbsverzerrende ausländische Subventionen eingeleitet wurde.[9]Europäische Kommission, Weissbuch vom 17. Juni 2020, Gewährleistung fairer Wettbewerbsbedingungen bei Subventionen aus Drittstaaten, COM(2020) 253 final. In erster Linie stand dabei angesichts wachsender Investitionen chinesischer Unternehmen in der EU vor allem China im Fokus.[10]Ademi/Berne/Dumont/Trüten/Uebe, Rz. 262, m.H.; Arhold, S. 312.

Die damit bestehende Benachteiligung der EU-Unternehmen sollte mit der am 12. Januar 2023 in Kraft getretenen Verordnung (EU) 2022/2560 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Dezember 2022 über den Binnenmarkt verzerrende drittstaatliche Subventionen („VO 2022/2560“)[11]ABl L 330 vom 23. Dezember 2022, 1 ff., mit Wirkung ab dem 12. Juli 2023, beseitigt werden. Seitdem sollen auch Subventionen von Drittstaaten, die den Binnenmarkt verzerren könnten, angemessen überwacht und reguliert werden.[12]Vgl. zum Hintergrund der VO 2022/2560 Harald Weiss/Kristina Winkelmann, EU-Behilferecht „goes global“: Die Kontrolle drittstaatlicher Subventionen im Rahmen der EU Foreign Subsidies Regulation, … Continue reading

Nachfolgend soll zunächst ein Überblick über die EU-Regelung von Drittstaatsubventionen sowie die dazugehörige aktuelle Kommissionspraxis verschafft werden. Alsdann ist auf die praktische Relevanz der VO 2022/2560 insbesondere für Schweizer Unternehmen einzugehen und schliesslich deren Bewertung vorzunehmen.

B. Rechtliches

I. Zweck und Anwendungsbereich der Verordnung 2022/2560

Die VO 2022/2560 bezweckt, einen Beitrag zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts zu leisten. Im Fokus steht dabei die Herstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen, indem die Verzerrungen des EU-Binnenmarkts, die direkt oder indirekt durch drittstaatliche Subventionen verursacht werden, angegangen werden. Sie legt hierfür Regeln und Verfahren für die Prüfung und Beseitigung solcher wettbewerbsverzerrender drittstaatlicher Subventionen fest und umfasst namentlich Situationen, in denen ein subventionierter Investor beabsichtigt, ein EU-Zielunternehmen zu erwerben oder an einem öffentlichen Vergabeverfahren teilzunehmen (vgl. Art. 1 Abs. 1 VO 2022/2560). Erfasst werden drittstaatliche Subventionen, die Unternehmen – einschliesslich öffentlicher Unternehmen, die der direkten oder indirekten Kontrolle des Staates unterliegen – gewährt werden, welche eine wirtschaftliche Tätigkeit auf dem EU-Binnenmarkt ausüben. Eine wirtschaftliche Tätigkeit auf dem Binnenmarkt üben unter anderem Unternehmen aus, die die Kontrolle über ein in der Union niedergelassenes Unternehmen erwerben oder mit einem solchen Unternehmen fusionieren, und Unternehmen, die an einem öffentlichen Vergabeverfahren in der Union teilnehmen (Art. 1 Abs. 2 VO 2022/2560). Zuwendungen nur für die nichtwirtschaftliche Betätigung eines Unternehmens ohne Einfluss auf seine wirtschaftliche Tätigkeit sind keine Subvention, wobei eine Subvention jedoch vorliegen kann, wenn das Unternehmen die finanzielle Zuwendung für eine nichtwirtschaftliche Tätigkeit zur Quersubventionierung seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten verwendet.[13]VO 2022/2560, Erwägungsgrund 16.

II. Begriffliches

1. Drittstaatliche Subvention

Eine drittstaatliche Subvention im Sinne der VO 2022/2560 liegt vor, „wenn ein Drittstaat direkt oder indirekt eine finanzielle Zuwendung gewährt, die einem Unternehmen, das eine wirtschaftliche Tätigkeit auf dem Binnenmarkt ausübt, einen Vorteil verschafft und die rechtlich oder faktisch auf ein einzelnes Unternehmen oder einen einzelnen Wirtschaftszweig oder mehrere Unternehmen oder Wirtschaftszweige beschränkt ist“ (Art. 3 Abs. 1 VO 2022/2560).[14]Vgl. für Begriffsbestimmungen „Unternehmen“, „Auftrag“, „öffentliches Vergabeverfahren“, „öffentlicher Auftraggeber“, „Auftraggeber“ und „Verfahren mit mehreren Phasen“: … Continue reading Als „finanzielle Zuwendungen“ (Art. 3 Abs. 2 UAbs. 1 VO 2022/2560) gelten unter anderem die Übertragung von Mitteln oder Verbindlichkeiten (z.B. Kapitalzuführungen, Zuschüsse, Kredite, Kreditgarantien, Steueranreize, Ausgleich von Betriebsverlusten, Ausgleich für von Behörden auferlegte finanzielle Belastungen, Schuldenerlass, Schuldenswaps oder eine Umschuldung) (lit. a), der Verzicht auf sonst zustehende Einnahmen (z.B. Steuerbefreiungen, Gewährung besonderer oder ausschliesslicher Rechte an ein Unternehmen ohne angemessene Vergütung) (lit. b) oder die Bereitstellung von Waren oder Dienstleistungen (lit. c).

Sowohl der Begriff der „finanziellen Zuwendung“ als auch ihre „Drittstaatlichkeit“ sind sehr weit gefasst und nur vage definiert. Unter „finanziellen Zuwendung“ sind im Grunde sämtliche Massnahmen erfasst, die einen Geldwert haben oder denen ein solcher zugemessen werden kann. Umfasst ist damit eine breite Palette von Unterstützungsmassnahmen, die nicht auf Geldtransfers beschränkt sind, wie beispielsweise die Gewährung besonderer oder ausschliesslicher Rechte an ein Unternehmen ohne angemessene, den normalen Marktbedingungen entsprechende Vergütung. Die „Drittstaatlichkeit“ betrifft die Zurechenbarkeit der Handlung zu einem Nicht-EU-Mitgliedstaat und umfasst sämtliche Finanz- und Vermögenstransfers (im weitesten Sinne), bei denen staatliche Einrichtungen oder öffentliche Unternehmen in Drittstaaten beteiligt sind.[15]Weiss/Winkelmann, S. 575; Johannes Zöttl, Neues zur Fusionskontrolle wegen drittstaatlicher Subventionen – Durchführungsverordnung veröffentlicht, in: EWS 2023 181 ff., S. 182. Umfasst sind auch finanzielle Zuwendungen einer privaten Einrichtung, deren Handlungen angesichts aller relevanten Umstände dem Drittstaat zugerechnet werden (Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 lit. c VO 2022/2560).[16]Vgl. auch Weiss/Winkelmann, S. 575.

Zwar ist die Definition der drittstaatlichen Subvention bzw. der finanziellen Zuwendung in Art. 3 VO 2022/2560 derjenigen der Beihilfe im EU-Beihilferecht bzw. Art. 107 Abs. 1 AEUV nachgebildet,[17]Ademi/Berne/Dumont/Trüten/Uebe, Rz. 265. anders als im Beihilfenrecht gibt es jedoch aufgrund des per definitionem grenzüberschreitenden Charakters der drittstaatlichen Subventionen insbesondere kein gesondertes Tatbestandsmerkmal der „Handelsbeeinträchtigung“.[18]Siehe zu diesem und weiteres Unterschieden Arhold, S. 314. Ebenfalls ist zu beachten, dass die VO 2022/2560 unmittelbar die betreffenden Unternehmen adressiert und erhebliche Bussgelddrohungen normiert, wohingegen sich Art. 107 f. AEUV an die EU-Mitgliedstaaten richtet und dem Beihilferecht ein Pönalcharakter grundsätzlich fremd ist.[19]Lukas Reiter, Zum Begriff der wettbewerbsverzerrenden drittstaatlichen Subvention im Sinne der Foreign Subsidies Regulation, in: EuZW 2023, 596 ff., S. 596.

2. Verschaffung eines Vorteils

Die Verschaffung eines Vorteils liegt vor, wenn dieser Vorteil unter normalen Marktbedingungen nicht hätte erlangt werden können. Grundlage für die Bewertung eines solchen Vorteils sollen komparative Referenzwerte sein, z.B. die Investitionspraxis privater Investoren, auf dem Markt erhältliche Finanzierungssätze, eine vergleichbare steuerliche Behandlung oder die angemessene Vergütung für bestimmte Waren oder Dienstleistungen. Sofern keine direkt vergleichbare Referenzwerte bestehen, können bestehende Referenzwerte angepasst oder alternative Referenzwerte auf Grundlage allgemein anerkannter Beurteilungsmethoden ermittelt werden.[20]VO 2022/2560, Erwägungsgrund 13. Der Vorteil sollte – wie im EU-Beihilferecht – einem oder mehreren Unternehmen oder Wirtschaftszweigen verschafft werden. Die damit geforderte Spezifizität einer drittstaatlichen Subvention kann rechtlich oder faktisch festgestellt werden.[21]VO 2022/2560, Erwägungsgrund 14; Weiss, S. 814.

Dieses Konzept ist den bekannten Konzepten des „Vorteils“ und der „Selektivität“ bzw. „Spezifität“ im EU-Beihilferecht nachgebildet. Es liegt deshalb nahe, dass der wirtschaftliche Vorteil im Einklang mit der Rechtsprechung bzw. der Entscheidungspraxis der Kommission zum EU-Beihilferecht, insbesondere mit derjenigen zum „Market Economy Operator Principle“, ausgelegt wird.[22]Weiss/Winkelmann, S. 577; Arhold, S. 314.

3. Verzerrungen auf dem Binnenmarkt

Eine Verzerrung auf dem Binnenmarkt liegt vor, wenn eine drittstaatliche Subvention geeignet ist, die Wettbewerbsposition eines Unternehmens auf dem Binnenmarkt zu verbessern, und die drittstaatliche Subvention dadurch den Wettbewerb auf dem Binnenmarkt tatsächlich oder potenziell beeinträchtigt (Art. 4 Abs. 1 VO 2022/2560). Art. 4 Abs. 1 VO 2022/2560 zählt nicht abschliessend Indikatoren auf, die auf eine Verzerrung schliessen lassen können (z.B. Höhe oder Art der drittstaatlichen Subventionen).

In Art. 4 Abs. 2 und 4 sowie Art. 5 VO 2022/2560 werden sodann für bestimmte Sachverhalte Wahrscheinlichkeitsvermutungen angestellt. So gilt es als unwahrscheinlich, dass die drittstaatliche Subvention zu einer Verzerrung führt, wenn der Gesamtbetrag einer Subvention für ein Unternehmen 4 Mio. EUR in einem Zeitraum von drei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren nicht übersteigt (Abs. 2). Eine Subvention kann als nicht den Binnenmarkt verzerrend geltend, sofern sie darauf abzielt, einen von Naturkatastrophen oder aussergewöhnlichen Ereignissen verursachten Schaden zu beheben (Abs. 4). Art. 5 VO 2022/2560 enthält sodann Kategorien drittstaatlicher Subventionen, bei denen mit grösster Wahrscheinlichkeit eine Verzerrung des Binnenmarkts stattfindet, etwa drittstaatliche Subventionen, die einem notleidenden Unternehmen gewährt werden (Abs. 1 lit. a) oder drittstaatliche Subventionen in Form einer unbegrenzten Garantie für Schulden oder Verbindlichkeiten des Unternehmens, das heisst einer Garantie, deren Höhe oder Laufzeit nicht begrenzt ist (Abs. 1 lit. b). Aufgrund der letzteren Bestimmung könnten etwa die mit Staatsgarantien der Kantone ausgerüsteten Kantonalbanken ins Visier der Kommission geraten, zumal etliche Kantonalbanken bereits heute auf dem EU-Binnenmarkt tätig sind, sei es durch Vermögensverwaltungsmandate oder durch die Betreuung von Grenzgängerinnen und Grenzgängern.[23]Stephan Breitenmoser/Alain Bai, Europarechtlicher Rahmen für schweizerische Subventionen, in: Astrid Epiney/Petru Emanuel Zlatescu (Hrsg.), Schweizerisches Jahrbuch für Europarecht 2022/2023, … Continue reading

Das betroffene Unternehmen kann relevante Informationen darüber vorlegen, dass eine Subvention, die in eine der Kategorien drittstaatlicher Subventionen fällt, bei denen mit grösster Wahrscheinlichkeit eine Verzerrung des Binnenmarkts angenommen wird, den Binnenmarkt unter den besonderen Umständen des jeweiligen Falls nicht verzerrt (Abs. 2).

Keine Binnenmarktverzerrung liegt jedenfalls vor, wenn der Gesamtbetrag der Subvention für ein Unternehmen den Betrag einer De-minimis-Beihilfe im Sinne von Art. 3 Abs. 2 UAbs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1407/2013 pro Drittstaat in einem Zeitraum von drei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren nicht übersteigt (Art. 4 Abs. 3 VO 2022/2560).

III. Mögliche Reaktionen der Europäischen Kommission

1. Abwägungsprüfung

Liegt eine subventionsverursachte Verzerrung auf dem Binnenmarkt vor, kann die Kommission eine Abwägungsprüfung gemäss Art. 6 Abs. 1 VO 2022/2560 vornehmen. Demnach kann die Kommission die negativen Auswirkungen der Subvention auf der Grundlage der erhaltenen Informationen gegen die positiven Auswirkungen der Subvention auf die Entwicklung der betreffenden subventionierten wirtschaftlichen Tätigkeit auf dem Binnenmarkt abwägen. Sie prüft dabei auch andere positive Auswirkungen der Subvention (z.B. die positiven Auswirkungen hinsichtlich der einschlägigen politischen Ziele, insbesondere die der EU).

Diese „EU interest“-Prüfung erinnert an die Vorgehensweise im EU-Beihilfenrecht im Rahmen der Prüfung von Beihilfen, die zur Erreichung eines legitimen Ziels beitragen.[24]Hahn, S. 181. Eine Abwägungsprüfung durch die Kommission ist indes nicht in jedem Fall zwingend erforderlich, sondern nur dann, wenn der Kommission (insbesondere auf den Vortrag des Unternehmens hin) entsprechende positive Gesichtspunkte vorliegen.[25]Weiss/Winkelmann, S. 578; Weiss, S. 822 f. Einmal durchgeführt, muss die Abwägungsprüfung bei der Entscheidung betreffend Abhilfemassnahmen oder angebotener Verpflichtungszusagen berücksichtigt werden (vgl. Art. 6 Abs. 2 VO 2022/2560).[26]Weiss, S. 822 f.

2. Verpflichtungszusagen und Abhilfemassnahmen

Zur Beseitigung der Verzerrung auf dem Binnenmarkt kann die Kommission dem Unternehmen Abhilfemassnahmen auferlegen, es sei denn, sie hat Verpflichtungszusagen des geprüften Unternehmens angenommen (Art. 7 Abs. 1 VO 2022/2560). Die Verpflichtungszusagen bzw. Abhilfemassnahmen müssen verhältnismässig sein und die tatsächlich oder potenziell durch die drittstaatliche Subvention auf dem Binnenmarkt verursachte Verzerrung vollständig und wirksam beseitigen (Art. 7 Abs. 3 VO 2022/2560). Denkbar als Abhilfemassnahme ist etwa die Rückzahlung der drittstaatlichen Subvention, einschliesslich einer angemessenen Verzinsung und bei einem Vergabeverfahren oder einem Zusammenschluss können etwa die Auftragsvergabe (Art. 31 Abs. 2 VO 2022/2560) oder der Zusammenschluss (Art. 25 Abs. 3 lit. c VO 2022/2560) untersagt werden, sofern keine hinreichenden Verpflichtungszusagen abgegeben werden.[27]Vgl. hierzu und zu weiteren Beispielen Arhold, S. 316.

Anders als im EU-Beihilfenrecht kann die EU im Rahmen der Überprüfung ausländischer Subventionen einem Drittstaat die Gewährung von Subventionen nicht verbieten, sondern nur Entscheidungen über Ausgleichsmassnahmen für Unternehmen erlassen, die genau auf die durch die Subvention verursachte Wettbewerbsverzerrung zugeschnitten sein müssen.[28]Weiss, S. 823 f.

IV. Verfahren

Mit der VO 2022/2560 wurden drei Verfahren eingeführt: Zwei anmeldungsbasierte Verfahren, um i) Fusionen oder Übernahmen (Zusammenschlüsse) (Art. 19–26) sowie ii) Angebote im Rahmen von öffentlichen Vergabeverfahren (Art. 27–33) zu prüfen, bei denen finanzielle Zuwendungen von Nicht-EU-Regierungen im Spiel sind, sowie ein Verfahren von Amtes wegen zur Untersuchung aller anderen Marktsituationen, bei dem die Kommission auf eigene Initiative eine Überprüfung einleiten kann, ohne dass hierfür Schwellenwerte erreicht sein müssen (Art. 9–18).[29]Vgl. zu diesen drei Säulen, die umfassend die Kontrolle drittstaatlicher Subventionen ermöglichen, Benjamin Linke, Wirkungen der neuen Drittstaatensubventionsverordnung im Vergabeverfahren, in: … Continue reading Die Kommission ist zur Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben mit zahlreichen Anordnungs- und Ermittlungsbefugnissen sowie Sanktionierungsmöglichkeiten ausgestattet. So kann sie etwa einstweilige Massnahmen anordnen, Auskünfte verlangen, Nachprüfungen vornehmen und in gewissen Fällen Geldbussen oder Zwangsgelder verhängen (Art. 12-17, 25 Abs. 1, 26, 30 Abs. 1 und 33 VO 2022/2560).[30]Vgl. auch Weiss, S. 836 f.

Am 10. Juli 2023 hat die Europäische Kommission die Durchführungsverordnung (EU) 2023/1441 der Kommission vom 10. Juli 2023 zur Festlegung detaillierter Vorschriften für die Durchführung von Verfahren nach der Verordnung (EU) 2022/2560 des Europäischen Parlaments und des Rates über den Binnenmarkt verzerrende drittstaatliche Subventionen („DVO 2023/1441“) erlassen. Diese Verordnung enthält Verfahrenseinzelheiten und listet die Informationen und Dokumente auf, die Unternehmen bei Anmeldungen nach der VO 2022/2560 offenlegen müssen (vgl. Art. 1 DVO 2023/1441).[31]Zu den praktischen Erleichterungen der DVO bei Drittstaatsubventionierungen im öffentlichen Vergabeverfahren vgl. Benjamin Linke, Anmeldepflichten nach der Drittstaatssubventionsverordnung bei … Continue reading

Noch nicht erlassen sind die Leitlinien, welche die Kommission spätestens am 12. Januar 2026 in Bezug etwa auf die Anwendung der Kriterien für die Feststellung des Vorliegens einer Verzerrung nach Art. 4 Abs. 1 oder die die Anwendung der Abwägungsprüfung nach Art. 6 VO 2022/2560 zu veröffentlichen hat (Art. 46 VO 2022/2560).

1. M&A-Transaktionen

M&A-Transaktionen müssen vor ihrem Abschluss bei der Kommission zur Fusionskontrolle angemeldet werden, wenn sie eine Übernahme alleiniger oder gemeinsamer Kontrolle oder eine Fusion beinhalten und bestimmte Schwellenwerte überschreiten. Die Schwellenwerte beziehen sich auf die Grösse der beteiligten Unternehmen und die Höhe der erhaltenen Drittstaatensubventionen. Im letzten Geschäftsjahr muss der Umsatz in der EU über 500 Millionen Euro liegen. Ausserdem müssen mindestens 50 Millionen Euro an Drittstaatensubventionen geflossen sein (Art. 20 ff. VO 2022/2560).[32]Vgl. dazu und eingehend zur Fusionskontrolle wegen drittstaatlicher Subventionen Zöttl, S. 182. Die Kommission kann jedoch die vorherige Anmeldung eines Zusammenschlusses, bei dem es sich nicht um einen anmeldepflichtigen Zusammenschluss im Sinne des Art. 20 VO 2022/2560 handelt, vor dem Vollzug des Zusammenschlusses jederzeit verlangen, wenn sie vermutet, dass die beteiligten Unternehmen in den drei Jahren vor dem Zusammenschluss drittstaatliche Subventionen erhalten haben könnten. Diese weit gefasste Anmeldepflicht bei Transaktionen hat in der Praxis erhebliche Kritik hervorgerufen, umso mehr, als sie die Bereitstellung einer grossen Menge an Daten erfordert.[33]Weiss, S. 849, m.H.; Zöttl, S. 183.

2. Öffentliche Vergabeverfahren

Als drittstaatliche Subventionen, die ein öffentliches Vergabeverfahren verzerren oder zu verzerren drohen, sind drittstaatliche Subventionen zu verstehen, die einen Wirtschaftsteilnehmer in die Lage versetzen, ein in Bezug auf die betreffenden Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen ungerechtfertigt günstiges Angebot einzureichen (Art. 27 VO 2022/2560). Unternehmen, die an öffentlichen Vergabeverfahren teilnehmen, müssen dem Auftraggeber alle relevanten finanziellen Zuwendungen aus Drittstaaten melden. Wenn diese Zuwendungen nicht meldepflichtig sind, müssen die Unternehmen dennoch alle erhaltenen Beträge angeben und erklären, warum keine Meldepflicht besteht (Art. 29 Abs. 1 VO 2022/2560).

Eine „meldepflichtige drittstaatliche finanzielle Zuwendung“ liegt vor, wenn der geschätzte Auftragswert mindestens 250 Millionen Euro beträgt und das Unternehmen sowie seine Tochter- und Beteiligungsgesellschaften in den letzten drei Jahren pro Drittstaat mindestens 4 Millionen Euro erhalten haben. Dies gilt auch bei Vergaben durch Lose, wenn der Gesamtwert der Lose 125 Millionen Euro oder mehr beträgt (Art. 28 Abs. 1 und 2 VO 2022/2560).[34]Vgl. hierzu und eingehend zu den Wirkungen der neuen Drittstaatensubventionsverordnung im Vergabeverfahren Linke, S. 427 ff. und 429 f.

Während der Prüfung solcher Zuwendungen darf keine Vergabeentscheidung getroffen werden (Art. 32 Abs. 1 VO 2022/2560). Die Prüfungsverfahren unterliegen Fristen (vgl. Art. 30 VO 2022/2560), ähnlich wie bei den Transaktionen (Art. 24 f. VO 2022/2560).[35]Vgl. hierzu Arhold, S. 312 f.

3. Prüfung von Amtes wegen

Die Kommission kann potenziell wettbewerbsverzerrende Subventionen von Amts wegen (ex officio) prüfen und dabei alle verfügbaren Informationen, einschliesslich solcher von Mitgliedstaaten oder Privatpersonen, nutzen (Art. 9 VO 2022/2560). Sie kann ausländische Subventionen bei Fusionen, Übernahmen, öffentlichen Ausschreibungen und anderen Marktsituationen untersuchen, ohne an Schwellenwerte gebunden zu sein. Dieses Instrument ermöglicht eine umfassende Überprüfung aller potenziell wettbewerbsverzerrenden ausländischen Subventionen, die nicht unter die Meldepflicht fallen (Art. 10 VO 2022/2560).[36]Vgl. Weiss/Winkelmann, S. 576; Arhold, S. 313.

Die allgemeinen Verfahrensregeln für meldepflichtige Transaktionen oder Vergabeverfahren gelten auch für ex officio-Verfahren. Der Hauptunterschied besteht darin, dass bei ex officio-Verfahren kein Vollzugs- oder Vergabeverbot besteht und die Kommission bestrebt sein muss, innerhalb von 18 Monaten nach Beginn der Untersuchung eine Entscheidung zu treffen (Art. 11 Abs. 5 VO 2022/2560).

V. Kommissionspraxis

1. Erste eingehende Prüfung im Zusammenhang mit chinesischem Unternehmen

Am 4. September 2023 hat das bulgarische Ministerium für Verkehr und Kommunikation ein offenes öffentliches Vergabeverfahren für ein Projekt von 20 elektrischen Wendezügen sowie deren Wartung über 15 Jahre eingeleitet. Der geschätzte Auftragswert beläuft sich auf rund 1,2 Mrd. BGN (610 Mio. EUR).

Die CRRC Qingdao Sifang Locomotive Co., Ltd., eine Tochtergesellschaft von CRRC Sifang Co., Ltd., die mehrheitlich CRRC Corporation Limited[37]CRRC Corporation Limited ist ein staatlicher chinesischer Hersteller von Schienenfahrzeugen. Gemessen an den Einnahmen ist CRRC der weltweit grösste Hersteller von rollendem Material. Vgl. hierzu … Continue reading gehört und in mehreren Ländern tätig ist, nahm daraufhin gestützt auf Art. 29 Abs. 1 VO 2022/2560 eine Meldung vor, meldete jedoch keine finanziellen Zuwendungen aus Drittstaaten gemäss Art. 5 VO 2022/2560 und gab an, keine Einzelzuwendungen von mindestens 4 Mio. EUR erhalten zu haben.

Am 24. Januar 2024 forderte die Kommission Informationen zur Eigentumsstruktur und zu finanziellen Zuwendungen über 4 Mio. EUR in den letzten drei Jahren an. Daraufhin fand die Kommission Hinweise auf Subventionen, darunter: Öffentliche Aufträge über 7,5 Mrd. EUR ohne ausreichenden Nachweis wettbewerbsorientierter Vergabe, staatliche Zuwendungen von 804 Mio. EUR als transitorische Passiva, staatliche Zuschüsse an CRRC Corporation Limited, die 355 Mio. EUR (2020), 301 Mio. EUR (2021), 234 Mio. EUR (2022) und 51 Mio. EUR (erstes Halbjahr 2023) betrugen. Die Kommission sah aufgrund der erheblichen drittstaatlichen finanziellen Zuwendungen und des deutlich niedrigeren Angebots des Anmelders im Vergleich zu den geschätzten Kosten des Auftraggebers und dem Angebot des Wettbewerbers hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass dem Anmelder Subventionen gewährt wurden, die den Binnenmarkt verzerren könnten. Sie forderte alle natürlichen oder juristischen Personen, die Mitgliedstaaten sowie das Drittland, das die genannten drittstaatlichen Subventionen gewährt hatte, zur Stellungnahme auf. Das Unternehmen beantwortete das Auskunftsersuchen fristgerecht. Am 16. Februar 2024 beschloss die Kommission, eine eingehende Untersuchung gemäss Artikel 10 Absatz 3 VO 2022/2560 einzuleiten.[38]Vgl. zum Ganzen Kurzmitteilung über die Einleitung einer eingehenden Prüfung nach Artikel 10 Absatz 3 Buchstabe d der Verordnung (EU) 2022/2560 in der Sache FSP.100147, ABl. C/2024/1913 vom … Continue reading

Die Kommission ist gestützt auf Art. 30 Abs. 5 VO 2022/2560 gehalten, bis zum 2. Juli 2024 einen endgültigen Beschluss zu fassen.

2. Zwei weitere eingehende Prüfungen im Zusammenhang mit chinesischen Unternehmen

Am 27. September 2023 hatte ein rumänischer öffentlichen Auftraggeber (die Societatea PARC FOTOVOLTAIC ROVINARI EST S.A.) im Hinblick auf den Entwurf, Bau und Betrieb eines Fotovoltaikparks in Rumänien mit einer installierten Leistung von 454,97 MW ein offenes öffentliche Vergabeverfahren eingeleitet (Wert: rund 375 Mio. EUR).

Die Kommission hat gestützt auf die Meldungen des Konsortiums ENEVO Group – LONGi Solar Technologie, bestehend aus der ENEVO Group SRL und der LONGi Solar Technologie GmbH[39]Die LONGi Solar Technologie GmbH ist eine neu gegründete deutsche Tochtergesellschaft der LONGi Green Energy Technology Co., Ltd., die sich vollständig in deren Eigentum befindet und zur Gänze von … Continue reading einerseits und der Shanghai Electric UK, Ltd. und der Shanghai Electric Hong Kong International Engineering Company[40]Sowohl die Shanghai Electric UK, Ltd. als auch die Shanghai Electric Hong Kong International Engineering Company befinden sich zu 100% im Eigentum der chinesischen Shanghai Electric Group Co., Ltd. … Continue reading andererseits innerhalb von 20 Arbeitstagen eine Vorprüfung durchgeführt. Aufgrund der Vorprüfung haben sich ausreichende Anhaltspunkte dafür ergeben, dass den genannten Unternehmen drittstaatliche Subventionen gewährt wurden, die den Binnenmarkt verzerren könnten. Die Kommission nennt namentlich die erheblichen potenziellen wirtschaftlichen Vorteile, die den Unternehmen durch die Shanghai Electric Group Co., Ltd. sowie die LONGi Green Energy Technology Co., Ltd. aufgrund von Subventionen in erheblicher Höhe[41]Die Shanghai Electric Group Co., Ltd. soll zumindest mehrere Milliarden Euro an Subventionen erhalten haben., die diese drei Jahre vor der Einreichung der Meldung erhalten hatten, verschafft wurden.

In der Folge beschloss die Kommission am 3. April 2024, zwei weitere eingehende Untersuchungen gemäss Art. 10 Abs. 3 VO 2022/2560 einzuleiten, wiederum – wie die zuvor eingeleitete erste eingehende Untersuchung – im Zusammenhang mit potenziell marktverzerrenden Auswirkungen drittstaatlicher Subventionen, die Bietern im Rahmen eines öffentlichen Vergabeverfahrens gewährt wurden.[42]Vgl. zum Ganzen Kurzmitteilungen über die Einleitung einer eingehenden Prüfung nach Artikel 10 Absatz 3 Buchstabe d der Verordnung (EU) 2022/2560 in den Sachen FSP. 100151 und FSP. 100154, ABl. … Continue reading

Die Kommission ist gestützt auf Art. 30 Abs. 5 VO 2022/2560 gehalten, bis zum 10. August 2024 einen endgültigen Beschluss zu fassen.

VI. Auswirkungen auf Schweizer Unternehmen mit Geschäftstätigkeit in der EU

In der Schweiz als Nicht-EU-Mitgliedstaat ansässige Unternehmen mit Geschäftstätigkeit in der EU sind direkt von VO 2022/2560 und DVO 2023/1441 betroffen, vor allem bei geplanten Transaktionen oder bei Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen in EU-Mitgliedstaaten.

Zufolge der vorstehenden Ausführungen müssen Schweizer Unternehmen mit Meldepflichten rechnen, wenn bestimmte Schwellenwerte erreicht werden, und können sie auch von Untersuchungen ex officio der Europäischen Kommission betroffen sein. Finanzielle Zuwendungen von Behörden auf allen drei Staatsebenen (Bund, Kantone, Gemeinden) bzw. diesen zurechenbaren öffentlichen oder privaten Einrichtungen gelten grundsätzlich als Zuwendungen im Sinne der VO 2022/2560.[43]Vgl. vorne, Ziff. B.II.1. Die praktische Relevanz der EU- Subventionskontrolle dürfte in den kommenden Jahren ansteigen, zumal in den letzten Jahren Finanz‑, Wirtschafts‑, Migrations‑, Pandemie‑, Klima- und Energiekrisen dazu geführt haben, dass staatliche Beihilfen erheblich zugenommen haben und im politischen Alltag von Bund und Kantonen fest verankert sind.[44]Breitenmoser/Bai, S. 396. Dies schliesst speziell ausgehandelte Steuervergünstigungen und individuelle Unterstützungen, auch im Rahmen der Covid-19-Hilfe, ein. Zudem müssen Schweizer Unternehmen auch Subventionen berücksichtigen, die sie von anderen Nicht-EU-Staaten weltweit erhalten.[45]Marcel Dietrich/Richard Stäuber/Jonas J. Krull, Die neue EU-Verordnung über Drittstaatsubventionen, Bulletin Homburger vom 12. Januar 2023; Ademi/Berne/Dumont/Trüten/Uebe, Rz. 268.

Die bisherige Kommissionspraxis scheint – soweit ersichtlich – noch stark auf chinesische Subventionen ausgerichtet, was nicht zuletzt auch darauf zurückzuführen sein dürfte, dass damit teilweise Milliardenbeträge involviert sind. Im Weiteren standen bislang öffentliche Vergabeverfahren im Fokus. Die Kommission hat es jedoch in der Hand, ihre Praxis jederzeit auch auf andere internationale Akteure wie die Schweiz auszudehnen und insbesondere auch Fälle zu erfassen, bei welchen tiefere Subventionsbeträge im Spiel sind.

Für im EU-Binnenmarkt tätige Unternehmen aus Nicht-EU-Staaten bedeutet die VO 2022/2560 jedenfalls eine erhebliche zusätzliche regulatorische Belastung, insbesondere weil die Notifikationspflichten für die Unternehmen allein durch den Empfang der finanziellen Zuwendung ausgelöst werden.[46]Christoph Herrmann/Tim Ellemann, Die neue Verordnung über den Binnenmarkt verzerrende drittstaatliche Subventionen – Ein Brussels Effect in Zeiten geoökonomischer Subventionswettläufe?, in: ZEuP … Continue reading Im Weiteren ist mit der VO 2022/2560 derzeit ein noch hohes Mass an Rechtsunsicherheit verbunden. Beispielsweise lässt die Abwägung der positiven und negativen Auswirkungen einer möglichen drittstaatlichen Subvention Interpretationsspielräume offen und besteht für Unternehmen das Risiko, auch unterhalb der relevanten Meldeschwellen ad-hoc-Prüfungen der Kommission ausgesetzt zu sein.[47]Vgl. auch Christian Bürger/Metehan Uzunçakmak/Katja Maria Weiss, Die Foreign Subsidies Regulation – Ein weiteres Kontrollregime tritt in Kraft, Newsdienst Compliance 2023. Dies gilt umso mehr für Schweizer Unternehmen, da es in der Schweiz weitgehend an einer Subventionsregulierung bzw. an einem Subventionskontrollsystem fehlt[48]Vgl. hierzu etwa Breitenmoser/Bai, S. 411 ff.; Matthias Oesch/Nina Burghartz, Die fehlende Disziplinierung staatlicher Beihilfen in der Schweiz, in: Die Volkswirtschaft 5/2018, S. 26 ff.; … Continue reading und es damit auch an den diesbezüglichen Erfahrungen und Sensibilitäten im Umgang mit staatlichen Subventionen mangeln dürfte.

C. Schlussfolgerung

Aus der EU-Perspektive war die Einführung einer Regulierung von den Binnenmarkt verzerrenden drittstaatlichen Subventionen insbesondere angesichts der wachsenden Investitionstätigkeit chinesischer Unternehmen in der EU ein nachvollziehbarer und – angesichts des seit längerem bestehenden Beihilfenkontrollregimes für EU-staatliche Beihilfen – konsequenter Schritt. Wenngleich diese neue Regulierung mit Blick auf die Herstellung von Wettbewerbsgleichheit durchaus begrüsst werden kann, bringt sie für die in der EU tätigen Unternehmen auch erhebliche Nachteile mit sich.[49]Zur Möglichkeit von negativen Auswirkungen auf die Aussenhandelsinteressen der EU-Unternehmen vgl. Weiss, S. 850.

Die mit der VO 2022/2560 und der DVO 2023/1441 geschaffenen rechtlichen Grundlagen enthalten in ihrer Umschreibung der drittstaatlichen Subvention sehr weit gefasste Begrifflichkeiten, welche nur vage definiert sind. Zudem lässt die Abwägung der positiven und negativen Auswirkungen einer möglichen drittstaatlichen Subvention der Kommission Interpretationsspielräume offen, besteht insbesondere bei Transaktionen eine weit gefasste Anmeldepflicht und ergibt sich für Unternehmen das Risiko, auch unterhalb der relevanten Meldeschwellen ad-hoc-Prüfungen der Kommission ausgesetzt zu sein. Es liegt damit weitgehend an der Europäischen Kommission, welche grundsätzlich alle wirtschaftlichen Vorgänge einer Untersuchung unterwerfen kann und bei ihren Einschätzungen kaum einer demokratischen Kontrolle unterliegt, die Praxis im Bereich der marktverzerrenden drittstaatlichen Subventionen auszugestalten.[50]Vgl. in diesem Sinne auch Weiss, S. 849 f. Für im EU-Binnenmarkt tätige Unternehmen aus Nicht-EU-Staaten bedeutet dieser Umstand derzeit ein hohes Mass an Rechtsunsicherheit.

Aus der Perspektive der Schweiz, die bislang zweifellos kein ausgeprägtes Bewusstsein für die wettbewerbsverzerrenden Auswirkungen von Subventionen zeigt, ist festzustellen, dass die EU empfindlich auf das Engagement staatlich unterstützter Unternehmen auf ihrem Binnenmarkt reagiert. Es entspricht insofern diesem Zeitgeist, wenn derzeit auch in der Schweiz Diskussionen über die Einführung von Investitionskontrollen für ausländische Unternehmen bzw. über ein Investitionsprüfgesetz stattfinden. Sinnvoller wäre es indes, von solchen protektionistischen Ansätzen wegzukommen und die neue EU-Regulierung von Drittstaatensubventionen zum Anlass zu nehmen, dem Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit in der Subventionspraxis auf kantonaler und kommunaler Ebene mehr Nachdruck zu verleihen. Dabei ist die EU bei Gelegenheit durchaus daran zu erinnern, dass für deren eigenen Beihilfen keine vergleichbare Aufsicht wie die mit der VO 2022/2560 eingeführte besteht.

Fussnoten

Fussnoten
1 Vertrag über die Europäische Union (konsolidierte Fassung; ABl. C 202/1 vom 7. Juni 2016).
2 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (konsolidierte Fassung; ABl. C 202/1 vom 7. Juni 2016).
3 Fatlum Ademi/André S. Berne/Janine Dumont/Dirk Trüten/Wesselina Uebe, in: Andreas Kellerhals/Dirk Trüten (Hrsg.), Subventionen in der Schweiz – Implikationen einer Übernahme des EU-Beihilferechts in ausgewählten Sektoren, Zürich 2023, Rz. 62.
4 Livio Bundi, System und wirtschaftsverfassungsrechtliche Zulässigkeit von Subventionen in der Schweiz und von Beihilfen in der EU, Zürich 2016, S. 143.
5 Michael Hahn, Rechtsentwicklung in der Europäischen Union und die Schweiz, Aktuelle Entwicklungen im EU-Aussenwirtschaftsrecht: „Offene strategische Autonomie“ und EU-Aussenwirtschaftsrecht: Legitimer Durchsetzungswille oder Unilateralismus? in: Astrid Epiney/Petru Emanuel Zlatescu, Schweizerisches Jahrbuch für Europarecht 2020/2021, Zürich 2021, 157 ff., S. 179.
6 In diesem Beitrag wird der Begriff der Subvention in Anlehnung an die Praxis der Kommission für Beihilfen von Drittstaaten verwendet. Der inhaltlich identische Begriff der Beihilfe bezieht sich hingegen auf Beihilfen der Mitgliedstaaten der EU.
7 Hahn, S. 178; VO 2022/2560, Erwägungsgrund 4.
8 VO 2022/2560, Erwägungsgrund 4.
9 Europäische Kommission, Weissbuch vom 17. Juni 2020, Gewährleistung fairer Wettbewerbsbedingungen bei Subventionen aus Drittstaaten, COM(2020) 253 final.
10 Ademi/Berne/Dumont/Trüten/Uebe, Rz. 262, m.H.; Arhold, S. 312.
11 ABl L 330 vom 23. Dezember 2022, 1 ff.
12 Vgl. zum Hintergrund der VO 2022/2560 Harald Weiss/Kristina Winkelmann, EU-Behilferecht „goes global“: Die Kontrolle drittstaatlicher Subventionen im Rahmen der EU Foreign Subsidies Regulation, in: RIW 2023 572 ff., S. 572 f.; Wolfgang Weiss, Die Verordnung über den Binnenmarkt verzerrende drittstaatliche Subventionen: Ein Weg zu mehr Wettbewerbsgleichheit?, in: ZHR 187 (2023) 809 ff., S. 809 ff.; Christoph Arhold, Foreign Subsidies Regulation – Verordnung über Drittstaatssubventionen, in: EWS 2022 310 ff., S. 311.
13 VO 2022/2560, Erwägungsgrund 16.
14 Vgl. für Begriffsbestimmungen „Unternehmen“, „Auftrag“, „öffentliches Vergabeverfahren“, „öffentlicher Auftraggeber“, „Auftraggeber“ und „Verfahren mit mehreren Phasen“: Art. 2 VO 2022/2560.
15 Weiss/Winkelmann, S. 575; Johannes Zöttl, Neues zur Fusionskontrolle wegen drittstaatlicher Subventionen – Durchführungsverordnung veröffentlicht, in: EWS 2023 181 ff., S. 182.
16 Vgl. auch Weiss/Winkelmann, S. 575.
17 Ademi/Berne/Dumont/Trüten/Uebe, Rz. 265.
18 Siehe zu diesem und weiteres Unterschieden Arhold, S. 314.
19 Lukas Reiter, Zum Begriff der wettbewerbsverzerrenden drittstaatlichen Subvention im Sinne der Foreign Subsidies Regulation, in: EuZW 2023, 596 ff., S. 596.
20 VO 2022/2560, Erwägungsgrund 13.
21 VO 2022/2560, Erwägungsgrund 14; Weiss, S. 814.
22 Weiss/Winkelmann, S. 577; Arhold, S. 314.
23 Stephan Breitenmoser/Alain Bai, Europarechtlicher Rahmen für schweizerische Subventionen, in: Astrid Epiney/Petru Emanuel Zlatescu (Hrsg.), Schweizerisches Jahrbuch für Europarecht 2022/2023, Zürich 2023, 395 ff., S. 414.
24 Hahn, S. 181.
25 Weiss/Winkelmann, S. 578; Weiss, S. 822 f.
26 Weiss, S. 822 f.
27 Vgl. hierzu und zu weiteren Beispielen Arhold, S. 316.
28 Weiss, S. 823 f.
29 Vgl. zu diesen drei Säulen, die umfassend die Kontrolle drittstaatlicher Subventionen ermöglichen, Benjamin Linke, Wirkungen der neuen Drittstaatensubventionsverordnung im Vergabeverfahren, in: NZBau 2023, 427 ff., S. 427.
30 Vgl. auch Weiss, S. 836 f.
31 Zu den praktischen Erleichterungen der DVO bei Drittstaatsubventionierungen im öffentlichen Vergabeverfahren vgl. Benjamin Linke, Anmeldepflichten nach der Drittstaatssubventionsverordnung bei öffentlichen Vergabeverfahren, in: EuZW 2024, 257 ff.
32 Vgl. dazu und eingehend zur Fusionskontrolle wegen drittstaatlicher Subventionen Zöttl, S. 182.
33 Weiss, S. 849, m.H.; Zöttl, S. 183.
34 Vgl. hierzu und eingehend zu den Wirkungen der neuen Drittstaatensubventionsverordnung im Vergabeverfahren Linke, S. 427 ff. und 429 f.
35 Vgl. hierzu Arhold, S. 312 f.
36 Vgl. Weiss/Winkelmann, S. 576; Arhold, S. 313.
37 CRRC Corporation Limited ist ein staatlicher chinesischer Hersteller von Schienenfahrzeugen. Gemessen an den Einnahmen ist CRRC der weltweit grösste Hersteller von rollendem Material. Vgl. hierzu Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 16. Februar 2024 „Kommission leitet erste eingehende Prüfung nach der Verordnung über Subventionen aus Drittstaaten ein“.
38 Vgl. zum Ganzen Kurzmitteilung über die Einleitung einer eingehenden Prüfung nach Artikel 10 Absatz 3 Buchstabe d der Verordnung (EU) 2022/2560 in der Sache FSP.100147, ABl. C/2024/1913 vom 29. Februar 2024.
39 Die LONGi Solar Technologie GmbH ist eine neu gegründete deutsche Tochtergesellschaft der LONGi Green Energy Technology Co., Ltd., die sich vollständig in deren Eigentum befindet und zur Gänze von ihr kontrolliert wird. Die LONGi Green Energy Technology Co., Ltd. ist ein führender Anbieter von Fotovoltaiklösungen und an der Hongkonger Börse notiert. Vgl. dazu Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 3. April 2024 „Kommission leitet zwei eingehende Prüfungen nach der Verordnung über Subventionen aus Drittstaaten im Fotovoltaik-Sektor ein“.
40 Sowohl die Shanghai Electric UK, Ltd. als auch die Shanghai Electric Hong Kong International Engineering Company befinden sich zu 100% im Eigentum der chinesischen Shanghai Electric Group Co., Ltd. Vgl. dazu Kurzmitteilung i.S. FSP. 100154, ABl. C/2024/2832.
41 Die Shanghai Electric Group Co., Ltd. soll zumindest mehrere Milliarden Euro an Subventionen erhalten haben.
42 Vgl. zum Ganzen Kurzmitteilungen über die Einleitung einer eingehenden Prüfung nach Artikel 10 Absatz 3 Buchstabe d der Verordnung (EU) 2022/2560 in den Sachen FSP. 100151 und FSP. 100154, ABl. C/2024/2830 und C/2024/2832 vom 22. April 2024.
43 Vgl. vorne, Ziff. B.II.1.
44 Breitenmoser/Bai, S. 396.
45 Marcel Dietrich/Richard Stäuber/Jonas J. Krull, Die neue EU-Verordnung über Drittstaatsubventionen, Bulletin Homburger vom 12. Januar 2023; Ademi/Berne/Dumont/Trüten/Uebe, Rz. 268.
46 Christoph Herrmann/Tim Ellemann, Die neue Verordnung über den Binnenmarkt verzerrende drittstaatliche Subventionen – Ein Brussels Effect in Zeiten geoökonomischer Subventionswettläufe?, in: ZEuP 2024, 64 ff., S. 102.
47 Vgl. auch Christian Bürger/Metehan Uzunçakmak/Katja Maria Weiss, Die Foreign Subsidies Regulation – Ein weiteres Kontrollregime tritt in Kraft, Newsdienst Compliance 2023.
48 Vgl. hierzu etwa Breitenmoser/Bai, S. 411 ff.; Matthias Oesch/Nina Burghartz, Die fehlende Disziplinierung staatlicher Beihilfen in der Schweiz, in: Die Volkswirtschaft 5/2018, S. 26 ff.; Matthias Oesch, Die (fehlende) Disziplinierung staatlicher Beihilfen durch Kantone, in: AJP 2013, 1337 ff.
49 Zur Möglichkeit von negativen Auswirkungen auf die Aussenhandelsinteressen der EU-Unternehmen vgl. Weiss, S. 850.
50 Vgl. in diesem Sinne auch Weiss, S. 849 f.