Inhalt[1]Dieser Beitrag beruht auf bereits früher durchgeführten Untersuchungen, welche aufgegriffen werden. S. insbesondere Astrid Epiney, Die „Bilateralen III“ und ihre möglichen Auswirkungen auf … Continue reading
- Einleitung
- Die Unionsbürgerrichtlinie (RL 2004/38) – ein Überblick
- Die „Bilateralen III“ – ein Überblick auf der Grundlage des
Common understanding - „Bilaterale III“ und die RL 2004/38
- Schluss
A. Einleitung
Seit März 2024 sind offizielle Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU über die „Stabilisierung und Weiterentwicklung der bilateralen Beziehungen“[2]So der Einführungstext des vom Bundesrat am 8. März verabschiedeten Verhandlungsmandats. Dieses sowie alle weiteren in diesem Beitrag zitierten offiziellen Dokumente des Bundesrates – unter … Continue reading im Gang, dies auf der Grundlage von entsprechenden Mandaten sowohl des Bundesrates[3]S. Fn. 2. als auch der Europäischen Union.[4]Beschluss des Rates vom 7. März über die Ermächtigung zur Aufnahme von Verhandlungen mit der Schweizerischen Eidgenossenschaft über institutionelle Bestimmungen in Abkommen zwischen der EU und … Continue reading Vorangegangen waren – im Anschluss an das Scheitern des sog. Institutionellen Abkommens (InstA)[5]S. zur Ausgangslage bzw. zu den Entwicklungen im Vorfeld der jetzt laufenden Verhandlungen, m.w.N., Epiney, Jahrbuch für Migrationsrecht 2023/2024 (Fn. 1), 1 (5 ff.). – „exploratorische Gespräche“[6]So die Bezeichnung des Bundesrates in seinem „Bericht zu den exploratorischen Gesprächen zwischen der Schweiz und der EU zur Stabilisierung und Weiterentwicklung ihrer Beziehungen“ vom 15. … Continue reading zwischen der Schweiz und der Europäischen Union, welche mit einem Common Understanding abgeschlossen wurden, das die gemeinsame Grundlage für die im Anschluss aufzunehmenden Verhandlungen bilden soll. Angesichts des in den erwähnten Dokumenten zugrundegelegten „Paketansatzes“ sowie des Ziels der Verhandlungen – wie erwähnt die „Stabilisierung und Weiterentwicklung der bilateralen Beziehungen“ – rechtfertigt es sich in jeder Beziehung, von (möglichen) „Bilateralen III“ zu sprechen.
Ein zentrales Thema in den Verhandlungen ist die Personenfreizügigkeit und hier insbesondere die in Aussicht genommene „Übernahme“ der sog. Unionsbürgerrichtlinie (RL 2004/38)[7]RL 2004/38 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten ABl. 2004 L 158, 77. Die Bezeichnung … Continue reading durch die Schweiz über eine entsprechende Änderung des Personenfreizügigkeitsabkommens, wobei im Common Understanding allerdings gewisse Ausnahmen und „Absicherungen“ vorgesehen sind. Dies soll zum Anlass genommen werden, auf der Grundlage eines Überblicks über den Inhalt der RL 2004/38 (B.) sowie des geplanten Vertragspakets der „Bilateralen III“ (C.) die diesbezüglichen Weichenstellungen im Common Understanding und damit die nach heutigem Stand erkennbaren bzw. absehbaren Inhalte des Abkommenspakets zu erörtern (D.). Der Beitrag schliesst mit einer kurzen Schlussbetrachtung (E.).[8]Zum Zeitpunkt der Redaktion dieses Beitrags (Anfang Oktober 2024) waren die Verhandlungen zu den „Bilateralen III“ noch im Gang, und beide Vertragsparteien erachteten – trotz einiger noch nicht … Continue reading
B. Die Unionsbürgerrichtlinie (RL 2004/38) – ein Überblick
In der Union wurde das Freizügigkeitsrecht durch den Erlass der Unionsbürgerrichtlinie (RL 2004/38),[9]Fn. 7. aber auch durch die VO 492/2011[10]VO 492/2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union, ABl. 2011 L 141, 1. Die VO 492/2011 regelt umfassend die Einzelheiten des Freizügigkeitsrechts der Arbeitnehmer sowie … Continue reading, neu gefasst. Das Personenfreizügigkeitsabkommen Schweiz – EU (FZA)[11]Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, SR 0.142.112.681; ABl. 2002 … Continue reading hingegen beruht noch auf der Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Unterzeichnung (21. Juni 1999), und eine Anpassung an die neue Rechtslage in der Union erfolgte nicht, dies einerseits weil die eigentlichen Freizügigkeitsrechte im Anhang I FZA geregelt sind, der nicht durch Beschluss des Gemischten Ausschusses angepasst werden kann (vgl. Art. 18 FZA), andererseits weil der Bundesrat es ablehnte, auf das Anliegen der Union, das FZA an die RL 2004/38 anzupassen, einzutreten.[12]Vgl. hierzu, m.w.N., Christa Tobler, Personenfreizügigkeit mit und ohne Unionsbürgerrichtlinie – Reise- und Aufenthaltsrechte im Ankara-Abkommen, dem FZA Schweiz-EU und dem EWR-Recht, in: Astrid … Continue reading Damit fällt die Rechtslage im Rahmen des EU-Rechts einerseits und des Freizügigkeitsabkommens andererseits insoweit auseinander, wobei dies im Wesentlichen nur für die RL 2004/38 relevant ist, schreibt die VO 492/2011[13]Fn. 10. doch die vorher geltende Rechtslage fort bzw. kodifiziert die bis dahin erfolgten Modifikationen.
Vor diesem Hintergrund soll im Folgenden zunächst die inhaltliche Tragweite der RL 2004/38 im Vergleich zum bis dahin geltenden Unionsrecht skizziert werden (I.), um auf dieser Grundlage einen vergleichenden Blick auf die im FZA verankerten Freizügigkeitsrechte zu werfen (II.). Dabei kann es jedoch nicht um eine umfassende Darstellung der Unionsbürgerrichtlinie – zu der inzwischen auch zahlreiche Urteile des EuGH ergangen sind – gehen; ebensowenig kann ein umfassender Vergleich der Rechtslage auf der Grundlage der RL 2004/38 mit derjenigen nach dem FZA geleistet werden. Vielmehr geht es jeweils eher darum, die grossen Linien der mit der RL 2004/38 verbundenen Weiterentwicklungen aufzuzeigen, dies mit Hilfe einer Kategorisierung der grundsätzlichen Inhalte der Richtlinie im Vergleich zu der bis dahin geltenden Rechtslage und damit des FZA.[14]Ansonsten sei zur Vertiefung einiger in diesem Beitrag aufgegriffener Fragen auf folgende Beiträge verwiesen: Christa Tobler, Auswirkungen einer Übernahme der Unionsbürgerrichtlinie für die … Continue reading
I. Zur Tragweite der RL 2004/38
Beim Erlass der RL 2004/38, welche (vorbehaltlich der Sonderregelungen betreffend Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen gemäss der VO 492/2011[15]Die VO 492/2011 sieht in Bezug auf die Rechtsstellung der Arbeitnehmer spezifische Rechte vor. So ist in Bezug auf die Kinder von Arbeitnehmern Art. 10 VO 492/2011 massgeblich, und der Zugang zu … Continue reading) umfassend die Freizügigkeit der Unionsbürger regelt, standen zwei Aspekte im Vordergrund: Einerseits sollten die das Aufenthaltsrecht regelnden sekundärrechtlichen Bestimmungen in einem einzigen Rechtsakt zusammengeführt werden,[16]So löste die RL 2004/38 insbesondere folgende Aufenthaltsrichtlinien ab: RL 90/364/EWG (allg. Aufenthaltsrecht), ABl. L 180/1990, 26; RL 93/96/EG (Studenten), ABl. L 317/1993, 59; RL 90/365/EWG … Continue reading weshalb auch in weiten Teilen an die bisherige Rechtslage angeknüpft wird. Andererseits sollte die tatsächliche Ausübung des Freizügigkeitsrechts erleichtert werden, indem administrative Hürden verringert werden, der Status von Familienangehörigen möglichst umfassend definiert wird, ein Recht auf Daueraufenthalt für die Unionsbürger eingeführt wird und die Möglichkeiten der Verweigerung des Aufenthalts aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit eingeschränkt bzw. präzisiert werden.[17]In Bezug auf den zuletzt genannten Punkt und im Zusammenhang mit dem FZA ist von Bedeutung, dass die RL 2004/38 auch die RL 64/221 aufhob. Weiter hob sie neben den bereits in Fn. 16 erwähnten … Continue reading
Die RL 2004/38 regelt insbesondere folgende Aspekte:
- das Recht auf Ein- und Ausreise und die hierfür zulässigen Formalitäten (Art. 4, 5);
- das Aufenthaltsrecht für erwerbstätige und nicht erwerbstätige Unionsbürger sowie ihre Familienangehörigen, inklusive der entsprechenden Verwaltungsformalitäten und der Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts im Falle der Modifikation bestimmter Umstände (Art. 6 ff.);
- das Recht auf Daueraufenthalt für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen unter bestimmten Voraussetzungen (Art. 16 ff.);
- die Rechte der Aufenthaltsberechtigen (insbesondere das Recht, erwerbstätig zu sein oder eine selbstständige Tätigkeit aufzunehmen, sowie das Diskriminierungsverbot, Art. 22 ff.);
- die zulässigen Beschränkungen des Einreise- und Aufenthaltsrechts (Art. 27 ff.).
Obwohl der Titel der Richtlinie dies nahelegen könnte, werden durch die RL 2004/38 die Unterschiede zwischen erwerbstätigen und nicht erwerbstätigen Unionsbürgern nicht im Sinne der Schaffung eines „einheitlichen Unionsbürgerstatus“ aufgehoben. Vielmehr unterscheiden zahlreiche Rechte nach wie vor zwischen diesen beiden Kategorien von Personen: So gilt für Arbeitnehmer weiterhin die spezifische und teilweise weitergehende VO 492/2011;[18]Vgl. Fn. 15. weiter differenziert auch die RL 2004/38 (teilweise) zwischen erwerbstätigen und nicht erwerbstätigen Unionsbürgern. Nur für einen Aufenthalt unter drei Monaten gilt nach Art. 6 Abs. 1 RL 2004/38 für alle Unionsbürger ein ohne weitere Bedingungen und Formalitäten bestehendes Aufenthaltsrecht (unter der Voraussetzung des Besitzes eines gültigen Ausweises).
Im Vergleich zur Rechtslage vor Inkrafttreten der RL 2004/38 können die in dieser figurierenden Bestimmungen bzw. Rechte in fünf grosse Kategorien eingeteilt werden:[19]Wobei darüber hinaus aufgrund der Zusammenfassung der diversen Rechtsakte in einem einzigen Rechtsakt auch gewisse Systematisierungen zu verzeichnen sind.
- Erstens knüpfen zahlreiche Bestimmungen an die bis dahin geltenden Rechtsakte an bzw. übernehmen bereits vorher bestehende Regelungen (wenn auch mitunter mit einer etwas abweichenden Formulierung). Zu erwähnen sind hier insbesondere folgende Rechte bzw. Bestimmungen: Aufenthaltsrecht für Nichterwerbstätige (Art. 7 Abs. 1 RL 2004/38), zahlreiche Aspekte der Rechte der Aufenthaltsberechtigten (Art. 23 RL 2004/38), die meisten Aspekte des Daueraufenthaltsrechts für Arbeitnehmende (Art. 17 RL 2004/38) und ihre Familienangehörigen (bislang unter der Bezeichnung Verbleiberechte geregelt) sowie Teile der die Beendigung des Aufenthaltsrechts betreffenden Bestimmungen (Art. 27 ff. RL 2004/38). Soweit eine solche Anknüpfung erfolgt (wobei dies jeweils differenziert zu betrachten ist), führte der Erlass der RL 2004/38 somit nicht zu einer Modifikation der Rechtslage und auch die Rechtsprechung des EuGH zu den „alten“ Richtlinien bleibt relevant.[20]Dies gilt dann auch für das FZA, wovon auch das Bundesgericht in ständiger Rechtsprechung ausgeht. S. grundlegend BGE 136 II 5. Vgl. ansonsten zur Rechtsprechung des Bundesgerichts die … Continue reading
- Zweitens wird in einigen Bestimmungen die Rechtsprechung des EuGH aufgegriffen und kodifiziert, so z.B. in weiten Teilen der Art. 27 ff. RL 2004/38, welche die Beendigung des Aufenthalts regeln, aber auch z.B. in Art. 14 Abs. 3 RL 2004/38, wonach die Inanspruchnahme von Sozialhilfe „nicht automatisch“ zu einer Ausweisung führen darf, oder im Ergebnis auch in Art. 24 Abs. 1 RL 2004/38, der ein Art. 18 AEUV entsprechendes Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit verankert und damit auch an die diesbezügliche Rechtsprechung des EuGH zu Art. 18 AEUV anknüpft.[21]Vgl. zu Fragen der Sozialhilfe auch noch unten B.II.
- Drittens knüpfen einige Bestimmungen an bereits vorher gewährleistete Rechte an und erweitern diese z.B. in ihrem Umfang, wobei es eher um eine „quantitative“ denn um eine „qualitative“ Weiterentwicklung geht. Als Beispiel können hier die Regelungen betreffend die Familienzusammenführung bzw. den Familiennachzug angeführt werden: Hier wurde (nur, aber immerhin) der Kreis der nachzugsberechtigten Personen erweitert, dies unter ansonsten vollumfänglicher Anknüpfung an das bereits bis dahin verankerte „Grundkonzept“ des Familiennachzugs. Gleiches gilt für gewisse Aspekte des Daueraufenthaltsrechts bzw. Verbleiberechts für Arbeitnehmende und ihre Familienangehörigen; hier wurden die (quantitativen) Voraussetzungen in einigen wenigen Punkten etwas gelockert.[22]Vgl. Epiney/Blaser, in: Personenfreizügigkeit und Zugang zu staatlichen Leistungen (Fn. 14), 37 (44).
- Viertens wurden teilweise bislang nicht geregelte Bereiche präzisiert, womit eine Einschränkung des mitgliedstaatlichen Gestaltungsspielraums einhergeht. Hinzuweisen ist hier insbesondere auf die (erstmals so in der RL 2004/38 verankerten) Regelungen betreffend Verwaltungsmodalitäten.[23]Bezeichnend ist in Bezug auf derartige Regelungen auch, dass das Bundesgericht mitunter durchaus auf die RL 2004/38 Bezug nimmt, um Bestimmungen des Freizügigkeitsabkommens auszulegen, dies jeweils … Continue reading
- Schliesslich enthält die RL 2004/38 teilweise auch echte Neuerungen bzw. Erweiterungen betreffend die Rechte der Unionsbürger. Dies ist im Wesentlichen und insbesondere (neben dem erwähnten Recht auf quasi voraussetzungslosen Kurzaufenthalt von bis zu drei Monaten, Art. 6 Abs. 1 RL 2004/38) in Bezug auf die Einführung des sog. Daueraufenthaltsrechts für Unionsbürger der Fall. So steht jedem Unionsbürger, der sich rechtmässig fünf Jahre lang ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat, ein Daueraufenthaltsrecht zu (Art. 16 Abs. 1 RL 2004/38). Das Recht auf Daueraufenthalt kann, wenn einmal erworben, nur durch eine Abwesenheit von mehr als zwei aufeinander folgenden Jahren verloren werden (Art. 16 Abs. 4 RL 2004/38) und erstreckt sich auch auf drittstaatsangehörige Familienangehörige, die sich mit dem betroffenen Unionsbürger ebenfalls während fünf Jahren rechtmässig und ununterbrochen – wobei hier die gleichen Ausnahmeregelungen wie für den Unionsbürger gelten – im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten haben. Ein Aufenthalt gilt dann als rechtmässig, wenn er die Voraussetzungen der RL 2004/38 erfüllt, sodass nicht erwerbstätige Unionsbürger die für einen rechtmässigen Aufenthalt vorgesehenen Voraussetzungen erfüllen müssen.[24]Vgl. hierzu auch EuGH, Rs. C-325/09 (Dias), Rn. 48 ff. Ein Daueraufenthaltsrecht kann somit „nicht etwa durch einen fünfjährigen faktischen Aufenthalt gleichsam ersessen werden.“[25]Daniel Thym, Sozialleistungen für und Aufenthalt von nichterwerbstätigen Unionsbürgern, NZS 2014, 81 (87).
II. Die Rechtslage nach der RL 2004/38 und dem FZA im Vergleich
Wie erwähnt, ist es im vorliegenden Rahmen nicht möglich, einen umfassenden Vergleich der Rechtslage nach der RL 2004/38 einerseits und dem FZA andererseits zu leisten. Dessen ungeachtet kann in Anknüpfung an die obige Kategorisierung festgehalten werden, dass die Unterschiede bzw. Weiterentwicklungen deutlich weniger weit gehen als oft angenommen, was auch Implikationen für die Divergenzen zwischen der RL 2004/38 und dem FZA nach sich zieht, knüpft doch die Richtlinie in weiten Teilen an die bisherige Rechtslage an oder kodifiziert die (sowieso massgebliche bzw. vom Bundesgericht beachtete) Rechtsprechung des EuGH. Im Einzelnen ist in erster Linie auf folgende Aspekte hinzuweisen:
- Die bei weitem bedeutendste Weiterentwicklung stellt das Recht auf Daueraufenthalt dar, das es in dieser Form im FZA nicht gibt. Dieses kennt vielmehr nur Verbleiberechte für Arbeitnehmende und ihre Familienangehörigen unter gewissen Voraussetzungen, die allerdings weitgehend den in Art. 17 RL 2004/38 verankerten Rechten entsprechen,[26]Ausführlich zu den Verbleiberechten Benedikt Pirker, Verbleiberechte gemäss dem Freizügigkeitsabkommen Schweiz – EU, AJP 2023, 860 ff. so dass die Implikationen der RL 2004/38 insoweit nicht ins Gewicht fallen.[27]Allerdings dürfte Art. 18 RL 2004/38, der drittstaatsangehörigen Familienangehörigen ein Recht auf Daueraufenthalt unter bestimmten Voraussetzungen einräumt, deren Rechte erweitern; eine … Continue reading Deutlich wird damit auch, dass das Daueraufenthaltsrecht im Vergleich zur Rechtslage nach dem FZA im Wesentlichen für Nichterwerbstätige von Bedeutung ist.
- Sodann verankert Art. 6 Abs. 1 RL 2004/38 ein voraussetzungsloses Aufenthaltsrecht in einem anderen Mitgliedstaat für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten (immerhin unter der Voraussetzung des Besitzes eines gültigen Ausweises), wobei keine (unangemessene) Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen zu verzeichnen sein darf (Art. 14 Abs. 1 RL 2004/38). Dem FZA ist auf den ersten Blick kein solches Recht zu entnehmen, wobei die Frage aber durch die Rechtsprechung bislang nicht klar beantwortet wurde und in der Literatur umstritten ist.[28]Das Bundesgericht dürfte davon ausgehen, dass dem FZA ein voraussetzungsloses Aufenthaltsrecht in einem anderen Vertragsstaat (unter der Voraussetzung des Besitzes eines gültigen Ausweises) für … Continue reading
- In Bezug auf den Familiennachzug sieht Art. 2 Nr. 2 RL 2004/38 im Gegensatz zu Art. 3 Abs. 2 Anhang I FZA vor, dass auch der Lebenspartner in eingetragener Partnerschaft als Familienangehöriger anzusehen ist.
- Die Frage, ob und inwieweit (aufenthaltsberechtigten) Unionsbürgern ohne Erwerbstätigkeit ein Anspruch auf Sozialhilfe[29]Dabei umfasst der Begriff der Sozialhilfe im Sinne der RL 2004/38 „sämtliche von öffentlichen Stellen eingerichtete Hilfssysteme […], die auf nationaler, regionaler oder örtlichen Ebene … Continue reading zusteht, ist auf der Grundlage des Art. 24 RL 2004/38 zu beantworten. Art. 24 Abs. 1 RL 2004/38 verankert ein Gleichbehandlungsgebot bzw. ein Diskriminierungsverbot und verbietet im Anwendungsbereich der Verträge (grundsätzlich) Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit von Unionsbürgern, die sich aufgrund der RL 2004/38 in einem anderen Mitgliedstaat aufhalten (womit auch daueraufenthaltsberechtigte Personen erfasst sind). Nach Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38 sind die Mitgliedstaaten jedoch nicht verpflichtet, Nichterwerbstätigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts und Arbeitssuchenden Sozialhilfe zu gewähren. Der Gerichtshof hatte sich in den vergangenen Jahren verschiedentlich mit der Auslegung dieser Bestimmung auseinander gesetzt und den Anspruch von Nichterwerbstätigen auf Sozialhilfe insgesamt eher restriktiv ausgelegt; insbesondere setzt Art. 24 Abs. 1 RL 2004/38 ein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38 voraus.[30]EuGH, Rs. C-333/13 (Dano), ECLI:EU:C:2014:2358, Rn. 69. S. weiter aus der Rechtsprechung EuGH, Rs. C-67/14 (Alimanovic), ECLI:EU:C:2015:597; EuGH, Rs. C-299/14 (Jobcenter Recklinghausen), … Continue reading Von besonderer Bedeutung ist in unserem Zusammenhang, dass Art. 24 Abs. 1 RL 2004/38 letztlich den bereits in Art. 18 AEUV verankerten Grundsatz der Nichtdiskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit aufgreift und insofern an das Primärrecht anknüpft.[31]S. insoweit auch Thym, NZS 2014 (Fn. 26), 81 (88), der betont, der Unionsgesetzgeber habe mit dem Diskriminierungsverbot des Art. 24 Abs. 1 RL 2004/38 die Rechtsprechung des EuGH zu Ar.t 18 AEUV … Continue reading Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs vor dem Erlass der RL 2004/38 ergibt sich aber bereits ein Anspruch auf Gleichbehandlung und damit auf diskriminierungsfreien Zugang zu Sozialhilfe auf der Grundlage des Art. 18 AEUV, dies allerdings unter gewissen Voraussetzungen,[32]Vgl. schon EuGH, Rs. C-184/99 (Grzelczyk), ECLI:EU:C:2001:458; s. auch EuGH, Rs. C-456/02 (Trojani), ECLI:EU:C:2004:488. die in der Rechtsprechung zu Art. 24 RL 2004/38 aufgegriffen werden; vor diesem Hintergrund ist auch eine Rechtfertigung jedenfalls materieller Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit möglich.[33]In diese Richtung geht auch die Rechtsprechung des EuGH, s. die Nachweise in Fn. 30. Aus der Literatur, m.w.N., Thym, NZS 2014 (Fn. 25), 81 (87 f.); Astrid Epiney, in: Roland Bieber/Astrid … Continue reading Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Formulierung des Art. 14 Abs. 3 RL 2004/38 (wonach die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen „nicht automatisch“ zu einer Ausweisung führen darf) eine Kodifizierung der Rechtsprechung darstellt.[34]S. diese Formulierung so (soweit ersichtlich) erstmals in EuGH, Rs. C-184/99 (Grzelczyk), ECLI:EU:C:2001:458. Weiter ist zu erwähnen, dass für Erwerbstätige und ihre Familienangehörigen ein umfassender Anspruch auf diskriminierungsfreien Zugang zu Sozialhilfeleistungen besteht, dies aufgrund der besonderen Vorschriften für Arbeitnehmende, die heute in der VO 492/2011 figurieren, wobei die Verordnung diesbezüglich an die bis dahin geltende Rechtslage anknüpft.[35]Zu erwähnen ist hier insbesondere Art. 7 Abs. 2 VO 492/2011, wonach Arbeitnehmer und ihre aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen die gleichen sozialen Vergünstigungen (wozu auch Sozialhilfe … Continue reading Allerdings präzisiert Art. 7 Abs. 3 RL 2004/38 diejenigen Konstellationen, in denen die Arbeitnehmereigenschaft aufrechterhalten bleibt (mit der Konsequenz, dass auch ein diskriminierungsfreier Zugang zu Sozialhilfe zu gewährleisten ist, wobei es im Ergebnis insbesondere bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit einen entsprechenden Anspruch während sechs Monaten gibt).
Betrachtet man die Rechtslage auf der Grundlage des FZA, so ist zu unterscheiden:[36]Vgl. im Einzelnen zum Problemkreis, m.w.N., Astrid Epiney, § 4. Multilaterales Migrationsrecht: Das Freizügigkeitsabkommen Schweiz – EU, in: Peter Uebersax u.a. (Hrsg.), Ausländerrecht. Eine … Continue reading Der Zugang von Erwerbstätigen[37]Vgl. zur Frage des Einbezugs von Selbständigen BGer, 6.2.2020, 2C_451/2019, E. 3.2 f.; BGer, 2.11.2015, 2C_243/2015, E. 3.3; BGer, 13.7.2020, 2C_430/2020, E. 4.2: Grundsätzlich müsse es die … Continue reading zu Sozialhilfe ergibt sich bereits heute und im Wesentlichen parallel wie im Unionsrecht aus dem FZA, dies insbesondere aufgrund des Art. 9 Abs. 2 Anhang I FZA,[38]Zum Einbezug von Sozialhilfe in den Begriff der sozialen Vergünstigungen Epiney/Blaser, in: Personenfreizügigkeit und Zugang zu staatlichen Leistungen (Fn. 14), 37 (41); Gastaldi, in: … Continue reading wobei auch hier Rechtfertigungen von materiellen Diskriminierungen zulässig sein können.[39]So wäre eine Einschränkung des Zugangs zu Sozialhilfeleistungen auf Personen mit Wohnsitz in der Schweiz wohl zulässig, vorausgesetzt, dass die Ungleichbehandlung auf einem objektiven Grund beruht … Continue reading Gleiches gilt für Personen mit einem Verbleiberecht aufgrund des FZA,[40]Art. 7 VO 1251/70 und RL 75/34, auf die Art. 4 Abs. 2 Anhang I FZA verweist. während die Situation bei unfreiwillig Arbeitslosen umstritten ist; letztlich ist hier die Frage des Fortbestands der Arbeitnehmereigenschaft entscheidend (vgl. Art. 6 Abs. 6 Anhang I FZA).[41]So dass die Vereinbarkeit von Art. 61a Abs. 3 AIG mit dem FZA zweifelhaft ist. Vgl. aber Botschaft AuG, BBl 2016 3007, 3053. Auch auf der Grundlage des FZA können Arbeitssuchende nach Art. 2 Abs. 1 Uabs. 2 Anhang I FZA von der Sozialhilfe ausgeschlossen werden. Für Nichterwerbstätige sieht Art. 24 Abs. 8 Anhang I FZA ausdrücklich vor, dass deren Aufenthaltsrecht nur so lange besteht, wie die Berechtigten die Bedingungen des Art. 24 Abs. 1 FZA erfüllen, so dass es in denjenigen Konstellationen, in denen keine ausreichenden finanziellen Mittel mehr vorhanden sind, automatisch wegfällt. Diesfalls ist der Anwendungsbereich des Abkommens nicht mehr eröffnet, womit das Art. 18 AEUV nachgebildete allgemeine Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit des Art. 2 FZA (das nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts[42]Vgl. BGE 129 I 392 E. 3.2; BGE 131 V 209; BGE 134 II 10 E. 3.6; BGE 136 II 241 E. 12; BGE 140 II 167; BGE 140 II 364; BGE 145 I 73 E. 5.3.4. S. auch EuGH, Rs. C-478/15 (Radgen), … Continue reading und herrschender Lehre[43]Vgl. nur, m.w.N., Astrid Epiney/Gaëtan Blaser, in: Cesla Amarelle/Minh Son Nguyen (Hrsg.), Code annoté de droit des migrations. Volume III. Accord sur la libre circulation des personnes (ALCP), … Continue reading parallel zu Art. 18 AEUV auszulegen ist) – nicht anwendbar ist. Da die Inanspruchnahme von Sozialhilfe dazu führt, dass die Voraussetzungen des Art. 24 Abs. 1 Anhang I FZA für ein Aufenthaltsrecht gerade nicht mehr gegeben sind, besteht auf der Grundlage des FZA somit ein „Automatismus“, der durch Art. 14 Abs. 3 RL 2004/38 gerade ausgeschlossen ist, was impliziert, dass auch Nichterwerbstätige einen gewissen Anspruch auf Sozialhilfe haben können. Allerdings ist diese Differenz zu relativieren: Denn die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen stellt auch nach der RL 2004/38 jedenfalls einen (gewichtigen) Anhaltspunkt dafür dar, dass die Voraussetzung der ausreichenden Existenzmittel im Sinne des Art. 7 Abs. 1 lit. b RL 2004/38 gerade nicht mehr erfüllt ist, so dass diese Inanspruchnahme zum Anlass genommen werden darf zu prüfen, ob das Aufenthaltsrecht weiter besteht. Eine Ausweisung kann dann durchaus – unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit – grundsätzlich zulässig sein.[44]Zuzugeben ist allerdings, dass die Rechtsprechung hier mitunter etwas schwankt, so wenn der EuGH teilweise festhält, die RL 2004/38 erkenne eine „bestimmte finanzielle Solidarität“ der … Continue reading Insofern kann auch aus der RL 2004/38 mitnichten ein unbeschränktes Recht Nichterwerbstätiger auf Zugang zu Sozialhilfe abgeleitet werden. Jedoch geht die Unionsbürgerrichtlinie insoweit deutlich weiter als das FZA, als im Falle des Daueraufenthaltsrechts nach Art. 16 Abs. 1 RL 2004/38 jedenfalls ein Anspruch auf diskriminierungsfreien Zugang zu Sozialhilfe anzunehmen ist, wobei dieser Anspruch letztlich eine inhärente Konsequenz der Einführung des Daueraufenthaltsrechts darstellt. - Schliesslich sei auf die Vorgaben zur Aufenthaltsbeendigung hingewiesen: Art. 27 ff. RL 2004/38 regeln die Voraussetzungen, unter denen der Aufenthalt aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit beschränkt werden kann und formulieren einige, bereits in der (durch die RL 2004/38 aufgehobenen) RL 64/221 enthaltene Grundsätze (ausschliessliche Massgeblichkeit des persönlichen Verhaltens des Betroffenen, kein „Automatismus“ von strafrechtlicher Verurteilung und Ausweisung, vgl. Art. 3 Abs. 1, 2 RL 64/221), fügen dem aber noch eine Reihe weiterer Anforderungen bzw. Präzisierungen hinzu, so den Ausschluss wirtschaftlicher Gründe, die Massgeblichkeit des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit, die Unzulässigkeit generalpräventiver Erwägungen und die Anforderung, dass das persönliche Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (Art. 27 Abs. 1, 2 RL 2004/38). Weiter sind bei der Entscheidung über die Ausweisung die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen im Hoheitsgebiet, sein Alter, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Aufnahmemitgliedstaat und das Ausmass seiner Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen (Art. 28 Abs. 1 RL 2004/38). All diese Anforderungen hat der EuGH bereits auf der Grundlage der RL 64/221 bzw. der primärrechtlichen Vorschriften und in Anknüpfung an den Verhältnismässigkeitsgrundsatz entwickelt,[45]Vgl. etwa EuGH, Rs. 30/77 (Bouchereau), ECLI:EU:C:1977:172, Rn. 25 ff.; EuGH, verb. Rs. 115–116/81 (Adoui et Cornuaille), ECLI:EU:C:1982:183, Rn. 5 ff.; EuGH, Rs. C-348/96 (Calfa), … Continue reading und sie werden auch in ständiger Rechtsprechung vom Bundesgericht vollumfänglich herangezogen.[46]S. z.B. BGer 2C_991/2017 vom 1.2.2018; BGer 2C_401/2017 vom 26.3.2018; s. ansonsten die Nachweise bei Astrid Epiney/Daniela Nüesch, Zur schweizerischen Rechtsprechung zum … Continue reading Daher ist davon auszugehen, dass 27 Abs. 1, 2 RL 2004/38 die Rechtsprechung des EuGH kodifiziert und mit diesen Vorgaben keine eigentlichen Neuerungen verbunden sind. Insofern ist auch die neue Rechtsprechung des EuGH zu Art. 27 Abs. 1, 2, 28 Abs. 1 RL 2004/38 grundsätzlich beachtlich. Eine eigentliche Neuerung enthalten aber Art. 28 Abs. 2, 3 RL 2004/38, die für Personen mit Daueraufenthaltsrecht (Art. 28 Abs. 2 RL 2004/38) und Personen mit zehnjährigem Aufenthalte oder Minderjährige (Art. 28 Abs. 3 RL 2004/38) einen weitergehenden Schutz vor Ausweisungen vorsehen (diese darf im ersten Fall nur aus „schwerwiegenden Gründen“ der öffentlichen Ordnung und Sicherheit und im zweiten Fall nur aus „zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit“ erfolgen,[47]Zu dieser „dritten Stufe“ der Einschränkungen des Aufenthaltsrechts EuGH, Rs. C-145/09 (Tsakouridis), ECLI:EU:C:2010:708 (Berechnung des zehnjährigen Aufenthalts, der eine im Vergleich zu … Continue reading womit höhere Anforderungen an den „Schweregrad“ der geforderten Gefährdung durch den Betreffenden gestellt werden). Daneben präzisieren einige weitere, in Art. 27 ff. RL 2004/38 enthaltene Vorgaben im Wesentlichen Fragen des Verfahrens und enthalten besondere Vorgaben betreffend die Gefährdung der öffentlichen Gesundheit. Mit letzteren gehen zwar gewisse Konkretisierungen des mitgliedstaatlichen Handlungsspielraums einher, wobei sich ihr „Neuigkeitswert“ jedoch in Grenzen hält, und sie enthalten jedenfalls keine weiteren Anforderungen an die grundsätzliche Zulässigkeit der Aufenthaltsbeendigung.
Damit kann im Ergebnis festgehalten werden, dass sich die Weiterentwicklungen der RL 2004/38 im Verhältnis zur bisherigen Rechtslage im Unionsrecht und im Freizügigkeitsabkommen im Wesentlichen aus der eine echte Neuerung darstellenden Verankerung des Daueraufenthaltsrechts ergeben: Dieses räumt den Berechtigten nicht nur ein Aufenthaltsrecht ein, sondern bringt auch – aufgrund des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit – ein Recht auf diskriminierungsfreien Zugang zu Sozialhilfe mit sich und zieht einen verstärkten Schutz vor Ausweisung nach sich. Daneben präzisiert Art. 7 Abs. 3 RL 2004/38 diejenigen Konstellationen, in denen die Arbeitnehmereigenschaft aufrechterhalten bleibt. Eigentliche weitergehende Aufenthaltsrechte werden ansonsten lediglich noch durch die weitere Fassung des Begriffs des nachzugsberechtigten Familienangehörigen vorgesehen.
C. Die „Bilateralen III“ – ein Überblick auf der Grundlage des Common understanding
Auch wenn noch kein Vertragstext der „Bilateralen III“ vorliegt und noch nicht alle Fragen geklärt sind, lässt das Common understanding nicht nur die groben Umrisse, sondern auch die konzeptionellen und inhaltlichen Grundentscheidungen der beiden Parteien erkennen. Zusammenfassend zeichnen sich auf dieser Grundlage folgende zentrale Merkmale und konzeptionelle Weichenstellungen der „Bilateralen III“ ab:
- Im Gegensatz zum InstA werden nicht mehr nur die sog. institutionellen Fragen adressiert, sondern die Parteien streben den Abschluss eines Abkommenspakets an. Dieses umfasst gemäss Ziff. 1 Common understanding folgende Elemente, welche im weiteren Text präzisiert werden:
- institutionelle Regelungen, welche in den bestehenden fünf Binnenmarktabkommen[48]Nicht ganz klar wird aus dem Dokument ersichtlich, auf welche Weise diese Verankerung erfolgen soll. Aufdrängen könnte sich hier der Abschluss von Protokollen zu den einzelnen Abkommen. sowie in künftigen Binnenmarktabkommen verankert werden sollen, wobei sie aber parallel ausgestaltet sein sollen (Ziff. 11 Common understanding);
- neue Abkommen in den Bereichen Strom, Lebensmittelsicherheit und Gesundheit (vgl. die Präzisierungen in Ziff. 2-4 Common understanding);
- sektorielle Regelungen für staatliche Beihilfen in den Abkommen über Luft- und Landverkehr sowie im zukünftigen Stromabkommen (Ziff. 17 Common understanding);
- Beteiligung der Schweiz an Unionsprogrammen, wie insbesondere Horizon Europe (Ziff. 5 Common understanding);
- eine Verstetigung des sog. Kohäsionsbeitrags der Schweiz sowie Beteiligung der Schweiz an den Kosten für Informationssysteme, zu denen sie Zugang hat (Ziff. 18, 19 Common understanding);
- ein Dialog über die Finanzmarktregulierung und ein sog. „hochrangiger Dialog“ (Ziff. 6, 7 Common understanding).
- Soweit die Binnenmarktabkommen auf unionsrechtliche Begriffe zurückgreifen, sollen diese – auf der Grundlage der völkerrechtlichen Auslegungsgrundsätze – parallel wie im EU-Recht und damit im Einklang mit der vor und nach der Unterzeichnung der Abkommen ergangenen Rechtsprechung des EuGH ausgelegt werden (Ziff. 8 Common understanding).
- Für das Funktionieren der Binnenmarktabkommen sei eine dynamische Rechtsübernahme zu gewährleisten (Ziff. 9 Common understanding).
- Mit Blick auf Streitigkeiten zwischen den Parteien über die Auslegung der Abkommen ist ein obligatorisches Streitbeilegungsverfahren vorgesehen (Ziff. 10 Common understanding).
- Bei Verstössen gegen das Abkommen soll die jeweils andere Partei verhältnismässige Ausgleichsmassnahmen in einem der Binnenmarktabkommen ergreifen können (Ziff. 12 Common understanding).
- In Bezug auf die bestehenden Binnenmarktabkommen werden mit Blick auf die Pflicht zur dynamischen Rechtsübernahme „Ausnahmen“ (exceptions) und teilweise (so in Bezug auf die Personenfreizügigkeit) darüber hinaus „Absicherungen“ (safeguards) formuliert (vgl. Ziff. 13, 14 Common understanding für die Personenfreizügigkeit bzw. die Arbeitnehmerentsendung, Ziff. 16 Common understanding für den Landverkehr).
- Für die Zeit, während die Verhandlungen zu diesem Paket laufen, werden gewisse Eckpunkte für den modus vivendi formuliert: So soll die Schweiz insbesondere an den Unionsprogrammen beteiligt werden und die notwendige und sinnvolle Zusammenarbeit in den Bereichen Strom und Gesundheit soll sichergestellt werden, dies ggf. auf einer ad hoc-Basis (Ziff. 20 Common understanding).
D. „Bilaterale III“ und die RL 2004/38
Im Gegensatz zum InstA[49]Welches mangels Konsens der Vertragsparteien die RL 2004/38 gar nicht erwähnte. M.E. sprechen an sich sehr gute Gründe dafür, dass all diejenigen Aspekte der RL 2004/38, welche spezifisch auf die … Continue reading adressiert das Common understanding die Frage nach der Relevanz der RL 2004/38: Sie ist grundsätzlich – vorbehaltlich der Einschlägigkeit von Ausnahmen – zu übernehmen, was auch für ihre Weiterentwicklungen gilt. In diesem Sinn sollen nachfolgend zunächst die Grundsätze der dynamischen Rechtsübernahme erörtert werden (I.), bevor auf dieser Grundlage auf die materiellen Weichenstellungen des Common understanding im Bereich der Freizügigkeit (II.) und die Streitbeilegung (III.) eingegangen werden soll.
I. Dynamische Rechtsübernahme: Grundsatz
Ziff. 9 Common understanding ist dem Grundsatz der dynamischen Rechtsübernahme gewidmet. Danach soll das gute Funktionieren der Binnenmarktabkommen durch eine (beiderseitige) Verpflichtung zur dynamischen Rechtsübernahme derjenigen EU-Rechtsakte, welche eine Weiterentwicklung des in ein Binnenmarktabkommen übernommenen unionsrechtlichen Besitzstands darstellen, gewährleistet werden, wobei auf die „Wahrung“ der bestehenden Ausnahmen sowie die Notwendigkeit von Ausnahmen und Absicherungen hingewiesen wird. Ausgangspunkt für die Präzisierung der Reichweite der Pflicht zur dynamischen Rechtsübernahme ist somit die Auflistung derjenigen Unionsrechtsakte in den Anhängen der Binnenmarktabkommen, welche die Schweiz zu übernehmen hat: Nur deren Weiterentwicklungen unterliegen der dynamischen Rechtsübernahme. Die Übernahmepflicht neuen EU-Rechts kommt somit nur unter der Voraussetzung zum Tragen, dass es um EU-Recht geht, welches eine Weiterentwicklung der bestehenden Abkommen darstellt. Diese Voraussetzung figuriert zwar nicht explizit in Ziff. 9 1. Satz Common understanding, der den Grundsatz der dynamischen Rechtsübernahme formuliert, ergibt sich aber in etwas verklausulierter Form aus der Passage in Ziff. 9 Common understanding, welche auf den Einbezug der Schweiz in die EU-Rechtsetzung Bezug nimmt, wenn dort von EU-Rechtsakten „in den von den betroffenen bilateralen Abkommen abgedeckten Bereichen“ die Rede ist.
Aufgeworfen wird damit die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine bestimmte Weiterentwicklung des Unionsrechts auch eine Weiterentwicklung der von der dynamischen Rechtsübernahme erfassten Binnenmarktabkommen darstellt. Diese sich bereits in paralleler Weise im Rahmen der Schengen‑/Dublin-Assoziierung sowie in Bezug auf den EWR stellende Frage – eine Rechtsfrage – war noch nicht Gegenstand der Rechtsprechung (des EuGH). Im Ergebnis dürfte die Frage nach dem Vorliegen einer Weiterentwicklung des vom Anwendungsbereich eines der Bilateralen Abkommen umfassten Besitzstands im Einzelfall auf der Grundlage einer Analyse der rechtlichen Tragweite einerseits des in Frage stehenden Unionsrechts, das in das jeweilige Abkommen überführt wurde, andererseits des neu erlassenen Unionsrechts zu eruieren sein. Dabei wird in aller Regel eine Weiterentwicklung immer dann vorliegen, wenn ein Sekundärrechtsakt, auf den in dem betreffenden Abkommen hingewiesen wird, modifiziert wird, so dass die zum Zeitpunkt der Unterzeichnung der Abkommen formulierten Anhänge einen entscheidenden Anhaltspunkt darstellen. Allerdings kann auch bei neuen Rechtsakten eine solche Weiterentwicklung anzunehmen sein, und nicht jede Modifikation eines in ein erfasstes Abkommen integrierten Sekundärrechtsakts muss immer zwingend eine Weiterentwicklung des betreffenden unionsrechtlichen Besitzstands im Sinne des betreffenden Abkommens sein. Auch ist es denkbar, dass ein neuer EU-Rechtsakt nur teilweise eine Weiterentwicklung von durch ein Abkommen erfassten Bereichen darstellt.
Vor diesem Hintergrund dürften in Bezug auf die Eröffnung des Anwendungsbereichs der Pflicht zur dynamischen Rechtsübernahme folgende Grundsätze relevant sein:
- Die Aufhebung oder Modifikation eines bestehenden Rechtsakts auf Unionsebene, der in ein sektorielles Abkommen integriert ist, dürfte grundsätzlich in einem Bereich anzusiedeln sein, der von dem betreffenden Abkommen abgedeckt ist.
- Das Vorliegen eigentlicher Weiterentwicklungen dürfte grundsätzlich dann zu bejahen sein, wenn die neue Rechtslage an die bislang geltende Rechtslage anknüpft und die Vorgaben bzw. Rechte „in dieselbe Richtung“ fortgeschrieben werden.
- Bei neuen Rechtsakten kann eine Weiterentwicklung dann zu bejahen sein, wenn diese geltendes und in das jeweilige Abkommen übernommenes EU-Recht ergänzen, wobei es hier entscheidend auf die „Intensität“ des Zusammenhangs bzw. darauf, ob der neue Rechtsakt eine Art „integrierender Bestandteil“ oder eine notwendige Ergänzung der durch die Abkommen abgedeckten Bereiche darstellt, ankommen dürfte.
- Keine Weiterentwicklung dürfte in der Regel in denjenigen Konstellationen vorliegen, in welchen – möglicherweise auf der Grundlage anderer konzeptioneller Grundentscheidungen – eigentliche neue Vorgaben oder Rechte vorgesehen werden, ohne dass ein notwendiger Zusammenhang mit den bestehenden Vorgaben besteht.
Deutlich wird damit, dass die genaue Reichweite der Pflicht zur Anpassung der Abkommen an die Entwicklung des Unionsrechts durchaus Fragen aufwerfen kann und sich Abgrenzungsfragen stellen können, wobei jeweils nach dem Konnex der Modifikationen bzw. neuen Vorgaben mit dem in einem Abkommen übernommenen unionsrechtlichen Besitzstand zu fragen ist: Je loser dieser ist, desto eher dürfte das Vorliegen einer Weiterentwicklung zu verneinen sein. Es dürfte kaum möglich sein, alle Abgrenzungsfragen zweifelsfrei generell-abstrakt in einem Abkommenstext zu klären; vielmehr wird wohl eine generische Formulierung gewählt werden müssen, welche dann auf den Einzelfall anzuwenden ist, eine Konstellation, die bei Rechtsakten oder Verträgen häufig auftritt. Sollte zwischen den Parteien diesbezüglich eine Divergenz bestehen, welche nicht bereinigt werden kann, stünde das Streitbeilegungsverfahren offen.
Bei der Übernahme in die Abkommen sind die verfassungsrechtlichen (Gesetzgebungs-) Verfahren in der Schweiz – unter Einschluss allfälliger Referenden – gebührend zu berücksichtigen. Im Gegenzug soll die Schweiz „so früh wie möglich“ in den Gesetzgebungsprozess über neue EU-Rechtsakte in den betreffenden Bereichen einbezogen werden. Damit knüpft die im Common understanding vorgesehene dynamische Rechtsübernahme an die bereits im InstA verankerten Grundsätze an, und es ist zu erwarten, dass der Mechanismus ähnlich ausgestaltet sein dürfte.[50]Vgl. im Einzelnen Epiney, Jahrbuch für Migrationsrecht 2023/2024 (Fn. 1), 1 (17 ff.).
Dieser Übernahmemechanismus entspricht im Wesentlichen demjenigen, der bereits heute im Rahmen der Schengen-/Dublin-Assoziierung zum Zuge kommt. Er impliziert in Bezug auf die vom Institutionellen Abkommen erfassten Abkommen der Bilateralen I (sowie die zukünftigen Binnenmarktabkommen) insofern eine durchaus bedeutende Entwicklung, als die erfassten Abkommen allesamt zwar bereits heute die Anpassung an die Rechtsentwicklung in der Union vorsehen, indem die Gemischten Ausschüsse die Anhänge modifizieren können; allerdings besteht – im Gegensatz zur Schengen-/Dublin-Assoziierung – kein rechtlich verankerter Grundsatz und keine Pflicht der Anpassung. Dabei geht es insofern nicht um eine automatische Übernahme, als die innerstaatlichen Gesetzgebungsverfahren vollumfänglich durchlaufen werden können. Angesichts des Umstands, dass zahlreiche unionsrechtliche Rechtsakte im Rahmen der Umsetzung einen mitunter beträchtlichen Gestaltungsspielraum einräumen, ist dies durchaus von grosser Bedeutung. Zu beachten ist weiter, dass die grosse Mehrheit der Weiterentwicklungen des Unionsrechts in den erfassten Bereichen technischer Natur ist und keine wirklich wichtigen gesetzgeberischen Entscheidungen impliziert, woran auch einzelne, auch politisch bedeutsame Weiterentwicklungen – welche gerade im Bereich der Personenfreizügigkeit möglich sind – nichts ändern. Auch sei nicht unerwähnt, dass die Schweiz in zahlreichen Gebieten durchaus ein grosses Interesse an einer solchen dynamischen Rechtsübernahme hat, so insbesondere in allen Gebieten, in denen es um die Anerkennung technischer Vorschriften geht, was für den Zugang zum Binnenmarkt von zentraler Bedeutung ist. Schliesslich könnte die Schweiz auch die Übernahme einzelner Weiterentwicklungen ablehnen, dies allerdings unter Inkaufnahme allfälliger verhältnismässiger Ausgleichsmassnahmen.[51]Vgl. insoweit unten D.III. im Zusammenhang mit dem Streitbeilegungsverfahren.
Das Common understanding sieht insbesondere im Bereich der Personenfreizügigkeit und der Arbeitnehmerentsendung (aber auch in anderen Bereichen) sog. „Ausnahmen“ vor.[52]Zu diesen, soweit die Personenfreizügigkeit betroffen ist, unten D.II. Soweit diese greifen, soll der Grundsatz der dynamischen Rechtsübernahme nicht zur Anwendung kommen. M.a.W. soll der Schweiz garantiert werden, dass es bestimmte nationale Regelungen in jedem Fall beibehalten kann, was insbesondere auf zwei Ebenen von Bedeutung ist:
- Erstens kann die Schweiz eine solche Regelung auch im Falle einer legislativen Weiterentwicklung des EU-Rechts beibehalten. Insofern handelt es sich um eine eigentliche Ausnahme vom Grundsatz der dynamischen Rechtsübernahme.
- Zweitens kann die Schweiz diese Regelungen auch dann aufrechterhalten, falls sie mit dem geltenden Recht nicht in Einklang stehen sollten. Insofern sind sie auch gegenüber Urteilen des Schiedsgerichts bzw. der Auslegung der entsprechenden unionsrechtlichen Vorschriften durch den EuGH „immunisiert“.
Durch die Ausnahmen wird somit sichergestellt, dass die erwähnten Massnahmen oder Grundsätze jedenfalls als im Einklang mit dem entsprechenden Abkommen angesehen werden, dies auch für den Fall, dass ähnliche Massnahmen (in Zukunft) in der Union als unionsrechtswidrig eingestuft werden sollten. Insofern wird der Schweiz mit diesen Ausnahmen ein grösserer Gestaltungsspielraum eingeräumt als den EU-Mitgliedstaaten.
II. Zur Weiterentwicklung des FZA – unter besonderer Berücksichtigung der RL 2004/38
Wie bereits erörtert, hat sich das Unionsrecht im Bereich der Freizügigkeit seit der Unterzeichnung des FZA bedeutend weiterentwickelt, wobei diese Weiterentwicklungen – mit Ausnahme der durch die Anhänge II und III FZA erfassten Bereiche – keinen Eingang in das FZA gefunden haben. Entsprechend den Grundsätzen der dynamischen Rechtsübernahme sieht das Common understanding grundsätzlich vor, dass bestehende und künftige „EU-Rechtsakte im Bereich der Freizügigkeit“ zu übernehmen sind, wobei die RL 2004/38 – neben einigen weiteren Rechtsakten – explizit erwähnt wird (Ziff. 13, 14 Common understanding).
Gleichzeitig sind diesbezüglich aber auch „Ausnahmen“ („exceptions“)[53]Ein eigener Abschnitt ist der Arbeitnehmerentsendung gewidmet, welche in diesem Beitrag ausgespart wird. Vgl. hierzu Epiney, Jahrbuch für Migrationsrecht 2023/2024 (Fn. 1), 1 (35 ff.). vorgesehen:[54]Weder dem Common Understanding noch den jeweiligen Verhandlungsmandaten sind explizite Aussagen darüber zu entnehmen, wie mit den einzelnen bereits jetzt im Freizügigkeitsabkommen enthaltenen … Continue reading
- Erstens soll der status quo in Bezug auf die Einschränkungen der Freizügigkeitsrechte aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit (vgl. Art. 5 Anhang I FZA) aufrechterhalten werden. In diesem Sinn präzisiert das Common understanding, dass die in Kapitel VI RL 2004/38 enthaltenen Weiterentwicklungen, welche über die bestehenden Verpflichtungen hinausgehen, wobei ausdrücklich auf den in Art. 28 Abs. 2, 3 RL 2004/38 verankerten verstärkten Schutz vor Ausweisung sowie die Rechtsprechung des EuGH zu diesen Bestimmungen hingewiesen wird, nicht von der dynamischen Rechtsübernahme erfasst sein sollen. Die genannten Bestimmungen enthalten denn auch eine eigentliche Neuerung gegenüber dem bis dahin geltenden EU-Recht.[55]S.o. II.2.
- Die zweite Ausnahme betrifft das neu in die RL 2004/38 eingeführte sog. Daueraufenthaltsrecht: Dieses soll im Verhältnis zur Schweiz nur für Personen gelten, die sich insgesamt fünf Jahre rechtmässig als Arbeitnehmer oder Selbständige im Aufnahmestaat aufgehalten haben (unter Einschluss der Familienangehörigen), wobei eine Unterbrechung durch Zeit mit rechtmässigem Aufenthalt als Nichterwerbstätige möglich sein soll, so dass die Betroffenen nicht fünf Jahre ununterbrochen unselbständig oder selbständig tätig sein müssen. Weiter soll es möglich sein, Zeiträume von sechs Monaten oder mehr, während denen die Person vollständig auf Sozialhilfe angewiesen ist, bei der Berechnung nicht zu berücksichtigen.
- Schliesslich sollen gewisse Ausnahmen von den Sicherheitsanforderungen für Personalausweise (vgl. Art. 3 VO 2019/1157[56]VO 2019/1157 zur Erhöhung der Sicherheit der Personalausweise von Unionsbürgern und der Aufenthaltsdokumente, die Unionsbürgern und deren Familienangehörigen ausgestellt werden, die ihr Recht auf … Continue reading) gelten.
Neben den eben erwähnten „Ausnahmen“ führt Ziff. 13 Common understanding „Absicherungen“ (safeguards) auf: So soll eine „unangemessene Belastung für die Sozialhilfesysteme“ vermieden werden, die Voraussetzungen für die Beibehaltung des Arbeitnehmerstatus für unfreiwillig arbeitslos gewordene Personen werden in Bezug auf die Zusammenarbeit mit den öffentlichen Arbeitsverwaltungen präzisiert und verhältnismässige und nicht diskriminierende Meldepflichten für Arbeitgeber betreffend Stellenantritte sollen von der dynamischen Rechtsübernahme unberührt bleiben. Die genauen Rechtswirkungen dieser Absicherungen – welche freilich in der Sache mit der RL 2004/38 in Einklang stehen dürften – können erst auf der Grundlage des endgültigen Vertragstextes eruiert werden.[57]Vgl. zum Problemkreis Epiney, Jahrbuch für Migrationsrecht 2023/2024 (Fn. 1), 1 (32 ff.).
III. Exkurs: Streitbeilegung
In Bezug auf das Streitbeilegungsverfahren knüpft das Common Understanding an das bereits im InstA vorgesehene System an,[58]Zu diesem im Einzelnen Benedikt Pirker, Zum Schiedsgericht im Institutionellen Abkommen, Jusletter vom 3.6.2019; Benedikt Pirker, Das Schiedsgericht im Institutionellen Abkommen zwischen … Continue reading wobei aber gewisse Aspekte präzisiert werden sollen.[59]Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch darauf, dass dieses Modell auch in anderen Abkommen der EU mit Drittstaaten zu finden ist, darunter nicht nur osteuropäische Staaten, sondern auch … Continue reading Auf der Grundlage des Common understanding dürften für das Verfahren folgende Grundsätze und Verfahrensschritte zur Anwendung kommen:
- Der Anwendungsbereich des Streitbeilegungsverfahrens bezieht sich auf die „Binnenmarktabkommen“, in denen das Verfahren jeweils geregelt werden soll. Erfasst sind damit die Abkommenstexte mitsamt den Anhängen. Eine Auslegung der Abkommen liegt auch dann vor, wenn es um die Frage geht, ob ein bestimmter neuer EU-Rechtsakt Teil der Weiterentwicklung des von dem jeweiligen Abkommen erfassten Bereichs ist, eine Problematik, die sich sowohl „positiv“ als auch „negativ“ stellen kann.
- Ganz allgemein dürfte das Schiedsgericht selbst über seine Zuständigkeit entscheiden.
- Das Verfahren dürfte im Wesentlichen wie folgt ablaufen:
- Treten zwischen den Vertragsparteien Differenzen betreffend die Auslegung oder Anwendung des betreffenden Abkommens auf, wäre zunächst im Gemischten Ausschuss eine Einigung zu suchen, so dass der erste Schritt in jedem Fall ein politischer wäre.
- Kommt eine solche Einigung der Vertragsparteien innerhalb einer bestimmten Frist nicht zustande, könnte jede Vertragspartei ein paritätisch zusammengesetztes Schiedsgericht Eine Möglichkeit Einzelner oder nationaler Gerichte, das Schiedsgericht anzurufen, ist nicht vorgesehen.
- Falls die dem Schiedsgericht vorgelegte Streitigkeit die Auslegung oder die Anwendung von EU-Rechtsakten, die in die Abkommen integriert wurden, oder in die Abkommen übernommene unionsrechtliche Begriffe betrifft, müsste das Schiedsgericht den EuGH anrufen, der über deren Auslegung zu entscheiden hätte.[60]Vgl. im Einzelnen instruktiv zu den verschiedenen sich in diesem Kontext stellenden (Auslegungs-) Fragen Müller, SJER 2023/2024 (Fn. 59), 535 ff.; s. auch schon (mit Bezug zum InstA, bei welchem … Continue reading Diese Pflicht soll somit nur unter einer doppelten Voraussetzung zum Zuge kommen: Erstens muss es um in das betreffende Abkommen übernommene EU-Rechtsbegriffe gehen.[61]Die Frage, ob ein bestimmter EU-Rechtsakt eine Weiterentwicklung des Personenfreizügigkeitsabkommens darstellt, könnte zumindest grundsätzlich wohl vom Schiedsgericht allein entschieden werden, da … Continue reading Solche liegen zweifellos dann vor, wenn auf einen EU-Sekundärrechtsakt verwiesen wird; fraglich kann das Vorliegen eines unionsrechtlichen Begriffs aber sein, wenn es lediglich um parallele Formulierungen wie im Unionsrecht geht. Hier ist dann jeweils durch Auslegung zu ermitteln, ob es sich um einen unionsrechtlichen oder um einen „autonomen“ Begriff handelt.[62]Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob das Schiedsgericht auch dann vorlegen müsste, wenn es zur Ansicht gelangt, es gehe zwar um einen unionsrechtlichen Begriff, welcher aber – aufgrund der sog. … Continue reading Ausdrücklich und insoweit im Vergleich zum InstA präzisierend hält das Common understanding fest, dass eine Anrufung des EuGH nicht erfolgen soll, wenn es um einen Bereich bzw. eine Bestimmung geht, die in den Anwendungsbereich einer Ausnahme von der Pflicht zur dynamischen Rechtsübernahme fällt, so dass die Auslegung der rechtlichen Tragweite der Ausnahmen in die alleinige Kompetenz des Schiedsgerichts fallen soll, wobei sich hier in Bezug auf die genaue Reichweite der Anrufungspflicht gewisse Fragen stellen.[63]So ist die Formulierung im Common understanding etwas missverständlich, da dieses darüber hinaus noch verlangt, dass keine Auslegung oder Anwendung unionsrechtlicher Begriffe zur Debatte steht. … Continue reading Wird das Vorliegen eines EU-Rechtsbegriffs bejaht, muss dessen Auslegung – zweitens – für die Entscheidung der Streitigkeit relevant und notwendig sein. Damit dürften hier letztlich die im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens entwickelten Grundsätze – unter Einschluss des Grundsatzes des acte clair[64]Grundlegend EuGH; Rs. C-283/81 (CILFIT), ECLI:EU:C:1982:335; s. aus der jüngeren Rechtsprechung EuGH, Rs. C-561/19 (Consorzio Italian Management), ECLI:EU:C:2021:799. – zum Zuge kommen.[65]Vgl. im Einzelnen und ähnlich wie hier Müller, SJER 2023/2024 (Fn. 59), 535 (551 ff.).
- Jedenfalls ist die Anrufungspflicht durch das Schiedsgericht zu entscheiden, dies wohl unter Einschluss der Frage, ob ein in das jeweilige Abkommen übernommener unionsrechtlicher Begriff parallel wie im Unionsrecht auszulegen ist oder nicht.[66]Insoweit wohl a.A. Müller, SJER 2023/2024 (Fn. 59), 535 (547 ff.).
- Das Urteil des EuGH wäre für das Schiedsgericht bindend. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass sich die Verbindlichkeit lediglich auf die Auslegung der betreffenden unionsrechtlichen Vorschrift bezieht, während ihre Anwendung auf die Streitigkeit dem Schiedsgericht obläge, das letztlich über die konkrete Streitfrage entscheiden müsste.
- Das Urteil des Schiedsgerichts wäre für die Parteien bindend.
- Dessen ungeachtet adressiert das Common understanding – wie auch schon das InstA – die Möglichkeit der Nichtbeachtung des Urteils: Falls die unterlegene Partei nämlich einen Schiedsspruch nicht akzeptiert bzw. sich nicht an diesen hält, soll die andere Vertragspartei Ausgleichsmassnahmen in einem der Binnenmarktabkommen ergreifen können. Die Verhältnismässigkeit dieser Ausgleichsmassnahmen soll vom Schiedsgericht überprüft werden können, wobei in den Verhandlungen noch zu klären sein wird, ob die Ausgleichsmassnahmen erst nach einer gewissen Frist – innerhalb derselben das Schiedsgericht ggf. über ihre Vereinbarkeit mit dem betreffenden Abkommen entscheiden könnte – ergriffen werden dürfen. Jedenfalls könnte das Schiedsgericht wohl auch prüfen, ob das Ergreifen der Ausgleichsmassnahmen per se gerechtfertigt gewesen wäre, so dass es auch um die Frage gehen könnte, ob die andere Vertragspartei das Urteil des Schiedsgerichts tatsächlich nicht befolgt hat.
Deutlich wird damit, dass dieses Verfahren in Bezug auf die Zusammenarbeit des Schiedsgerichts mit dem EuGH dem Vorabentscheidungsverfahren (Art. 267 AEUV) nachgebildet werden soll: Das Verfahren soll obligatorisch für die Parteien sein, die sich nicht einseitig der Jurisdiktion des Schiedsgerichts und damit (indirekt) des EuGH entziehen könnten. Indessen sind auch bemerkenswerte Besonderheiten zu verzeichnen: Insbesondere weist das Verfahren – insoweit im Gegensatz zu Art. 267 AEUV – gewisse politische Elemente auf. So wäre zunächst nach Möglichkeit auf politischer Ebene eine für beide Parteien annehmbare Lösung zu suchen; sodann würden bei der Einleitung des Verfahrens, insbesondere der Befassung des Schiedsgerichts, politische Gesichtspunkte eine Rolle spielen, könnten die Vertragsparteien doch auf die Einleitung verzichten. Einzelne bzw. betroffene Wirtschaftsteilnehmer könnten weder direkt noch indirekt ein Verfahren einleiten. Aber auch die implizit im Abkommen vorgesehene Möglichkeit, sich dann doch nicht an das Urteil des Schiedsgerichts zu halten, dies aber um den Preis von Ausgleichsmassnahmen, weist letztlich einen politischen Charakter auf. Vor diesem Hintergrund und angesichts der wegen der zahlreichen Verfahrensschritte zu gewärtigenden langen Dauer des Streitbeilegungsverfahrens ist nicht zu erwarten, dass es allzu oft zu einer Befassung des Schiedsgerichts kommen würde, haben die Vertragsparteien doch ein sehr grosses Interesse an einer einvernehmlichen Lösung möglicher Differenzen. Gleichwohl sollte die Bedeutung der Möglichkeit der Einleitung eines Schiedsverfahrens nicht unterschätzt werden, steht damit doch beiden Vertragsparteien der Weg einer verbindlichen und nicht politisch geprägten Streitbeilegung zur Verfügung, was eine gewisse Vorwirkung entfalten dürfte und übrigens gerade für den schwächeren Vertragspartner, die Schweiz, von überragender Bedeutung ist.[67]S. insoweit auch den Vergleich des in Aussicht genommenen Streitbeilegungsverfahrens zum status quo bei Astrid Epiney, Rechtsschutz und Streitbeilegung im Bilateralen Recht. Zu den Implikationen … Continue reading
E. Schluss
Die RL 2004/38 dürfte von grosser Bedeutung für die Schweiz sein, sollten die „Bilateralen III“ abgeschlossen werden. Indessen sollten die „echten“ Weiterentwicklungen, welche mit dieser Richtlinie einhergehen, und die Differenzen zum FZA nicht überbewertet werden. Die auf der Grundlage des Common understanding erkennbaren Grundsätze und die dort formulierten Ausnahmen – welche insbesondere das Daueraufenthaltsrecht, die wohl bedeutendste Neuerung der RL 2004/38, betreffen – führten dazu, dass die Personenfreizügigkeit zwar weiterentwickelt würde und gewisse neue Rechte verankert würden, welche jedoch insgesamt den Charakter des FZA als primär – indessen nicht nur, kommen doch auch Nichterwerbstätigen gewisse Rechte zu – die Freizügigkeit von Erwerbstätigen regelndes Vertragswerk nicht in Frage stellen dürften.
In institutioneller Hinsicht stellen die dynamische Rechtsübernahme und die Streitbeilegung zwar eine echte qualitative Weiterentwicklung des Bilateralen Weges im Allgemeinen und der Personenfreizügigkeit im Besonderen dar. Dessen ungeachtet sollten die effektiven tatsächlichen Differenzen zum status quo nicht überschätzt werden, zumal die Möglichkeit des „Ausscherens“ – freilich um den Preis verhältnismässiger Ausgleichsmassnahmen – besteht. Jedenfalls sind die Grundsätze der dynamischen Rechtsübernahme und der Streitbeilegung kaum verhandelbar, stellen sie doch nach Ansicht der Union – und wohl auch in der Logik des Binnenmarktes – notwendige Voraussetzungen der Teilnahme eines Drittstaats am EU-Binnenmarkt dar.
Insgesamt ist es daher zielführend (so eine stabile Regelung der Beziehungen Schweiz – EU auf der Grundlage der Bilateralen Abkommen und eine Beteiligung der Schweiz am EU-Binnenmarkt angestrebt werden), einerseits die Rolle des EuGH bei der Streitbeilegung (soweit es um die Auslegung übernommenen Unionsrechts geht) sowie den Grundsatz der dynamischen Rechtsübernahme zugrundezulegen, gleichzeitig aber andererseits über die Regelung materieller Fragen den zentralen Interessen der Schweiz Rechnung zu tragen; es wird darum gehen, auf der Grundlage des Common understanding im Vertragswerk einen entsprechenden, für beide Parteien akzeptablen Ausgleich zu suchen. Nicht zu verkennen ist freilich, dass es weder möglich sein wird, allen „Wünschen“ der Schweiz auf diese Weise Rechnung zu tragen (so ist fraglich, ob die von der Schweiz angestrebte „Schutzklausel“[68]Vgl. Punkt 8.3 des Verhandlungsmandats der Schweiz: „Die Schweiz ist bestrebt, die Mechanismen des FZA zur Bewältigung unerwarteter Auswirkungen zu konkretisieren.“ realisierbar ist), noch in Bezug auf alle denkbaren Auslegungsfragen in den Abkommen eine in jeder Beziehung klare Antwort zu geben. Gerade letzteres ist jedoch kein Alleinstellungsmerkmal der Abkommen mit der Union; vielmehr können Rechtstexte im Allgemeinen und mitunter durch Kompromissformulierungen geprägte internationale Abkommen im Besonderen in keiner Konstellation so gestaltet werden, dass mit letzter Sicherheit alle, sich häufig auch erst in Zukunft stellenden Auslegungsfragen beantwortet werden können. Insofern geht es letztlich darum, ein Verhandlungsergebnis in seiner Gesamtheit zu würdigen und eine Interessen- und Risikoabwägung unter Einbezug aller relevanter Gesichtspunkte (zu denen übrigens auch die Frage nach den Risiken eines Nichtzustandekommens eines Vertrages zählt) vorzunehmen. Es bleibt zu hoffen, dass diese Abwägung im Falle erfolgreicher Verhandlungen über „Bilaterale III“ möglichst rational auf der Grundlage der möglichst objektiv zu eruierenden Faktenlage erfolgen kann und hierbei auch berücksichtigt wird, dass die Verrechtlichung von Konfliktlösungen auf internationaler Ebene nicht nur einen Gewinn an Rechtssicherheit für alle Beteiligten mit sich bringt, sondern auch eine Absage an das „Recht des Stärkeren“ bedeutet, was in erster Linie den politisch oder wirtschaftlich weniger mächtigen Staaten dient. Daneben dürfte es auch im Interesse der Schweiz sein, in Zeiten globaler Umwälzungen und Unsicherheiten ihre Beziehungen zu ihrem bedeutenden Nachbarn, dessen Werte sie teilt, möglichst stabil zu gestalten.
Fussnoten[+]
↑1 | Dieser Beitrag beruht auf bereits früher durchgeführten Untersuchungen, welche aufgegriffen werden. S. insbesondere Astrid Epiney, Die „Bilateralen III“ und ihre möglichen Auswirkungen auf das Migrationsrecht, in: Alberto Achermann u.a. (Hrsg.), Jahrbuch für Migrationsrecht 2023/2024, Bern 2024, 1 ff.; Astrid Epiney/Sian Affolter, Das Institutionelle Abkommen – unter besonderer Berücksichtigung der Unionsbürgerrichtlinie, in: Alberto Achermann u.a. (Hrsg.), Jahrbuch für Migrationsrecht 2018/2019, Bern 2019, 43 ff.; Astrid Epiney, Die dynamische Rechtsübernahme im Entwurf des Institutionellen Abkommens, EuZ 2021, 4 ff.; Astrid Epiney/Sian Affolter, Unionsbürgerrichtlinie und EWR. Mit einem Exkurs zum Entwurf des Institutionellen Abkommens Schweiz – EU, EuR, Beiheft 1/2020, 173 ff. |
---|---|
↑2 | So der Einführungstext des vom Bundesrat am 8. März verabschiedeten Verhandlungsmandats. Dieses sowie alle weiteren in diesem Beitrag zitierten offiziellen Dokumente des Bundesrates – unter Einschluss des sog. Common understanding (in der englischen Originalversion und einer inoffiziellen deutschen Übersetzung) – zu den Verhandlungen sind zugänglich auf www.admin.ch. |
↑3 | S. Fn. 2. |
↑4 | Beschluss des Rates vom 7. März über die Ermächtigung zur Aufnahme von Verhandlungen mit der Schweizerischen Eidgenossenschaft über institutionelle Bestimmungen in Abkommen zwischen der EU und der Schweizerischen Eidgenossenschaft mit Bezug zum Binnenmarkt, über ein Abkommen über die Teilnahme der Schweizerischen Eidgenossenschaft an Programmen der Union und über einen Mechanismus zur Ermöglichung finanzieller Beiträge der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Ratsdokument Nr. 7031/24, abrufbar unter www.consilium.europa.eu. |
↑5 | S. zur Ausgangslage bzw. zu den Entwicklungen im Vorfeld der jetzt laufenden Verhandlungen, m.w.N., Epiney, Jahrbuch für Migrationsrecht 2023/2024 (Fn. 1), 1 (5 ff.). |
↑6 | So die Bezeichnung des Bundesrates in seinem „Bericht zu den exploratorischen Gesprächen zwischen der Schweiz und der EU zur Stabilisierung und Weiterentwicklung ihrer Beziehungen“ vom 15. Dezember 2023. |
↑7 | RL 2004/38 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten ABl. 2004 L 158, 77. Die Bezeichnung „Unionsbürgerrichtlinie“ knüpft an den offiziellen Titel der Richtlinie, der auf „Unionsbürger“ Bezug nimmt an und wird häufig auch in den EU-Mitgliedstaaten gebraucht. Vor dem Hintergrund, dass es in der Richtlinie primär um Freizügigkeitsrechte geht, könnte aber auch der Begriff „Freizügigkeitsrichtlinie“ verwendet werden. |
↑8 | Zum Zeitpunkt der Redaktion dieses Beitrags (Anfang Oktober 2024) waren die Verhandlungen zu den „Bilateralen III“ noch im Gang, und beide Vertragsparteien erachteten – trotz einiger noch nicht gelöster Fragen – einen Abschluss bis Ende 2024 für möglich. Zu beachten ist weiter, dass sich die Ausführungen notwendigerweise nur (aber immerhin) auf die bislang veröffentlichten Dokumente stützen; diese – wobei in erster Linie das erwähnte Common Understanding sowie die Verhandlungsmandate der Schweiz und der EU im vorliegenden Zusammenhang von Bedeutung sind – stellen jedoch keinen Vertragstext bzw. keinen Entwurf eines Vertragstextes dar, sondern formulieren den grundsätzlichen politischen Konsens der (zukünftigen) Vertragsparteien bzw. die Zielsetzungen der Verhandlungen. In diesen geht es dann darum, diese Grundsätze bzw. Zielsetzungen in einen eigentlichen Vertragstext zu „übersetzen“; erst dieser wird es dann erlauben, eine fundierte und „vorläufig abschliessende“ Analyse der rechtlichen Tragweite der „Bilateralen III“ vorzunehmen, was insbesondere deshalb von Bedeutung ist, weil die erwähnten Dokumente durchaus einige Fragen offen lassen, wenn auch die grossen Linien und Grundsätze erkennbar sind. |
↑9 | Fn. 7. |
↑10 | VO 492/2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union, ABl. 2011 L 141, 1. Die VO 492/2011 regelt umfassend die Einzelheiten des Freizügigkeitsrechts der Arbeitnehmer sowie diverse Begleitrechte, so insbesondere gewisse Rechte von Familienangehörigen der Arbeitnehmer. Sie stellt im Verhältnis zur RL 2004/38 für Arbeitnehmer die speziellere Regelung dar. |
↑11 | Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, SR 0.142.112.681; ABl. 2002 L 114, 6 ff. |
↑12 | Vgl. hierzu, m.w.N., Christa Tobler, Personenfreizügigkeit mit und ohne Unionsbürgerrichtlinie – Reise- und Aufenthaltsrechte im Ankara-Abkommen, dem FZA Schweiz-EU und dem EWR-Recht, in: Astrid Epiney/Lena Hehemann (Hrsg.), Schweizerisches Jahrbuch für Europarecht 2017/2018, Bern/Zürich 2018, 433 (443 f.); Astrid Epiney/Robert Mosters, Die Rechtsprechung des EuGH zur Personenfreizügigkeit im Jahre 2016 und ihre Implikationen für das Freizügigkeitsabkommen Schweiz-EU, in: Astrid Epiney/Lena Hehemann (Hrsg.), Schweizerisches Jahrbuch für Europarecht 2016/2017, Bern/Zürich 2017, 69 (75). |
↑13 | Fn. 10. |
↑14 | Ansonsten sei zur Vertiefung einiger in diesem Beitrag aufgegriffener Fragen auf folgende Beiträge verwiesen: Christa Tobler, Auswirkungen einer Übernahme der Unionsbürgerrichtlinie für die Schweiz. Sozialhilfe nach bilateralem Recht als Anwendungsfall des Polydor-Prinzips, in: Astrid Epiney/Teresia Gordzielik (Hrsg.), Personenfreizügigkeit und Zugang zu staatlichen Leistungen, Zürich 2015, 55 ff.; Tobler, Schweizerisches Jahrbuch für Europarecht 2017/2018 (Fn. 12), 433 ff.; Astrid Epiney/Gaëtan Blaser, L’accord sur la libre circulation des personnes et l’accès aux prestations étatiques – un aperçu, in: Astrid Epiney/Teresia Gordzielik (Hrsg.), Personenfreizügigkeit und Zugang zu staatlichen Leistungen, Zürich 2015, 37 ff.; Silvia Gastaldi, L’accès à l’aide soziale dans le cadre de l’ALCP, in: Astrid Epiney/Teresia Gordzielik (Hrsg.), Personenfreizügigkeit und Zugang zu staatlichen Leistungen, Zürich 2015, 121 ff.; Andreas Zünd/Thomas Hugi Yar, Staatliche Leistungen und Aufenthaltsbeendigung unter dem FZA, in: Astrid Epiney/Teresia Gordzielik (Hrsg.), Personenfreizügigkeit und Zugang zu staatlichen Leistungen, Zürich 2015, 157 ff. |
↑15 | Die VO 492/2011 sieht in Bezug auf die Rechtsstellung der Arbeitnehmer spezifische Rechte vor. So ist in Bezug auf die Kinder von Arbeitnehmern Art. 10 VO 492/2011 massgeblich, und der Zugang zu sozialen Vergünstigungen für Arbeitnehmende richtet sich nach Art. 7 Abs. 2 VO 492/2011, wobei diese Regelungen im Wesentlichen die bereits in der VO 1612/68 enthaltenen Grundsätze aufgreifen, die ihrerseits in weiten Teilen wörtlich oder sinngemäss auch in das FZA Eingang gefunden haben, vgl. insoweit im Einzelnen Epiney/Blaser, in: Personenfreizügigkeit und Zugang zu staatlichen Leistungen (Fn. 14), 37 ff. Ausführlich zum Verhältnis der verschiedenen sekundärrechtlichen Regelungen nach Erlass der RL 2004/38 Astrid Epiney, Rechtsgrundlagen der Migration in Europa. Zur Regelung eines „Anspruchs auf Aufenthalt“ im Völker- und Europarecht, in: Hartmut Bauer/Pedro Cruz Villalon/Julia Iliopoulos-Strangas (Hrsg.), Die neuen Europäer – Migration und Integration in Europa, Baden-Baden 2009, 115 ff. |
↑16 | So löste die RL 2004/38 insbesondere folgende Aufenthaltsrichtlinien ab: RL 90/364/EWG (allg. Aufenthaltsrecht), ABl. L 180/1990, 26; RL 93/96/EG (Studenten), ABl. L 317/1993, 59; RL 90/365/EWG (Rentner), ABl. L 180/1990, 28. |
↑17 | In Bezug auf den zuletzt genannten Punkt und im Zusammenhang mit dem FZA ist von Bedeutung, dass die RL 2004/38 auch die RL 64/221 aufhob. Weiter hob sie neben den bereits in Fn. 16 erwähnten folgende Rechtsakte auf: RL 68/360, RL 72/194, RL 73/148, RL 75/34, RL 75/35. Vgl. im Einzelnen zur RL 2004/38 z.B. Aude Bouveresse/Anastasia Iliopoulou-Penot/Julie Rondu (Hrsg.), La citoyenneté européenne: quelle valeur ajoutée?, Brüssel 2023; Elspetz Guild/Steve Peers/Jonathan Tomkin, The EU Citizenship Directive. A Commentary, Oxford 2014; Martin Fleuß, Unionsbürgerschaft und Freizügigkeit, VerwArch 2022, 201 ff.; Sandrine Cursoux-Bruyère, Le sentiment d’appartenance à l’Union européenne: une citoyenneté à redéfinir, Revue de l’Union européenne 2021, 8 ff. |
↑18 | Vgl. Fn. 15. |
↑19 | Wobei darüber hinaus aufgrund der Zusammenfassung der diversen Rechtsakte in einem einzigen Rechtsakt auch gewisse Systematisierungen zu verzeichnen sind. |
↑20 | Dies gilt dann auch für das FZA, wovon auch das Bundesgericht in ständiger Rechtsprechung ausgeht. S. grundlegend BGE 136 II 5. Vgl. ansonsten zur Rechtsprechung des Bundesgerichts die jährlichen Überblicke im Jahrbuch für Migrationsrecht, zuletzt Astrid Epiney/Evamaria Hunziker, Zur schweizerischen Rechtsprechung zum Personenfreizügigkeitsabkommen, in: Alberto Achermann u.a. (Hrsg.), Jahrbuch für Migrationsrecht 2023/2024, Bern 2024, 275 ff. |
↑21 | Vgl. zu Fragen der Sozialhilfe auch noch unten B.II. |
↑22 | Vgl. Epiney/Blaser, in: Personenfreizügigkeit und Zugang zu staatlichen Leistungen (Fn. 14), 37 (44). |
↑23 | Bezeichnend ist in Bezug auf derartige Regelungen auch, dass das Bundesgericht mitunter durchaus auf die RL 2004/38 Bezug nimmt, um Bestimmungen des Freizügigkeitsabkommens auszulegen, dies jeweils mit dem Hinweis, dass die neue Rechtslage in der Union auch im Rahmen des Freizügigkeitsabkommens zu beachten sei, vgl. z.B. BGE 136 II 5. S. auch BG, 2C_558/2009, Urt. v. 26.4.2010, wo das Bundesgericht auf Art. 8 Abs. 1-3 RL 2004/38, die bislang auch in der Union nicht explizit geregelte Pflichten der Unionsbürger zur Anmeldung o.ä. betreffen, hinweist und als Auslegungshilfe für die Frage nach der Vereinbarkeit einer nationalen Regelung (die für Unionsbürger bestimmte Anmeldepflichten am Wohnort vorsah) mit dem Freizügigkeitsabkommen heranzieht, indem es darauf hinweist, auch nach der RL 2004/38 seien solche, nicht im FZA geregelte Vorgaben zulässig. S. aber auch BGer 2C_484/2022 vom 15.3.2023, wo das Bundesgericht zwar auf Art. 7 Abs. 1 lit. b RL 2004/38 Bezug nimmt, aber gleichzeitig darauf hinweist, es gebe „triftige Gründe“, warum bei der Auslegung des Art. 24 Abs. 1 lit. a Anhang I FZA die Rechtsprechung des EuGH nicht vollumfänglich heranzuziehen sei. Vgl. zu diesem Urteil Epiney/Hunziker, Jahrbuch für Migrationsrecht 2023/2024 (Fn. 20), 275 (277 ff.). |
↑24 | Vgl. hierzu auch EuGH, Rs. C-325/09 (Dias), Rn. 48 ff. |
↑25 | Daniel Thym, Sozialleistungen für und Aufenthalt von nichterwerbstätigen Unionsbürgern, NZS 2014, 81 (87). |
↑26 | Ausführlich zu den Verbleiberechten Benedikt Pirker, Verbleiberechte gemäss dem Freizügigkeitsabkommen Schweiz – EU, AJP 2023, 860 ff. |
↑27 | Allerdings dürfte Art. 18 RL 2004/38, der drittstaatsangehörigen Familienangehörigen ein Recht auf Daueraufenthalt unter bestimmten Voraussetzungen einräumt, deren Rechte erweitern; eine Entsprechung im FZA ist nicht ersichtlich. |
↑28 | Das Bundesgericht dürfte davon ausgehen, dass dem FZA ein voraussetzungsloses Aufenthaltsrecht in einem anderen Vertragsstaat (unter der Voraussetzung des Besitzes eines gültigen Ausweises) für einen Zeitraum bis zu drei Monaten zu entnehmen ist, s. BGer, 24.1.2019, 6B_1074/2018, E. 3; BGE 145 IV 55; 143 IV 97. In der Literatur ist die Frage, ob das FZA ein solches Recht einräumt, allerdings umstritten. Vgl. zum Problemkreis Peter Uebersax, Freizügigkeitsabkommen und Landesverweisung, Plädoyer 1/2018, 37 ff.; Tobler, Schweizerisches Jahrbuch für Europarecht 2017/2018 (Fn. 12), 433 (445 ff.). |
↑29 | Dabei umfasst der Begriff der Sozialhilfe im Sinne der RL 2004/38 „sämtliche von öffentlichen Stellen eingerichtete Hilfssysteme […], die auf nationaler, regionaler oder örtlichen Ebene bestehen und die ein Einzelner in Anspruch nimmt, der nicht über ausreichende Existenzmittel zur Bestreitung seiner Grundbedürfnisse und derjenigen seiner Familie verfügt und deshalb während seines Aufenthalts möglicherweise die öffentlichen Finanzen des Aufnahmemitgliedstaates belasten muss, was Auswirkungen auf das gesamte Niveau der Beihilfe haben kann, die dieser Staat gewähren kann“, vgl. so EuGH, Rs. C-140/12, ECLI:EU:C:2013:565 (Brey), Rn. 61; ebenso EuGH, Rs. C-333/13, ECLI:EU:C:2014:2358 (Dano), Rn. 63. Der Begriff der Sozialhilfe ist dementsprechend weit und umfasst sowohl die „klassische“ Sozialhilfe als auch weitere beitragsunabhängige Leistungen, die der Existenzsicherung dienen, wie etwa Ergänzungsleistungen der AHV und IV, so im Zusammenhang mit dem FZA auch das BGer in BGE 135 II 265, E. 3.7; bestätigt etwa in BGer 2C_222/2010 vom 29. Juli 2010, E. 6.2.2; BGer 2C_407/2013 vom 15. November 2013, E. 3.3. Im Übrigen ist der Begriff der Sozialhilfe im Sinne der RL 2004/38 nach der Rechtsprechung nicht nur insofern autonom auszulegen, als allfällige Auslegungen nach nationalem Recht irrelevant sind. Vielmehr kann er auch von der Begrifflichkeit anderer EU-Rechtsakte abweichen. So fallen unter den in der RL 2004/38 verwendeten Begriff der Sozialhilfe nicht zwingend dieselben Leistungen wie unter die Sozialhilfe im Sinne der Verordnungen des koordinierenden Sozialrechts. So begründet der EuGH in EuGH, Rs. C-140/12, ECLI:EU:C:2013:565 (Brey), Rn. 50 ff., eine unterschiedliche Definition des Sozialhilfebegriffs in der RL 2004/38 und in der VO 883/2004 mit den unterschiedlichen Zielsetzungen der Rechtsakte. Hierzu auch Thym, NZS 2014 (Fn. 26), 81 (82 ff.). |
↑30 | EuGH, Rs. C-333/13 (Dano), ECLI:EU:C:2014:2358, Rn. 69. S. weiter aus der Rechtsprechung EuGH, Rs. C-67/14 (Alimanovic), ECLI:EU:C:2015:597; EuGH, Rs. C-299/14 (Jobcenter Recklinghausen), ECLI:EU:C:2016:114. Zur Problematik instruktiv Stamatia Devetzi/Frank Schreiber, Diskriminierungsfreier Zugang zu Sozialleistungen – nur noch nach Maßgabe der Unionsbürger-Richtlinie?, ZESAR 2016, 15 ff.; Dominik Steiger, Freizügigkeit in der EU und Einschränkungen von Sozialleistungen für EU-Ausländer – Vom Verlust der richtigen Balance zwischen den Interessen der Mitgliedstaaten und den Rechten des Einzelnen sowie der Notwendigkeit einer primärrechtskonformen Auslegung der Freizügigkeitsrichtlinie, EuR 2018, 304 ff.; Maximilian Fuchs, Arbeitnehmerfreizügigkeit und Sozialleistungen, ZESAR 2015, 95 ff.; Sandra Mantu/Paul Minderhoud, EU citizenship and social solidarity, MJ 2017, 703 ff.; Thomas Oberhäuser/Eva Steffen, Rechtswidriger Leistungsausschluss für Unionsbürger, ZAR 2017, 149 ff.; Constanze Janda, Steuerfinanzierte Sozialleistungen für Unionsbürger: Wer prüft das Aufenthaltsrecht?, ZESAR 2022, 407 ff.; Constanze Janda, Die Autonomie der Freizügigkeitsverordnung und das „Gespenst des Sozialtourismus“, ZESAR 2021, 3 ff.; mit Bezug zum FZA auch Tobler, in: Personenfreizügigkeit und Zugang zu staatlichen Leistungen (Fn. 14), 55 ff. |
↑31 | S. insoweit auch Thym, NZS 2014 (Fn. 26), 81 (88), der betont, der Unionsgesetzgeber habe mit dem Diskriminierungsverbot des Art. 24 Abs. 1 RL 2004/38 die Rechtsprechung des EuGH zu Ar.t 18 AEUV kodifizieren wollen. |
↑32 | Vgl. schon EuGH, Rs. C-184/99 (Grzelczyk), ECLI:EU:C:2001:458; s. auch EuGH, Rs. C-456/02 (Trojani), ECLI:EU:C:2004:488. |
↑33 | In diese Richtung geht auch die Rechtsprechung des EuGH, s. die Nachweise in Fn. 30. Aus der Literatur, m.w.N., Thym, NZS 2014 (Fn. 25), 81 (87 f.); Astrid Epiney, in: Roland Bieber/Astrid Epiney/Marcel Haag/Markus Kotzur, Die Europäische Union. Rechtsordnung und Politik, Baden-Baden 2024, § 10, Rn. 4 ff. |
↑34 | S. diese Formulierung so (soweit ersichtlich) erstmals in EuGH, Rs. C-184/99 (Grzelczyk), ECLI:EU:C:2001:458. |
↑35 | Zu erwähnen ist hier insbesondere Art. 7 Abs. 2 VO 492/2011, wonach Arbeitnehmer und ihre aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen die gleichen sozialen Vergünstigungen (wozu auch Sozialhilfe gehört) wie inländische Arbeitnehmer geniessen. Art. 9 Abs. 2 Anhang I FZA übernimmt diese Bestimmung (bzw. die Vorgängerregelung) praktisch wortgleich. Vgl. zu dieser Bestimmung aus der jüngeren Rechtsprechung z.B. EuGH, Rs. C-488/21 (Chief Appeals Officer u.a.), ECLI:EU:C:2023:1013; EuGH, Rs. C-27/23 (Hocinx), ECLI:EU:C:2024:404; EuGH, Rs. C-116/23 (XXXX), ECLI:EU:C:2024:492. |
↑36 | Vgl. im Einzelnen zum Problemkreis, m.w.N., Astrid Epiney, § 4. Multilaterales Migrationsrecht: Das Freizügigkeitsabkommen Schweiz – EU, in: Peter Uebersax u.a. (Hrsg.), Ausländerrecht. Eine umfassende Darstellung der Rechtsstellung von Ausländerinnen und Ausländern in der Schweiz, Basel 2022, 187 ff, Rn. 4.83 ff. |
↑37 | Vgl. zur Frage des Einbezugs von Selbständigen BGer, 6.2.2020, 2C_451/2019, E. 3.2 f.; BGer, 2.11.2015, 2C_243/2015, E. 3.3; BGer, 13.7.2020, 2C_430/2020, E. 4.2: Grundsätzlich müsse es die selbständige Erwerbstätigkeit erlauben, den Lebensunterhalt zu decken, sodass Selbständige nicht dauerhaft auf Sozialhilfe angewiesen sein dürften. Daher sei jeweils unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls (z.B. die Gründe für den Sozialhilfebezug und die Aussichten auf Verbesserung innert einer vernünftigen Frist) zu eruieren, ob noch eine selbstständige Tätigkeit im Sinn des FZA (und damit ein Aufenthaltsrecht) vorliege. |
↑38 | Zum Einbezug von Sozialhilfe in den Begriff der sozialen Vergünstigungen Epiney/Blaser, in: Personenfreizügigkeit und Zugang zu staatlichen Leistungen (Fn. 14), 37 (41); Gastaldi, in: Personenfreizügigkeit und Zugang zu staatlichen Leistungen (Fn. 14), 121 (132). |
↑39 | So wäre eine Einschränkung des Zugangs zu Sozialhilfeleistungen auf Personen mit Wohnsitz in der Schweiz wohl zulässig, vorausgesetzt, dass die Ungleichbehandlung auf einem objektiven Grund beruht und verhältnismässig ist (vgl. Epiney/Blaser, in: Personenfreizügigkeit und Zugang zu staatlichen Leistungen (Fn. 14), 37 (41), mit Verweisen auf die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 7 Abs. 2 VO 1612/68, dem die Bestimmung des FZA nachgebildet ist). Als Rechtfertigungsgrund kommt das finanzielle Gleichgewicht der Systeme sozialer Sicherheit in Frage, und eine ausreichende Verbindung zum Aufnahmemitgliedstaat wäre ein sachliches Differenzierungskriterium. |
↑40 | Art. 7 VO 1251/70 und RL 75/34, auf die Art. 4 Abs. 2 Anhang I FZA verweist. |
↑41 | So dass die Vereinbarkeit von Art. 61a Abs. 3 AIG mit dem FZA zweifelhaft ist. Vgl. aber Botschaft AuG, BBl 2016 3007, 3053. |
↑42 | Vgl. BGE 129 I 392 E. 3.2; BGE 131 V 209; BGE 134 II 10 E. 3.6; BGE 136 II 241 E. 12; BGE 140 II 167; BGE 140 II 364; BGE 145 I 73 E. 5.3.4. S. auch EuGH, Rs. C-478/15 (Radgen), ECLI:EU:C:2016:705. |
↑43 | Vgl. nur, m.w.N., Astrid Epiney/Gaëtan Blaser, in: Cesla Amarelle/Minh Son Nguyen (Hrsg.), Code annoté de droit des migrations. Volume III. Accord sur la libre circulation des personnes (ALCP), Bern 2014, Art. 2 ALCP, Rn. 1 ff. |
↑44 | Zuzugeben ist allerdings, dass die Rechtsprechung hier mitunter etwas schwankt, so wenn der EuGH teilweise festhält, die RL 2004/38 erkenne eine „bestimmte finanzielle Solidarität“ der Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaats mit denjenigen der anderen Mitgliedstaaten an, und es sei zu prüfen, ob die Gewährleistung der Sozialhilfe eine Belastung für das gesamte Sozialhilfesystem des betreffenden Mitgliedstaats darstelle, vgl. EuGH, Rs. C-140/12 (Brey), ECLI:EU:C:2013:337. Andere Urteile sind hier jedoch bedeutend zurückhaltender, s. insbesondere EuGH, Rs. C-333/13 (Dano), ECLI:EU:C:2014:2358, Rn. 69. S. weiter aus der Rechtsprechung EuGH, Rs. C-67/14 (Alimanovic), ECLI:EU:C:2015:597; EuGH, Rs. C-299/14 (Jobcenter Recklinghausen), ECLI:EU:C:2016:114. In BGer 2C_484/2022 vom 15.3.2023, betonte das Bundesgericht, dass es das Urteil des EuGH in der Rs. C-140/12 nicht für die Auslegung des Art. 24 Anhang I FZA heranziehe, vgl. schon Fn. 23. |
↑45 | Vgl. etwa EuGH, Rs. 30/77 (Bouchereau), ECLI:EU:C:1977:172, Rn. 25 ff.; EuGH, verb. Rs. 115–116/81 (Adoui et Cornuaille), ECLI:EU:C:1982:183, Rn. 5 ff.; EuGH, Rs. C-348/96 (Calfa), ECLI:EU:C:1999:6, Rn. 24 ff.; EuGH, Rs. 249/86 (Kommission/Deutschland), ECLI:EU:C:1989:204, Rn. 17; EuGH, Rs. C-100/01 (Olazabal), ECLI:EU:C:2002:712, Rn. 40 ff. |
↑46 | S. z.B. BGer 2C_991/2017 vom 1.2.2018; BGer 2C_401/2017 vom 26.3.2018; s. ansonsten die Nachweise bei Astrid Epiney/Daniela Nüesch, Zur schweizerischen Rechtsprechung zum Personenfreizügigkeitsabkommen, in: Alberto Achermann u.a. (Hrsg.), Jahrbuch für Migrationsrecht 2017/2018, Bern 2018, 273 (309 ff.); Epiney/Hunziker, Jahrbuch für Migrationsrecht 2023/2024 (Fn. 20), 275 (305 ff.). |
↑47 | Zu dieser „dritten Stufe“ der Einschränkungen des Aufenthaltsrechts EuGH, Rs. C-145/09 (Tsakouridis), ECLI:EU:C:2010:708 (Berechnung des zehnjährigen Aufenthalts, der eine im Vergleich zu Art. 28 Abs. 2 RL 2004/38 erheblich höhere „Hürde“ der Ausweisung darstelle). S. auch EuGH, Rs. C-348/09 (P.I.), ECLI:EU:C:2012:300. |
↑48 | Nicht ganz klar wird aus dem Dokument ersichtlich, auf welche Weise diese Verankerung erfolgen soll. Aufdrängen könnte sich hier der Abschluss von Protokollen zu den einzelnen Abkommen. |
↑49 | Welches mangels Konsens der Vertragsparteien die RL 2004/38 gar nicht erwähnte. M.E. sprechen an sich sehr gute Gründe dafür, dass all diejenigen Aspekte der RL 2004/38, welche spezifisch auf die Unionsbürgerschaft zurückgehen, wie insbesondere das Daueraufenthaltsrecht und die mit ihm verbundenen besonderen Rechte, nicht als Weiterentwicklung des FZA anzusehen, vgl. ausführlich Astrid Epiney/Sian Affolter, Das Institutionelle Abkommen und die Unionsbürgerrichtlinie, 24 S., Jusletter vom 11. März 2019. |
↑50 | Vgl. im Einzelnen Epiney, Jahrbuch für Migrationsrecht 2023/2024 (Fn. 1), 1 (17 ff.). |
↑51 | Vgl. insoweit unten D.III. im Zusammenhang mit dem Streitbeilegungsverfahren. |
↑52 | Zu diesen, soweit die Personenfreizügigkeit betroffen ist, unten D.II. |
↑53 | Ein eigener Abschnitt ist der Arbeitnehmerentsendung gewidmet, welche in diesem Beitrag ausgespart wird. Vgl. hierzu Epiney, Jahrbuch für Migrationsrecht 2023/2024 (Fn. 1), 1 (35 ff.). |
↑54 | Weder dem Common Understanding noch den jeweiligen Verhandlungsmandaten sind explizite Aussagen darüber zu entnehmen, wie mit den einzelnen bereits jetzt im Freizügigkeitsabkommen enthaltenen Ausnahmen umgegangen werden soll. Zu erinnern ist z.B. an Art. 24 Abs. 4 letzter Satz Anhang I FZA, wonach des Abkommen weder den Zugang zur Ausbildung noch die Unterhaltsbeihilfen für die unter Art. 24 Anhang I FZA fallenden Studierenden regelt. Ziff. 9 Common Understanding nimmt indessen ausdrücklich auf die „Wahrung“ der bestehenden Ausnahmen Bezug, was es – zusammen mit ihrer derzeitigen expliziten Verankerung im Abkommen – nahelegt, dass es sich hier um bereits konzedierte ausdrückliche Ausnahmen handelt, die somit auch weiterhin Bestand haben sollen. Allerdings hat die Union gleichwohl in Bezug auf Art. 24 Abs. 4 letzter Satz Anhang I FZA ihr Interesse an einer Aufgabe dieser Ausnahme formuliert, dies wohl auch angesichts des Umstands, dass die Schweiz ihrerseits das ebenfalls nicht im Common Understanding figurierende Anliegen einer „Schutzklausel“ formulierte. |
↑55 | S.o. II.2. |
↑56 | VO 2019/1157 zur Erhöhung der Sicherheit der Personalausweise von Unionsbürgern und der Aufenthaltsdokumente, die Unionsbürgern und deren Familienangehörigen ausgestellt werden, die ihr Recht auf Freizügigkeit ausüben, ABl. 2019 L 188, 67. Die Verordnung wurde zwar im März 2024 vom EuGH wegen unzutreffender Rechtsgrundlage für ungültig erklärt (EuGH, Rs. C-61/22, Landeshauptstadt Wiesbaden, ECLI:EU:C:2024:251); es ist jedoch zu erwarten, dass sie weitgehend identisch mit zutreffender Rechtsgrundlage neu verabschiedet werden wird. |
↑57 | Vgl. zum Problemkreis Epiney, Jahrbuch für Migrationsrecht 2023/2024 (Fn. 1), 1 (32 ff.). |
↑58 | Zu diesem im Einzelnen Benedikt Pirker, Zum Schiedsgericht im Institutionellen Abkommen, Jusletter vom 3.6.2019; Benedikt Pirker, Das Schiedsgericht im Institutionellen Abkommen zwischen Eigenständigkeit und Autonomie, ASA Bulletin 2019, 592 ff.; Yann Fauconnet, Streitbeilegungsmechanismus im Institutionellen Abkommen, Jusletter vom 12.4.2021; Jens Brauneck, Sanfter Hegemon EU: Der Streitbeilegungsmechanismus im Institutionellen Abkommen EU-Schweiz, EuZW 2021, 149 ff.; Thomas Cottier, Der Rechtsschutz im Rahmenabkommen Schweiz-EU: Kernstück des Abkommens und Instrument schrittweiser Rechtsentwicklung, in: Epiney/Emanuel Zlatescu (Hrsg.), Schweizerisches Jahrbuch für Europarecht 2020/2021, Bern/Zürich 2021, 353 ff.; s. auch Astrid Epiney, Der Entwurf des Institutionellen Abkommens Schweiz – EU. Überblick und erste Einschätzung, Jusletter vom 17. Dezember 2018, Rz. 45 f.; Christa Tobler, Erneuerte institutionelle Regeln zur Durchsetzung des bilateralen Rechts im Spannungsfeld zwischen Völkerrecht und EU-Recht?, FS Stephan Breitenmoser, Basel 2022, 1165 (1168 f.). |
↑59 | Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch darauf, dass dieses Modell auch in anderen Abkommen der EU mit Drittstaaten zu finden ist, darunter nicht nur osteuropäische Staaten, sondern auch Grossbritannien. Vgl. für einen Überblick Andreas Th. Müller, Was sind „concepts of Union law“? – Zur Anrfungspflicht des Schiedsgerichts nach dem Common Understanding,, in: Epiney/Progin-Theuerkauf/Dahinden/Durkam (Hrsg.), Schweizerisches Jahrbuch für Europarecht 2023/2024, Zürich 2024, 535 (543 ff.); s. auch Benedict Vischer, Feilen am Streitbeilegungssystem in den bilateralen Beziehungen, Jusletter vom 22. Januar 2024, Rn. 3; Rocky Glaser, Die Autonomie der Unionsrechtsordnung als Schranke der unionalen Unterwerfung unter eine internationale Gerichtsbarkeit – Versuch einer Konturierung anhand des Abkommens über Handel und Zusammenarbeit zwischen EU und Vereinigtem Königreich, EuR 2022, 460 ff.; Frederike Hirt, Stellung und Bedeutung des EuGH im Austrittsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich, ZEuS 2021, 277 ff.; Christoph Maubernard, Le règlement des différends entre l’Union européenne et le Royaume-Uni après son retrait : un voyage vers l’inconnu, RUE 2020, 417 ff. |
↑60 | Vgl. im Einzelnen instruktiv zu den verschiedenen sich in diesem Kontext stellenden (Auslegungs-) Fragen Müller, SJER 2023/2024 (Fn. 59), 535 ff.; s. auch schon (mit Bezug zum InstA, bei welchem diese Fragen freilich parallel gelagert waren) Pirker, ASA Bulletin 2019 (Fn. 58), 592 ff. |
↑61 | Die Frage, ob ein bestimmter EU-Rechtsakt eine Weiterentwicklung des Personenfreizügigkeitsabkommens darstellt, könnte zumindest grundsätzlich wohl vom Schiedsgericht allein entschieden werden, da es hierbei um die Auslegung des Abkommens als solches geht; nicht ausgeschlossen ist indessen eine vorfrageweise Relevanz eines unionsrechtlichen Begriffs. |
↑62 | Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob das Schiedsgericht auch dann vorlegen müsste, wenn es zur Ansicht gelangt, es gehe zwar um einen unionsrechtlichen Begriff, welcher aber – aufgrund der sog. Polydor-Rechtsprechung – abweichend vom EU-Recht auszulegen ist. Auch wenn diese Konstellation gerade in den Binnenmarktabkommen sehr selten vorkommen dürfte, da diese ja gerade die „Teilintegration“ der Schweiz in den Binnenmarkt bezwecken, so dass Ziel und Zweck der Abkommen in aller Regel für eine parallele Auslegung sprechen (s. insoweit nur Epiney, in: Ausländerrecht (Fn. 36), § 4, Rn. 4.32 ff., m.w.N.), ist sie doch von einem gewissen, auch grundsätzlichen Interesse mit Bezug zum Spielraum des Schiedsgerichts. Vgl. insoweit Pirker, Jusletter vom 3. Juni 2019 (Fn. 58), Rn. 12; Marco Muser/Christa Tobler, Schiedsgerichte in den Aussenverträgen der EU – Neue Entwicklungen unter Einbezug der institutionellen Verhandlungen Schweiz-EU, Jusletter vom 28. Mai 2019, Rn. 63; Vischer, Jusletter vom 22. Januar 2024 (Fn. 59), Rn. 35 ff.; Sebastian Heselhaus, Aktuelle Spielräume für ein Institutionelles Rahmenabkommen, EuZ 2022, S. 1, 26 (welche ebenfalls grundsätzlich bei einem Rückgriff auf unionsrechtliche Begriffe auch die Vorlagepflicht bejahen bzw. vom Grundsatz einer parallelen Auslegung ausgehen); s. aber auch mit guten Gründen die andere Akzentsetzung bei Cottier, SJER 2020/2021 (Fn. 58), S. 353, 364 ff. (wobei hier nicht überzeugend ist, dass bei gewissen unionsrechtlichen Konzepten, wie insbesondere denjenigen der Nichtdiskriminierung und der Verhältnismässigkeit, keine parallele Auslegung – in den Binnenmarktabkommen – wie im EU-Recht gefordert sei). |
↑63 | So ist die Formulierung im Common understanding etwas missverständlich, da dieses darüber hinaus noch verlangt, dass keine Auslegung oder Anwendung unionsrechtlicher Begriffe zur Debatte steht. Fraglich ist, was hiermit gemeint sein könnte, da bei der Verneinung des Vorliegens unionsrechtlicher Begriffe die Anrufungspflicht bereits nach den allgemeinen Grundsätzen nicht zur Anwendung kommt. Auch darüber hinaus ist denkbar, dass die Auslegung von Ausnahmen zumindest vorfrageweise unionsrechtliche Begriffe beschlägt. Insofern ist auch auf Erw. 10 des Verhandlungsmandates der Union zu verweisen, in der betont wird, das Schiedsgericht solle dem EuGH Fragen zur verbindlichen Entscheidung vorlegen, wenn die Anwendung von Bestimmungen der Abkommen mit Bezug zum Binnenmarkt Begriffe des Unionsrechts, dies einschliesslich möglicher Ausnahmen und Garantien, umfasst. Vgl. zur Problematik Müller, SJER 2023/2024 (Anm. 59), 535 (553 ff.). S. auch Matthias Oesch, Der EuGH und die Schweiz, Zürich 2023, 151 f., 165; Stephan Breitenmoser, Das Scheitern des Institutionellen Rahmenabkommens (InstA) zwischen der Schweiz und der EU: Gründe und Ausblick, in: Epiney/Zlatescu (Hrsg.), Schweizerisches Jahrbuch für Europarecht 2020/2021, Zürich 2021, 325, 337 f., 342; Cottier, SJER 2020/2021 (Fn. 58), 353, 361 ff. |
↑64 | Grundlegend EuGH; Rs. C-283/81 (CILFIT), ECLI:EU:C:1982:335; s. aus der jüngeren Rechtsprechung EuGH, Rs. C-561/19 (Consorzio Italian Management), ECLI:EU:C:2021:799. |
↑65 | Vgl. im Einzelnen und ähnlich wie hier Müller, SJER 2023/2024 (Fn. 59), 535 (551 ff.). |
↑66 | Insoweit wohl a.A. Müller, SJER 2023/2024 (Fn. 59), 535 (547 ff.). |
↑67 | S. insoweit auch den Vergleich des in Aussicht genommenen Streitbeilegungsverfahrens zum status quo bei Astrid Epiney, Rechtsschutz und Streitbeilegung im Bilateralen Recht. Zu den Implikationen eines Einbezugs des EuGH im Vergleich zum status quo, Jusletter vom 19.12.2022. |
↑68 | Vgl. Punkt 8.3 des Verhandlungsmandats der Schweiz: „Die Schweiz ist bestrebt, die Mechanismen des FZA zur Bewältigung unerwarteter Auswirkungen zu konkretisieren.“ |