Risiko & Recht

Ausgabe 02 / 2025

Staatliche Gesichtserkennung: eine rechtliche Einordnung

Robert Baumann*

Gesichtserkennung kann von den Behörden präventiv zur anlasslosen Überwachung des öffentlichen Raums eingesetzt werden, oder zur Gefahrenabwehr – beispielsweise bei einem Grossanlass. Im Kanton Basel-Stadt und in den Städten Zürich, St. Gallen und Lausanne ist der Einsatz von Gesichtserkennungsmethoden im öffentlichen Raum jedoch inzwischen verboten; in weiteren Kantonen und Gemeinden sind entsprechende Vorstösse bereits angenommen worden. Vor diesem Hintergrund soll die staatliche Gesichtserkennung nachfolgend rechtlich eingeordnet und die Zulässigkeit der auf Bundesebene geplanten Einführung eines automatischen Gesichtsbildabgleichs beurteilt werden.

* Dr. iur. Robert Baumann, Rechtsanwalt, Chef Rechtsabteilung fedpol a.i., Lehrbeauftragter an der ZHAW.

Inhalt

  1. Aktualität des Themas
  2. Definition und Einsatzbereich
  3. Zuständigkeiten von Bund und Kantonen
  4. Spezifische Bundeskompetenzen: Art. 354 StGB
  5. Das Projekt AFIS2026: Gesichtsbildabgleich
  6. Rechtliche Grundlagen
  7. Fazit
  8. Literaturverzeichnis

I. Aktualität des Themas

Wir alle benutzen im Alltag Methoden zur biometrischen Erkennung: Wir entsperren das iPhone und füllen die Passwörter und Kreditkartendaten in diversen Apps automatisch via Gesichtserkennung aus, oder wir legen den Finger auf, um eine Türe zu öffnen und Zugang zu einem Gebäude zu erhalten. Und selbst wer konsequent «offline» unterwegs ist, nutzt biometrische Erkennungsmethoden, etwa wenn er mit seiner Unterschrift den Empfang einer Postsendung bestätigt.

Das Wort «Biometrie» ist aus den altgriechischen Wörtern «bios» – Leben – und «metron» – Mass abgeleitet, es bedeutet also soviel wie «Lebewesenvermessung». Der EDÖB definiert biometrische Charakteristika entsprechend als «messbare physiologische oder verhaltensspezifische Merkmale eines Individuums»[1]EDÖB, 5.. Zu den physiologischen Merkmalen zählen die Fingerabdrücke, Iris-Scans, Gesichtsbilder oder die Venenstruktur der Hand; zu den verhaltensspezifischen Merkmalen die Unterschrift, die Sprechweise oder die Gangart.[2]EDÖB, 5; PostFinance z.B. nutzt seit 2018 ein Stimmauthentifizierungssystem der israelischen Firma NICE; s. Emmenegger/Reber, 163.

Biometrie ist somit nicht nur ein Wort mit altgriechischen Wurzeln. Sie ist auch sonst nichts Neues – an sich: Denn durch die technologische Entwicklung hat die Biometrie an Relevanz gewonnen. Im öffentlichen und im privaten Raum hat der Einsatz von biometrischen Erkennungssystemen zugenommen.[3]So schon EDÖB, 3. Nicht nur China, das Gesichtserkennungstechnologien zur Überwachung seiner Bevölkerung nutzt, sondern auch zahlreiche europäische Staaten, die die EMRK ratifiziert haben, setzen biometrische Erkennungstechnologien zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben ein, beispielsweise zur Prävention und zur Aufklärung von Straftaten.[4]Vgl. z.B. für Deutschland Hornung/Schindler, 203; für das Vereinigte Königreich s. Nuspliger, 3; London gilt als die am stärksten überwachte Hauptstadt Europas.

Die EU untersagt in Art. 9 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)[5]Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und … Continue reading die Verarbeitung von biometrischen Daten, wobei zahlreiche Ausnahmen von diesem Grundsatz bestehen, namentlich bei einem erheblichen öffentlichen Interesse (Art. 9 Bst. g DSGVO) wie etwa zur Strafverfolgung (s. Art. 10 der Strafverfolgungsrichtlinie[6]Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden … Continue reading), und die KI-Verordnung der EU verbietet KI-Systeme, die Datenbanken zur Gesichtserkennung durch das ungezielte Auslesen von Gesichtsbildern aus dem Internet oder von Überwachungsaufnahmen erstellen oder erweitern (Art. 5 Ziff. 1 Bst. e KI-Verordnung EU).[7]Verordnung (EU) 2024/1689 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juni 2024 zur Festlegung harmonisierter Vorschriften für künstliche Intelligenz (ABl. L, 2024/1689) gilt mit einigen … Continue reading

Nach dem neuen Art. 8 der Europarats-Konvention 108+ ist die Verarbeitung von biometrischen Daten, anhand derer eine Person eindeutig identifizierbar ist, künftig nur erlaubt, wenn in einer gesetzlichen Grundlage angemessene Garantien vorgesehen sind.[8]S. Art. 8 des Protokolls zur Änderung des Übereinkommens zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten vom 10. Oktober 2018 und Art. 6 der Konvention 108+ … Continue reading Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist ein Echtzeit-Gesichtsabgleich zur Bestrafung von Teilnehmenden einer unbewilligten Demonstration nicht mit Art. 8 EMRK vereinbar,[9]EGMR, Urteil vom 4. Juli 2023 in der Rechtssache 11519/20 – Glukhin/Russie. Der Gesichtsbildabgleich in Echtzeit ist nach diesem Entscheid ein besonders schwerer Eingriff in das Recht auf … Continue reading und in Bezug auf einen staatlichen Einsatz im Sicherheitsbereich hat das Bundesgericht generell erwogen, dass die automatisierte Auswertung von Gesichtserkennungsdaten zu falschen Ergebnissen führen und deshalb ungeeignet sein könnte zur Erreichung polizeilicher Zwecke.[10]BGer 1C_63/2023 vom 17. Oktober 2024, Polizeigesetz Luzern, E. 4.5.4 (zur Publikation vorgesehen); das Bundesgericht beruft sich auf einen Aufsatz aus dem Jahre 2022, ohne dies eingehender zu … Continue reading Auch die Lehre hat sich schon verschiedentlich kritisch zur Zulässigkeit von Gesichtserkennungstechnologien geäussert.[11]S. etwa Braun Binder/Kunz/Obrecht, 53 ff., die ein Moratorium für die maschinelle Gesichtserkennung im öffentlichen Raum vorschlagen, um einen breiten gesetzgeberischen und … Continue reading

In verschiedenen Kantonen und Gemeinden schliesslich sind Vorstösse eingereicht worden, um die biometrische Gesichtserkennung im öffentlichen Raum gänzlich zu verbieten. Auf Kantonsebene angenommen wurde ein Vorstoss im Kanton Basel-Stadt; in den Kantonen Zürich und Basel-Landschaft sind Vorstösse hängig. Angenommen worden sind sie auf Gemeindeebene bereits in den Städten Zürich, St. Gallen und Lausanne; in Luzern und Genf sind sie noch hängig.[12]S. die Übersicht von Amnesty International, abrufbar unter … Continue reading

Vor den Hintergrund dieses eisigen Windes, der der Gesichtserkennung entgegenbläst, soll diese nachfolgend rechtlich eingeordnet werden und insbesondere die Zulässigkeit der vom Bund mit dem Projekt AFIS2026 geplanten Einführung eines automatischen Gesichtsbildabgleichs beurteilt werden. Hierzu soll zunächst eine Begriffsdefinition und eine Übersicht über den Einsatzbereich der Gesichtserkennung vorgenommen werden, wonach die Zuständigkeiten von Bund und Kantonen sowie die rechtlichen Grundlagen dargestellt werden.

II. Definition und Einsatzbereich

Der Gesichtsbildabgleich ist eine von verschiedenen Möglichkeiten der Gesichtserkennung. Unter Gesichtserkennung wird die Zuordnung eines Gesichtsbilds zu einer bestimmten Person verstanden. Mit der Gesichtserkennung kann eine Gesichtsverifikation oder eine Gesichtsidentifikation bezweckt werden. Bei der Gesichtsverifikation wird ein erfasstes Gesichtsbild mit einer Vorlage abgeglichen.[13]Simmler/Canova, Strafverfahren, 203. Ziel ist die Überprüfung der Identität einer Person, also die Klärung der Frage, ob eine Person diejenige ist, für die sie sich ausgibt. Die Gesichtsidentifikation hingegen zielt darauf ab, die Identität einer Person festzustellen.[14]Braun Binder/Kunz/Obrecht, 54. Dabei wird ein bestimmtes Gesichtsbild, dessen Identität festgestellt werden soll, basierend auf einem 1:n-Vergleich oder einem n:1-Vergleich mit einer Vielzahl von Bildern abgeglichen.[15]Simmler/Canova, Strafverfahren, 203. Bei einer Übereinstimmung von zwei Gesichtsbildern spricht man in der Praxis indes nie von einer Identifikation, denn eine Übereinstimmung stellt immer nur eine Annäherung bzw. einen Ermittlungshinweis dar und nie eine Identifikation einer Person.[16]Bundesamt für Polizei (fedpol), FAQ – AFIS2026, S. 1, abrufbar unter <https://www.fedpol.admin.ch/fedpol/de/home/sicherheit/personenidentifikation-neu/gesichtsbildabgleich.html>.

Die Gesichtserkennung kann in verschiedener Weise und zu verschiedenen Zeitpunkten erfolgen: Sie kann händisch erfolgen, indem jemand Gesichtsbilder ohne weitere Hilfsmittel sichtet und vergleicht; die Person kann bei der Sichtung aber auch zusätzlich durch eine geeignete technische Anwendung unterstützt werden.[17]Simmler/Canova, Strafverfahren, 203. Die Gesichtserkennung kann zudem gänzlich automatisiert erfolgen, indem Gesichtsbilder automatisch bearbeitet werden, um Personen zu identifizieren, zu kategorisieren oder eine Identifikation zu verifizieren.[18]Simmler/Canova, Strafverfahren, 203; Braun Binder/Kunz/Obrecht, 54; in der Praxis spricht man, wie erwähnt, nie von einer Identifikation, sondern nur von einer Annäherung bzw. einem … Continue reading

Die Gesichtserkennung kann des Weiteren in Echtzeit als sogenannter Live-Scan oder nachträglich erfolgen: Diesfalls spricht man von einem Gesichtsbildabgleich.[19]Simmler/Canova, Strafverfahren, 206; Bundesamt für Polizei (fedpol), FAQ – AFIS2026, S. 1, abrufbar unter … Continue reading Der Live-Scan wird an Flughäfen zur Passkontrolle eingesetzt (s. Art. 103 AIG).[20]Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration vom 16. Dezember 2005 (Ausländer- und Integrationsgesetzes, AIG, SR 142.20); Braun Binder/Kunz/Obrecht, 55 Rz. 10; … Continue reading Der Gesichtsbildabgleich kommt in der Schweiz auf kantonaler Ebene ebenfalls schon vereinzelt beim Abgleich von Fahndungsbildern mit bekannten Straftäterinnen und Straftätern zum Einsatz; im internationalen Bereich wird er z.B. durch Interpol eingesetzt.[21]Braun Binder/Kunz /Obrecht Liliane, 56 Rz. 15. Mit dem Projekt AFIS2026 soll er nun auf Bundesebene verwirklicht werden.[22]S. dazu die Medienmitteilung des Bundesrates vom 6. Dezember 2013: Biometrische erkennungsdienstliche Daten: Revidierte Verordnung regelt Nutzung, abrufbar unter … Continue reading

Die Gesichtserkennung kann in verschiedensten Bereichen eingesetzt werden – wie eingangs erwähnt zur Sicherung von Geräten und Applikationen und zur Zutrittskontrolle, oder im Marketing zur Analyse, wie Produkte bei den Konsumentinnen und Konsumenten aufgenommen werden. Im öffentlichen Bereich steht die öffentliche Sicherheit als Einsatzbereich im Vordergrund. Hier können drei verschiedene Einsatzbereiche unterschieden werden:[23]Vgl. Simmler/Canova, Strafverfahren, 205 f.

Erstens die anlasslose Überwachung öffentlich zugänglicher Räume, bei denen Videoüberwachungssysteme mit Gesichtserkennungstechnologien gekoppelt werden, um sämtliche Personen im überwachten Bereich identifizieren zu können; zweitens der anlassbezogene Einsatz zur Gefahrenabwehr und Vorermittlung, beispielsweise bei einer Grossveranstaltung; solche Einsätze erfolgen soweit ersichtlich in der Schweiz nicht. Neben diesen beiden präventiv-polizeilichen Einsatzbereichen kann Gesichtserkennung drittens auch im strafrechtlichen Bereich zur Aufklärung von Straftaten genutzt werden. Diesfalls erfolgt die Gesichtserkennung im Nachgang zu einer Straftat, um die Täterschaft zu identifizieren; sie fällt damit in den Anwendungsbereich der Strafprozessordnung.

III. Zuständigkeiten von Bund und Kantonen

Bei einer Gesichtserkennung im Rahmen der Überwachung des öffentlichen Raums stellt sich die Frage, wer zum Erlass der entsprechenden Vorschriften zuständig ist.

Die Zuständigkeiten von Bund und Kantonen zur Regelung des öffentlichen Raums hat der Bund über seine Zuständigkeit für die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Zivilrechts (Art. 122 Abs. 1 BV) festgelegt. Der juristische Begriff für den «öffentlichen Raum» ist dabei die «öffentliche Sache»:[24]Braun Binder/Kunz/Obrecht, 55 Rz. 8; Zumsteg, Neue Mobilitätsformen, 74. Art. 664 ZGB bestimmt, dass die öffentlichen Sachen, zu denen etwa die Strassen, Plätze und Gewässer zählen, der Hoheit des Staates unterstehen, in dessen Gebiet sie sich befinden, und dass es Sache der Kantone ist, die erforderlichen Bestimmungen aufzustellen für die Ausbeutung und den Gemeingebrauch der öffentlichen Sachen. Nach Massgabe des kantonalen Rechts können sodann die öffentlichen Sachen auch den Gemeinden zustehen.[25]Moor/Bellanger/Tanquerel, 648; Ein Beispiel dafür ist Art. 4 des Gesetzes über die Nutzbarmachung der Wasserkräfte des Kantons Wallis vom 28. März 1990 (kWRG; SGS 721.8). Art. 4 Abs. 1 kWRG … Continue reading

Die einzigen öffentlichen Sachen in der Hoheit des Bundes sind die Nationalstrassen (s. Art. 8 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Nationalstrassen, NSG[26]Vgl. Moor/Bellanger/Tanquerel, 648.) sowie die Bahnhofsgebäude und -passagen der SBB, wenn sie der Allgemeinheit auch zu anderen Zwecken als dem Transport frei zugänglich sind, wie z.B. das ShopVille im Zürcher Hauptbahnhof, das eine «City in the City» sein will mit Treffpunkt, Flanier- und Einkaufszone sowie Restaurants.[27]BGE 138 I 274 E. 2.3.2 S. 284 f.; Moor/Bellanger/Tanquerel, 648. Die SBB ist eine spezialgesetzliche Aktiengesellschaft, die zu 100% im Eigentum des Bundes ist (vgl. Art. 2 Abs.1 des … Continue reading Abgesehen davon sind die Kantone und allenfalls die Gemeinden zuständig für die Regelung der öffentlichen Sachen, nicht der Bund.[28]Der Bund hat die Videoüberwachung der Nationalstrassen in Art. 57c des Strassenverkehrsgesetzes (SVG; SR 741.01) und in Art. 51 der Nationalstrassenverordnung (NSV; SR 725.1111) und diejenige … Continue reading

Damit liegt die Kompetenz zur Regulierung des «öffentlichen Raumes», auch in Bezug auf die Gesichtserkennung, fast ausschliesslich bei den Kantonen,[29]Moor/Bellanger/Tanquerel, 648; vgl. a. die oben (Anm. 11) erwähnten Vorstösse für ein Verbot der Gesichtserkennung im öffentlichen Raum. jedenfalls soweit dem Bund keine spezifischen Kompetenzen zur Gesichtserkennung eingeräumt werden. Dies ist wie oben erwähnt im Ausländer- und Integrationsrecht (Art. 103 AIG, Überwachung ankommender Flugpassagiere) sowie auf dem Gebiet des Strafrechts (Art. 123 Abs. 1 BV) der Fall.[30]Vgl. a. zur Bundeszuständigkeit für die automatische Fahrzeugfahndung und Verkehrsüberwachung (AFV) gestützt auf Art. 108 des Zollgesetzes; das AFV-System des BAZG umfasst aktuell rund 400 … Continue reading Darüber hinaus ergeben sich weitere Vorgaben aus den von BV und EMRK garantierten Grundrechten, insbesondere dem Schutz der Privatsphäre (Art. 13 BV; Art. 8 EMRK)[31]S. etwa BGer 1C_63/2023 vom 17. Oktober 2024, E. 3.3.2 (eine Totalüberwachung der Gesellschaft verletzt den Kerngehalt der informationellen Selbstbestimmung)., der Meinungsfreiheit (Art. 16 BV; Art. 10 EMRK) und der Versammlungsfreiheit (Art. 22 BV; Art. 11 EMRK)[32]Z.B. EGMR, Urteil vom 4. Juli 2023 in der Rechtssache 11519/20 – Glukhin/Russie, E. 88 ff. (ein Echtzeit-Gesichtsabgleich bei unbewilligten Demonstrationen verletzt Art. 8 EMRK). In Bezug auf … Continue reading.

IV. Spezifische Bundeskompetenzen: Art. 354 StGB

Gestützt auf seine Zuständigkeit für das Strafrecht hat der Bund das Strafgesetzbuch (StGB) erlassen. Dieses regelt unter anderem die Amtshilfe im Bereich der Polizei. Art. 354 StGB sieht hierzu vor, dass das zuständige Departement die biometrischen erkennungsdienstlichen Daten registriert und speichert, die von Behörden der Kantone, des Bundes und des Auslandes im Rahmen der Strafverfolgung oder der Erfüllung anderer gesetzlicher Aufgaben erhoben und ihm übermittelt worden sind; diese Daten können zur Identifizierung einer gesuchten oder unbekannten Person untereinander abgeglichen werden.[33]Vgl. Simmler/Canova, Strafverfahren, 216.

Art. 354 StGB soll so die interkantonale und die internationale Amtshilfe ermöglichen. Er stellt die formellgesetzliche Grundlage dar für die Bearbeitung von biometrischen erkennungsdienstlichen Daten, zu denen neben Fingerabdrücken, DNA-Profilen und vielen anderen Spuren auch Gesichtsbilder gehören.[34]BSK StGB-Gamma, Art. 354 Rz. 5; CR StGB-Tirelli, Art. 354 Rz. 3. Dies ergibt sich schon aus dem Begriff selbst; ausserdem bestätigt dies die Legaldefinition in Art. 2 Bst. c der Verordnung über die Bearbeitung biometrischer erkennungsdienstlicher Daten (nachfolgend ED-Verordnung)[35]Verordnung über die Bearbeitung biometrischer erkennungsdienstlicher Daten vom 6. Dezember 2013 (SR 361.3)., die unter solchen Daten u. a. «Fotografien» versteht, sowie Art. 14 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die polizeilichen Informationssysteme (BPI), die den Begriff «erkennungsdienstliche Daten» definiert und dabei ebenfalls Fotografien erwähnt.

Hingegen stellt Art. 354 StGB keine Kompetenzgrundlage dar für die Erstellung von biometrischen erkennungsdienstlichen Daten; die Grundlagen hierfür finden sich in Art. 255 StPO, in Art. 99 des Asylgesetzes, im DNA-Profil-Gesetz sowie im kantonalen Polizeirecht.[36]CR StGB-Tirelli, Art. 354, Rz. 1; BSK StGB-Gamma, Art. 354 Rz. 6.

V. Das Projekt AFIS2026: Gesichtsbildabgleich

Seit 1984 besteht ein automatisches Fingerabdruck-Identifikationssystem (AFIS). Es dient den Behörden des Bundes und der Kanone zur Identifikation von lebenden und toten Personen, zur Identifikation von Spuren, die an einem Tatort gesichert worden sind, sowie zum Erkennen von Tatzusammenhängen (s. Art. 1 Abs. 2 der Verordnung). 2026 muss das AFIS aus technischen und vertraglichen Gründen erneuert werden. Mit dem Projekt AFIS2026 soll das System um ein Modul für den Gesichtsbildabgleich ergänzt werden; der Bundesrat hat dazu im April 2023 einen Verpflichtungskredit von 24,61 Millionen Franken bewilligt.[37]S. dazu die Medienmitteilung des Bundesrates vom 6. April 2023: Bundesrat heisst Verpflichtungskredit zur Erneuerung des AFIS-Systems gut, abrufbar unter … Continue reading

Der mit AFIS2026 geplante Gesichtsbildabgleich soll die biometrischen Identifikationsmethoden von Personen und Tatortspuren ergänzen, insbesondere wenn keine Fingerabdruck- oder DNA-Spuren gefunden worden sind, wobei in Bezug auf den Gesichtsbildabgleich in der Praxis nie von einer Identifikation, sondern immer nur von einer möglichen Übereinstimmung gesprochen wird. Der Gesichtsbildabgleich soll wie der Fingerabdruckabgleich funktionieren: Ein Gesichtsbild einer verdächtigen Person soll mit den im AFIS gespeicherten Gesichtsbildern abgeglichen werden können. Es soll aber weder eine Echtzeitverarbeitung beispielsweise von Bildern von Überwachungskameras durchgeführt werden, noch dürfen die zu prüfenden Gesichtsbilder mit Bildern aus anderen Quellen – z.B. mit Gesichtsbildern von Ausweisen oder aus sozialen Medien – abgeglichen werden. Es ist also keine anlasslose Überwachung mittels Gesichtserkennung (Live Scan) geplant, wie man sie z.B. aus China kennt, sondern ausschliesslich ein Gesichtsbildabgleich.[38]Medienmitteilung des Bundesrates vom 31. Mai 2023, abrufbar unter <https://www.fedpol.admin.ch/fedpol/de/home/aktuell/mm.msg-id-94141.html>.

Dieser Gesichtsbildabgleich soll mit Hilfe von Algorithmen erfolgen, die die Merkmale eines zu erkennenden Gesichts mit den im AFIS gespeicherten Gesichtsbildern abgleichen und die in Betracht kommenden Gesichtsbilder herausfiltern. Fachpersonen haben dann die so gefundenen Gesichtsbilder auf eine mögliche Übereinstimmung zu prüfen. Eine Übereinstimmung stellt dabei nur einen Ermittlungshinweis dar und nie eine Identifikation einer Person.[39]Bundesamt für Polizei (fedpol), FAQ – AFIS2026, S. 1, abrufbar unter <https://www.fedpol.admin.ch/fedpol/de/home/sicherheit/personenidentifikation-neu/gesichtsbildabgleich.html>.

VI. Rechtliche Grundlagen

Die Gesichtserkennung setzt wie jedes staatliche Handeln nach dem in Art. 5 Abs. 1 BV verankerten Legalitätsprinzip eine rechtliche Grundlage voraus. Sie stellt ausserdem eine Einschränkung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung dar (Art. 13 Abs. 2 BV)[40]Blonski, 45 ff. u. 61., wozu wie für jede Einschränkung eines Grundrechts eine genügende Rechtsgrundlage nötig ist, wobei schwerwiegende Einschränkung auf Stufe des Gesetzes im formellen Sinn vorgesehen sein müssen (Art. 36 Abs. 1 BV)[41]Vgl. z.B. BGE 147 I 478 E. 3.1.2 S. 485, m. w. Hinw.; Müller/Uhlmann/Höfler, 142 ff.. Das bedeutet, dass jeder Bearbeitungsschritt, der eine eigenständige Einschränkung eines Grundrechts darstellt, über eine ausreichende gesetzliche Grundlage verfügen muss.[42]Vgl.  HK DSG-Mund, Art. 34 Rz. 5; Simmler/Canova, Polizeiarbeit, 113. Vorliegend besteht für den mit AFIS2026 geplanten Gesichtsbildabgleich eine formellgesetzliche Grundlage für die verschiedenen Bearbeitungsschritte in Art. 354 StGB, der die Registrierung, die Speicherung und den Abgleich von biometrischen erkennungsdienstlichen Daten – und damit auch von Gesichtsbildern – vorsieht. Die Frage, ob es sich bei der Gesichtserkennung um eine schwerwiegende Einschränkung der informationellen Selbstbestimmung handelt, hat der Gesetzgeber somit selbst beantwortet.[43]Diese Wertung deckt sich mit der Einschätzung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte; s. den oben Anm. 8 zit. Entscheid Glukhin c. Russie (req. 11519/20) vom 4. Juli 2023. Vgl. a. … Continue reading Hinzuweisen ist auch auf das Datenschutzgesetz (DSG), das das Legalitätsprinzip nach Art. 5 und 36 BV konkretisiert:[44]Vgl. HK DSG-Mund, Art. 34 Rz. 2. Demnach sind biometrische Daten, die eine natürliche Person eindeutig identifizieren, besonders schützenswerte Personendaten (Art. 5 Bst. c Ziff. 4 DSG), für deren Bearbeitung eine formellgesetzliche Grundlage erforderlich ist (Art. 34 Abs. 2 Bst. a DSG). Die Botschaft zum Datenschutzgesetz erwähnt als ein solches biometrisches Datum Gesichtsbilder, die auf einem spezifischen technischen Verfahren beruhen, das die eindeutige Identifizierung oder Authentifizierung einer Person erlaubt; dies ist bei gewöhnlichen Fotografien wie erwähnt nicht der Fall[45]Botschaft zum Bundesgesetz über die Totalrevision des Bundesgesetzes über den Datenschutz und die Änderung weiterer Erlasse zum Datenschutz vom 15. September 2017, BBl 2017 6941, 7020; Blonski, … Continue reading. Eine Gesichtserkennung stellt somit nach der Wertung des Datenschutzgesetzes jedenfalls dann eine schwerwiegende Einschränkung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung dar, die im Gesetz selbst vorgesehen sein muss, wenn das Gesichtsbild eine eindeutige Identifizierung erlaubt. Damit ist die benötigte Normstufe für die Gesichtserkennung klar festgelegt.

Die Anforderungen an die Normdichte steigen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts mit der Intensität des Grundrechtseingriffs. Bei schweren Grundrechtseingriffen muss eine klare Rechtsgrundlage im formellen Gesetz bestehen. Dieses muss den Inhalt der zulässigen Eingriffe zwar nicht detailliert regeln, aber die Grundlage für die Eingriffe muss sich unmittelbar aus dem Gesetz ergeben.[46]BGE 147 I 478 E. 3.1.2 S. 485, m. w. Hinw.; Müller/Uhlmann/Höfler, 154 ff. Eine Gesichtserkennung muss also unmittelbar im Gesetz vorgesehen sein, weil sie einen schweren Grundrechtseingriff darstellt.[47]BGE 147 I 478 E. 3.7.1 S. 490, m. w. Hinw.

Art. 354 Abs. 1 StGB sieht unmittelbar die Registrierung, die Speicherung und den Abgleich von biometrischen erkennungsdienstlichen Daten – also auch Gesichtsbildern – vor, die von Behörden der Kantone, des Bundes und des Auslandes im Rahmen der Strafverfolgung oder der Erfüllung anderer gesetzlicher Aufgaben erhoben und dem zuständigen Departement übermittelt worden sind. Die Bestimmung präzisiert ausserdem den Zweck dieser Datenbearbeitung, nämlich die Identifizierung einer gesuchten oder unbekannten Person. Art. 354 Abs. 2 StGB ermächtigt sodann das Bundesamt für Polizei (fedpol), die Bearbeitung vorzunehmen. Aus Art. 9 Abs. 1 Bst. e und Art. 14 Abs. 1 BPI ergibt sich weiter, dass das System zur Bearbeitung der Gesichtsbilder vom fedpol betrieben wird.[48]Vgl. dazu CR StGB-Tirelli, Art. 354, Rz. 5 ff; s. a. Art. 10 Abs. 8 der Organisationsverordnung für das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (OV-EJPD; SR 172.213.1), wonach fedpol die … Continue reading Art. 354 Abs. 3 StGB schreibt zudem vor, dass die Personendaten, auf die sich die biometrischen erkennungsdienstlichen Daten beziehen, in getrennten Informationssystemen zu bearbeiten sind, und Art. 14 Abs. 2 BPI regelt sodann, dass die Personendaten und die biometrischen erkennungsdienstlichen Daten mit einer Prozesskontrollnummer verknüpft sind und nur fedpol befugt ist, über die Prozesskontrollnummer die Verbindung zwischen diesen Daten herzustellen. Art. 354 Abs. 4 StGB regelt schliesslich die zulässige Bearbeitungsdauer.

Damit sind die Grundlagen für den Gesichtsbildabgleich unmittelbar im formellen Gesetz geregelt: Es wird gesagt, welche Gesichtsbilder von wem zu welchem Zweck wie und wie lange bearbeitet werden dürfen.

Vollziehungsverordnungen haben sodann den Gedanken des Gesetzgebers durch Detailvorschriften näher auszuführen und auf diese Weise die Anwendbarkeit der Gesetze zu ermöglichen. Sie müssen der Zielsetzung des Gesetzes folgen und dürfen lediglich die Regelung, die in grundsätzlicher Weise schon im Gesetz enthalten ist, aus- und weiterführen.[49]BGE 147 I 478 E. 3.7.1 S. 490, m. w. Hinw. Art. 354 Abs. 5 StGB beauftragt entsprechend den Bundesrat mit der Regelung der Einzelheiten, insbesondere der Aufbewahrungsdauer der Daten, die ausserhalb von Strafverfahren erfasst worden sind, des Löschverfahrens und der Zusammenarbeit mit den Kantonen sowie der Übermittlung der erkennungsdienstlichen Daten durch die zuständigen Bundesbehörden und die Kantone. Die Aufbewahrungsdauer und die Löschung der Daten sind in Art. 17 ff. ED-Verordnung im Detail geregelt, die Zusammenarbeit und die Übermittlung – also die Bekanntgabe der Vergleichsergebnisse – in Art. 3 Bst. e und Art. 16 ED-Verordnung.

Damit sind alle nötigen Bearbeitungsschritte für den Gesichtsbildabgleich legistisch korrekt normiert.

VII. Fazit

Am Beispiel von AFIS2026 zeigt sich, dass die allgemeinen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Normstufe und -dichte genügende Leitplanken darstellen, um unzulässige Eingriffe in die Grundrechte zu verhindern. Das Projekt verzichtet zudem in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichts auf einen vollständig automatisierten Abgleich: Das letzte Wort hat immer die Fachexpertin, der Fachexperte. Damit sind algorithmische Fehltreffer ausgeschlossen.

Das Projekt AFIS2026 setzt mit dem Gesichtsbildabgleich ein Vorhaben technisch um, für das die rechtlichen Grundlagen schon bestehen. Die ED-Verordnung erlaubt bereits heute die Bearbeitung von biometrischen erkennungsdienstlichen Daten; was mit Fingerabdrücken und DNA-Profilen gemacht wurde, soll nun auch mit Gesichtsbildern möglich werden. AFIS2026 ist damit in legistischer Hinsicht auch ein gutes Beispiel dafür, dass sich die technikneutrale Formulierung von Gesetzen bewährt.

Literaturverzeichnis

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Fussnoten

Fussnoten
1 EDÖB, 5.
2 EDÖB, 5; PostFinance z.B. nutzt seit 2018 ein Stimmauthentifizierungssystem der israelischen Firma NICE; s. Emmenegger/Reber, 163.
3 So schon EDÖB, 3.
4 Vgl. z.B. für Deutschland Hornung/Schindler, 203; für das Vereinigte Königreich s. Nuspliger, 3; London gilt als die am stärksten überwachte Hauptstadt Europas.
5 Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung).
6 Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates, ABl. L 119/89.
7 Verordnung (EU) 2024/1689 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juni 2024 zur Festlegung harmonisierter Vorschriften für künstliche Intelligenz (ABl. L, 2024/1689) gilt mit einigen Ausnahmen ab dem 2. August 2026. Vgl. dazu Urteil des Bundesgerichts 1C_63/2023 vom 17. Oktober 2024; Polizeigesetz Luzern, E. 4.5.4 (zur Publikation vorgesehen), sowie das am 17. Mai 2024 verabschiedete Rahmenübereinkommen des Europarates über künstliche Intelligenz und Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit des Europarates, die sicherstellen soll, dass der Einsatz von KI im Einklang mit den Menschenrechten, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit erfolgt (Convention-cadre du Conseil de l’Europe sur l’intelligence artificielle et les droits de l’homme, la démocratie et l’État de droit, Série des Traités du Conseil de l’Europe – n° 225; noch nicht in Kraft; die Schweiz hat das Rahmenübereinkommen am 27. März 2025 unterzeichnet).
8 S. Art. 8 des Protokolls zur Änderung des Übereinkommens zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten vom 10. Oktober 2018 und Art. 6 der Konvention 108+ (Convention pour la protection des personnes à l’égard du traitement des données à caractère personnel, Série des Traités du Conseil de l’Europe – n° 223, noch nicht in Kraft), abrufbar unter <https://www.bj.admin.ch/bj/de/home/staat/datenschutz/rechtsgrundlagen.html>; Botschaft des Bundesrates zur Genehmigung des Protokolls vom 10. Oktober 2018 zur Änderung des Übereinkommens zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten vom 6. Dezember 2019, BBl 2020 565, 580.
9 EGMR, Urteil vom 4. Juli 2023 in der Rechtssache 11519/20 – Glukhin/Russie. Der Gesichtsbildabgleich in Echtzeit ist nach diesem Entscheid ein besonders schwerer Eingriff in das Recht auf Privatleben, der einer besonderen Rechtfertigung bedarf, damit er als notwendig in einer demokratischen Gesellschaft (Art. 8 EMRK) gelten kann (E. 86); ein Echtzeit-Gesichtsabgleich zur Erkennung und Verhaftung von Teilnehmenden einer unbewilligten Demonstration könnte eine abschreckende Wirkung auf die Ausübung der Meinungsäusserungs- und der Versammlungsfreiheit haben und ist nicht notwendig in einer demokratischen Gesellschaft, so dass er Art. 8 EMRK verletzt (E. 88 ff.).
10 BGer 1C_63/2023 vom 17. Oktober 2024, Polizeigesetz Luzern, E. 4.5.4 (zur Publikation vorgesehen); das Bundesgericht beruft sich auf einen Aufsatz aus dem Jahre 2022, ohne dies eingehender zu begründen. Es konnte die Frage, ob Gesichtserkennungstechnologien geeignet sind, indes offenlassen, weil die gesetzliche Grundlage vorliegend ohnehin ungenügend war.
11 S. etwa Braun Binder/Kunz/Obrecht, 53 ff., die ein Moratorium für die maschinelle Gesichtserkennung im öffentlichen Raum vorschlagen, um einen breiten gesetzgeberischen und gesellschaftspolitischen Diskurs anzustossen; Simmler/Canova, Polizeiarbeit, S. 105 ff., die klare Grenzen für die Gesichtserkennung fordern; Matter, 14 ff., wonach der Anwendungsbereich der Gesichtserkennungstechnologie klar definiert werden muss; Karjoth, 11, der ausführt, dass der Einsatz von Gesichtserkennungssystemen im Jahr 2018 wegen unausgewogener Trainingsdaten bei weissen Männern besser funktionierte als bei schwarzen Frauen, weshalb IBM Research der Forschergemeinschaft einen diversifizierten Datensatz zur Verfügung stellte.
12 S. die Übersicht von Amnesty International, abrufbar unter <https://www.amnesty.ch/de/laender/europa-zentralasien/schweiz/dok/2023/mehrere-staedte-und-kantone-wollen-gesichtserkennung-verbieten/gesichtserkennung_verstoesse-in-staedten-und-kantonen.pdf>; beim Vorstoss zu einem Verbot im Kanton Zürich handelt es sich um eine Behördeninitiative: des Stadtparlaments Winterthur «Verbot biometrischer Gesichtserkennung», vom Stadtparlament überwiesen am 26. Juni 2023, abrufbar unter <https://parlament.winterthur.ch/politbusiness/1827610>.
13 Simmler/Canova, Strafverfahren, 203.
14 Braun Binder/Kunz/Obrecht, 54.
15 Simmler/Canova, Strafverfahren, 203.
16 Bundesamt für Polizei (fedpol), FAQ – AFIS2026, S. 1, abrufbar unter <https://www.fedpol.admin.ch/fedpol/de/home/sicherheit/personenidentifikation-neu/gesichtsbildabgleich.html>.
17 Simmler/Canova, Strafverfahren, 203.
18 Simmler/Canova, Strafverfahren, 203; Braun Binder/Kunz/Obrecht, 54; in der Praxis spricht man, wie erwähnt, nie von einer Identifikation, sondern nur von einer Annäherung bzw. einem Ermittlungshinweis.
19 Simmler/Canova, Strafverfahren, 206; Bundesamt für Polizei (fedpol), FAQ – AFIS2026, S. 1, abrufbar unter https://www.fedpol.admin.ch/fedpol/de/home/sicherheit/personenidentifikation-neu/gesichtsbildabgleich.html.
20 Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration vom 16. Dezember 2005 (Ausländer- und Integrationsgesetzes, AIG, SR 142.20); Braun Binder/Kunz/Obrecht, 55 Rz. 10; Simmler/Canova, Strafverfahren, 206. Im Rahmen der Revision des Luftfahrtgesetzes ist zudem eine Gesichtserkennung für Sicherheitskontrollen vorgesehen, s. Art. 107c E-LFG. Die Echtzeit-Gesichtserkennung ist hingegen nicht im Zusammenhang mit der Erneuerung des automatisierten Fingerabdruck-Identifikationssystem (AFIS) geplant, s. Medienmitteilung des Bundesrates betreffend die Gutheissung des Verpflichtungskredits zur Erneuerung des AFIS-Systems, abrufbar unter <https://www.fedpol.admin.ch/fedpol/de/home/aktuell/mm.msg-id-94141.html>.
21 Braun Binder/Kunz /Obrecht Liliane, 56 Rz. 15.
22 S. dazu die Medienmitteilung des Bundesrates vom 6. Dezember 2013: Biometrische erkennungsdienstliche Daten: Revidierte Verordnung regelt Nutzung, abrufbar unter <https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-51270.html>.
23 Vgl. Simmler/Canova, Strafverfahren, 205 f.
24 Braun Binder/Kunz/Obrecht, 55 Rz. 8; Zumsteg, Neue Mobilitätsformen, 74.
25 Moor/Bellanger/Tanquerel, 648; Ein Beispiel dafür ist Art. 4 des Gesetzes über die Nutzbarmachung der Wasserkräfte des Kantons Wallis vom 28. März 1990 (kWRG; SGS 721.8). Art. 4 Abs. 1 kWRG sieht vor, dass innerhalb der Kantonsgrenzen die Wasserkraft der Rhone und des Genfersees dem Kanton zusteht. Art. 4 Abs. 2 kWRG statuiert, dass die Wasserkräfte der übrigen Gewässer zur Verfügungsgewalt der Gemeinden stehen.
26 Vgl. Moor/Bellanger/Tanquerel, 648.
27 BGE 138 I 274 E. 2.3.2 S. 284 f.; Moor/Bellanger/Tanquerel, 648. Die SBB ist eine spezialgesetzliche Aktiengesellschaft, die zu 100% im Eigentum des Bundes ist (vgl. Art. 2 Abs.1 des Bundesgesetzes über die Schweizerischen Bundesbahnen, SBBG). Da die Bahnhofsgebäude Eigentum der SBB sind, gehören sie indirekt dem Bund.
28 Der Bund hat die Videoüberwachung der Nationalstrassen in Art. 57c des Strassenverkehrsgesetzes (SVG; SR 741.01) und in Art. 51 der Nationalstrassenverordnung (NSV; SR 725.1111) und diejenige der Bahninfrastruktur in Art. 16b des Eisenbahngesetzes (EBG; SR 742.101), Art. 55 des Personenbeförderungsgesetzes (BPG; SR 745.1) und der Videoüberwachungsverordnung ÖV (VüV-ÖV; SR 742.147.2) geregelt.
29 Moor/Bellanger/Tanquerel, 648; vgl. a. die oben (Anm. 11) erwähnten Vorstösse für ein Verbot der Gesichtserkennung im öffentlichen Raum.
30 Vgl. a. zur Bundeszuständigkeit für die automatische Fahrzeugfahndung und Verkehrsüberwachung (AFV) gestützt auf Art. 108 des Zollgesetzes; das AFV-System des BAZG umfasst aktuell rund 400 Kameras; s. Zumsteg, Automatische Fahrzeugfahndung, 60.
31 S. etwa BGer 1C_63/2023 vom 17. Oktober 2024, E. 3.3.2 (eine Totalüberwachung der Gesellschaft verletzt den Kerngehalt der informationellen Selbstbestimmung).
32 Z.B. EGMR, Urteil vom 4. Juli 2023 in der Rechtssache 11519/20 – Glukhin/Russie, E. 88 ff. (ein Echtzeit-Gesichtsabgleich bei unbewilligten Demonstrationen verletzt Art. 8 EMRK). In Bezug auf die Versammlungsfreiheit regulierte das Bundesgericht in Übereinstimmung mit dem EGMR sogar private, aber öffentlich zugängliche Räume: BGer, Urteil 6B_138/2023 E. 3.4.1 (Kundgebung in einem Einkaufszentrum); vgl. dagegen BGE 147 IV 297 S. 328 E. 3.2 (Kundgebung in Bankfiliale); s. dazu die Analyse von Tschentscher, 27.
33 Vgl. Simmler/Canova, Strafverfahren, 216.
34 BSK StGB-Gamma, Art. 354 Rz. 5; CR StGB-Tirelli, Art. 354 Rz. 3.
35 Verordnung über die Bearbeitung biometrischer erkennungsdienstlicher Daten vom 6. Dezember 2013 (SR 361.3).
36 CR StGB-Tirelli, Art. 354, Rz. 1; BSK StGB-Gamma, Art. 354 Rz. 6.
37 S. dazu die Medienmitteilung des Bundesrates vom 6. April 2023: Bundesrat heisst Verpflichtungskredit zur Erneuerung des AFIS-Systems gut, abrufbar unter <https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-94141.html>.
38 Medienmitteilung des Bundesrates vom 31. Mai 2023, abrufbar unter <https://www.fedpol.admin.ch/fedpol/de/home/aktuell/mm.msg-id-94141.html>.
39 Bundesamt für Polizei (fedpol), FAQ – AFIS2026, S. 1, abrufbar unter <https://www.fedpol.admin.ch/fedpol/de/home/sicherheit/personenidentifikation-neu/gesichtsbildabgleich.html>.
40 Blonski, 45 ff. u. 61.
41 Vgl. z.B. BGE 147 I 478 E. 3.1.2 S. 485, m. w. Hinw.; Müller/Uhlmann/Höfler, 142 ff.
42 Vgl.  HK DSG-Mund, Art. 34 Rz. 5; Simmler/Canova, Polizeiarbeit, 113.
43 Diese Wertung deckt sich mit der Einschätzung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte; s. den oben Anm. 8 zit. Entscheid Glukhin c. Russie (req. 11519/20) vom 4. Juli 2023. Vgl. a. Emmenegger/Reber, 171, zum Stimmabdruck.
44 Vgl. HK DSG-Mund, Art. 34 Rz. 2.
45 Botschaft zum Bundesgesetz über die Totalrevision des Bundesgesetzes über den Datenschutz und die Änderung weiterer Erlasse zum Datenschutz vom 15. September 2017, BBl 2017 6941, 7020; Blonski, 45 ff., 57.
46 BGE 147 I 478 E. 3.1.2 S. 485, m. w. Hinw.; Müller/Uhlmann/Höfler, 154 ff.
47 BGE 147 I 478 E. 3.7.1 S. 490, m. w. Hinw.
48 Vgl. dazu CR StGB-Tirelli, Art. 354, Rz. 5 ff; s. a. Art. 10 Abs. 8 der Organisationsverordnung für das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (OV-EJPD; SR 172.213.1), wonach fedpol die Informationssysteme im Bereich der Polizei und der Strafverfolgung betreibt; Simmler/Canova, Strafverfahren, 216.
49 BGE 147 I 478 E. 3.7.1 S. 490, m. w. Hinw.